Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Steuerbare Umsätze – Art. 2 Abs. 1 Buchst. a – Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt – Kostenlose Lieferung eines Tablets oder Smartphones als Gegenleistung für den Abschluss eines neuen Zeitschriftenabonnements – Begriff der einheitlichen Leistung – Kriterien – Art. 16 Abs. 2 – Entnahmen für die Zwecke des Unternehmens mit dem Ziel, Geschenke von geringem Wert zu geben
Leitsatz
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
sind dahin auszulegen, dass
die Gewährung einer Abo-Prämie als Gegenleistung für den Abschluss eines Zeitschriftenabonnements eine Nebenleistung zu der in der Lieferung von Zeitschriften bestehenden Hauptleistung darstellt, die unter den Begriff „Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt“ im Sinne dieser Bestimmungen fällt und nicht als unentgeltliche Zuwendung von Gegenständen im Sinne dieses Art. 16 Abs. 1 anzusehen ist.
Gesetze: EGRL 112/2006 Art. 16 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und von Art. 16 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) sowie der Grundsätze der Steuerneutralität, der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Deco Proteste – Editores Lda und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) über die Pflicht zur Zahlung von Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Tablets oder Smartphones durch Deco Proteste – Editores als Abo-Prämien an neue Abonnenten der von ihr vertriebenen Zeitschriften.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 2 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„(1) Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;
…“
4 Art. 16 dieser Richtlinie lautet:
„Einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt ist die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf oder für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.
Jedoch werden einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt nicht gleichgestellt Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster für die Zwecke des Unternehmens.“
Portugiesisches Recht
5 Art. 3 („Begriff der Lieferung von Gegenständen“) des Código do Imposto sobre o Valor Acrescentado (Mehrwertsteuergesetzbuch) in der Fassung des Decreto-Lei Nr. 102/2008 (Gesetzesdekret Nr. 102/2008) vom (Diário da República, Serie I, Nr. 118 vom , im Folgenden: Mehrwertsteuergesetzbuch) sieht vor:
„(1) Als Lieferung von Gegenständen gilt im Allgemeinen die Lieferung körperlicher Gegenstände gegen Entgelt in einer Weise, die der Ausübung des Eigentumsrechts entspricht.
…
(3) Als Lieferungen von Gegenständen im Sinne von Absatz 1 gelten auch:
…
f) … die dauerhafte Verwendung der Gegenstände des Unternehmens für den Eigenbedarf des Eigentümers, des Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke sowie die unentgeltliche Lieferung dieser Gegenstände, wenn sie oder die Bestandteile, aus denen sie bestehen, Gegenstand eines vollen oder teilweisen Vorsteuerabzugs waren;
…
(7) Von der Regelung in Abs. 3 Buchst. f, wie sie durch die Ministerialverordnung des Finanzministeriums festgelegt ist, sind nicht für einen weiteren Vertrieb bestimmte Gegenstände, die aufgrund ihrer Merkmale oder der unterschiedlichen Größe oder des unterschiedlichen Formats des Erzeugnisses, das die Verkaufseinheit darstellt, als Warenmuster dazu bestimmt sind, vom Steuerpflichtigen selbst hergestellte oder vertriebene Waren zu präsentieren oder zu bewerben, sowie Geschenke mit einem Stückwert von 50 Euro oder weniger, deren Jahresgesamtwert fünf Promille des vom Steuerpflichtigen im vorangegangenen Kalenderjahr erzielten Umsatzes nicht übersteigt, entsprechend dem Handelsbrauch ausgeschlossen.“
6 Art. 18 („Mehrwertsteuersatz“) des Mehrwertsteuergesetzbuchs sieht vor, dass für die Lieferungen von Gegenständen, die in den Listen I und II im Anhang dieses Gesetzbuchs aufgeführt sind, ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz von 6 % bzw. 13 % gilt. Die übrigen Lieferungen von Gegenständen unterliegen dem Mehrwertsteuer-Normalsatz von 23 %. Für Lieferungen von Tablets und Smartphones gilt der letztgenannte Satz.
