BGH Urteil v. - III ZR 54/22

Leitsatz

1. Zur Verhältnismäßigkeit infektionsschutzrechtlicher Veranstaltungsverbote und -beschränkungen (hier: Berufsmusiker) in dem Zeitraum von März bis Juli 2020 zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus.

2. Zu den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen zählt auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb (Bestätigung der , BGHZ 161, 305; vom - III ZR 116/07, BGHZ 175, 35 und vom - III ZR 41/22, BeckRS 2023, 10074).

3. Mit infektionsschutzrechtlichen Veranstaltungsverboten und -beschränkungen gehen typischerweise Eingriffe in das beruflich genutzte Eigentum von Gewerbetreibenden einher, die ihre Tätigkeit auf Publikum ausgerichtet haben. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine unternehmerische Tätigkeit, durch die lediglich künftige Umsatz- und Gewinnchancen gemindert werden (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom - III ZR 41/22, BeckRS 2023, 10074 Rn. 40).

4. Die durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfreiheit ist in Fällen, in denen es um den Ausgleich von Erwerbsschäden auf Grund von infektionsschutzrechtlichen Veranstaltungsverboten und -beschränkungen geht, nicht in ihrer immateriellen, sondern in ihrer vermögensrechtlichen Di-mension betroffen. Soweit die Kunst beruflich oder gewerblich ausgeübt wird, ist daher die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG maßgeblich.

5. Die Frage, ob für längerfristige existenzgefährdende Maßnahmen ausnahmsweise eine Haftungsgeneralklausel im Infektionsschutzgesetz normiert werden müsste, stellt sich im Rahmen der sozialstaatlichen Bewältigung einer Pandemie nicht (Fortentwicklung des Senatsurteils vom - III ZR 79/21, BGHZ 233, 107 Rn. 61 f).

Gesetze: Art 5 Abs 3 GG, Art 12 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, § 28 Abs 1 IfSG, § 32 IfSG

Instanzenzug: Az: 4 U 70/21vorgehend Az: 7 O 285/20

Tatbestand

1Der im Freistaat Bayern ansässige Kläger betreibt ein Musik- und Filmproduktionsunternehmen und ist Leiter einer Musikgruppe. Seine Aufträge bestehen zu mehr als 90 Prozent aus Live-Auftritten und Bühnenshows. Er begehrt von dem beklagten Land Baden-Württemberg Entschädigung für Einnahmeausfälle von April bis Juli 2020, weil er und seine Musikgruppe in diesem Zeitraum auf Grund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit nicht auftreten konnten.

2Am erließ die Landesregierung auf der Grundlage von § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) die Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung - Corona-VO I). Die Verordnung wurde am durch öffentliche Bekanntmachung notverkündet und trat am in Kraft. Am wurde sie im Gesetzblatt für Baden-Württemberg veröffentlicht (GBl. S. 120). Gemäß § 10 Abs. 1 sollte sie am wieder außer Kraft treten. In § 3 wurde unter anderem Folgendes angeordnet:

"(1) Zusammenkünfte in Vereinen und sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie die Wahrnehmung von Angeboten in Volkshochschulen, Musikschulen und sonstigen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen im außerschulischen Bereich sowie Reisebusreisen sind untersagt.

(2) Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften sind untersagt.

(3) Sonstige Versammlungen und sonstige Veranstaltungen sind untersagt."

3Ab dem waren Veranstaltungen von Kirchen sowie Religions- und Glaubensgemeinschaften zur Religionsausübung wieder gestattet (Art. 2 Nr. 6 Buchst. c der Siebten Änderungsverordnung vom , GBl. S. 206).

4Ab dem wurden gemäß § 3 Abs. 3 der Corona-Verordnung II vom (GBl. S. 266) Veranstaltungen von dem Verbot ausgenommen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Daseinsfürsorge oder -vorsorge, der medizinischen Versorgung sowie der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG zu dienen bestimmt waren.

5Ab dem waren unter Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen und Hygienemaßnahmen wieder öffentlich zugängliche Kulturveranstaltungen jeglicher Art (z.B. Konzerte) mit weniger als 100 Teilnehmern gestattet (Verordnung zur Eindämmung von Übertragungen des Corona-Virus [SARS-CoV-2] auf Veranstaltungen vom - Corona-VO Veranstaltungen; GBl. S. 378). Vom an galt dasselbe für private Veranstaltungen, allerdings mit der Einschränkung, dass dort nur gesungen und getanzt werden durfte, wenn ausschließlich Familienangehörige, enge Verwandte und Angehörige des eigenen sowie eines weiteren Haushalts zusammenkamen (Verordnung zur Eindämmung von Übertragungen des Corona-Virus [SARS-CoV-2] auf privaten Veranstaltungen - Corona-VO private Veranstaltungen; GBl. S. 391).

