BGH Beschluss v. - AnwZ (Brfg) 7/23

Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs ohne mündliche Verhandlung und Säumniszuschlag zum Rechtsanwaltskammerbeitrag

Gesetze: § 112c Abs 1 S 1 BRAO, § 112e Abs 2 S 1 BRAO, § 101 S 1 VwGO, § 108 Abs 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO, Art 103 GG, § 288 Abs 5 S 1 BGB

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Frankfurt Az: 1 AGH 6/22

Gründe

I.

1Der Kläger ist Mitglied der beklagten Rechtsanwaltskammer. Er wendet sich gegen eine vollstreckbare Zahlungsaufforderung der Beklagten vom über 30,11 € für einen Säumniszuschlag nebst Zustellkosten für den Mitgliedsbeitrag für das Jahr 2017.

2Die am durch die Kammerversammlung beschlossene Beitragsordnung der Beklagten für das Jahr 2017 enthielt zur Erhebung des Kammerbeitrags und einer Umlage für das besondere elektronische Anwaltspostfach (im Folgenden: beA-Umlage) folgende Regelung:

3Die Beitragsordnung wurde in den Kammermitteilungen der Beklagten "Kammer aktuell" 4/2016, auf der Webseite der Beklagten und im Justizministerialblatt für Hessen vom (Seite 75 ff.) veröffentlicht.

4Der Kläger zahlte den Kammerbeitrag und die beA-Umlage bis zum nicht. Unter dem übersandte ihm die Beklagte eine Zahlungserinnerung über 353 €. Auf Nachfrage des Klägers erläuterte sie, dass die Forderung aus dem Jahr 2017 resultiere, und übermittelte ihm die Zweitschrift eines Schreibens vom , mit dem er unter Hinweis auf den andernfalls anfallenden Säumniszuschlag zur Zahlung des Kammerbeitrags und der beA-Umlage für das Jahr 2017 in Höhe von insgesamt 327 € bis zum aufgefordert worden war. Der Kläger, der den Zugang der Erstschrift dieses Schreibens bestreitet, überwies daraufhin 327 €.

5Nach wiederholten vergeblichen Aufforderungen an den Kläger, auch den geltend gemachten Säumniszuschlag in Höhe von 26 € zu begleichen, erließ die Beklagte am eine vollstreckbare Zahlungsaufforderung gemäß § 84 BRAO über 30,11 € für den Säumniszuschlag von 26 € zzgl. Zustellkosten in Höhe von 4,11 €. Die Zahlungsaufforderung, die keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, wurde dem Kläger am zugestellt, der daraufhin den titulierten Betrag zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung unter Vorbehalt der Rückforderung und ohne Anerkennung der Rechtspflicht zahlte.

6Am hat der Kläger beim Amtsgericht F.               Klage gegen die Beklagte auf Rückzahlung des Betrages von 30,11 € nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten erhoben. Das Amtsgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten mit Beschluss vom für unzulässig erklärt, weil es sich bei der vollstreckbaren Zahlungsaufforderung um einen Verwaltungsakt handele, und den Rechtsstreit an den Hessischen Anwaltsgerichtshof verwiesen.

7Beim Anwaltsgerichtshof hat der Kläger beantragt, die vollstreckbare Zahlungsaufforderung vom aufzuheben und die Beklagte zur Rückzahlung von 30,11 € nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten zu verurteilen. Er hat geltend gemacht, die Regelung in der Beitragssatzung 2017 habe noch keine Fälligkeit des Kammerbeitrags begründen können; hierfür sei vielmehr ein gesonderter Beitragsbescheid, zumindest aber eine vorherige Zahlungsaufforderung erforderlich. Darüber hinaus sei der in der Satzung festgesetzte Säumniszuschlag in Höhe von 10 % unverhältnismäßig hoch.

8Auf Anfrage des Anwaltsgerichtshofs haben die Parteien ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO erklärt, der Kläger allerdings verbunden mit dem Zusatz: "Dabei setze ich jedoch voraus, dass, falls das Gericht beabsichtigt, die Klage ganz oder teilweise abzuweisen, mir vor Verkündung einer Entscheidung die Erwägungen des Gerichts mitgeteilt werden und ich Gelegenheit zu Stellungnahme erhalte."

9Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage mit Urteil vom ohne vorherigen Hinweis und (weiterer) Gelegenheit zur Stellungnahme für die Parteien ohne mündliche Verhandlung nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 101 Abs. 2 VwGO abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei unzulässig, weil es sich bei der Zwangsvollstreckungsaufforderung der Beklagten um einen Verwaltungsakt handele, der auf ihre Aufhebung gerichtete Klageantrag daher als Anfechtungsklage nach § 112c Abs. 1 BRAO, § 42 Abs. 1 Fall 2 VwGO zu verstehen sei und der Kläger damit die (mangels Rechtsmittelbelehrung in der Zwangsvollstreckungsaufforderung) einjährige Anfechtungsfrist gemäß § 112c Abs. 1 BRAO, § 58 Abs. 2 VwGO versäumt habe. Infolge der Rechtskraft der Zahlungsaufforderung der Beklagten komme auch keine Rückerstattung des vom Kläger darauf geleisteten Betrages oder Erstattung seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten in Betracht (Vollzugsfolgenbeseitigungsantrag, vgl. § 112c BRAO, § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Im Übrigen hätte die Klage auch bei Einhaltung der Klagefrist keinen Erfolg gehabt. Der Säumniszuschlag sei durch die Kammerversammlung ordnungsgemäß beschlossen, der Höhe nach nicht zu beanstanden und auch angefallen, weil der Kläger den Kammerbeitrag nicht bis zu dem in der Beitragssatzung wirksam bestimmten Fälligkeitszeitpunkt geleistet habe. Einer gesonderten Zahlungsaufforderung durch die Beklagte oder eines gesonderten Beitragsbescheids habe es nicht bedurft.

10Der Kläger beantragt nunmehr die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

11Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist begründet. Der Kläger macht mit Erfolg geltend, dass der Anwaltsgerichtshof mit der Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einen Verfahrensverstoß begangen hat, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; dazu unter 1.). Die übrigen Rügen des Klägers greifen dagegen nicht durch (dazu unter 2. bis 4.).

1. Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung

12a) Der Kläger rügt zu Recht, dass der Anwaltsgerichtshof verfahrensfehlerhaft (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) gegen den Mündlichkeitsgrundsatz (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, 101 Abs. 1, Abs. 2 VwGO) verstoßen und den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, indem er die Klage ohne entsprechendes Einverständnis des Klägers (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 101 Abs. 2 VwGO) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen hat.

13aa) Nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 101 Abs. 1 VwGO hat das Gericht seine Entscheidung grundsätzlich aufgrund mündlicher Verhandlung zu treffen. Eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung bedarf nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 101 Abs. 2 VwGO des Einverständnisses der Beteiligten. Dieses Einverständnis muss als Prozesshandlung mit Gestaltungswirkung grundsätzlich klar, eindeutig und unbedingt bzw. vorbehaltlos erklärt werden (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2014, 740 Rn. 11; NVwZ-RR 2021, 87 Rn. 9; BeckOK VwGO/Brüning, § 101 Rn. 8 [Stand: ]; Dolderer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 101 Rn. 24; Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 101 VwGO Rn. 29 [Stand: August 2022]; jeweils mwN). Zulässig, weil der prozessualen Klarheit nicht abträglich, sind allerdings sogenannte innerprozessuale Bedingungen, die die Wirksamkeit der abgegebenen Erklärung allein von einem im Prozess stattfindenden Ereignis abhängig machen (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 4; .A, juris Rn. 8; BeckOK VwGO/Brüning, § 101 Rn. 9 [Stand: ]; Dolderer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 101 Rn. 24; Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 101 VwGO Rn. 29 [Stand: August 2022]). Ein Verstoß gegen den Grundsatz der mündlichen Verhandlung verletzt zugleich den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 108 Abs. 2 VwGO; vgl. BVerwG, NVwZ 2009, 59 Rn. 10 mwN). Die irrtümliche Annahme eines Gerichts, dass ein wirksames Einverständnis vorläge, ist für einen Verfahrensverstoß ohne Bedeutung (vgl. BVerwG, NVwZ 2009, 59 Rn. 10 mwN).

14bb) Danach liegt hier ein Verstoß gegen § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 101 Abs. 1 VwGO vor, weil es entgegen der Annahme des Anwaltsgerichtshofs an einem Einverständnis des Klägers gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 101 Abs. 2 VwGO mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung fehlte.