7 Die Liste I („Zum ermäßigten Satz besteuerte Gegenstände und Dienstleistungen“) im Anhang des Mehrwertsteuergesetzbuchs enthält eine Nr. 2.1, die wie folgt lautet:
„Zeitungen, Magazine und andere Zeitschriften als solche, die in den Rechtsvorschriften, die den Bereich der Kultur, der Bildung, der Erholung oder des Sports regeln, berücksichtigt werden …“.
8 Die Portaria Nr. 497/2008 (Ministerialerlass Nr. 497/2008) vom (Diário da República, Serie I, Nr. 120 vom ) definiert den Begriff des „Geschenks“ und legt die Verfahren und die Buchführungspflichten fest, die von Mehrwertsteuerpflichtigen für die Zwecke der Anwendung von Art. 3 Abs. 7 des Mehrwertsteuergesetzbuchs einzuhalten sind. Art. 3 („Abgrenzung des Begriffs Geschenk“) dieses Erlasses sieht vor:
„(1) Das Geschenk kann aus vom Steuerpflichtigen vertriebenen oder hergestellten Gegenständen oder aus von Dritten erworbenen Gegenständen bestehen.
(2) Besteht das Geschenk aus einer Gesamtheit von Gegenständen, so gilt für diese Gesamtheit der in Art. 3 Abs. 7 des Mehrwertsteuergesetzbuchs genannte Wert von 50 Euro.
(3) Mengenprämien, die der Steuerpflichtige seinen Kunden gewährt, sind vom Begriff des Geschenks ausgenommen.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
9 Deco Proteste – Editores ist ein in Portugal ansässiges Unternehmen, das Zeitschriften und sonstiges Informationsmaterial zum Thema Verbraucherschutz herausgibt und vertreibt. Diese Erzeugnisse werden nur mit Abonnement verkauft. Im Rahmen von Werbekampagnen zur Gewinnung neuer Kunden bietet sie neuen Abonnenten ein Geschenk (im Folgenden: Abo-Prämie), das aus einem Tablet oder einem Smartphone bestehen kann, mit einem Stückwert von stets unter 50 Euro.
10 Die Abo-Prämie wird diesen Abonnenten zusammen mit ihrer Zeitschrift per Post zugeschickt, nachdem sie die erste Monatsrate für das Abonnement gezahlt haben, die genauso hoch ist wie die darauffolgenden Raten. Da keine Mindestbezugsdauer festgelegt ist, behalten die Abonnenten nach Zahlung der ersten Monatsrate selbst im Fall der Kündigung des Abonnements die Abo-Prämie, ohne Nachteile zu erleiden.
11 Die Abo-Prämien werden im Rahmen der Umkehrung der Mehrwertsteuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Verfahren) bei Unternehmen mit Sitz in der Europäischen Union erworben.
12 Im Jahr 2019 stellte die Steuer- und Zollbehörde im Anschluss an eine Steuerprüfung, die sich u. a. auf die Mehrwertsteuer für die Jahre 2015 bis 2018 bezog, fest, dass die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens anlässlich der neuen Abonnements ausgestellten Rechnungen den Betrag des Abonnements auswiesen, auf den ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz von 6 % angewandt wurde. Diese Rechnungen enthielten hingegen keinen Hinweis auf die Abo-Prämien.
13 Die Steuer- und Zollbehörde war der Ansicht, dass es sich bei den Abo-Prämien um Geschenke im Sinne von Art. 3 Abs. 7 des Mehrwertsteuergesetzbuchs handele, stellte aber fest, dass ihr Betrag die in dieser Bestimmung vorgesehene Obergrenze von fünf Promille des Umsatzes des vorangegangenen Kalenderjahrs überschreite. Sie unterwarf daher die Lieferung dieser Geschenke der Mehrwertsteuer, wobei sie als Besteuerungsgrundlage deren Einkaufspreis und als Mehrwertsteuersatz den Normalsatz von 23 % heranzog. Die Steuer- und Zollbehörde bezifferte die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens insoweit geschuldete Mehrwertsteuer für die Jahre 2015 bis 2018 auf 3 472 125,38 Euro. Die Klägerin erklärte sich bereit, zum einen im Rahmen der Steuerprüfung die Mehrwertsteuer für das Jahr 2015 zu berichtigen und zum anderen auf der Grundlage berichtigter Steuererklärungen eine Mehrwertsteuerschuld-Selbstveranlagung für die Jahre 2016 bis 2018 vorzunehmen, nach Abzug der Steuergutschriften zu ihren Gunsten. Sie zahlte also insgesamt 2 851 551,41 Euro, davon 270 936,70 Euro Zinsen.
