BGH Beschluss v. - III ZB 72/22

Rechtsbeschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Rechtsanwaltsverschulden bei Falscheingabe des Empfängergerichts eines Berufungsbegründungsschriftsatzes

Gesetze: § 238 Abs 2 S 1 ZPO, § 522 Abs 1 S 4 ZPO, § 574 Abs 1 S 1 Nr 1 ZPO

Instanzenzug: Hanseatisches Az: 15 U 43/22vorgehend Az: 322 O 122/21

Gründe

I.

1Die Parteien streiten um die Vergütung der Klägerin für die Konzeptionierung einer Kapitalanlage.

2Mit Urteil vom wies das Landgericht Hamburg die auf Zahlung einer Restvergütung in Höhe von 60.000 € zuzüglich Umsatzsteuer gerichtete Klage ab und gab der Widerklage auf Rückerstattung einer von der Beklagten bereits geleisteten Teilzahlung in Höhe von 35.700 € brutto statt. Gegen dieses ihr am zugestellte Urteil legte die Klägerin am Berufung beim Hanseatischen Oberlandesgericht ein, das die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum verlängerte. Die auf diesen Tag datierte Berufungsbegründung der Klägerin ging erst am zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein.

3Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin vorgetragen, der vorinstanzlich von ihr bevollmächtigte Rechtsanwalt W.    habe die seit Januar 2017 in seiner Kanzlei tätige, stets sorgfältig, zuverlässig und beanstandungsfrei arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte D.    mit der Erstellung der Nachricht im besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) zur Einreichung des an das "Hanseatische Oberlandesgericht, Sievekingplatz 2, 20355 Hamburg" adressierten Berufungsbegründungsschriftsatzes beauftragt. Da aber im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer dieses nicht als "Hanseatisches Oberlandesgericht", sondern als "Oberlandesgericht Hamburg", und mit dem Zusatz "Hanseatisches" nur das "Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen" aufgeführt sei, habe Frau D.    irrtümlich letzteres als Empfänger der Berufungsbegründung ausgewählt. Nachdem Rechtsanwalt W.    dies bei der Vornahme der qualifizierten elektronischen Signatur an ihrem Computer aufgefallen sei, habe er sie angewiesen, "noch einmal den Adressaten der Nachricht zu prüfen und zu korrigieren". Da Frau D.    im beA-Verzeichnis aber wiederum nur das "Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen" gefunden und deshalb angenommen habe, dass Bremen und Hamburg ein gemeinsames Oberlandesgericht mit Sitz in Bremen unterhalten würden, habe sie die Berufungsbegründung schließlich (doch) an diesen Empfänger versandt. Die Klägerin meint, Rechtsanwalt W.  habe auch ohne Kontrolle darauf vertrauen dürfen, dass Frau D.    die ihr erteilte konkrete Einzelweisung befolgen beziehungsweise sich bei auftretenden Zweifeln zur Rücksprache an ihn wenden würde.

4In seiner zur Glaubhaftmachung von der Klägerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherung hat Rechtsanwalt W.    unter anderem angegeben: "Ich wies Frau D.    darauf hin, dass das Berufungsgericht in Hamburg zuständig wäre und sie dies bitte ändern möge. Hierauf antwortete sie, dass sie dies tun werde", während Frau D.     zu diesem Punkt an Eides statt versichert hat: "Herr W.   sichtete die von mir erstellte beA-Nachricht und fragte, warum das Gericht in Bremen säße, eigentlich zuständig wäre das Berufungsgericht in Hamburg. Hierauf antwortete ich, dass ich das nochmal prüfen und ggf. korrigieren würde".

5Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Es hat angenommen, dass die Klägerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht habe, dass die Fristversäumung nicht auf einem ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Vielmehr sei nach ihrem eigenen Vorbringen davon auszugehen, dass dieser durch unzureichende Überwachung der Versendung der Berufungsbegründung an das richtige Oberlandesgericht die Versäumung der Frist verschuldet habe. Auf das Vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelweisung befolge, könne sich Rechtsanwalt W.    nicht berufen. Denn Frau D.    habe sich schon dadurch, dass sie trotz richtiger Adressatenbezeichnung im Berufungsbegründungsschriftsatz das falsche Gericht aus der beA-Empfängerliste ausgewählt habe, nicht als hinreichend kompetent und zuverlässig erwiesen, um sie später eigenverantwortlich diesen Fehler korrigieren zu lassen. Vielmehr hätte Rechtsanwalt W.    diese Korrektur und die richtige Versendung persönlich überprüfen müssen.

6Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde. Über die Zulässigkeit der Berufung hat das Oberlandesgericht bislang nicht entschieden.

II.

7Die rechtzeitig eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Auch wenn die Berufung wie hier noch nicht als unzulässig verworfen worden ist, kann gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werden (BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 11/03, BGHZ 152, 195, 197 f und vom - IV ZB 41/03, NJW-RR 2004, 1150; Musielak/Voit/Grandel, ZPO, 20. Aufl., § 238 Rn. 7). Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist weder zur Klärung einer rechtsgrundsätzlichen Frage im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch zur Rechtsfortbildung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich. Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche der Klägerin auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

8Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten überspannt, der Klägerin dadurch den Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer Weise erschwert und ihr eine in der Sphäre der Gerichte liegende Ursache für die Fristversäumung angelastet habe. Vielmehr hat es zu Recht angenommen, dass die Klägerin ein fehlendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung nicht dargelegt und glaubhaft gemacht hat.

91. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist nicht schon deshalb zu gewähren, weil das zuständige Oberlandesgericht in Hamburg am Tag des Fristablaufs, dem , als Empfängergericht im beA nicht unter seiner amtlichen Bezeichnung "Hanseatisches Oberlandesgericht" (ohne Ortsangabe), sondern nur als "Oberlandesgericht Hamburg" aufgefunden und ausgewählt werden konnte.

10Zwar könnte eine für eine Fristversäumung ursächliche fehlerhafte oder irreführende Eintragung im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer eine Wiedereinsetzung begründen. Denn die besonderen Risiken, die auf den technischen Gegebenheiten eines vom Gericht eingesetzten oder zugelassenen Kommunikationsmittels beruhen, sind der Sphäre der Justiz zuzurechnen und dürfen nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Dies gilt vor allem, wenn die Verwirklichung dieser Risiken die entscheidende Ursache für die Fristversäumung gewesen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 81/16, juris Rn. 7; vom - II ZB 25/13, NJW 2015, 1027 Rn. 19 und vom - VII ZB 25/12, NJW 2012, 3616 Rn. 10).

11Jedoch ergibt sich aus dem Wiedereinsetzungsvorbringen der Klägerin nicht, dass die Fristversäumung durch die möglicherweise irreführende Benennung des Berufungsgerichts im Empfängerverzeichnis des beA entscheidend verursacht wurde. Denn danach hat nicht diese Gerichtsbezeichnung, sondern vielmehr das (Fehl-)Verhalten der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Frau D.   , den maßgeblichen Kausalbeitrag für die Übermittlung des als solchen richtig adressierten Berufungsbegründungsschriftsatzes an das unzuständige Oberlandesgericht in Bremen am Tag des Fristablaufs geleistet. Nach dem Inhalt der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen hatte Rechtsanwalt W.    Frau D.    nämlich auf das von ihr aus dem beA-Verzeichnis als Empfänger zunächst ausgewählte Oberlandesgericht in Bremen angesprochen und sie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eigentlich das "Berufungsgericht in Hamburg" zuständig sei. Trotz dieses Hinweises und ungeachtet der Diskrepanz zu der im Schriftsatz enthaltenen Adressierung wiederholte Frau D.    nachfolgend ihren Fehler, indem sie aus dem beA-Verzeichnis erneut das unzuständige "Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen" auswählte und die Berufungsbegründung dorthin übermittelte. Stattdessen hätte sie, da sie nach eigenen Angaben auch bei der nochmaligen Suche im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer kein anderes Hanseatisches Oberlandesgericht als das in Bremen gefunden hatte, die in der eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt W.    behauptete allgemeine Arbeitsanweisung befolgen müssen, sich bei Unklarheiten bei der Ermittlung des richtigen beA-Empfänger-Postfachs an den sachbearbeitenden Rechtsanwalt zu wenden. Insbesondere hätte sie ohne vorherige Rückfrage bei dem Prozessbevollmächtigen der Klägerin nicht einfach davon ausgehen dürfen, dass Hamburg und Bremen ein gemeinsames Oberlandesgericht mit Sitz in Bremen unterhalten würden.

