Erforderliche tatrichterliche Feststellungen bei Verurteilung wegen erpresserischem Menschenraub
Gesetze: § 211 Abs 2 StGB, § 239a Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Rostock Az: 13 Ks 60/22 (1)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge, mit besonders schwerem Raub, mit gefährlicher Körperverletzung und mit versuchtem Computerbetrug (Fall II.1b) (1) der Urteilsgründe) sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit vorsätzlicher Körperverletzung, mit erpresserischem Menschenraub, mit besonders schwerer räuberischer Erpressung, mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und mit versuchtem Computerbetrug (Fall II.1b) (2) der Urteilsgründe) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Zudem hat es gegen den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (Fall II.2 der Urteilsgründe) unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe und unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Rostock vom in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Rostock vom eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Schließlich hat es gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verurteilung des Angeklagten wegen des Geschehens zum Nachteil der Geschädigten W. (Fall II.1b) (1) der Urteilsgründe) hat Bestand. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe bei dem Angriff auf die Geschädigte mit Tötungsvorsatz gehandelt und sei nicht wirksam vom Versuch zurückgetreten, ist frei von Rechtsfehlern. Insoweit wird auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts verwiesen.
3Rechtsfehlerfrei ist auch die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe die 66-jährige Geschädigte nicht nur aus Habgier und zur Ermöglichung einer Straftat, sondern auch heimtückisch töten wollen. Nach den Feststellungen lauerte er der Geschädigten vor deren Haus auf. Als diese die Haustür öffnete, drängte er sie sofort nach innen und schlug ihr unvermittelt mit der Faust ins Gesicht, so dass sie mehrere Zähne verlor und zu Boden fiel. Sodann umklammerte er ihren Hals mit seiner Ellenbeuge. Dann fügte er dem Opfer - nunmehr dessen Tod billigend in Kauf nehmend - mit einem Messer einen acht Zentimeter langen, stark blutenden Schnitt am Hals zu.
4Zwar ist von einem heimtückischen Vorgehen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB grundsätzlich nur dann auszugehen, wenn das Opfer bereits bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs arg- und wehrlos ist (vgl. Schneider in MüKo-StGB, 4. Aufl. § 211 Rn. 170 mwN). Dies war hier nicht mehr der Fall, weil das Opfer nach dem Faustschlag mit weiteren Angriffen des Angeklagten rechnen musste. Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung ein Opfer auch dann noch arg- und wehrlos sein, wenn ein zunächst mit Verletzungsvorsatz geführter Angriff so schnell in einen solchen mit Tötungsvorsatz umschlägt, dass ihm keine Zeit zu effektiver Gegenwehr oder Flucht verbleibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502; vom - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29; vom - 3 StR 120/16, NStZ-RR 2017, 78). So verhält es sich hier. Die Geschädigte fand sich nach dem Faustschlag am Boden liegend im Klammergriff des Angeklagten wieder. Ihr Versuch, sich in dieser Situation dem Zugriff des ihr körperlich deutlich überlegenen Angeklagten zu entwinden, blieb vergeblich. Auch sonst bestand für sie nach dem Beginn des körperlichen Übergriffs keine Möglichkeit, sich gegen den nachfolgenden Messerangriff erfolgreich zur Wehr zu setzen.
52. Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes nach § 239 a Abs. 1 StGB zum Nachteil der Eheleute G. (Fall II.1b) (2) der Urteilsgründe) wird von den Feststellungen nicht getragen.
6In einem sogenannten Zwei-Personen-Verhältnis setzt ein Bemächtigen im Sinne dieser Vorschrift voraus, dass der Täter die physische Herrschaftsgewalt über das Tatopfer gewonnen und dadurch eine stabile Bemächtigungslage geschaffen hat, welche er für eine Erpressung ausnutzt oder ausnutzen will. Dabei muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen, indem sich aus ihr eine Drucksituation für das Tatopfer ergibt, die über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinausgeht (vgl. BGH, Beschlüsse vom − 3 StR 501/21, NStZ 2023, 34; vom - 4 StR 515/22). An dem erforderlichen funktionalen Zusammenhang fehlt es indes, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen (vgl. BGH aaO). So verhält es sich hier.
7Nachdem der Angeklagte in die Wohnung des Ehepaares eingedrungen war, verletzte er zunächst den Geschädigten G. mit einer „Anreißnadel“, verbrachte ihn sodann kurzzeitig ins Schlaf- und hiernach mit dessen Frau ins Wohnzimmer. Dort zwang er beide, sich auf das Sofa zu setzen. Unter dem Eindruck der Misshandlungen und fortwährender Drohungen händigten die Geschädigten ihm sodann Bargeld und EC-Karten aus und ließen es zu, dass der Angeklagte weitere Wertgegenstände an sich nahm. Eine stabile Bemächtigungslage ist damit nicht festgestellt. Die bloße Fortsetzung der Misshandlungen und Drohungen in einem anderen Raum der Wohnung genügt dafür nicht. Dass sich das Geschehen insgesamt über einen längeren Zeitraum hinzog, hat das Landgericht nicht festgestellt.
8Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO, weil eine neue Verhandlung keine weitere Aufklärung verspricht. Der Strafausspruch bleibt davon unberührt. Der Angeklagte hat sich in diesem Fall u.a. des besonders schweren Raubes nach §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB schuldig gemacht. Der Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB entspricht dem des § 239 a Abs. 1 StGB. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht lediglich wegen des Wegfalls eines von mehreren tateinheitlich verwirklichten Tatbeständen eine mildere Strafe festgesetzt hätte.
93. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass die Strafkammer seine nachfolgenden Versuche, mittels der EC-Karten der Geschädigten Geld abzuheben, nicht als eigenständige Taten bewertet hat.
104. Die wegen der Taten zum Nachteil der Geschädigten D. (Fall II.2 der Urteilsgründe) unter Einbeziehung von anderen Strafen gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren hat hingegen keinen Bestand. Werden Strafen aus einer früheren Verurteilung gemäß § 55 StGB einbezogen, so sind diese konkret zu benennen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 530/86, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 1; vom - 6 StR 432/22). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Ausweislich der getroffenen Feststellungen hat das Amtsgericht Rostock den Angeklagten am wegen zwölf Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Landgericht hat insoweit aber nur die Strafen wegen dreier Taten mitgeteilt.
115. Der Darstellungsmangel ist für die Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 StGB) ohne Belang. Schon angesichts früherer Verurteilungen wegen entsprechender Katalogtaten und damit einhergehender Haftzeiten liegen die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB vor. Das Landgericht hat zudem mit tragfähiger Begründung festgestellt, dass der Angeklagte infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:260723B6STR132.23.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-50593