Haftantrag gegen albanischen Staatsangehörigen wegen Fluchtgefahr mangels regelmäßigem Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik
Gesetze: § 426 Abs 2 FamFG, § 62 Abs 3b Nr 7 AufenthG vom
Instanzenzug: LG Wuppertal Az: 9 T 142/20vorgehend AG Wuppertal Az: 902 XIV (B) 14/20
Gründe
1I. Der Betroffene ist albanischer Staatsangehöriger. Er reiste im Mai 2018 ohne Visum zunächst nach Ungarn und sodann weiter in die Bundesrepublik ein. Einen Aufenthaltstitel hat er nicht beantragt. Bei den Behörden meldete er sich nicht. Am wurde er als Verdächtiger eines Sexualdelikts vorläufig festgenommen. Die beteiligte Behörde forderte ihn mit Verfügung vom auf, das Bundesgebiet zu verlassen, drohte ihm die Abschiebung an und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung an.
2Auf Antrag der beteiligten Behörde vom hat das Amtsgericht am selben Tag gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum angeordnet. Mit Schreiben vom hat sich F.G. als Person des Vertrauens (Vertrauensperson) für den Betroffenen gemeldet und Haftaufhebung sowie Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft beantragt. Unter dem hat die beteiligte Behörde mitgeteilt, dass gegen den Betroffenen ein Strafbefehl zur Verbüßung einer Restfreiheitsstrafe vorliege und der Betroffene in die Strafhaft überführt worden sei. Daraufhin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom gleichen Tag den Haftbeschluss aufgehoben. Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht festgestellt, dass die angeordnete Abschiebungshaft bis zum rechtmäßig war. Die dagegen von der Vertrauensperson eingelegte Beschwerde hat das zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Vertrauensperson mit der Rechtsbeschwerde.
3II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat überwiegend Erfolg.
41. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Haftantrag sei zunächst unzulässig gewesen, weil er keine hinreichenden Angaben zur erforderlichen Dauer der beantragten Haft enthalten habe. Die Behörde habe diese Angaben jedoch im Verlauf des Haftaufhebungsverfahrens nachgeholt. Es sei der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG gegeben. Der Betroffene habe sich fast zwei Jahre im Gebiet der Bundesrepublik ohne regelmäßigen Aufenthaltsort aufgehalten. Auch habe er gegenüber der Ausländerbehörde keine Anschrift angegeben unter der er zu erreichen gewesen wäre.
52. Das hält rechtlicher Prüfung nur teilweise stand.
6a) Die Haft war im Zeitraum vom 21. Juli bis zum rechtswidrig, weil es bis dahin an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
7aa) Einwände gegen die Zulässigkeit des Haftantrags sind auch im Haftaufhebungsverfahren nach § 426 Abs. 2 FamFG zu prüfen. Denn in diesem Verfahren können nicht nur neue Umstände, sondern auch Einwände gegen die Anordnung der Haft geltend gemacht werden ( -, Rn. 14, juris). Die Haftanordnung ist wegen Defiziten des Haftantrags, Verfahrensfehlern bei der Anordnung der Haft oder Fehlern der Haftanordnung aber im Haftaufhebungsverfahren nicht nach § 426 FamFG aufzuheben, wenn die fehlenden Angaben und Feststellungen im Aufhebungsverfahren nachgeholt werden und die Haft auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden ist; einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 420 FamFG bedarf es in diesem Fall grundsätzlich nicht (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rn. 15 ff.; vom - XIII ZB 86/19, juris Rn. 11). Eine solche Heilung wirkt aber - anders als das Beschwerdegericht angenommen hat - nur für die Zukunft und tritt, wenn die Behörde - wie hier - die Defizite des Antrags mit eigenen ergänzenden Angaben behebt, mit dem Eingang des Schriftsatzes bei Gericht ein (BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 86/19, juris Rn. 12; vom - XIII ZB 52/20, juris Rn. 17, mwN).
8Aufgrund des Umstandes, dass ein Mangel nur für die Zukunft behoben werden kann, kann die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft im Haftaufhebungsverfahren erst von dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei dem Amtsgericht beantragt werden; der Antrag ist nur zulässig, wenn er - wie hier - vor Eintritt der Rechtskraft der Haftanordnung bei dem Amtsgericht eingegangen ist (, InfAuslR 2020, 387 Rn. 23).
9bb) Danach war die Haft vom 20. Juli bis zum rechtswidrig. Der ursprüngliche Haftantrag war, wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, unzulässig. Die beteiligte Behörde hatte im Hinblick auf die beantragte Haftdauer angegeben, den Betroffenen für eine Sammelabschiebung am angemeldet zu haben, ohne mit der für die Rückführung zuständigen Stelle Rücksprache gehalten zu haben. Aus diesem Grund konnte sie selbst nicht wissen, ob eine frühere Rückführung möglich war und es sich bei der beantragten Dauer der Haft um den kürzest möglichen Haftzeitraum handelte. Im Übrigen enthielt der Antrag keine weiteren Angaben dazu, weshalb nur eine Rückführung mit einem Sammel-Charter in Betracht kam. Diesen Mangel hat die Behörde durch ihre Ausführungen im Schreiben vom ergänzt und angeben, dass für den Betroffenen als Straftäter eine Sicherheitsbegleitung erforderlich sei, die Bundespolizei derzeit keine begleiteten Einzelrückführungen durchführe und das Land daher Sammelcharter-Maßnahmen organisiere, die medizinisch und polizeilich begleitet würden. Die nächstmögliche Sammelrückführung im Zeitpunkt der Antragstellung sei für den geplant gewesen, dieser Termin sei auf den vorverlegt worden. Dieses Schreiben war bei Gericht am per Fax eingegangen.