6Mit Ausnahme von Tanzveranstaltungen waren gemäß § 10 der Corona-Verordnung III vom (GBl. S. 483) ab dem unter Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen und Hygienemaßnahmen jegliche Veranstaltungen mit bis zu 100 Teilnehmern gestattet. Bei Veranstaltungen mit festen Sitzplätzen und einem im Vorhinein festgelegten Programm waren bis zu 250 Teilnehmer zulässig.

7Der Kläger hat geltend gemacht, die in den Corona-Verordnungen jeweils angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen hätten für ihn wie eine Betriebsuntersagung gewirkt. Seinem Geschäftsbetrieb sei dadurch die Existenzgrundlage entzogen worden. In der Zeit vom bis zum seien ihm in Baden-Württemberg fünf vertraglich vereinbarte Auftrittsmöglichkeiten auf drei Hochzeiten, einer Firmenfeier und einem Konzert genommen worden, wodurch ihm ein Ertragsverlust von 8.326,48 € entstanden sei. Dieser Betrag sei ihm von dem beklagten Land zu erstatten. Ein entsprechender Anspruch ergebe sich aus §§ 56, 65 IfSG (analog), § 55 des Polizeigesetzes für Baden-Württemberg (in der bis zum geltenden Fassung; im Folgenden: PolG BW) sowie aus den Grundsätzen über den enteignenden beziehungsweise enteignungsgleichen Eingriff und über die Aufopferung.

8Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte er seine Ansprüche weiterverfolgen.

Gründe

9Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

I.

10Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

11Ein Entschädigungsanspruch aus § 65 IfSG (direkt) zugunsten des Klägers bestehe nicht. Er sei nicht Adressat einer Maßnahme nach §§ 16, 17 IfSG gewesen. Die §§ 16, 17 IfSG beträfen ausschließlich die Verhütung übertragbarer Krankheiten. Maßnahmen, mit denen die Verbreitung einer bereits ausgebrochenen Krankheit verhindert werden sollten, seien nicht davon umfasst; diesbezüglich sei § 28 IfSG die speziellere Norm. Bekämpfungsmaßnahmen seien auch nicht auf Grund ihres vermeintlich stets mitschwingenden Verhütungscharakters einbezogen, da zwischen den im 4. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes geregelten Verhütungsmaßnahmen und den im 5. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes geregelten Bekämpfungsmaßnahmen ein Exklusivitätsverhältnis bestehe.

12Mangels planwidriger Regelungslücke stehe dem Kläger ein Anspruch auch nicht aus einer analogen Anwendung von § 65 IfSG zu. Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit, von denen der Kläger betroffen gewesen sei, seien nach dem Willen des Gesetzgebers entschädigungslos hinzunehmen (Bezugnahme auf OLG Brandenburg, BeckRS 2021, 14869 Rn. 51 f).

13Soweit der Kläger darin einen Verstoß gegen Art. 3 GG erblicke, dass ihm als Nichtstörer nur deshalb eine Entschädigung versagt bleibe, weil er von einer bekämpfenden und nicht von einer vorbeugenden Maßnahme betroffen sei, führe das ebenfalls zu keinem Entschädigungsanspruch. Ein solcher sei gesetzlich nicht vorgesehen und die Schaffung neuer Anspruchsgrundlagen sei dem Gesetzgeber vorbehalten. Ebenso wenig sei wegen des Fehlens gesetzlicher Ausgleichsansprüche unter dem Gesichtspunkt einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG veranlasst. Die Voraussetzungen für eine ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung lägen nicht vor, da es an der Darlegung einer unzumutbaren Belastung fehle und zudem der Ausnahmecharakter dieses Rechtsinstituts in sein Gegenteil verkehrt würde.

14Ein Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG bestehe ebenfalls nicht. Der Kläger gehöre nicht zu dem von § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Personenkreis (Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG) und sei auch nicht nach § 31 Satz 1 IfSG einem Tätigkeitsverbot unterworfen gewesen.

15Eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG scheide aus, da es sowohl an einer planwidrigen Regelungslücke als auch an einer vergleichbaren Interessenlage fehle. Die Entschädigungsvorschriften der §§ 56 ff IfSG seien als gesondert normierte Regelung des allgemeinen Aufopferungsanspruchs abschließend. Ihnen liege die bewusste gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, breitenwirksame Maßnahmen (gegenüber der Allgemeinheit) grundsätzlich entschädigungslos zu stellen.

