BGH Urteil v. - VIa ZR 149/23

Instanzenzug: Az: 24 U 1238/22vorgehend Az: 20 O 601/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Februar 2014 von der Beklagten einen von dieser hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommt eine sogenannte Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs reduziert wird (sogenanntes Thermofenster). Zudem verfügt das Fahrzeug über eine sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), durch die eine verzögerte Aufwärmung des Motoröls zu niedrigeren Stickoxidemissionen führt. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts betroffen.

3Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 40.194,81 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs verurteilt. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat das landgerichtliche Urteil mit der Maßgabe verteidigt, dass er den der Verurteilung der Beklagten zugrundeliegenden Betrag in Höhe von 649,64 € einseitig für erledigt erklärt hat. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten nach Maßgabe einer Teilerledigung in Höhe von 649,64 € weiterverfolgt.

Gründe

4Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers, die entsprechend der insoweit beschränkten Zulassung durch das Berufungsgericht allein Ansprüche des Klägers unter dem Gesichtspunkt seiner deliktischen Schädigung zum Gegenstand hat, hat Erfolg.

A.

5Die Revision hat statthaft eine deliktische Schädigung des Klägers ohne Einschränkung auf eine bestimmte Anspruchsgrundlage zum Gegenstand. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat das Berufungsgericht die Revisionszulassung nicht wirksam auf einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB beschränkt. Bei den in Betracht kommenden materiell-rechtlichen Regelungen des § 826 BGB und des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV handelt es sich um unselbstständige Anspruchsgrundlagen innerhalb eines einheitlichen Schadensersatzanspruchs aus unerlaubter Handlung, die nicht durch eine Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet sind und die daher tatsächlich und rechtlich nicht voneinander getrennt werden können (vgl. VIa ZR 1031/22, juris Rn. 8 und 10). Bei beiden Regelungen besteht der maßgebliche Streitstoff darin, ob der Fahrzeughersteller auf der Grundlage einer erwirkten EG-Typgenehmigung und der hinzutretenden materiell unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung schuldhaft ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstetes Fahrzeug in den Verkehr gebracht und dadurch dem jeweiligen Fahrzeugerwerber einen an seine Vertrauensinvestition bei Kaufvertragsabschluss anknüpfenden Schaden zugefügt hat (vgl. VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 26; Urteil vom - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 45, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ; Urteil vom - VIa ZR 1620/22, juris Rn. 6). Entsprechend ist die Berechtigung des klägerischen Begehrens im Revisionsverfahren ohne Einschränkung auf eine deliktische Anspruchsgrundlage zu prüfen.

B.

6Die Revision ist im Umfang des beschränkten Rechtsmittelangriffs auch begründet.

I.

7Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt gerechtfertigt:

8Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Der Kläger habe die Voraussetzungen für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet, weil er mangels tatsächlicher Anhaltspunkte in nicht zu berücksichtigender Weise ins Blaue hinein zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten vorgetragen habe. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheitere bereits daran, dass diese Normen nicht dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts individueller Fahrzeugerwerber und damit dem Schutz einzelner Käufer vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags dienten.

II.

9Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

101. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens der für sie handelnden Repräsentanten verneint hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht erwogen, dass eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Repräsentanten indiziert wäre, wenn eine im Fahrzeug des Klägers verbaute Einrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivierte (vgl. , juris Rn. 12; Beschluss vom - VII ZR 602/21, juris Rn. 15 und 25; Beschluss vom - VII ZR 720/21, juris Rn. 25; Beschluss vom - VII ZR 471/21, MDR 2022, 1340 Rn. 10). Es hat jedoch greifbare Anhaltspunkte für eine solche vom Kläger behauptete Funktionsweise nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

112. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters oder der KSR aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden.

12Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32).

13Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Die Einwände der Revisionserwiderung gegen die dogmatische Herleitung eines solchen Anspruchs geben dem Senat weder Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzugehen, noch - wie von der Revisionserwiderung gefordert - ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten (vgl. nur aaO, Rn. 27 ff.; anders LG Duisburg, Beschlüsse vom - 1 O 55/19, 1 O 73/20 und 1 O 223/20, jeweils juris). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

14Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang des Rechtsmittelangriffs zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

15Das Berufungsgericht wird dem Kläger die Möglichkeit eröffnen müssen, einen Differenzschaden darzulegen. Es wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 49 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen zu haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:110923UVIAZR149.23.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-50368