Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft; insbesondere in Fällen der Insolvenz
Bezug: BStBl 2021 I S. 316
Bezug:
Bezug: BStBl 2002 II S. 255
Die Grundsätze zur Beendigung der Organschaft in Insolvenzfällen sind im Abschn. 2.8 Abs. 12 UStAE geregelt. Die mit (BStBl 2021 I S. 316) aufgenommenen Grundsätze des , wonach die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung beim Organträger oder der Organgesellschaft eine Organschaft nicht beendet, wenn das Insolvenzgericht lediglich bestimmt, dass ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird, sowie eine Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO erlässt (Vollstreckungsschutz) sind infolge der Änderung der Insolvenzordnung durch das SanInsFoG vom nicht auf vorläufige Eigenverwaltungsverfahren anwendbar, die nach dem angeordnet wurden, es sei denn, diese fallen unter die Anwendung des § 5 Abs. 1 COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (vgl. Abschn. 2.8 Abs. 12 Satz 7 UStAE).
Darüber hinaus bitte ich Folgendes zu beachten:
1. Zurechnung von Umsätzen
Entscheidend für die Zurechnung von Umsätzen ist der Zeitpunkt des Umsatzsteuer auslösenden Ereignisses. Erbringt demnach die Organgesellschaft Leistungen vor Beendigung der Organschaft, werden diese dem Organträger zugerechnet. Liegt der Zeitpunkt der Leistungserbringung nach Beendigung der Organschaft, werden sie grundsätzlich der Organgesellschaft als eigenständiger Unternehmerin zugerechnet. Unerheblich hierbei ist der Zeitpunkt der Rechnungserteilung sowie der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer ( 5 K 531/90 U).
Analog hierzu richten sich Berichtigungsansprüche nach § 17 UStG, die diese Umsätze betreffen, nur dann gegen den Organträger, wenn der Zeitpunkt des den Berichtigungsanspruch auslösenden Ereignisses vor Beendigung der Organschaft liegt. Tritt das auslösende Ereignis jedoch nach Beendigung der Organschaft ein, richten sich die Berichtigungsansprüche auch gegen die Organgesellschaft.
Die Organschaft zwischen X als Organträger und der Y-GmbH als Organgesellschaft wird am beendet. Die regelversteuernde Y-GmbH hatte noch am W aren im W ert von 10.000 EUR zzgl. USt an den Kunden Z geliefert. Noch am gleichen Tag stellt die Y-GmbH die Rechnung, die Z am zugeht. Z zahlt am und macht von der Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Skontos i. H. v. 2 % bei Zahlung innerhalb von 20 Tagen Gebrauch.
Die Umsatzsteuer aus der Lieferung entsteht nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums Januar 2022, also nach Beendigung der Organschaft. Da das Umsatzsteuer auslösende Ereignis, also die Lieferung der Y-GmbH an Z, vor Beendigung der Organschaft erfolgt ist, ist die hierauf entfallende Umsatzsteuer noch beim Organträger X zu erfassen.
Die Berichtigung des Steuerbetrags aufgrund der Änderung der Bemessungsgrundlage hat nach § 17 Abs. 1 Satz 8 UStG in dem Voranmeldungszeitraum zu erfolgen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Das die Änderung der Bemessungsgrundlage auslösende Ereignis ist die Zahlung von Z innerhalb von 20 Tagen nach Zugang der Rechnung. Die Minderung der Umsatzsteuer ist daher im Voranmeldungszeitraum Februar 22 zu erfassen und steht der Y-GmbH als nun eigenständiger Unternehmerin zu.
Hat jedoch der Organträger An- und Vorauszahlungen auf Umsätze aus Leistungen der Organgesellschaft, die nach Beendigung der Organschaft erbracht wurden, bereits der Umsatzbesteuerung unterworfen, so sind diese bei der Steuerfestsetzung der ehemaligen Organgesellschaft steuermindernd zu berücksichtigen, weil die Regelung über die Entstehung der Steuer für vereinnahmte Anzahlungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Satz 4 UStG einen selbstständigen und abschließenden Steuerentstehungstatbestand enthält (vgl. , BStBl II 2002, 255).
2. Zurechnung von Vorsteuerbeträgen
Für die Zurechnung des Vorsteueranspruchs ist ebenfalls der Leistungsbezug als auslösendes Ereignis entscheidend. Vorsteuern aus Leistungen, die die Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft bezieht, stehen demnach dem Organträger zu, unabhängig davon, ob sämtliche materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 15 UStG erfüllt sind.
Die Organschaft zwischen A als Organträger und der B-GmbH als Organgesellschaft wird am beendet. B hatte noch am W aren im W ert von 10.000 EUR zzgl. USt von C geliefert bekommen. Die nach § 14 UStG ordnungsgemäß erteilte Rechnung des C geht bei B erst am ein.
Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG liegen erst im Zeitpunkt des Erhalts der Rechnung am vor. Der Vorsteuerabzug ist demnach erst im Voranmeldungszeitraum Februar 2022 zu erfassen. Der Vorsteuerabzug aus dieser Rechnung steht jedoch in vollem Umfang A als Organträger zu, da im Zeitpunkt des Leistungsbezugs durch B die Organschaft noch bestanden hat.
Vorsteuern aus Leistungen, die die Organgesellschaft erst nach Beendigung der Organschaft bezieht, können grundsätzlich nur von der Organgesellschaft abgezogen werden. Hat jedoch der Organträger vor Beendigung der Organschaft An- oder Vorauszahlungen auf diese Leistungen entrichtet und hieraus den (vorgezogenen) Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG vorgenommen, so ist die Organgesellschaft lediglich zum Vorsteuerabzug aus dem im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch offenen Restpreis berechtigt. Der vorgezogene Vorsteuerabzug aus den An- und Vorauszahlungen steht weiterhin dem Organträger zu (, BStBl II 2002, 255).
Vorsteuerberichtigungsansprüche, die Leistungsbezüge der Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft betreffen und bei denen das den Berichtigungsanspruch auslösende Ereignis vor Beendigung der Organschaft eintritt, richten sich gegen den Organträger (, BFH/NV 2002, 1352).
Die Frage der Uneinbringlichkeit von Verbindlichkeiten beurteilt sich nach den Verhältnissen bei der Organgesellschaft, da sie und nicht der Organträger Schuldner des Entgelts ist (vgl. II 169/86, EFG 1990, 543).
Y ist Organträger der Z-GmbH. Wegen der Zahlungsunfähigkeit der Z-GmbH wird mit Sicherungsbeschluss vom ein vorläufig schwacher Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt bestellt.
Dabei stellt das FA fest, dass das Entgelt für Lieferungen an Z aus Dezember 21, für die Y bereits den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat, von Z nicht vollständig entrichtet worden war.
Maßgebend für die Vorsteuerberichtigung ist die Zahlungsunfähigkeit der Z-GmbH. Die Bestimmung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit ist in der Praxis meist nur schwer möglich. Die die Berichtigung des Vorsteuerabzugs auslösende Uneinbringlichkeit ist mit Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt - unbeschadet einer möglichen Insolvenzquote - in voller Höhe eingetreten (Abschn. 17.1. Abs. 16 Satz 1 UStAE). Das die Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 UStG auslösende Ereignis, hier die Uneinbringlichkeit des Entgelts aufgrund der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt, liegt somit noch in der Zeit der Organschaft. Die Berichtigung ist daher noch beim Organträger Y durchzuführen (vgl. , BStBl II 2017, 543 sowie , BStBl II 2015, 506).
Vorsteuerrückforderungsansprüche aus Leistungen vor Beendigung der Organschaft, bei denen das den Anspruch auslösende Ereignis erst nach der Beendigung der Organschaft eintritt, können nach Auffassung des BFH nach Beendigung der Organschaft nicht mehr gegen den Organträger geltend gemacht werden. Auch wenn der jetzt zu berichtigende Vorsteueranspruch ursprünglich vom Organträger in Anspruch genommen wurde, ist der Vorsteuerabzug nicht zwangsläufig gegenüber dem bisherigen Organträger, sondern gegenüber dem im Zeitpunkt des Uneinbringlichwerdens bestehenden Unternehmen, also der früheren Organgesellschaft, zu berichtigen.
K ist Organträger der I-GmbH. Die Organschaft endet am , da K seine Anteile an der I-GmbH vollständig an Z überträgt.
I-GmbH hat im Januar 21 von G W aren bezogen, für die K als Organträger im Januar 21 zutreffend den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat. Aufgrund eines plötzlichen Auftragseinbruchs wird im Dezember 22 über das Vermögen der I-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt das zuständige FA fest, dass die von G bezogenen W aren nicht vollständig bezahlt wurden.
Die die Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit Abs. 2 Nr. 1 UStG auslösende Uneinbringlichkeit des Entgelts aufgrund der Zahlungsunfähigkeit der I-GmbH liegt nach Beendigung der Organschaft. Auch wenn der ursprüngliche Vorsteuerabzug zutreffend bei K als Organträger vorgenommen wurde, hat das FA seinen nun entstandenen Vorsteuerrückforderungsanspruch als Insolvenzforderung gegenüber der I-GmbH als nun eigenständiger Unternehmerin geltend zu machen (, BFH/NV 2007, 839).
Wenn über das Vermögen des Organträgers das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, bestehen keine Bedenken, als Vorsteuerrückforderungsbetrag nach § 17 UStG vorläufig die in den letzten 12 Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend gemachten Vorsteuerbeträge zur Insolvenztabelle anzumelden (vgl. ofix: UStG/18/2 Tz. 4.1.1). Hierbei ist es unschädlich, dass dieser Betrag auch durch die Organgesellschaft verursachte - nicht rückforderungsbehaftete - Vorsteuerbeträge beinhalten kann, da der Organträger dem Schutz des Vollstreckungsverbots (§ 89 InsO) unterliegt, und eine Richtigstellung nach Bestreit en durch den Insolvenzverwalter oder durch den Schuldner (§ 176 InsO) möglich ist.