16Der Kläger könne seinen Anspruch auch nicht auf § 55 Abs. 1 Satz 1 PolG BW i.V.m. § 9 Abs. 1 PolG BW stützen, weil die §§ 56 ff IfSG insoweit vorrangige und abschließende Sondervorschriften darstellten (Bezugnahme auf OLG Brandenburg aaO Rn. 54 ff). Davon abgesehen lägen die Voraussetzungen nach § 55 Abs. 1 Satz 1 PolG BW i.V.m. § 9 Abs. 1 PolG BW nicht vor, weil der Kläger durch die Veranstaltungsverbote und -beschränkungen nicht gezielt als Nichtstörer in Anspruch genommen worden sei, sondern vielmehr eine "Jedermann-Maßnahme" vorgelegen habe, von der eine Vielzahl unbeteiligter Personen betroffen gewesen sei.

17Ebenso wenig stehe dem Kläger ein Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB zu. Das beklagte Land habe gegenüber dem Kläger keine drittgerichtete Amtspflicht verletzt. Die angeordneten Versammlungs- und Veranstaltungsverbote hätten auf die Bekämpfung der Pandemie und die Abwendung einer erheblichen Gefährdung für die öffentliche Gesundheit abgezielt. Folglich habe das beklagte Land Amtspflichten wahrgenommen, die ihm gegenüber der Allgemeinheit oblegen hätten. Eine Haftung für normatives Unrecht sei nicht vorgesehen. Darüber hinaus sei eine Ersatzpflicht nach § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, da der Kläger es unterlassen habe, gegen die Versammlungs- und Veranstaltungsverbote vorzugehen. Schließlich fehle es an einer Amtspflichtverletzung, da die angeordneten Versammlungs- und Veranstaltungsverbote rechtmäßig, insbesondere auch verhältnismäßig, gewesen seien.

18Auf einen Anspruch aus enteignendem Eingriff könne sich der Kläger ebenfalls nicht berufen. Mangels unmittelbarer Betriebsuntersagung sei nicht konkret in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes des Klägers eingegriffen worden. Darüber hinaus trete das richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs hinter den Entschädigungsvorschriften der §§ 56 ff IfSG als abschließenden Sonderregelungen zurück. Überdies fehle es an einem Sonderopfer. Die infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen hätten nicht nur seinen Betrieb betroffen, sondern es seien - mit Ausnahme der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs - praktisch sämtliche Bereiche des öffentlichen und kulturellen Lebens lahmgelegt worden. Das richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs sei keine geeignete Grundlage, derartige Massenschäden auszugleichen (Bezugnahme auf OLG Brandenburg aaO Rn. 67 f).

19Ein Anspruch des Klägers aus enteignungsgleichem Eingriff scheitere ebenfalls an dem fehlenden Eingriff in eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition, an der Subsidiarität eines derartigen Anspruchs gegenüber den Entschädigungsvorschriften der §§ 56 ff IfSG und am Fehlen eines Sonderopfers. Die auf § 28 IfSG gestützten Corona-Verordnungen seien auch nicht rechtswidrig gewesen.

20Schließlich scheide auch ein allgemeiner Aufopferungsanspruch des Klägers auf Grund eines fehlenden Sonderopfers und des Vorrangs der Entschädigungsvorschriften der §§ 56 ff IfSG aus.

II.

21Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

221. Soweit das Berufungsgericht Ansprüche des Klägers nach dem Infektionsschutzgesetz, nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht und nach den Grundsätzen über den enteignenden Eingriff verneint hat, erhebt die Revision zutreffend dagegen keine Einwände.

23Die Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes (§§ 56, 65 IfSG) bieten weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung eine geeignete Anspruchsgrundlage für den vom Kläger verlangten Ersatz seiner behaupteten Einbußen (vgl. Senat, Urteile vom - III ZR 79/21, BGHZ 233, 107 Rn. 16 ff und vom - III ZR 41/22, BeckRS 2023, 10074 Rn. 17 ff; zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Entschädigungsansprüchen aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht beziehungsweise aus enteignendem Eingriff steht bereits entgegen, dass die im Zwölften Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes enthaltenen Entschädigungsbestimmungen für rechtmäßig auferlegte infektionsschutzrechtliche Beschränkungen eine abschließende spezialgesetzliche Regelung mit Sperrwirkung darstellen (vgl. Senat, Urteile vom aaO Rn. 49 ff und vom aaO Rn. 30, 45).

242. Soweit die Revision einen Anspruch des Klägers nach den Grundsätzen über den enteignungsgleichen Eingriff geltend macht, besteht zwar kein Vorrang der Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes, jedoch liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Rechtsinstituts nicht vor.