15Der Kläger hat zwar auf die Nachfrage des Anwaltsgerichtshofs mit Schriftsatz vom mitgeteilt, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 112c Abs. 1 BRAO, § 101 Abs. 2 VwGO einverstanden zu sein, allerdings verbunden mit dem im Tatbestand genannten Zusatz. Ob man seine Einverständniserklärung wegen dieses Zusatzes bereits als unklar und damit unwirksam ansieht, oder den Zusatz als unschädliche, weil rein innerprozessuale Bedingung ("setze ich voraus") versteht (vgl. etwa BVerwG, Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 4 zu der Bedingung, eine Erklärungsfrist bewilligt zu erhalten), kann dahinstehen. Auch wenn man ein wirksam bedingtes Einverständnis des Klägers annimmt, hat der Anwaltsgerichtshof der Bedingung des Klägers jedenfalls nicht genügt, sondern hat die Klage ohne vorherigen Hinweis auf die von ihm angenommene Verfristung des Anfechtungsantrags und daraus folgende Unbegründetheit des Zahlungsantrags ohne Stellungnahmemöglichkeit für den Kläger abgewiesen. Für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf dieser Basis lag aber kein Einverständnis des Klägers vor.

16b) Es ist auch davon auszugehen, dass die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), ohne dass es darauf ankommt, was der Kläger schriftlich oder in einer mündlichen Verhandlung hätte vortragen wollen und ob dieser Vortrag erheblich gewesen wäre.

17Eine Verletzung von § 101 Abs. 1 VwGO beschränkt sich nicht auf einzelne tatrichterliche Ausführungen und Feststellungen, sondern erfasst das angegriffene Urteil insgesamt. In diesem Fall, in dem die Verletzung des rechtlichen Gehörs den gesamten Prozessstoff erfasst, bedarf es bereits formal keiner Ausführungen im Zulassungsantrag nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO dazu, was ohne den Gehörsverstoß zusätzlich noch vorgetragen worden und dass dies entscheidungserheblich gewesen wäre; auch eine Ablehnung des Zulassungsantrags in entsprechender Anwendung von § 144 Abs. 4 VwGO kommt nicht in Betracht (vgl. Senat, Beschlüsse vom16. Dezember 2011 - AnwZ (Brfg) 52/11, juris Rn. 4 und vom - AnwZ (Brfg) 63/18, juris Rn. 18; BVerwG, NJW 1998, 2377, 2378; NVwZ 2009, 59 Rn. 11; Beschluss vom - 8 B 56/09, juris Rn. 13; VGH München, NVwZ-RR 2007, 718, 719; BeckOK VwGO/Brüning, § 101 Rn. 19 [Stand: ]; BeckOK VwGO/Roth, § 124a Rn. 79.1[Stand: ]; Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl., § 124a Rn. 74; Eyermann/Kraft, VwGO, 16. Aufl., § 138 Rn. 8 und 38; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 124a VwGO Rn. 114 [Stand: August 2022] unter Verweis auf Bier, aaO, § 133 VwGO Rn. 41 [Stand: August 2022]; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 124a Rn. 218, § 124 Rn. 223; Dolderer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 101 Rn. 51). Ob die übrigen Einwände, die der Kläger in der Begründung seines Zulassungsantrags gegen die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs erhoben hat, im Ergebnis keinen Erfolg haben, ist daher für die Zulassungsentscheidung ohne Belang.

2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung

18Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO) bestehen nicht.

19a) Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag des Klägers auf Aufhebung der vollstreckbaren Zahlungsaufforderung zu Recht wegen Versäumung der Klagefrist gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 74 Abs. 1, § 58 Abs. 2 VwGO als unzulässig abgewiesen.

20aa) Der Anwaltsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der vollstreckbaren Zahlungsaufforderung der Beklagten um einen Verwaltungsakt handelt (vgl. , BGHZ 55, 255, 259; Beschlüsse vom - AnwZ (B) 31/92, juris Rn. 4 und vom - AnwZ (Brfg) 22/21, juris Rn. 9), der mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist und damit der Anfechtungsfrist des § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 74 Abs. 1, § 58 Abs. 1 und 2 VwGO unterliegt. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.

21bb) Da die dem Kläger am zugestellte vollstreckbare Zahlungsaufforderung keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, galt gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich eine Klagefrist von einem Jahr, die am abgelaufen ist. Die erst am16. Dezember 2021 beim Amtsgericht F.              eingereichte Klage konnte damit keine Fristhemmung mehr bewirken.

22cc) Dagegen macht der Kläger ohne Erfolg geltend, dass im vorliegenden Fall die Ausnahmeregelung des § 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO eingreife.

23Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO gilt die einjährige Anfechtungsfrist ausnahmsweise dann nicht, wenn die Einlegung eines Rechtsbehelfs infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Auch eine analoge Anwendung der Ausnahmeregelung kommt entgegen der Ansicht des Klägers nicht in Betracht.