10b) Im Übrigen, mithin am , war die Haft rechtmäßig.
11aa) Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht erkennbar. Die Entscheidung, ob eine Sicherheitsbegleitung erforderlich ist, haben die Haftgerichte, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht zu überprüfen (, juris Rn. 28). Die Behörde war jedenfalls angesichts der Besonderheiten der Corona-Pandemie auch nicht gehindert, die Rückführung durch einen Sammel-Charter durchzuführen (, juris Rn. 9).
12bb) Es lag auch ein Haftgrund vor. Nach § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG besteht ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr, wenn der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, dem behördlichen Zugriff entzogen ist, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält. Diese Voraussetzungen hat das Beschwerdegericht ohne Rechtsfehler bejaht.
13(1) Der Betroffene war, wie sich aus der bestandskräftigen Ordnungsverfügung der beteiligten Behörde vom ergibt, am erlaubt in den Schengenraum und weiter in das Bundesgebiet eingereist, seit dem ohne Aufenthaltsrecht, hat zu keiner Zeit einen Aufenthaltstitel beantragt und war damit vollziehbar ausreisepflichtig. Diese aufenthaltsrechtlichen Feststellungen der beteiligten Behörden waren, da keine Anhaltspunkte für eine evidente Rechtswidrigkeit geltend gemacht oder ersichtlich sind, für das Haftgericht bindend (, NVwZ 2021, 342 Rn. 8, mwN). Das gilt auch insoweit, als der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG auf die aufenthaltsrechtliche Rechtslage Bezug nimmt. Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, der Betroffene habe vorgetragen, regelmäßig den Schengenraum verlassen zu haben, greift sie die behördlich festgestellte Ausreisepflicht daher ohne Erfolg an.
14(2) Der Betroffene war nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts auch dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hatte, an dem er sich überwiegend aufhielt. Dem hält die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg entgegen, der Betroffene habe bei der Anhörung vor dem Amtsgericht eine Adresse genannt, unter der er wohne. Der Betroffene hat angegeben, er habe eine Übernachtungsmöglichkeit in der ,er wohne dort, sei dort nicht gemeldet, sei zwischendurch in Italien gewesen und habe zwischendurch Autos in andere Länder gebracht. In der Anhörung vor der beteiligten Behörde hatte er angegeben, Autos in Deutschland gekauft und in Albanien verkauft zu haben und mal hier, mal dort gewesen zu sein. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene einen Aufenthaltsort hatte, an dem er sich überwiegend aufhielt, ergaben sich daraus nicht. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht war daher nicht geboten.
15(3) Das Beschwerdegericht hat, anders als die Rechtsbeschwerde meint, auch eine Gesamtwürdigung vorgenommen. Es hat angenommen, Anhaltspunkte nach § 62 Abs. 3a Nr. 7 AufenthG lägen vor und begründeten bei der im Einzelfall vorzunehmenden wertenden Betrachtung im Fall des Betroffenen eine Fluchtgefahr. Soweit die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang rügt, das Beschwerdegericht habe sich nicht mit dem Vorbringen des Betroffenen auseinandergesetzt, er habe regelmäßig den Schengenraum verlassen, verhilft ihr das nicht zum Erfolg. Die Feststellung, dass er im Mai 2018 über Ungarn in das Bundesgebiet eingereist ist, greift die Rechtsbeschwerde nicht an. Die weiteren Angaben des Betroffenen, insbesondere während seiner Anhörung vor dem Amtsgericht, lassen nicht erkennen, dass er sich seit seiner Einreise überwiegend außerhalb des Bundesgebiets aufgehalten hat. Das zeigt auch die Rechtsbeschwerde nicht auf. Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung des Beschwerdegerichts, der Betroffene halte sich fast zwei Jahre im Gebiet der Bundesrepublik auf, nicht zu beanstanden. Es ist auch nicht erkennbar, dass angesichts der Angabe des Betroffenen, im Inland einer Erwerbstätigkeit nachgegangen zu sein, eine nicht belegte und zeitlich auch nicht konkretisierte mehrmalige Ein- und Ausreise belastbare Anhaltspunkte dafür bieten könnte, der Betroffene werde freiwillig das Land verlassen.
16(4) Das Beschwerdegericht konnte bei der Würdigung der Umstände des Einzelfalls schließlich auch ohne Rechtsfehler berücksichtigen, dass der Betroffene gegenüber der Ausländerbehörde keine Anschrift angegeben hatte, unter der er erreichbar war.
173. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:120923BXIIIZB68.20.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-50937