25a) Anders als das Berufungsgericht meint, tritt ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff nicht hinter den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zurück. Die Revision macht zu Recht geltend, dass §§ 56, 65 IfSG bei rechtswidrigen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen keine Sperrwirkung für Entschädigungstatbestände außerhalb des Infektionsschutzgesetzes entfalten (Senat, Urteile vom aaO Rn. 50 und vom aaO Rn. 30; BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 1080 [Stand: ]; Kießling/Kümper, Infektionsschutzgesetz, IfSG, 3. Aufl., Vorbem. vor §§ 56 ff Rn. 14; Kümper, DÖV 2020, 904, 912; Schlick, NJW 2022, 2658 Rn. 22; Shirvani, DÖV 2022, 54, 56 f; Struß/Fabi, DÖV 2020, 665, 675; aA BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse, § 56 IfSG Rn. 33.1 [16. Edition, Stand: ]). Den infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liegt nur für rechtmäßig auferlegte Beschränkungen ein abschließendes Regelungskonzept zugrunde. Das folgt daraus, dass die Entschädigungsansprüche der §§ 56, 65 IfSG rechtmäßige Maßnahmen betreffen und das Infektionsschutzgesetz keine Regelung über die Haftung für rechtswidrige infektionsschutzrechtliche Maßnahmen enthält (Senat, Urteile vom aaO und vom aaO; BeckOGK/Dörr aaO Rn. 1079; Schlick aaO; Struß/Fabi aaO).

26b) Ebenso wenig steht einem Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff vorliegend eine Sperrwirkung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts entgegen. Da das baden-württembergische Polizeigesetz keinen allgemeinen Entschädigungsanspruch für rechtswidrige polizeiliche Maßnahmen enthält, bleiben die Grundsätze über den enteignungsgleichen Eingriff anwendbar (BeckOGK/Dörr aaO Rn. 1080; BeckOK Polizeirecht Baden-Württemberg/Reinhardt, § 100 PolG BW Rn. 23 f [28. Edition, Stand: ]).

27c) Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach den Grundsätzen über den enteignungsgleichen Eingriff liegen jedoch nicht vor.

28aa) Ein Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs setzt voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird. Dabei bedarf die Annahme eines entschädigungspflichtigen Sonderopfers regelmäßig keiner besonderen Begründung, da es sich aus dem Umstand ergibt, dass in die Rechtsposition des Betroffenen rechtswidrig eingegriffen wird (st. Rspr.; vgl. nur , BGHZ 213, 200 Rn. 20 und vom - III ZR 339/17, NJW 2019, 227 Rn. 23; jew. mwN).

29bb) Allerdings ist eine Haftung des Beklagten nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs nicht die Fälle legislativen Unrechts erfasst, in denen durch eine rechtswidrige oder verfassungswidrige gesetzliche Norm oder auf ihrer Grundlage durch Verwaltungsakt oder eine untergesetzliche Norm in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition eingegriffen wird (Senat, Urteil vom aaO Rn. 66 mwN). Das gilt nicht für rechtswidrige untergesetzliche Normen, die - wie hier die Revision geltend macht - an eigenen, nicht auf ein Parlamentsgesetz zurückgehenden Nichtigkeitsgründen leiden (Senat, Urteile vom - III ZR 160/78, BGHZ 78, 41, 43; vom - III ZR 74/88, BGHZ 111, 349, 352 f sowie vom - III ZR 30/92, juris Rn. 9 und III ZR 110/92, NVwZ-RR 1993, 450, 451). Die in den Corona-Verordnungen des beklagten Landes angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen waren indes nicht rechtswidrig, insbesondere nicht unverhältnismäßig.

30(1) Rechtsgrundlage für diese infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen waren die in den Verordnungen jeweils angegebenen Regelungen in § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG i.V.m. § 32 IfSG. Danach sind, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnungen Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen [bis zum : Ansammlungen "einer größeren Anzahl"; dieses Merkmal wurde durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom [BGBl I 587] mit Wirkung zum gestrichen] zu beschränken oder zu verbieten, soweit und solange das zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Diese Voraussetzungen waren in dem streitigen Zeitraum von März bis Juli 2020 erfüllt.

31(a) Bei der durch das SARS-CoV-2-Virus verursachten Krankheit COVID-19 handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Nr. 3 IfSG, wobei die Infektion vornehmlich über die Atemwege erfolgt, indem virushaltige Partikel (Tröpfchen und Aerosole) aufgenommen werden, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehen (Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19 des Robert Koch-Instituts [nachfolgend auch: RKI] unter 1. Erreger und 2. Übertragungswege = Anlage B 1 zur Klageerwiderung des Beklagten, siehe auch BVerfGE 159, 223 Rn. 193 f - Bundesnotbremse I).

32(b) In dem Zeitraum von März bis Juli 2020 gab es in der Bundesrepublik Deutschland und im Land Baden-Württemberg zahlreiche an COVID-19 Erkrankte und mit SARS-CoV-2 Infizierte und damit auch vielfach Krankheits- und Ansteckungsverdächtige.