Wird für die Organgesellschaft ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt bestellt, sind die Vorsteuerrückforderungsbeträge nach § 17 UStG beim (ehemaligen) Organträger festzusetzen. Da dieser bei Insolvenz der Organgesellschaft jedoch nicht dem Vollstreckungsverbot nach § 89 InsO unterliegt, können hier nur die tatsächlich ermittelten Vorsteuerrückforderungsbeträge festgesetzt werden.
3. Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG
Durch Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters kann eine Vorsteuerberichtigung ausgelöst werden. Der Berichtigungsanspruch ist als Masseanspruch von der ehemaligen Organgesellschaft zu fordern, auch wenn der erstmalige Vorsteueranspruch nach § 15 UStG dem Organträger zugestanden hatte. Die ehemalige Organgesellschaft führt die für den § 15a UStG maßgebenden Verhältnisse fort (vgl. Abschn. 15a.10. Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStAE).
4. Änderung der Bemessungsgrundlage
Die Grundsätze des Abschn. 17.1. Abs. 11 bis 16 UStAE („Uneinbringlichkeit im Insolvenzverfahren“) sind auch für die einzelnen Unternehmensteile eines Organkreises anwendbar. Für Organgesellschaften gelten sie mit der Maßgabe, dass das Entgelt zwar für den vorinsolvenzrechtlichen Teil der Organgesellschaft uneinbringlich wird, die Berichtigung der entstandenen Umsatzsteuer jedoch beim Organträger vorzunehmen ist. Wird das Entgelt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinnahmt, ist die erneute Berichtigung der Bemessungsgrundlage nunmehr auf Ebene der Organgesellschaft vorzunehmen, da diese mit Verfahrenseröffnung zum eigenständigen Unternehmer wird. Die Umsatzsteuer zählt zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
5. Haftung nach § 73 AO
Tritt beim Organträger Insolvenz ein, so ist bei der Organgesellschaft die Haftung nach § 73 AO zu prüfen. Ist die Organgesellschaft ebenfalls insolvent, so ist der Haftungsanspruch zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Organgesellschaft anzumelden.
6. Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO
Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, als Masseverbindlichkeit.
Da Organschaften bereits bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt enden, ist der Regelung des § 55 Abs. 4 InsO in Organschaftsfällen kaum noch Bedeutung beizumessen. Sollte in Ausnahmefällen eine Organschaft dennoch im vorläufigen Insolvenzverfahren fortbestehen, bitte ich die nachfolgenden Regelungen zu beachten.
6.1 Insolvenz des Organträgers
Sofern über das Vermögen des Organträgers die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt wurde und ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt ist, gilt unter den weiteren Voraussetzungen des § 55 Abs. 4 InsO nur die Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit, soweit sie auf vom Organträger im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens verursachte Umsatzsteuerverbindlichkeiten entfällt. Soweit die Umsatzsteuer auf Umsätze der Organgesellschaft entfällt, wurde sie nicht vom vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. mit dessen Zustimmung begründet.
6.2 Insolvenz der Organgesellschaft
Falls die Organschaft im vorläufigen Insolvenzverfahren fortbesteht, wird die Umsatzsteuer vom Organträger weiterhin als originärem Steuerschuldner geschuldet, so dass für die Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO auf der Ebene der Organgesellschaft kein Raum bleibt.
7. Liquidation und Vermögenslosigkeit
Der bloße Beschluss über die Auflösung der Gesellschaft und die anschließende Abwicklung der Geschäfte der Organgesellschaft hat keinen Einfluss auf die Organschaft. Die Organgesellschaft rechnet vielmehr so lange zum Unternehmen des Organträgers, bis die Liquidation abgeschlossen und das vorhandene Gesellschaftsvermögen veräußert ist ( 5 K 3761/88 U). Das gilt selbst dann, wenn im Rahmen der Liquidation nur noch Umsätze aus der Verwertung sicherungsübereigneter Gegenstände bewirkt werden ( II 169/86).
Auch durch die Vermögenslosigkeit der Organgesellschaft wird die Organschaft nicht beendet; sie dauert fort, bis alle Rechtsbeziehungen der Organgesellschaft abgewickelt sind (vgl. ; BFH/NV 1992, 346, und vom - V R 128/93; BFH/NV 1996, 275).
Dagegen führt die Liquidation des Organträgers regelmäßig zur Beendigung der Organschaft, weil mit der Einstellung der aktiven unternehmerischen Tätigkeit des Organträgers die wirtschaftliche Eingliederung der Organgesellschaft entfällt ( 1 K 281/95).
Die Rundvfg. vom – S 7105 A-21-St 110.2 – ist durch diese Rundvfg. überholt.
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DAAAJ-50329