12Einer erfolgreichen elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Hanseatische Oberlandesgericht stand dessen Bezeichnung als "Oberlandesgericht Hamburg" im beA im Übrigen nicht entgegen. Insoweit verweist die Klägerin selbst in ihrem Wiedereinsetzungsantrag darauf, dass von der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten schon zuvor Schriftsätze an dieses Gericht per beA, "allerdings von anderen Rechtsanwaltsfachangestellten", insbesondere die Berufungsschrift und der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im vorliegenden Rechtsstreit, übersandt worden waren.

132. Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin trifft daran, dass der Berufungsbegründungsschriftsatz trotz seines Hinweises nicht rechtzeitig vor Fristablauf an das zuständige Berufungsgericht in Hamburg übermittelt wurde, ein eigenes, seiner Partei zurechenbares Überwachungsverschulden.

14a) Zwar ist - worauf sich die Klägerin beruft - ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Rechtsanwalts an der Fristversäumung nicht gegeben, wenn dieser einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Denn ein Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelweisung befolgt, und ist unter diesen Umständen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIa ZB 6/21, juris Rn. 6; vom - VI ZB 99/19, NJW 2020, 1809 Rn. 11 und vom - XII ZB 379/19, NJW-RR 2020, 501 Rn. 9). Dies kann insbesondere dann anzunehmen sein, wenn es sich um einfache Verrichtungen wie etwa die Versendung von Schriftsätzen handelt, die der Rechtsanwalt ohnehin zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Personal übertragen kann (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 233 Rn. 23.13 mwN).

15Allerdings hat die Klägerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter seine Mitarbeiterin konkret und bestimmt angewiesen hätte, den Berufungsbegründungsschriftsatz nur an dasjenige Oberlandesgericht, das in Hamburg unter der im Schriftsatz angegebenen Adresse ansässig ist, zu versenden. Eine solche Anweisung, die keinen Interpretations- und Entscheidungsspielraum eröffnet hätte und (deshalb) selbst in Ansehung des vorhergehenden Fehlers der Angestellten bei der Auswahl des beA-Empfängerpostfachs möglicherweise nicht mehr kontrollbedürftig gewesen wäre (vgl. dazu Zöller/Greger, aaO), lässt sich weder dem Wiedereinsetzungsantrag selbst noch der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung von Frau D.    entnehmen. Vielmehr ergibt sich daraus, anders als aus der eigenen eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt W.    , lediglich ein Auftrag an Frau D.    , das von ihr aus dem Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer ausgewählte (falsche) Empfängergericht nochmals zu "prüfen" und - jedenfalls nach ihrem Verständnis - (nur) "gegebenenfalls" zu korrigieren, also in eigener Verantwortung über eine Berichtigung zu entscheiden.

16b) Auf die Richtigkeit dieses Prüfungsergebnisses hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aber nicht ohne eigene Kontrolle vertrauen dürfen.

17Nachdem ihm schon zuvor aufgefallen war, dass Frau D.    trotz richtiger anderslautender Angabe des Empfängergerichts im Briefkopf des Berufungsbegründungsschriftsatzes fehlerhaft das Oberlandesgericht in Bremen als Empfänger im beA-Verzeichnis ausgewählt hatte, konnte er nicht mehr davon ausgehen, er betraue eine sonst zuverlässige Mitarbeiterin damit, nunmehr "in einem zweiten Anlauf" eigenverantwortlich den richtigen beA-Empfänger auszuwählen (vgl. aaO Rn. 8). Dies gilt umso mehr, als Rechtsanwalt W.   nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung von Frau D.    nicht ohne Weiteres annehmen durfte, dass sie das "Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen" nur versehentlich, etwa infolge eines "Verrutschens" des Cursors in der Auswahlmaske, und nicht absichtlich angeklickt hätte. Denn ihre Äußerung, sie werde die von ihr getroffene Auswahl "nochmal prüfen und gegebenenfalls korrigieren", lässt erkennen, dass sie es weiterhin für möglich hielt, dass das Oberlandesgericht in Bremen der richtige Empfänger sei.

183. Den Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Senat gemäß § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG unter Einbeziehung der mit der Klage und der Widerklage jeweils geltend gemachten Umsatzsteuer bemessen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:310823BIIIZB72.22.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-49997