33Ausweislich der Lageberichte des Robert Koch-Instituts (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges§Coronavirus/Situationsberichte/Archiv§2020§tab.html) entwickelte sich das Infektionsgeschehen wie folgt (siehe auch Senat, Urteile vom aaO Rn. 28 und vom aaO Rn. 26): Am erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Geschehen zur Pandemie (Lagebericht des RKI vom , S. 6). Am , dem Zeitpunkt des Erlasses der Corona-Verordnung I des beklagten Landes, gab es deutschlandweit 7.156 laborbestätigte SARS-CoV-2-Infektionen sowie zwölf Todesfälle, davon 1.479 Infizierte sowie zwei Verstorbene in Baden-Württemberg (Lagebericht des RKI vom , S. 1 f). Eine Woche später lag die Zahl der Infizierten in Deutschland bei 27.436 und in Baden-Württemberg bei 5.348. Zudem waren zu diesem Zeitpunkt in Deutschland 114 und davon in Baden-Württemberg 30 Todesfälle zu beklagen. Damit war Baden-Württemberg neben Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen das Land mit den höchsten Inzidenzen (Lagebericht des RKI vom , S. 1 f). Am betrug die Zahl der Infizierten in Deutschland 208.698 und davon in Baden-Württemberg 37.224. Zu diesem Zeitpunkt hatte es in Deutschland bereits 9.141 und in Baden-Württemberg 1.847 Todesfälle gegeben (Lagebericht des RKI vom , S. 1, 3).

34(2) Die in den Corona-Verordnungen angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen sind mit höherrangigem Recht vereinbar, insbesondere mit Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.

35(a) Zu den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen zählt auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb (Senat, Urteile vom - III ZR 263/04, BGHZ 161, 305, 312 und vom - III ZR 116/07, BGHZ 175, 35 Rn. 24; jew. mwN). Das Musik- und Filmproduktionsunternehmen des Klägers stellt einen solchen Gewerbebetrieb dar. Erfasst wird jeder durch Zusammenfügung sachlicher und persönlicher Mittel geschaffene, auf Erwerb gerichtete Betrieb (Unternehmen), gleichgültig, ob er zugleich ein Gewerbebetrieb im Sinne der Gewerbeordnung oder des Handelsgesetzbuchs ist (Senat, Urteil vom - III ZR 110/64, BGHZ 45, 150, 154; , BGHZ 193, 227 Rn. 19; Papier/Shirvani in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 14 Rn. 203 [Stand: 99. EL, September 2022]).

36(b) Durch die von dem beklagten Land angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen wurde in den Gewerbebetrieb des Klägers als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG eingegriffen, da dessen Substanz betroffen war. Dies ist dann der Fall, wenn in den Betrieb als wirtschaftlichen Organismus ("Sach- und Rechtsgesamtheit") eingegriffen und damit das ungestörte Funktionieren dieses Organismus unterbunden oder beeinträchtigt wird. Der Betriebsinhaber muss gehindert werden, von dem Gewerbebetrieb als der von ihm aufgebauten und aufrechterhaltenen Organisation sachlicher und persönlicher Mittel den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen (Senat, Urteile vom - III ZR 74/88, BGHZ 111, 349, 356 und vom - III ZR 186/17, BGHZ 221, 74 Rn. 13).

37Der Revisionserwiderung ist zwar zuzugeben, dass dem Unternehmer wirtschaftlich günstige (rechtliche oder tatsächliche) Rahmenbedingungen (vgl. Senat, Urteile vom - III ZR 160/78, BGHZ 78, 41, 46 f und vom aaO Rn. 20 mwN) sowie Umsatz- und Gewinnchancen (vgl. Senat, Urteile vom aaO S. 44 f; vom aaO S. 357 f; vom - III ZR 224/94, BGHZ 132, 181, 187 sowie vom aaO S. 312 f; jew. mwN) auch unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes nicht von der Eigentumsgarantie erfasst werden. Die Veranstaltungsverbote und -beschränkungen stellten sich für den Kläger jedoch nicht nur als eine Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen für seine unternehmerische Tätigkeit dar, durch die seine künftigen Umsatz- und Gewinnchancen gemindert wurden. Vielmehr lag ein Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Recht vor, das betriebliche Eigentum nach den eigenen Dispositionen bestimmungsgemäß zu nutzen (vgl. Senat, Urteil vom aaO S. 45 f). Der Gewerbebetrieb des Klägers ist auf Live-Auftritte und Bühnenshows spezialisiert. Entsprechend sind die Betriebsmittel wie etwa die technische Ausstattung der Musikgruppe (Instrumente, Ton- und Lichtanlage; siehe auch E-Mail des Klägers vom = Anlage K 25) auf die Durchführung von Veranstaltungen mit Publikum ausgerichtet. Auf Grund der Verbote (bzw. ab Juni 2020 der Beschränkungen) war es dem Kläger vorübergehend verwehrt (bzw. nur in eingeschränktem Maße möglich), die vorhandenen Betriebsmittel in auf den Unternehmenszweck ausgerichteter Weise zu nutzen und - nach seinem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vortrag - bereits vertraglich vereinbarte Auftrittsmöglichkeiten wahrzunehmen, so dass das ungestörte Funktionieren des Gewerbebetriebes unterbunden (bzw. erheblich beeinträchtigt) wurde. Daher griff das beklagte Land durch die Anordnung von Veranstaltungsverboten und -beschränkungen in die Substanz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes des Klägers ein (vgl. Senat, Urteil vom aaO Rn. 40 mwN; Eibenstein, NVwZ 2020, 930, 934; Joder, DVBl 2021, 237, 239 f; Shirvani, DÖV 2022, 54, 58; Struß/Fabi aaO S. 674; jew. zu Betriebsuntersagungen).