24(1) Ein Fall der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 VwGO liegt nicht vor.

25Eine schriftliche oder elektronische Belehrung, dass gegen die vollstreckbare Zahlungsaufforderung kein Rechtsbehelf möglich sei, hat die Beklagte nicht erteilt. Soweit der Kläger geltend macht, er habe das Verhalten der Beklagten in der vorgerichtlichen Korrespondenz nur als konkludente Belehrung in diesem Sinne verstehen können, wäre damit bereits den formellen Anforderungen des § 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO an die fehlerhafte Belehrung nicht genügt (vgl. Kastner in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl., § 58 VwGO Rn. 20 a.E.: auch mündliche Auskünfte reichen nicht aus).

26Darüber hinaus war das Verhalten der Beklagten aber auch nicht als konkludente Belehrung in dem vom Kläger geltend gemachten Sinne zu verstehen. Der Kläger beruft sich hierzu darauf, dass er die Beklagte mit E-Mail vom unter Hinweis auf das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung aufgefordert hatte, ihm umgehend mitzuteilen, mit welchen Rechtsmitteln er vor dem Hintergrund der von ihm erhobenen Einwendungen gegen die Zahlungsaufforderung vorgehen könne. Darauf habe die Beklagte trotz seiner Erinnerungs-E-Mail vom (mit Fristsetzung zum ) nicht reagiert, weswegen er am Klage erhoben habe. Aus diesem vollständigen Schweigen der Beklagten lässt sich schwerlich die konkludente Erklärung ableiten, es gebe keinen Rechtsbehelf gegen ihre Zahlungsaufforderung.

27(2) Der Kläger kann sich auch nicht auf höhere Gewalt im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Fall 1 VwGO berufen.

28Als Fälle höherer Gewalt im Sinne dieser Vorschrift gelten außergewöhnliche Ereignisse, die unter den gegebenen Umständen auch durch die größte nach den Umständen des konkreten Falles vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnten (vgl. etwa 8 C 24.12, juris Rn. 29 mwN). Zwar werden in Rechtsprechung und Literatur auch Fälle höherer Gewalt bejaht, wenn eine fehlerhafte Rechtsbelehrung erfolgt ist, die ursächlich für die Fristversäumung war und die zumutbare Sorgfalt von dem Betroffenen gewahrt wurde (vgl. BVerwG, NJW 1980, 1480; OVG Berlin, NJW 1965, 1151; Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 58 Rn. 81), oder die Behörde den Betroffenen durch treuwidriges Verhalten arglistig um seine Klagemöglichkeit gebracht hat (vgl. BVerwG, NJW 1980, 1480 a.E.). Ein vergleichbarer Fall liegt hier aber nicht vor. Allein der Umstand, dass die Beklagte auf die Frage des Klägers nach möglichen Rechtsbehelfen gegen die Zahlungsaufforderung nicht reagiert hat, reicht dafür nicht aus. In Anbetracht der juristischen Ausbildung und anwaltlichen Berufstätigkeit des Klägers war von ihm zu erwarten, dass er sich selbst über mögliche Rechtsbehelfe und deren Voraussetzungen informierte. Da die Beklagte ihn gerade nicht durch eine fehlerhafte Belehrung davon abgehalten hat, ist für die Annahme höherer Gewalt kein Raum.

29(3) Eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des § 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Fall 2 VwGO kommt entgegen der Ansicht des Klägers nicht in Betracht.

30Nach der gesetzlichen Konzeption handelt es sich bei der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO um keine Rechtsbehelfs- sondern eine Ausschlussfrist und damit eine absolute zeitliche Grenze für die Einlegung von Rechtsbehelfen, die nur in den in der Vorschrift ausdrücklich genannten Ausnahmefällen durchbrochen werden kann (vgl. BeckOK VwGO/Kimmel, § 58 Rn. 23 [Stand: ]; Kluckert in Sodann/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 58 Rn. 74; Meissner/Schenk in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 58 VwGO Rn. 65 [Stand: August 2022]; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 58 Rn. 16). § 58 Abs. 2 VwGO beruht auf dem Gedanken, dass die Betroffenen jedenfalls innerhalb eines Jahres Gelegenheit haben, sich über mögliche Rechtsbehelfe zu informieren, und will verhindern, dass Rechtsbehelfe trotz fehlender oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung zeitlich unbegrenzt möglich bleiben (vgl. BeckOK VwGO/Kimmel, § 58 Rn. 23 [Stand: ]). Die in der Vorschrift geregelten Ausnahmen sind das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Geboten der Rechtssicherheit und der Einzelfallgerechtigkeit bzw. der Rechtsschutzgewährleistung (vgl. , juris Rn. 9 mwN; VGH München, BayVBl 2017, 170, 172). Sie stellen eine abschließende gesetzgeberische Entscheidung dar, so dass weitere Ausnahmen von der Ausschlussfrist unzulässig sind. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass das Interesse an Rechtssicherheit, das nach der Wertung des Gesetzgebers nach einem Jahr Vorrang vor der Einzelfallgerechtigkeit bzw. Rechtsschutzgewährleistung genießt, unterlaufen würde (vgl. BVerwG, NJW 1967, 591, 592; Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 58 Rn. 79). Das schließt eine erweiternde Auslegung oder entsprechende Anwendung auch im Fall des Klägers aus.

