Unbegründete Selbstanzeige eines ehrenamtlichen Richters
Gesetze: § 23a Abs 2 S 1 WBO, § 54 Abs 1 S 1 VwGO, § 54 Abs 2 VwGO, § 41 ZPO, § 42 Abs 2 ZPO, § 48 ZPO
Tatbestand
1Mit gerichtlichem Schreiben vom wurde Oberst ... als ehrenamtlicher Richter für die Entscheidung in dem Wehrbeschwerdeverfahren des Antragstellers wegen eines Konkurrentenstreits um die Besetzung des Dienstpostens des Unterabteilungsleiters I 2 im ... herangezogen. Oberst ... hat am mitgeteilt, ihm sei die vom Antragsteller geführte Klage bekannt. Die beklagte Entscheidung sei nach seiner Verwendung als Personalführer der Obersten A 16 im ... erfolgt. Er sei aber in seiner Anschlussverwendung im ... am Rande des formalen Umspruchverfahrens mit der Einholung der Votierung durch den Inspekteur ... befasst gewesen. Der für den Dienstposten ausgewählte Beigeladene sei ihm persönlich bekannt; es sei ein Dienstposten seiner aktuellen Dienststelle betroffen. Er sehe einen gewissen Gewissenskonflikt bzw. eine Befangenheit in der Ausübung seines Richteramtes.
2Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Bundesministerium der Verteidigung und der Bundeswehrdisziplinaranwalt sehen weder einen Ausschlussgrund noch eine Befangenheit des ehrenamtlichen Richters. Der Antragsteller und der Beigeladene haben sich nicht geäußert.
Gründe
3Über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen ist im Antragsverfahren vor den Wehrdienstgerichten nach den gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO entsprechend anwendbaren Vorschriften des § 54 VwGO i. V. m. §§ 41 bis 49 ZPO zu entscheiden.
4Oberst ... ist weder kraft Gesetzes von der Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Richter ausgeschlossen noch hat er mit seinem Schreiben vom von einem Verhältnis Anzeige gemacht, das seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt. Einer Befreiung aus sonstigen Gründen steht der Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), der auch für die Heranziehung der ehrenamtlichen Richter gilt, entgegen.
51. Nach dem im Schreiben vom mitgeteilten Sachverhalt sind in der Person von Oberst ... keine gesetzlichen Ausschließungsgründe nach § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 41 ZPO, nach § 54 Abs. 2 VwGO oder nach der ebenfalls zu berücksichtigenden Vorschrift des § 77 WDO (i. V. m. § 80 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 3 WDO) gegeben. Er hat insbesondere nicht an dem dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt.
6"Mitgewirkt" an dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren hat nicht nur derjenige, der die angefochtene Entscheidung getroffen hat; es kann, je nach den Umständen, etwa auch eine beratende Tätigkeit oder eine Beteiligung als Verhandlungsführer genügen. Maßgebend für das Vorliegen einer "Mitwirkung" im Sinne von § 54 Abs. 2 VwGO ist vor allem das Maß des Einflusses, den der (ehrenamtliche) Richter schon während des Verwaltungsverfahrens in amtlicher Eigenschaft auf die angefochtene Entscheidung genommen hat ( 1 WB 13.17 - juris Rn. 6 f. m. w. N.). Zwar ist danach im Rahmen des § 54 Abs. 2 VwGO eine weite Auslegung des Gesetzes geboten. Denn die Vorschrift will ganz allgemein das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Verwaltungsgerichte schützen. Es soll deshalb kraft Gesetzes ausgeschlossen sein, dass ein Richter den Rechtsstreit entscheidet, dessen Mitwirkung dem Einwand ausgesetzt sein könnte, er habe sich bereits in der Sache festgelegt und könne seine richterliche Entscheidung nicht mehr mit der gebotenen Objektivität treffen, weil er vor der Übernahme des Richteramts an der im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidung mitgewirkt bzw. auf sie bestimmenden Einfluss genommen hat ( 5 C 71.75 - BVerwGE 52, 47 <48>). Andererseits ist der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 VwGO dadurch beschränkt, dass eine Einflussnahme oder Mitwirkung im konkreten Verfahren des betroffenen Antragstellers stattgefunden haben muss. Maßgeblich ist insoweit, ob der in Rede stehende (ehrenamtliche) Richter auf Art und/oder Umfang oder auf den Inhalt der im konkreten Verfahren ergangenen Entscheidung Einfluss genommen hat ( 1 WB 42.11 - BA Rn. 8 m. w. N.).
7Hiernach ist kein für einen Ausschluss vom Richteramt ausreichendes Maß an Einflussnahme auf die Entscheidung angezeigt worden. Oberst ... hat weder selbst in der Sache entschieden, noch ein eigenes Votum zu der Auswahlentscheidung abgegeben, vielmehr nur - in seinen Worten "am Rande" - bei der Einholung des Votums des Inspekteurs ... mitgewirkt. Dass er in bestimmender Weise auf die streitgegenständliche Entscheidung Einfluss genommen hat, ist damit nicht feststellbar.
82. Er hat auch keine Konstellation angezeigt, die seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 2 und § 48 ZPO rechtfertigt.
9Hiernach findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines (ehrenamtlichen) Richters zu rechtfertigen. Dies setzt voraus, dass ein Beteiligter die auf objektiv feststellbaren Tatsachen beruhende, subjektiv vernünftigerweise mögliche Besorgnis haben kann, der Richter werde in seiner Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden oder habe sich in der Sache bereits festgelegt; insoweit genügt schon der "böse Schein" ( 1 WB 13.17 - juris Rn. 10 m. w. N.). Für sich allein nicht ausreichend ist, dass der (ehrenamtliche) Richter den Verfahrensbeteiligten kennt oder dass zwischen dem (ehrenamtlichen) Richter und dem Verfahrensbeteiligten dienstliche Beziehungen oder Kontakte bestanden oder bestehen; insoweit enthalten § 54 Abs. 2 VwGO und § 77 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, Nr. 2 und 3 WDO abschließende Ausschließungsregelungen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 28.09 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 73 Rn. 10 und vom - 1 WB 35.14 - BA Rn. 7). Dienstliche Beziehungen zu einem Verfahrensbeteiligten können allenfalls dann eine Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn sie besonders eng sind oder sich zu einem engen persönlichen Verhältnis entwickelt haben ( 2 WD 14.13 - BA Rn. 4 m. w. N.).
10Den Angaben von Oberst ... ist ein über die bloße Bekanntschaft und die Zugehörigkeit zur selben Dienststelle hinausgehendes Verhältnis zum Beigeladenen nicht zu entnehmen. Dass er bereits vor seiner Heranziehung als ehrenamtlicher Richter Kenntnis von dem Antrag hatte, begründet objektiv nicht den Anschein, er habe sich in seiner Haltung zu der mit dem Antrag vorgebrachten Argumenten bereits festgelegt. Begründetes Misstrauen in seine Unparteilichkeit begründet auch der Umstand nicht, dass ein Dienstposten der Dienststelle umstritten ist, an der der ehrenamtliche Richter verwendet wird. Ob ein ehrenamtlicher Richter sich selbst in einem Gewissenskonflikt sieht, ist unerheblich, weil es nicht darauf ankommt, ob der Richter sich selbst für befangen hält ( 1 WB 5.13 - BA Rn. 13 m. w. N.). Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit von Oberst ... sind von den Beteiligten auch nach Kenntnis der Selbstanzeige nicht geltend gemacht worden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:081122B1WB6.22.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-51086