38(c) Dieser Eingriff in die Eigentumsfreiheit war auch unmittelbar. Die Unmittelbarkeit des Eingriffs setzt voraus, dass die schädigenden Auswirkungen auf das Eigentum des Betroffenen aus der Eigenart der hoheitlichen Maßnahme folgen. Erforderlich ist ein innerer Zusammenhang zwischen Eigentumsbeeinträchtigung und hoheitlicher Maßnahme. Es muss sich eine besondere Gefahr verwirklichen, die typischerweise in der hoheitlichen Maßnahme angelegt ist (Senat, Urteile vom - III ZR 3/86, BGHZ 100, 335, 338 f; vom - III ZR 220/86, BGHZ 102, 350, 358 und vom - III ZR 158/91, BGHZ 125, 19, 21; jew. mwN).

39Mit Veranstaltungsverboten und -beschränkungen gehen typischerweise Eingriffe in das beruflich genutzte Eigentum von Gewerbebetrieben einher, die ihre Tätigkeit auf Publikum ausgerichtet haben. Es war daher unmittelbare Folge der von dem beklagten Land angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen, dass der Kläger seine Betriebsmittel nicht mehr für öffentliche Auftritte nutzen konnte (vgl. Joder aaO S. 239 f). Der Einwand des Beklagten, dem Kläger sei die Möglichkeit von Online-Auftritten geblieben, lässt unberücksichtigt, dass der Kläger seinen Gewerbebetrieb ganz überwiegend auf Live-Auftritte und Bühnenshows ausgerichtet hat. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb schützt jedoch gerade die Fortsetzung des Betriebes im bisherigen Umfang nach den schon getroffenen betrieblichen Maßnahmen (Senat, Urteile vom - III ZR 83/85, BGHZ 98, 341, 351 und vom aaO; , NJW 1969, 1207, 1208 mwN). Die in den Corona-Verordnungen angeordneten Veranstaltungsverbote wirkten sich für den Kläger faktisch wie eine Betriebsuntersagung aus. Es liegt daher ebenso ein unmittelbarer Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vor wie bei Betriebsuntersagungen selbst (vgl. Shirvani, DVBl 2021, 158, 163; DÖV 2022, 54, 58). Anders als das Berufungsgericht meint, steht der Unmittelbarkeit des Eingriffs somit nicht entgegen, dass der Betrieb des Klägers nicht von den in den Corona-Verordnungen angeordneten Betriebsuntersagungen erfasst wurde. Ebenso wenig greift der Einwand des Beklagten durch, der Gewerbebetrieb des Klägers sei nicht Adressat der Veranstaltungsverbote und -beschränkungen gewesen, dieser habe lediglich als mittelbare Nebenfolge der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen keine musikalischen Darbietungen mehr erbringen können. Die eingreifende Maßnahme braucht nicht zielgerichtet zu sein, vielmehr können auch unbeabsichtigte Nebenfolgen einen unmittelbaren Eingriff darstellen (Senat, Urteile vom - III ZR 124/66, BGHZ 48, 46, 49 und vom - III ZR 208/68, BGHZ 55, 229, 231; jew. mwN; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, S. 185 Rn. 417; S. 189 Rn. 425).

40(d) Indessen waren entgegen der Auffassung der Revision die angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen verhältnismäßig.