31b) Keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung bestehen auch hinsichtlich der Abweisung des Antrags auf Rückzahlung des zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten Betrags und Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten des Klägers.

32aa) Der Anwaltsgerichtshof hat zutreffend angenommen, dass die nach den obigen Ausführungen bestandskräftige Zahlungsaufforderung der Beklagten den rechtfertigenden Grund für die Zahlung des Säumniszuschlags nebst Zustellungskosten darstellt und damit dem geltend gemachten Rückzahlungsbegehren ebenso wie dem Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten entgegensteht. Anderes würde nur gelten, wenn die Zahlungsaufforderung nichtig wäre und deswegen nicht in Bestandskraft erwachsen sein könnte (vgl. etwa Hessischer , juris Rn. 31; 2 S 28.04, juris Rn. 13; , juris Rn. 13; VG Schwerin, Urteil vom - 4 A 152/15, juris Rn. 63; Emmeneger in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl., § 113 VwGO Rn. 78).

33bb) Dafür besteht aber entgegen der Auffassung des Klägers kein Anhalt. Es liegt weder ein Fall der Nichtigkeit gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO in der bis zum geltenden Fassung (fortan: BRAO), § 44 Abs. 2 VwVfG vor, noch leidet die Zahlungsaufforderung gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 44 Abs. 1 VwVfG an einem besonders schwerwiegenden Fehler, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

34(1) Ein Fall des § 44 Abs. 1 VwVfG liegt nur dann vor, wenn der Mangel den Verwaltungsakt schlechterdings unerträglich, also mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lässt. Die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen müssen in einem so erheblichen Maße verletzt sein, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (vgl. etwa 4 BN 36.15, juris Rn. 10 mwN). Der Fehler muss zudem für einen verständigen Bürger offensichtlich sein. Das ist nur dann der Fall, wenn die schwere Fehlerhaftigkeit für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich ist (vgl. etwa BVerwG, NVwZ 1987, 230 mwN). Ein Verwaltungsakt ist daher insbesondere nicht schon deshalb als nichtig anzusehen, weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt (vgl. , NVwZ-RR 2008, 154 Rn. 20 mwN).

35(2) Danach liegt hier kein Fall des § 44 Abs. 1 VwVfG vor. Die Erhebung des Säumniszuschlags nebst Zustellungskosten mit vollstreckbarer Zahlungsaufforderung der Beklagten gemäß § 84 BRAO ist vielmehr, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ergänzend ausgeführt hat, weder dem Grunde noch der Höhe nach rechtlich zu beanstanden. Die vom Kläger dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.

36(a) Der Anwaltsgerichtshof ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kammerbeitrag für das Jahr 2017 bereits mit dem in der von der Kammerversammlung beschlossenen Beitragssatzung bestimmten Termin am fällig war, ohne dass es zur Herbeiführung der Fälligkeit noch eines gesonderten Beitragsbescheids oder einer individuellen Zahlungsaufforderung durch die Beklagte bedurfte.

