BGH Beschluss v. - 2 StR 308/22

Instanzenzug: Az: 2 StR 308/22 Urteilvorgehend LG Darmstadt Az: 1 KLs - 300 Js 56144/19nachgehend Az: 2 StR 308/22 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen dirigistischer Zuhälterei in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei und vorsätzlicher Körperverletzung, wegen dirigistischer Zuhälterei in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei, schwerer Zwangsprostitution und vorsätzlicher Körperverletzung, wegen dirigistischer Zuhälterei in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei und Erpressung in zwei Fällen, wegen vorsätzlicher Körperverletzung, wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Nötigung in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt sowie Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2Die Verfahrensrüge führt zur Aufhebung des Strafausspruchs in den Fällen II.2 bis II.5 der Urteilsgründe sowie des Gesamtstrafenausspruchs.

31. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4Die Beweisaufnahme wurde am 23. Hauptverhandlungstag, dem , geschlossen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägervertreter hielten ihre Plädoyers und stellten ihre Schlussanträge. Dabei beantragte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auch die Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen zugunsten der Nebenklägerinnen C.  und M.   . Im darauffolgenden Termin am plädierten die Verteidiger des Angeklagten. Dem Angeklagten wurde Gelegenheit gegeben, noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen. Er hatte das letzte Wort. Die Hauptverhandlung wurde sodann unterbrochen; Termin zur Fortsetzung war auf den festgesetzt. Einen Tag zuvor ging bei der Strafkammer ein Faxschreiben von Rechtsanwalt D.   ein. Er übersandte zwei an den Angeklagten gerichtete Schriftstücke, zum einen einen Anwaltsschriftsatz, mit dem im Auftrag der Nebenklägerin C.  ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € geltend gemacht wurde, zum anderen einen Antrag auf Prozesskostenhilfe der Nebenklägerin M.   zur Durchführung eines Mahnverfahrens über 40.000 €. Rechtsanwalt D.   kündigte an, im folgenden Termin den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme zu beantragen, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, die Ansprüche, jedenfalls teilweise, anzuerkennen.

5In der Hauptverhandlung vom stellte Rechtsanwalt D.   einen entsprechenden Antrag. Die Vorsitzende erörterte dies mit den Verfahrensbeteiligten und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Dabei erklärten die Nebenklägerinnen über ihre anwaltlichen Vertreterinnen, nach wie vor keinem Täter-Opfer-Ausgleich zuzustimmen. Die Staatsanwaltschaft sah keinen Bedarf, die Beweisaufnahme noch einmal zu eröffnen. Sodann gab die Vorsitzende bekannt, dass auch die Strafkammer keinen Grund sehe, erneut in die Hauptverhandlung einzutreten. Nach geheimer Beratung wurde sodann das angefochtene Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten (erneut) das letzte Wort gewährt wurde.

62. Diese Verfahrensweise verstieß gegen § 258 Abs. 2 Halbsatz 2, Abs. 3 StPO. Dem Angeklagten hätte nach der Erörterung über den von Rechtsanwalt D.   beantragten Wiedereintritt in die Beweisaufnahme erneut Gelegenheit gegeben werden müssen, zu seiner Verteidigung vorzutragen und Ausführungen im Rahmen des letzten Worts zu machen.

