Instanzenzug: Az: 24 U 1744/22vorgehend Az: 20 O 123/21
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger erwarb im Januar 2016 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz ML 250 Bluetec 4Matic zu einem Kaufpreis von 49.400 €. Den Kaufpreis finanzierte er mittels eines Darlehens. Insgesamt war der Kläger mit Verpflichtungen in Höhe von 57.848,83 € belastet. In dem Fahrzeug kommt eine sogenannte Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs reduziert wird (sogenanntes Thermofenster). Zudem verfügt das Fahrzeug über eine sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), durch die eine verzögerte Aufwärmung des Motoröls zu niedrigeren Stickoxidemissionen führt. Schließlich kommt im Fahrzeug eine sogenannte selektive katalytische Reduktion (SCR-System) - eine Abgasnachbehandlung mit dem Harnstoffgemisch "AdBlue" - zum Einsatz. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.
3Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte unter Berücksichtigung einer auf der Basis einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 300.000 km errechneten Nutzungsentschädigung zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 37.807,01 € nebst Zinsen und zur Freistellung von künftigen Zahlungsansprüchen der finanzierenden Bank in Höhe von 8.280 € Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs sowie Abtretung sämtlicher Rechte gegen den Darlehensgeber zu verurteilen (Klageantrag zu 1). Daneben hat er die Feststellung des Annahmeverzugs (Klageantrag zu 2) sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Klageantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat der Klage unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung auf der Basis einer erwarteten Gesamtlaufleistung von 250.000 km in Höhe von 32.427,04 € nebst Zinsen sowie hinsichtlich des Freistellungsbegehrens stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Kläger neben dem Zurückweisungsbegehren zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 37.079,70 € nebst Zinsen und nach Ablösung des Darlehens weiterer 8.474,37 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Zudem hat er die Klageanträge auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,80 € nebst Zinsen weiterverfolgt und den Rechtsstreit in Höhe von 1.721,53 € im Hinblick auf weitere Nutzungen einseitig für erledigt erklärt. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert, die Klage insgesamt abgewiesen und dem in zweiter Instanz ergänzten Begehren des Klägers nicht entsprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
4Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers, die ausschließlich Ansprüche aus dem Gesichtspunkt seiner deliktischen Schädigung zum Gegenstand hat, hat teilweise Erfolg. Insoweit führt sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht. Im Übrigen weist sie der Senat mit der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Maßgabe zurück.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB. Der Kläger habe die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet. Es fehle insoweit an berücksichtigungsfähigem, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Vortrag zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheitere bereits daran, dass es sich bei diesen Normen nicht um Schutzgesetze handele.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens der für sie handelnden Personen verneint hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht erwogen, dass eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen indiziert wäre, wenn eine im Fahrzeug des Klägers verbaute Einrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivierte (vgl. , juris Rn. 15 und 25; Beschluss vom - VII ZR 720/21, juris Rn. 25; Beschluss vom - VII ZR 471/21, MDR 2022, 1340 Rn. 10). Es hat jedoch greifbare Anhaltspunkte für eine solche vom Kläger behauptete Funktionsweise nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters, der KSR oder des SCR-Systems aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden.
10Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Die Einwände der Revisionserwiderung gegen die dogmatische Herleitung eines solchen Anspruchs geben dem Senat weder Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzugehen, noch - wie von der Revisionserwiderung gefordert - ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten (vgl. nur aaO, Rn. 27 ff.; anders LG Duisburg, Beschlüsse vom - 1 O 55/19, 1 O 73/20 und 1 O 223/20, jeweils juris). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12Das Berufungsurteil hat gleichwohl mit der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Maßgabe insoweit Bestand, als der Kläger das landgerichtliche Urteil ungenügend mit der Anschlussberufung angegriffen hat.
13Soweit der Kläger als Anschlussberufungskläger eine von dem Ersturteil ausgehende Beschwer bekämpft, sind nach § 524 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO an die Begründung der Anschlussberufung die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Begründung der Berufung (vgl. , FamRZ 1995, 1138, 1139; RGZ 153, 101, 104 f.). Danach muss die Anschlussberufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung enthalten (vgl. , NJW 2015, 3040 Rn. 11). Da die Begründung in einem solchen Fall erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen der Anschlussberufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat er diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet (, NJW-RR 2016, 1269 Rn. 7 mwN). Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sich die Rechtsmittelbegründung grundsätzlich auf alle Teile der angefochtenen Entscheidung erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig (zB Urteil vom - II ZR 166/14, NJW 2015, 3040 Rn. 11 mwN; , FamRZ 2018, 283 Rn. 9). Eine einheitliche Begründung genügt nur, wenn sich der Angriff gegen einen Rechtsgrund richtet, der in dem angegriffenen Urteil hinsichtlich aller Ansprüche als durchgreifend angesehen worden ist (vgl. , BGHZ 228, 115 Rn. 11 f. mwN).
14Diesen Anforderungen wird die Anschlussberufung, soweit der Kläger durch das landgerichtliche Urteil beschwert ist, nicht gerecht. Die ausschließliche Bezugnahme auf das Vorbringen erster Instanz und die dort eingereichten Schriftsätze reicht nicht aus (vgl. , NJW-RR 2015, 511 Rn. 7; Beschluss vom - IX ZB 62/18, NJW 2020, 2119 Rn. 11; Beschluss vom - VI ZB 92/19, VersR 2021, 860 Rn. 8). Die Begründung kann mit Blick auf den Ablauf der ordnungsgemäß gesetzten Frist gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch nicht nachgeholt werden.
IV.
15Im Übrigen ist das Berufungsurteil gemäß § 562 Abs. 1 ZPO in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.
16Das gilt auch, soweit der Kläger mit der Anschlussberufung gemäß § 264 Nr. 2 ZPO klageerweiternd (vgl. , NJW 1994, 944, 945) in Höhe von 8.280 € von einem Freistellungsantrag zu einem Zahlungsantrag übergegangen ist und Finanzierungskosten in Höhe weiterer 194,37 € geltend gemacht hat. Insoweit gelten die Begründungsanforderungen des § 520 ZPO nicht, weil der Kläger mit der Anschlussberufung zulässig über seine Beschwer aus der landgerichtlichen Verurteilung hinausgeht (vgl. , MDR 2022, 586 Rn. 10).
17Das Berufungsgericht hat bislang keine Feststellungen getroffen, die eine deliktische Haftung der Beklagten wegen eines zumindest fahrlässigen Verhaltens ausschlössen. Der Senat kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO, sondern verweist die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
18Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen möglichen Differenzschaden darzulegen und seine Klageanträge entsprechend anzupassen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Dabei wird das Berufungsgericht in Rechnung zu stellen haben, dass ein Differenzschaden nur bis zur Höhe von 15% des gezahlten Kaufpreises zu ersetzen ist und darüber hinaus auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV der Ersatz eines weiteren Finanzierungsschadens nicht verlangt werden kann. Teilweise wird das Berufungsgericht dem Zahlungsbegehren mithin nur entsprechen können, wenn es nach der Zurückverweisung andere Tatsachen feststellen sollte, aufgrund derer eine Haftung der Beklagten auch nach §§ 826, 31 BGB in Betracht käme (vgl. VIa ZR 1031/22, juris Rn. 28).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:110923UVIAZR1669.22.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-50369