BGH Beschluss v. - I ZB 78/22

Instanzenzug: LG Kleve Az: 4 T 82/22vorgehend AG Moers Az: 505 M 352/22nachgehend Az: I ZB 78/22 Beschluss

Gründe

1A. Die für den Gläubiger, das Land Hessen, handelnde Gerichtskasse Wiesbaden betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen Gerichtskostenforderungen.

2Die Gerichtskasse beantragte im Mai 2022 die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben der Schuldnerin den Erlass eines Haftbefehls. Der nicht qualifiziert elektronisch signierte Antrag schließt mit der Angabe "gez. Bodenheimer Sachbearbeiter/in" und einem maschinell aufgedruckten Siegel der Gerichtskasse. Er wurde über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (nachfolgend auch: EGVP) der Gerichtskasse an das EGVP des Amtsgerichts zur Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher übermittelt. Der Prüfvermerk enthält die Angabe "Diese Nachricht wurde von der Justiz versandt".

3Die Gerichtsvollzieherin teilte der Gerichtskasse mit, der Vollstreckungsantrag könne erst dann bearbeitet werden, wenn er über einen sicheren Übermittlungsweg oder qualifiziert elektronisch signiert über das EGVP eingereicht werde.

4Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete Erinnerung des Gläubigers zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Vollstreckungsantrag weiter.

5B. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Gläubiger habe den Vollstreckungsantrag zwar entsprechend den Vorgaben des § 130a Abs. 1 Satz 1 ZPO ordnungsgemäß elektronisch eingereicht, insbesondere auf einem sicheren Übermittlungsweg. Allerdings sei auch mit Blick auf die verpflichtende elektronische Einreichung des Vollstreckungsantrags durch den Gläubiger eine Einreichung des den Titel ersetzenden Vollstreckungsantrags in Papierform weiterhin erforderlich. Gemäß § 7 Satz 2 JBeitrG ersetze der Vollstreckungsantrag die nach § 754 ZPO grundsätzlich erforderliche Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels an das Vollstreckungsorgan. An den Vollstreckungsantrag seien hohe Anforderungen zu stellen; es dürften keinerlei Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Der unterschriebene Vollstreckungsantrag sei daher schriftlich einzureichen und mit einem Dienstsiegel zu versehen. Hierdurch werde gewährleistet, dass aus dem Schriftstück die Person erkennbar werde, die für seinen Inhalt die Verantwortung übernehme. Eine Prüfung durch den Gerichtsvollzieher sei nur dann möglich, wenn er das Original des Vollstreckungsantrags in den Händen halte. Durch § 753 Abs. 4 und 5 und die §§ 130 ff. ZPO habe keine Vereinfachung des Zwangsvollstreckungsverfahrens erreicht werden sollen, so dass diese Anforderungen auch bei einer elektronischen Einreichung des Vollstreckungsantrags Geltung beanspruchten.

6C. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

7I. Gerichtskosten werden gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 2 Abs. 1 Justizbeitreibungsgesetz (JBeitrG) von den Gerichtskassen vollstreckt, soweit - wie im Land Hessen - die Landesregierungen keine anderen Behörden bestimmen. Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragen die Gerichtskassen nach § 7 Satz 1 JBeitrG bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; dieser Antrag ersetzt nach § 7 Satz 2 JBeitrG den vollstreckbaren Schuldtitel. Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (vgl. , DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 15]; Beschluss vom - I ZB 84/22, WM 2023, 1271 [juris Rn. 11]).

8Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 753 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien als elektronisches Dokument beim Gerichtsvollzieher eingereicht werden. Für das elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d Satz 1 ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

9II. Die Gerichtskasse ist im Streitfall befugt, die Anträge auf Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO) zu stellen. Partei des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist dessen ungeachtet das Land Hessen als Gläubiger der beizutreibenden Forderung. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 JBeitrG bestimmt, dass an die Stelle des Gläubigers die Vollstreckungsbehörde tritt, betrifft dies die Vertretungsbefugnis und nicht die Gläubigerstellung (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 14] mwN).

10III. Der Vollstreckungsantrag des Gläubigers genügt entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts den Formanforderungen im elektronischen Rechtsverkehr.

111. Wie der Senat nach dem Beschluss des Beschwerdegerichts entschieden hat, entspricht der Vollstreckungsantrag nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der Senatsrechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsantrag (vgl. BGH, DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 16]) auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag nicht übertragen werden. Der Vollstreckungsantrag muss daher weder zusätzlich in Papierform eingereicht noch mit einem Dienstsiegel versehen werden (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 15, 22, 27 und 32]).

122. Im Streitfall sind die Formanforderungen nach § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO eingehalten.

13a) Der Vollstreckungsantrag ist (einfach) signiert. Hierfür reicht die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens der verantwortenden Person aus (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 16]). Diesem Erfordernis ist durch die Angabe "gez. Bodenheimer Sachbearbeiter/in" genügt.

14b) Die Einreichung erfolgte zudem auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO.

15aa) Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) können Behörden zur Übermittlung elektronischer Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Einhaltung bestimmter Anforderungen ein besonderes elektronisches Behördenpostfach nutzen. Unter anderem muss nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV feststellbar sein, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt wurde. Gemäß § 6 Abs. 3 Halbsatz 1 ERVV steht das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach eines Gerichts einem besonderen elektronischen Behördenpostfach gleich, soweit diese Stelle Aufgaben einer Behörde nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs durch eine berechtigte Person wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN) bestätigt (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 19]).

16bb) Auch diese Anforderungen sind im Streitfall erfüllt. Die Gerichtskasse ist Teil des Amtsgerichts und wird gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JBeitrG als Vollstreckungsbehörde tätig. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass der Vollstreckungsantrag vom EGVP der Gerichtskasse an das elektronische Postfach des Amtsgerichts mit einem vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis übersandt wurde.

17D. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).

18E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Schuldnerin hat im Rechtsbeschwerdeverfahren Kenntnis von der Sache erlangt (zu diesem Erfordernis vgl. , juris Rn. 23 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270723BIZB78.22.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-49927