7a) Nach einem Wiedereintritt in die Verhandlung muss das Gericht die Möglichkeit zu umfassenden Schlussvorträgen und das letzte Wort erneut gewähren, auch wenn er nur einen unwesentlichen Aspekt oder einen Teil der Anklagevorwürfe betrifft, weil jeder Wiedereintritt den vorangegangenen Ausführungen ihre rechtliche Bedeutung als Schlussvorträge und letztes Wort nimmt (vgl. , BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 20 Rn. 6; Urteil vom – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1632). Ein Wiedereintritt in die Verhandlung kann durch eine ausdrückliche Erklärung des Vorsitzenden beziehungsweise des Gerichts oder stillschweigend geschehen (vgl. , NJW 2022, 1631, 1632 f.; Beschluss vom – 3 StR 185/14, NStZ 2015, 105). Für letzteres genügt jede Betätigung, in welcher der Wille des Gerichts, mit der Untersuchung und der Aburteilung fortzufahren, erkennbar zutage tritt, auch wenn das Gericht darin keine Wiedereröffnung der Verhandlung erblickt oder diese nicht beabsichtigt. Dies ist der Fall bei jedem Vorgang, der die gerichtliche Sachentscheidung auch nur mittelbar beeinflussen könnte, indem er eine tatsächliche oder rechtliche Bewertung des bisherigen Verfahrensergebnisses zum Ausdruck bringt. Auf Umfang und Bedeutung der nochmaligen Verhandlungen kommt es dabei nicht an. Ob ein Wiedereintritt vorliegt, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (s. , NJW 2022, 1631, 1633; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 258 Rn. 28). Er kann auch darin liegen, dass Anträge erörtert werden, ohne dass ihnen letztlich stattgegeben wird (, NJW 2018, 414, 415; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 258, Rn. 28; Tiemann, in: KK-StPO, 9. Aufl., § 258, Rn. 24).

8b) Gemessen daran ist das Landgericht durch die Erörterung mit den Verfahrensbeteiligten über den Antrag von Rechtsanwalt D.  , die Beweisaufnahme zu eröffnen, stillschweigend wieder in die Hauptverhandlung eingetreten. Der Antrag zielte darauf ab, dem Angeklagten die Chance einzuräumen, durch eine zumindest teilweise Anerkennung der nunmehr gegen ihn außerhalb der Hauptverhandlung geltend gemachten Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens Schadenswiedergutmachung zu leisten. Er war insoweit darauf gerichtet, Einfluss auf die Strafzumessung durch das Landgericht zu nehmen, das gemäß § 46 Abs. 2 StGB das Verhalten des Angeklagten nach der Tat und dabei insbesondere auch ein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, in den Blick zu nehmen hatte. Dieser Antrag wurde nicht lediglich entgegengenommen, sondern war im Folgenden förmlicher Gegenstand der Erörterung, wie mit ihm umzugehen sei. Damit ging – da der Gegenstand des Antrags wie ausgeführt die gerichtliche Sachentscheidung zu beeinflussen geeignet war – der (faktische) Wiedereintritt in die Hauptverhandlung einher; belegt wird dies im Übrigen durch den unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Revision, die Nebenklägerinnen hätten klargestellt, einem Täter-Opfer-Ausgleich nach wie vor nicht zuzustimmen. Dass dem Antrag letztlich nicht stattgegeben wurde, das Gericht vielmehr ausdrücklich mitteilte, keinen Grund zu sehen, erneut in die Hauptverhandlung einzutreten, ändert an dieser Feststellung nichts (vgl. , NJW 2018, 414, 415).

9c) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler beruhen die Strafaussprüche in den Fällen II.2 bis II.5 der Urteilsgründe, nicht jedoch die ihnen zugrundeliegenden Schuldsprüche.

10Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte in einem – erneuten – letzten Wort etwas Erhebliches zu den Schuldsprüchen hätte bekunden können. Hingegen ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten (vgl. zum Einverständnis zur förmlichen Einziehung sichergestellter Gegenstände , NStZ-RR 2010, 152). Dies gilt hier insbesondere mit Blick auf die in dem ursprünglichen Schriftsatz von Rechtsanwalt D.   angekündigte (teilweise) Anerkennung der geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche. Dies wäre über das bloße in der Hauptverhandlung bereits abgegebene Angebot, Schmerzensgeld zu zahlen, hinausgegangen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte auf die Herausgabe sichergestellten Bargelds in Höhe von 161.500 € auch gegenüber den Nebenklägerinnen M.   und C.  verzichtet hatte. Dass diese im Übrigen nicht bereit waren, sich weitergehend auf einen Täter-Opfer-Ausgleich einzulassen, ändert nichts daran, dass bereits einer möglichen förmlichen Anerkennung geltend gemachter Ansprüche eine weitergehende strafmildernde Bedeutung zukommen kann.

11d) Die Aufhebung der Einzelstrafaussprüche entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

II.

12Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung aufgrund der Sachrüge hat auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten lediglich im Hinblick auf die Einziehungsentscheidung ergeben. Die Schuldsprüche sowie die Strafaussprüche, soweit sie nicht bereits der Aufhebung unterliegen, erweisen sich als rechtlich unbedenklich.

131. Für eine Schuldspruchänderung in den Fällen II.6 und II.7 der Urteilsgründe sieht der Senat keinen Anlass. Zu Recht hat das Landgericht den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Nötigung in zwei Fällen verurteilt. Nach den Feststellungen wirkte der Angeklagte in zwei Fällen mit Drohungen über Telefon auf das Tatopfer ein, um diese zu sexuellen Handlungen, unter anderem zum Eindringen ihres Fingers in ihre Vagina, zu veranlassen. Es kam diesen Aufforderungen zu Telefonsex schließlich nach, gab dabei aber lediglich vor, entsprechend seinen Anweisungen sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen, unter anderem mit dem Finger in sich einzudringen.

14Die am Telefon ausgesprochene Forderung des Angeklagten, die Geschädigte solle einen Finger in ihre Vagina einführen, hat das Landgericht zutreffend als Versuch der Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 und Abs. 6 Nr. 1, §§ 22, 23 StGB abgeurteilt. Soweit das Tatopfer dem Ansinnen nach Telefonsex nachgekommen ist, erfüllt dies (tateinheitlich) den Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB. Eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB kommt hingegen nicht in Betracht, da nach dem Wortlaut von § 177 Abs. 2 StGB die Vornahme sexueller Handlungen „vor“ einer anderen Person dort nicht erfasst wird.

152. Die Einziehungsentscheidung hat insgesamt keinen Bestand.

16Das Landgericht hat die Einziehung eines Betrags in Höhe von 59.300 € angeordnet, wobei es sich zum einen um Einnahmen der Geschädigten C.  und M.    aus der Ausübung der Prostitution und zum anderen um durch Erpressung der Geschädigten M.   bzw. ihres Vaters erlangtes Geld handelte. Es kann dahinstehen, ob der Angeklagte Gelder tatsächlich in dieser Höhe aus den von ihm begangenen Straftaten erlangt hat. Denn der Senat kann anhand der Urteilsgründe nicht nachvollziehen, ob der Angeklagte nicht auch insoweit auf die Herausgabe sichergestellten Bargelds verzichtet hat und deshalb der staatliche Einziehungsanspruch erloschen ist (vgl. BGHSt 63, 305, 311). Nach den landgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte den Geschädigten M.   und C.  die Zahlung einer Schadenswiedergutmachung angeboten und „in diesem Zusammenhang auch auf die Herausgabe des sichergestellten Bargelds verzichtet“. Ob damit der staatliche Einziehungsanspruch im Hinblick auf Ansprüche der Geschädigten C.  und M.   und gegebenenfalls in welcher Höhe erloschen ist, bedarf der Prüfung durch das neu zur Entscheidung berufene Landgericht, das zudem mit Blick auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts zur Höhe des Erlangten genauer zu prüfen haben wird, was dem Angeklagten aus den Taten zugeflossen ist.

III.

17Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass das Qualifikationsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit im Sinne von § 232a Abs. 4 i.V.m. § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB nur erfüllt ist, wenn der Täter den Straftatbestand des § 232a Abs. 1 StGB mehrfach verwirklicht beziehungsweise bei seiner Tathandlung den Vorsatz hat, zukünftig weitere Taten der Zwangsprostitution zwecks Generierung einer fortdauernden Einnahmequelle zu begehen (vgl. , NStZ-RR 2018, 375, 376; Beschluss vom – 3 StR 145/22, NStZ 2023, 101; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 232 Rn. 34). Die Absicht der fortdauernden Ausnutzung einer durch eine einmalige Einwirkung auf das Tatopfer veranlassten Prostitutionstätigkeit genügt dagegen zur Erfüllung des Qualifikationsmerkmals der Gewerbsmäßigkeit nicht.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:160823B2STR308.22.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-51350