41(aa) Die landesrechtlichen Regelungen, die Veranstaltungsverbote und -beschränkungen anordneten, zielten darauf ab, durch die Reduzierung zwischenmenschlicher Kontakte die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen und das exponentielle Wachstum der Infektionen zu durchbrechen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden und die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen (vgl. , juris Rn. 45; Breuer, DÖV 2022, 225, 226). Auf der Grundlage der Erkenntnisse und Einschätzungen des hierzu berufenen Robert Koch-Instituts (§ 4 IfSG) bestand in dem hier fraglichen Zeitraum eine ernste Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung und es drohte - jedenfalls regional - eine Überlastung des Gesundheitssystems (siehe Lageberichte des RKI vom , S. 4 und vom , S. 6 sowie nachfolgende Lageberichte; , juris Rn. 204 ff). Mit den einschneidenden Maßnahmen wollte der Staat seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) wahrnehmen und verfolgte mithin einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck (vgl. Senat, Urteil vom aaO Rn. 33), der selbst schwere Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann (vgl. BVerfG, NJW 2022, 1672 Rn. 21). Lebens- und Gesundheitsschutz und damit auch die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems sind überragend wichtige Gemeinwohlbelange (BVerfGE 159, 223 Rn. 176 und 231).

42(bb) Die angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen waren zur Zweckerreichung geeignet. Hinsichtlich der Geeignetheit ist entscheidend, ob das eingesetzte Mittel schlechthin oder objektiv untauglich ist. Die Möglichkeit der Zweckerreichung ist ausreichend, wobei dem Normgeber grundsätzlich ein Einschätzungsspielraum bei der Beurteilung der Geeignetheit der Maßnahme zusteht. Fachwissenschaftliche, insbesondere epidemiologische Erkenntnisse sind zu berücksichtigen (Senat, Urteil vom aaO Rn. 35 mwN). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen trugen dazu bei, größere Menschenansammlungen zu verhindern. Da das RKI in seinen täglichen Lageberichten neben Isolierung und Quarantäne gerade auch die "soziale Distanzierung" als geeignete Gegenmaßnahme zur Verbreitung des Virus und zur Überlastung des Gesundheitswesens benannte, durfte der Beklagte davon ausgehen, dass die Verbote zugleich zur Eindämmung des Infektionsgeschehens, zur Vermeidung einer Überlastung der medizinischen Versorgungskapazitäten im Land sowie zur Gewinnung von Zeit für die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten beitragen würden (vgl. auch BVerfG aaO Rn. 183 ff).

43(cc) Die befristet und abgestuft angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen waren auch erforderlich, weil gleich geeignete, mildere Mittel nicht zur Verfügung standen.

44Ein Gesetz beziehungsweise eine Verordnung ist erforderlich, wenn der Normgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können, wobei ihm insoweit ebenfalls ein Beurteilungsspielraum zusteht (Senat, Urteil vom aaO Rn. 37 mwN). Dabei ist zu berücksichtigen, dass infektionsschutzrechtliche Maßnahmen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG nur angeordnet werden dürfen, soweit und solange diese zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich sind. Daher musste sich die Ausgestaltung der angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen an den Erfordernissen des Infektionsschutzes orientieren und soweit als möglich Befristungen und Ausnahmeregelungen vorsehen. Darüber hinaus mussten die Verbote und Beschränkungen an der Entwicklung des Infektionsgeschehens und der damit einhergehenden Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung sowie deren medizinischer Versorgung ausgerichtet sein. Veränderungen der Situation war im Rahmen des dem Beklagten zustehenden Beurteilungsspielraums durch Verschärfungen oder Lockerungen von Verboten oder Beschränkungen verfassungsrechtlich gewährleisteter Freiheitsrechte Rechnung zu tragen (Joder aaO S. 238; Papier, DRiZ 2020, 180, 182; Schmitz/Neubert, NVwZ 2020, 666, 667 ff). Das war hinsichtlich der in dem Zeitraum von März bis Juli 2020 angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen der Fall.

45(aaa) Auf Grund der Mitte März 2020 vorherrschenden Erkenntnislage durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass es kein gleich geeignetes milderes Mittel zur Verhinderung von Übertragungen des SARS-CoV-2-Virus als das durch § 3 Abs. 1 bis 3 Corona-VO I angeordnete Versammlungs- und Veranstaltungsverbot gab, da hierdurch Kontakte zwischen Menschen, die grundsätzlich eine Gefahr der Übertragung des Coronavirus SARS-CoV-2 darstellten, sicher vermieden werden konnten. Impfschutz, eine hinreichende Immunisierung der Bevölkerung auf Grund überstandener Infektionen oder ausreichende Therapiemöglichkeiten standen zu diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung (Senat, Urteil vom aaO Rn. 37). Dabei durfte der Verordnungsgeber ohne Rechtsfehler annehmen, dass die Reduzierung des Infektionsgeschehens weit weniger effektiv gelingen würde, wenn er sich auf die Absonderung von erkannt Infizierten und Erkrankten beschränken würde. Verstärkte Hygienemaßnahmen wie zum Beispiel die Beschränkung der Teilnehmerzahl und das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen hätten das Infektionsrisiko auf Versammlungen und Veranstaltungen zwar begrenzen, nicht aber in dem dringend gebotenen Umfang reduzieren können. Ein einem umfassenden Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen vergleichbarer Schutz wäre dadurch nicht erreicht worden (vgl. VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 217). Mit dem Leben und der Gesundheit der Bevölkerung sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems war der Schutz überragend wichtiger Gemeinwohlbelange zu gewährleisten (vgl. BVerfG aaO Rn. 205, 228 und 230 f).