14 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erhob jedoch in der Folge einen Einspruch, der auf die Rückzahlung dieses Betrags gerichtet war und am zurückgewiesen wurde. Daraufhin beantragte sie am die Einberufung des Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD], Portugal), des vorlegenden Gerichts.
15 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens machte u. a. geltend, dass die Gewährung von Abo-Prämien an neue Abonnenten keine Zuwendung darstelle, da keine Absicht bestehe, unentgeltlich zu handeln. Es gehe in Wirklichkeit um ein kommerzielles Angebot, das aus einer Dienstleistung, nämlich dem Abonnement, bestehe, die mit einer Lieferung von Gegenständen, der Abo-Prämie, verbunden sei und eine im Wert des Zeitschriftenabonnements enthaltene finanzielle Gegenleistung enthalte. Selbst wenn man das Angebot einer Abo-Prämie als Zuwendung betrachte, da ihr Stückwert weniger als 50 Euro betrage, falle es jedenfalls unter den Begriff eines „Geschenks von geringem Wert“ im Sinne von Art. 3 Abs. 7 des Mehrwertsteuergesetzbuchs. Die in dieser Bestimmung vorgesehene Obergrenze von fünf Promille des Umsatzes des Vorjahrs stehe in keinem Zusammenhang mit diesem Begriff. Diese Obergrenze stehe nicht im Einklang mit Art. 16 der Richtlinie 2006/112 und verstoße auch gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Neutralität und der Gleichbehandlung.
16 Das vorlegende Gericht fragt sich, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens davon ausgegangen werden kann, dass die Abo-Prämie, d. h. das Tablet oder das Smartphone, als Gegenleistung für einen Wert überlassen worden ist, auch wenn dieser nicht bestimmt oder separat ausgewiesen wird. Es fragt sich auch, ob der Begriff „Geschenk von geringem Wert“ im Sinne von Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 in der Weise definiert werden kann, dass gleichzeitig auf den Stückwert jedes einzelnen Geschenks und ein Verhältnis des Gesamtwerts der vom Steuerpflichtigen vergebenen Geschenke zum Umsatz des Vorjahrs abgestellt wird. Für den Fall, dass diese Frage bejaht wird, fragt sich das vorlegende Gericht, ob die in Art. 3 Abs. 7 des Mehrwertsteuergesetzbuchs vorgesehene Obergrenze von fünf Promille des Umsatzes nicht so gering ist, dass sie Art. 16 Abs. 2 dieser Richtlinie seine praktische Wirksamkeit nimmt.
17 Unter diesen Umständen hat das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa, CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren] – CAAD) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Erhalten neue Abonnenten beim Abschluss eines Zeitschriftenabonnements ein Geschenk („gadget“) im Sinne von Art. 16 der Richtlinie 2006/112, handelt es sich dabei dann um:
a) eine unentgeltliche Zuwendung, die sich vom Abschluss des Zeitschriftenabonnements unterscheidet,
oder
b) einen integralen Bestandteil eines einzigen entgeltlichen Umsatzes
oder
c) einen integralen Bestandteil eines kommerziellen Angebots, das aus einem Hauptgeschäft (dem Zeitschriftenabonnement) und einem Nebengeschäft (der Gewährung eines Geschenks) besteht, wobei Letzteres als eine entgeltliche Lieferung und als Folge des Zeitschriftenabonnements angesehen wird?
2) Falls die erste Frage dahin beantwortet wird, dass eine unentgeltliche Zuwendung vorliegt, ist dann die Festlegung einer jährlichen Obergrenze von fünf Promille des Vorjahresumsatzes des Steuerpflichtigen für den Gesamtwert der Geschenke (zusätzlich zu der Obergrenze für den Stückwert) mit dem in Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 enthaltenen Begriff der Entnahmen für Geschenke von geringem Wert vereinbar?