37(aa) Nach § 89 Abs. 2 Nr. 2 BRAO obliegt der Kammerversammlung insbesondere die Bestimmung der Höhe und der Fälligkeit des von den Mitgliedern zu erhebenden Kammerbeitrags, die sie demnach durch Beschluss gemäß §§ 87 f. BRAO - wie hier durch die am beschlossene Beitragssatzung - für die Kammermitglieder verbindlich festlegen kann. Dass es für die Erhebung dieses Beitrags durch die Kammer noch einer Festsetzung durch gesonderten Bescheid oder einer individuellen Zahlungsaufforderung bedürfte, ist der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht zu entnehmen. Aus dem Zusammenspiel des § 89 Abs. 2 Nr. 2 BRAO mit der Regelung über die Einziehung der Beiträge in § 84 Abs. 1 BRAO ergibt sich vielmehr, dass bereits die Bestimmung des Beitrags durch die Kammerversammlung ohne gesonderten Umsetzungsakt der Kammer eine unmittelbare Zahlungspflicht der Kammermitglieder begründet. Nach § 84 Abs. 1 BRAO werden "rückständige" Beiträge aufgrund einer von dem Schatzmeister ausgestellten, mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen Zahlungsaufforderung beigetrieben. Der Erlass eines Bescheids bzw. eine Zahlungsaufforderung durch die Kammer ist demnach nach der gesetzlichen Systematik erst vorgesehen, wenn der Beitrag (bereits) "rückständig" ist, d.h. zu dem von der Kammerversammlung beschlossenen Fälligkeitstermin nicht geleistet wurde (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 22/21, juris Rn. 8 f.; AGH Jena, AGH 8/02, juris Rn. 10, 24; AGH Hamm, BRAK-Mitt 2019, 104, 106; Lauda in Gaier/ Wolf/Göcken, BRAO, 3. Aufl., § 84 Rn. 3b).

38(bb) Damit greift auch der Einwand des Klägers nicht, bei der Beitragsordnung der Beklagten handele es sich um eine von der Kammerversammlung erlassene Rechtsnorm mit abstrakt generellem Charakter, die als solche im Allgemeinen keine unmittelbaren Zahlungspflichten begründe, sondern nur eine Ermächtigungsgrundlage für die Exekutive zur Einforderung von Zahlungen darstelle. Dabei mag dahinstehen, ob dies - wie der Kläger meint - "im Allgemeinen" der Fall ist. Denn jedenfalls für die Beiträge nach der Bundesrechtsanwaltsordnung ist dies mit § 89 Abs. 2 Nr. 2, § 84 BRAO gesetzlich anders geregelt. Keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung gibt daher auch der weitere Einwand des Klägers, in der Verwaltungspraxis, insbesondere auch bei Mitgliedsbeiträgen für mit der Beklagten vergleichbare öffentlich-rechtliche Körperschaften (wie etwa Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern), sei die Einforderung durch gesonderten Bescheid üblich, da insoweit stets die für die jeweilige Körperschaft geltenden gesetzlichen Vorgaben maßgeblich sind (siehe etwa § 3 Abs. 2 bis 4, Abs. 8 Satz 1, § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 und4 IHKG; § 61 Abs. 2 Nr. 2, § 73 Abs. 3 und 4, § 106 Abs. 1 Nr. 5, § 113 Abs. 2 und 3 HwO).

39(cc) Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Formulierung in der Beitragsordnung der Beklagten für das Jahr 2017 auch klar zu entnehmen, dass es sich nicht nur um eine Ermächtigungsgrundlage für die Beklagte zum Erlass von Beitragsbescheiden handelte, sondern eine unmittelbare Zahlungspflicht der Mitglieder begründet werden sollte. Der von jedem Mitglied zu leistende Betrag wurde mit der beschlossenen Beitragsordnung ebenso wie der Fälligkeitstermin der Zahlung eindeutig bestimmt und war danach "bis spätestens zu zahlen". Dass es zuvor noch einer vorherigen Zahlungsaufforderung oder gar -festsetzung durch die Kammer bedürfte, war dem nicht ansatzweise zu entnehmen.

40(dd) Schließlich stellt es keine unzumutbare Belastung, geschweige denn einen Verstoß gegen die Grundrechte des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG dar, dass er sich als Kammermitglied der Beklagten über die von der Kammerversammlung gefassten Beschlüsse (deren Gegenstand im Übrigen bereits in der mit der Einberufung anzugebenden Tagesordnung zu entnehmen ist, § 87 Abs. 1 BRAO) anhand von deren Veröffentlichung in den Kammermitteilungen, auf der Webseite der Beklagten oder im Landes-Justizministerialblatt informieren muss(te). Dass dem Kammermitglied eine solche Informationspflicht zumutbar ist, zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass die Monatsfrist zur Anfechtung von Beschlüssen der Kammerversammlung gemäß § 112f Abs. 3 BRAO auch dann mit dem Tag der Kammerversammlung beginnt, wenn das klagende Kammermitglied nicht an der Versammlung teilgenommen hat (vgl. Deckenbrock in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 112f Rn. 22 mwN). Soweit der Kläger außerdem moniert, die beschlossene Beitragsordnung habe keine Angabe über das Zielkonto für die Beitragszahlung enthalten, dürfte auch dessen Ermittlung jedenfalls einem Rechtsanwalt durchaus zumutbar sein.

