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BGH Urteil v. - VIa ZR 1724/22

Instanzenzug: Az: 2 U 835/21vorgehend LG Bad Kreuznach Az: 3 O 36/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte im Jahr 2016 von einem Dritten ein von der Beklagten hergestelltes Kraftfahrzeug Audi A 4 3.0 TDI als Gebrauchtwagen. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 896 Gen 1 (EU 5) ausgerüstet. Die Abgasrückführung wird temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei bestimmten Außentemperaturen reduziert.

3Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 1 (Erstattung des Kaufpreises) und zu 5 (Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten) vollumfänglich weiter.

Gründe

4Die wirksam auf deliktische Schadensersatzansprüche nebst davon abhängiger Nebenansprüche beschränkte Revision (vgl. VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 8 ff.) hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB stehe dem Kläger nicht zu, da das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht als sittenwidrig zu qualifizieren sei. Auch Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bestünden nicht, da diese Bestimmungen keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB seien.

II.

6Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

71. Die Revision beanstandet nicht, dass das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es greifbare Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht feststellen konnte (vgl. § 559 Abs. 2 ZPO). Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen bereits im Ansatz verneint hat.

9Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden. Wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 ff.). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 ff.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters getroffen.

III.

11Die angefochtene Entscheidung ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, nachdem sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann eine deliktische Haftung der Beklagten wegen jedenfalls fahrlässiger Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ausgeschlossen werden. Der Senat kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern verweist die Sache im Umfang der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen möglichen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:180923UVIAZR1724.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-51121