3) Falls die vorstehende Frage bejaht wird, ist dann dieser Wert von fünf Promille des Vorjahresumsatzes des Steuerpflichtigen als so niedrig anzusehen, dass Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 seine praktische Wirksamkeit verliert?
4) Verstößt diese Grenze von fünf Promille des Vorjahresumsatzes des Steuerpflichtigen – unter Berücksichtigung auch der Zwecke dieser Regelung – gegen die Grundsätze der Neutralität, der Gleichbehandlung bzw. Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
18 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass die Gewährung einer Abo-Prämie als Gegenleistung für den Abschluss eines Zeitschriftenabonnements unter den Begriff „Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt“ im Sinne dieser Bestimmungen fällt, oder ob Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Gewährung einer solchen Prämie, die ein vom Abonnement gesondertes Geschäft darstellt, als unentgeltliche Zuwendung von Gegenständen im Sinne der letztgenannten Bestimmung anzusehen ist.
19 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf die Mehrwertsteuer jeder Umsatz in der Regel als eigene und selbständige Leistung zu betrachten ist. Wenn ein Umsatz jedoch mehrere Elemente umfasst, stellt sich die Frage, ob er als aus einer einheitlichen Leistung bestehend oder als mehrere eigene und selbständige, hinsichtlich der Mehrwertsteuer getrennt zu beurteilende Leistungen anzusehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Field Fisher Waterhouse, C‑392/11, EU:C:2012:597, Rn. 14 und 15 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
20 Daher darf in Abweichung von dieser Regel erstens ein Umsatz, der eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darstellt, im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Es ist davon auszugehen, dass eine einheitliche Leistung dann vorliegt, wenn mehrere Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (Urteil vom , Frenetikexito, C‑581/19, EU:C:2021:167, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
21 Um festzustellen, ob der Steuerpflichtige mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, sind die charakteristischen Merkmale des betreffenden Umsatzes aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers zu ermitteln. Das Indizienbündel, das zu diesem Ziel herangezogen wird, umfasst verschiedene Bestandteile. Dabei dienen die einen, die intellektueller Art und von entscheidender Bedeutung sind, der Feststellung, ob die Einzelleistungen des in Rede stehenden Umsatzes untrennbar sind oder nicht und welcher wirtschaftliche Zweck mit dem Umsatz, gleich ob einheitlich oder nicht, verfolgt wird. Die anderen, die materieller Art sind und keine entscheidende Bedeutung haben, unterstützen gegebenenfalls die Analyse der erstgenannten Elemente; dazu gehören die getrennte oder gemeinsame Zugänglichkeit der in Rede stehenden Leistungen oder eine einheitliche oder getrennte Abrechnung (Urteil vom , Frenetikexito, C‑581/19, EU:C:2021:167, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
22 Zweitens stellt ein wirtschaftlicher Vorgang dann eine einheitliche Leistung dar, wenn ein oder mehrere Teile als die Hauptleistung, andere Teile dagegen als Nebenleistungen anzusehen sind, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen (Urteil vom , Frenetikexito, C‑581/19, EU:C:2021:167, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das erste in diesem Zusammenhang zu berücksichtigende Kriterium, dass aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers ein eigenständiger Zweck der Leistung fehlt. So ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (Urteil vom , Frenetikexito, C‑581/19, EU:C:2021:167, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Das zweite Kriterium, das in Wirklichkeit ein Indiz für das erste darstellt, zielt auf die Berücksichtigung des jeweiligen Werts jeder der Leistungen, aus denen sich der wirtschaftliche Vorgang zusammensetzt, wobei sich der eine im Verhältnis zum anderen als gering oder gar marginal herausstellt (Urteil vom , Frenetikexito, C‑581/19, EU:C:2021:167, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
25 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den in den Rn. 9 bis 11 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Angaben des vorlegenden Gerichts, dass die Gewährung von Abo-Prämien für den Abschluss eines neuen Abonnements integraler Bestandteil der Geschäftsstrategie der Klägerin des Ausgangsverfahrens ist. Darüber hinaus werden dem vorlegenden Gericht zufolge Abonnements erheblich häufiger abgeschlossen, wenn sie mit Abo-Prämien verbunden sind.