41(b) Die Festsetzung des Säumniszuschlags auf 10 % des fälligen Beitrags führt entgegen der Ansicht des Klägers ebenfalls nicht zur Nichtigkeit der Erhebung.

42Der Kläger meint, die Berechnung der Beklagten sei wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Äquivalenzprinzip und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nichtig. Der feste Prozentsatz sei mit 10 % völlig übersetzt und übersteige den bei der Beklagten durch die Säumnis entstehenden Mehraufwand "exorbitant". Richtigerweise werde allgemein eine proratarische Bemessung unter Berücksichtigung der zeitlichen Komponente vorgenommen, um nicht bei kurzer Säumnis übermäßig belastend und bei langer Säumnis ungerechtfertigt entlastend zu sein.

43Damit dringt der Kläger nicht durch.

44(aa) Die Kammerversammlung ist grundsätzlich in der Art und Weise der Beitragsgestaltung bis zur Grenze der Ermessensüberschreitung oder des Ermessensmissbrauchs frei. Dabei hat sie zwar das Äquivalenzprinzip, wonach der materielle und immaterielle Nutzen, den das Kammermitglied aus der Existenz und dem Wirken der Kammer hat, der Höhe des Beitrags entsprechen soll, sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu wahren (vgl. Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 89 Rn. 14 ff. mwN). Hierbei darf sie jedoch pauschalieren und typisieren. Maßgebend ist deshalb für die Einhaltung des Äquivalenzprinzips nicht der individuell-konkret bei dem einzelnen Mitglied durch die Kammerzugehörigkeit eintretende messbare Vorteil, sondern der allen Kammerangehörigen durch die Tätigkeit der Kammer erwachsende Vorteil, weil die Kammer Aufwendungen für die Wahrung der Gesamtbelange des Berufsstands hat (vgl. , NJW 2002, 3026 für die Notarkammer mwN). Auch durch den allgemeinen Gleichheitssatz wird eine Grenze erst dort gezogen, wo die gleiche oder ungleiche Behandlung von Sachverhalten nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, also ein einleuchtender Grund für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung fehlt. Dabei können auch Typisierungen und Pauschalierungen auch durch Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt sein, soweit die dadurch entstehende Ungerechtigkeit noch in einem angemessenen Verhältnis zu den durch den Beitrag erlangten Vorteilen steht (vgl. , NJW 2002, 3026, 3027 für die Notarkammer; AGH Jena, AGH 8/02, Rn. 20 zwar in OLGR Jena 2005, 82 abgedruckt; aber Vorschlag: einheitliche Zitierweise (s. S. 14 Abs. 1) juris Rn. 20 mwN).

45(bb) Danach ist die Festsetzung eines einmalig anfallenden Säumniszuschlags in Höhe von 10 % des fälligen Beitrags unabhängig von der Dauer der Säumnis jedenfalls in Anbetracht der geringen Höhe des Jahresbeitrags von nur 260 € nicht zu beanstanden. Das gilt in Bezug auf das Äquivalenzprinzip und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur im Hinblick auf den für die Beklagte infolge der Säumnis und Beitreibung entstehenden Verwaltungsaufwand (so sieht etwa § 288 Abs. 5 BGB mit 40 € eine deutlich höhere pauschale Entschädigung für den Beitreibungs- und Mahnaufwand des Gläubigers auch schon bei Verzug mit nur einer Abschlags- oder Ratenzahlung vor), sondern auch im Hinblick darauf, dass der Säumniszuschlag der Durchsetzung der fristgerechten Beitragszahlung und dem Ausgleich der durch die Nichtzahlung entstehenden Nachteile im Interesse aller Kammermitglieder dienen soll (vgl. auch BFH, ZInsO 2023, 1120 Rn. 22 mwN zu steuerlichen Säumniszuschlägen). Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten ist der Ansatz eines zwar nicht von der Dauer der Säumnis, aber von der Höhe des rückständigen Betrages prozentual abhängigen Säumniszuschlags unter Berücksichtigung der damit verbundenen Verwaltungsvereinfachung und -praktikabilität nicht zu beanstanden.

3. Verfahrensmängel

46Die vom Kläger mit seinem Zulassungsantrag außerdem geltend gemachten Verfahrensmängel wegen Verletzung seines Grundrechts auf rechtliches Gehör (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen seiner Ansicht nach ungenügender Befassung des Anwaltsgerichtshofs mit seinem Vorbringen zur Anwendbarkeit von § 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO und zur Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit der Erhebung des Säumniszuschlags liegen nicht vor.

47Beide Rügen betreffen eine Gehörsverletzung, die - anders als die obige Rüge des Verstoßes gegen § 101 Abs. 1 VwGO - nicht das gesamte Urteil erfassen, sondern sich auf einzelne tatsächliche Feststellungen und daran anknüpfende Rechtsfragen beschränken würde und damit entsprechend § 144 Abs. 4 VwGO unerheblich wäre, wenn sich das Urteil im Ergebnis als richtig erweist (vgl. BVerwGE 109, 283, 285; BVerwGE 110, 40, 48 f.; Eyermann/Kraft, VwGO, 16. Aufl., § 138 Rn. 38). Das ist hier - wie oben ausgeführt - sowohl hinsichtlich der vom Anwaltsgerichtshof angenommenen Verfristung des Anfechtungsantrags nach § 74 Abs. 1, § 58 Abs. 2 VwGO der Fall, als auch hinsichtlich der vom Anwaltsgerichtshof mit seiner ergänzenden Begründung bejahten Rechtmäßigkeit der Erhebung des Säumniszuschlags in der Sache. Diesbezüglich hat der Anwaltsgerichtshof die Einwände des Klägers zudem ausweislich deren Wiedergabe im streitigen Tatbestand der angefochtenen Entscheidung und ihrer Behandlung in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Dass er dabei nicht im Einzelnen auf die Argumente des Klägers eingegangen und der rechtlichen Wertung des Klägers nicht gefolgt ist, begründet keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

4. Grundsätzliche Bedeutung

48Schließlich hat die Rechtssache entgegen der Ansicht des Klägers auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

49Dass die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob § 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO anwendbar ist, wenn eine Behörde der Aufforderung zur Angabe des einschlägigen Rechtsbehelfs nicht nachkommt, in Rechtsprechung und/oder Literatur umstritten und deswegen höchstrichterlich klärungsbedürftig wäre, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Die Frage lässt sich vielmehr bereits anhand der oben angegebenen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten. Damit handelt es sich lediglich um die einzelfallbezogene Anwendung der bereits existierenden Grundsätze, die von den jeweiligen konkreten Umständen abhängig und damit einer generellen Klärung auch nicht zugänglich ist.

50Keine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch aus den Einwänden des Klägers gegen die Erhebung des Säumniszuschlags und dessen Höhe. Dass die Beitragspflicht nach § 89 Abs. 2 Nr. 2, § 84 Abs. 1 Satz 1 BRAO unmittelbar mit der wirksamen Beschlussfassung der Kammerversammlung entsteht und - jedenfalls bei klarer Bestimmung von Höhe und Fälligkeit des Beitrags - keines weiteren Umsetzungsakts der Kammer in Form eines Beitragsbescheids oder einer individuellen Zahlungsaufforderung bedarf, entspricht allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 22/21, juris Rn. 8 f.; AGH Jena, AGH 8/02, juris Rn. 10, 24; AGH Hamm, BRAK-Mitt 2019, 104, 106) und wird - soweit ersichtlich - auch in der einschlägigen Literatur nicht in Frage gestellt (vgl. Lauda in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 84 BRAO Rn. 3b; Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 84 Rn. 4 f.; Weyland/Weyland, BRAO, 10. Aufl., § 84 Rn. 1, 4). Anderes zeigt auch der Kläger mit seinem Zulassungsantrag nicht auf. Das Gleiche gilt für die vom Kläger aufgeworfene Frage der zulässigen Bemessung und Höhe des Säumniszuschlags, zu deren Beantwortung auf die bereits existierenden, oben wiedergegebenen höchstrichterlichen Grundsätze zur Bemessung von Kammerbeiträgen zurückgegriffen werden kann. Ob die Bemessung des Säumniszuschlags danach im konkreten Fall nicht zu beanstanden ist, hängt von der jeweiligen Regelung im Einzelfall ab.

III.

51Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).

52Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Wegen der Verpflichtung, sich im Berufungsverfahren vertreten zu lassen, wird auf die Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:220823BANWZ.BRFG.7.23.0

Fundstelle(n):
DStR 2024 S. 1262 Nr. 22
DStR 2024 S. 1264 Nr. 22
NJW-RR 2024 S. 56 Nr. 1
IAAAJ-50738