26 Es besteht somit ein klarer Zusammenhang zwischen der Gewährung eines Geschenks und dem Abonnement für die Zeitschriften der Klägerin des Ausgangsverfahrens. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht erscheint dieser Zusammenhang jedoch zum einen nicht systematisch und zum anderen nicht hinreichend eng, um diese Leistungen im Sinne der in den Rn. 20 und 21 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung als untrennbar miteinander verbunden anzusehen. Insoweit zeigt der Umstand, dass die Verlängerung eines Abonnements nicht zur Gewährung eines neuerlichen Geschenks führt und dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens im Übrigen Werbekampagnen durchgeführt hat, ohne Abo-Prämien anzubieten, dass diese Leistungen nicht untrennbar miteinander verbunden sind.
27 Dagegen scheinen die Umstände des Ausgangsverfahrens dafür zu sprechen, dass eine mit einer Nebenleistung verbundene Hauptleistung im Sinne der in den Rn. 22 bis 24 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung vorliegt, was vom vorlegenden Gericht festzustellen sein wird. Die Gewährung einer Abo-Prämie durch die Klägerin des Ausgangsverfahrens an die neuen Abonnenten stellt nämlich einen Anreiz für das Abonnement dar. Sie dient nur dem Zweck, die Zahl der Abonnenten für die von der Klägerin veröffentlichten Zeitschriften zu erhöhen und damit die von ihr erzielten Gewinne zu steigern. Im Übrigen geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens bei ihrer kaufmännischen Kalkulation berücksichtigt, dass einige Abonnenten ihr Abonnement nach Zahlung der ersten Monatsrate kündigen werden, wobei sie aufgrund dieser Zahlung die Prämie behalten dürfen, ohne an das Abonnement gebunden zu bleiben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Gewährung einer Abo-Prämie der Klägerin des Ausgangsverfahrens ermöglicht, jedes Jahr die Zahl ihrer Abonnenten erheblich zu erhöhen. Die Gewährung einer solchen Prämie hat daher aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers, der bereit ist, mindestens eine Monatsrate für ein Abonnement zu bezahlen, um die Prämie zu erhalten, keinen eigenständigen Zweck.
28 Außerdem weisen die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die Europäische Kommission in ihren Erklärungen zu Recht darauf hin, dass die für die Jahre 2015 bis 2018 gewährte Abo-Prämie den neuen Abonnenten ermöglicht habe, die Hauptdienstleistung des Dienstleisters, d. h. die Lektüre der Zeitschriften, für die das Abonnement abgeschlossen worden sei, unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, da mit Hilfe eines Tablets oder eines Smartphones z. B. der Zugriff auf eine digitale Fassung dieser Zeitschriften möglich ist.
29 Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht stellen somit zum einen das Abonnement dieser Zeitschriften und zum anderen das Angebot eines Tablets oder Smartphones mit einem Stückwert von weniger als 50 Euro für jedes neue Abonnement ein Ganzes dar, wobei das Abonnement die Hauptleistung und die Prämie eine Nebenleistung bildet, deren einziger Zweck darin besteht, einen Anreiz für den Abschluss eines Abonnements zu schaffen.
30 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass die Gewährung einer Abo-Prämie als Gegenleistung für den Abschluss eines Zeitschriftenabonnements eine Nebenleistung zu der in der Lieferung von Zeitschriften bestehenden Hauptleistung darstellt, die unter den Begriff „Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt“ im Sinne dieser Bestimmungen fällt und nicht als unentgeltliche Zuwendung von Gegenständen im Sinne dieses Art. 16 Abs. 1 anzusehen ist.
Zur zweiten, zur dritten und zur vierten Frage
31 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage sind die weiteren Fragen nicht zu beantworten.
Kosten
32 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
sind dahin auszulegen, dass
die Gewährung einer Abo-Prämie als Gegenleistung für den Abschluss eines Zeitschriftenabonnements eine Nebenleistung zu der in der Lieferung von Zeitschriften bestehenden Hauptleistung darstellt, die unter den Begriff „Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt“ im Sinne dieser Bestimmungen fällt und nicht als unentgeltliche Zuwendung von Gegenständen im Sinne dieses Art. 16 Abs. 1 anzusehen ist.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2023:731
Fundstelle(n):
OAAAJ-51105