46Der Einwand der Revision, die Anordnung des Veranstaltungsverbots in § 3 Corona-VO I sei unverhältnismäßig gewesen, da im Hinblick auf Bühnenkünstler weder Übergangsbestimmungen noch Ausnahmeregelungen für bereits kontrahierte Auftritte vorgesehen worden seien, ist unbegründet. Unter Berücksichtigung des ihm zustehenden weiten Beurteilungsspielraums durfte der Beklagte Mitte März 2020 davon ausgehen, dass es auf die möglichst rasche und umfassende Unterbindung sozialer Kontakte ankam, um der Gefahr einer unkontrollierten Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und den damit verbundenen Bedrohungen für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung sowie die Funktionstüchtigkeit des Gesundheitssystems wirksam zu begegnen. Mit dem vorrangigen Ziel schnellstmöglicher und umfassender Kontaktbeschränkungen waren differenzierende Übergangs- und Ausnahmeregelungen nicht zu vereinbaren.

47Ebenso wenig verfängt der Einwand der Revision, die angeordneten Veranstaltungsverbote seien unverhältnismäßig gewesen, weil sie jede Veranstaltung ohne Unterscheidung nach Veranstaltungsart (im Innenraum oder unter freiem Himmel) und Hygienekonzept erfasst hätten. Ein Veranstaltungs- und Versammlungsverbot mit entsprechenden Ausnahmeregelungen (zB Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen, Abstandhalten, Hygienemaßnahmen, Lüften etc.) hätte keine gleich wirksame infektionsschutzrechtliche Maßnahme wie das angeordnete Verbot dargestellt. Denn das Infektionsrisiko ist bei einer Ansammlung von Menschen - selbst unter freiem Himmel - niemals ausgeschlossen (vgl. BVerfG aaO Rn. 209). Es lag daher im Einschätzungs- und Prognosespielraum des Beklagten, das Versammlungs- und Veranstaltungsverbot in § 3 Corona-VO I grundsätzlich auch auf Begegnungen im Freien zu erstrecken, um so dem Infektionsgeschehen wirksamer entgegenzuwirken als durch ein allein auf Zusammenkünfte in Innenräumen beschränktes Verbot. Ungeachtet dessen wurde der unterschiedlich hohen Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen und im Freien durch die Regelung in § 3 Abs. 5 Corona-VO I Rechnung getragen. Danach wurde das baden-württembergische Sozialministerium ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Grenze der Teilnehmerzahl zu ändern und dabei auch unterschiedliche Grenzen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen und unter freiem Himmel festzusetzen.

48Verhaltensregeln für Versammlungen und Veranstaltungen stellten - wie bereits ausgeführt - selbst bei vollumfänglicher Beachtung kein gleich wirksames Mittel dar. Hinzu tritt das Risiko bewusst oder unbewusst fehlerhafter Anwendung der Regeln. Gerade bei Veranstaltungen wie Hochzeiten, Firmenfeiern und Konzerten, auf denen die Musikgruppe des Klägers auftritt, muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass Maßnahmen zur Reduzierung des - auf Grund ausgelassenen Feierns und Mitsingens von Liedern gesteigerten - Übertragungsrisikos (zB Abstands- oder Lüftungsregelungen und das Tragen von Masken) nicht in zuverlässiger Weise befolgt werden (vgl. BVerfG aaO Rn. 210; VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 217; .NE, juris Rn. 58).

49(bbb) In der Zeit nach dem hat das beklagte Land die Ausgestaltung des Veranstaltungsverbots fortlaufend überprüft und an das aktuelle Infektionsgeschehen angepasst (siehe auch die im Tatbestand wiedergegebenen "Öffnungsschritte"). Unter Berücksichtigung der komplexen Situation der Pandemie und der damit verbundenen Gefährdung überragend wichtiger Gemeinwohlbelange, der eingeschränkten Erkenntnislage hinsichtlich des neuartigen Virus in der Frühphase der Pandemie sowie des daraus folgenden weiten Beurteilungsspielraums bei der Ergreifung von Schutzmaßnahmen ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte zur Eindämmung des Infektionsgeschehens für einen überschaubaren Zeitraum von zweieinhalb Monaten ein grundsätzliches Verbot von Veranstaltungen für erforderlich gehalten hat.

50Der Einwand der Revision, das zunächst angeordnete umfassende Veranstaltungsverbot habe insgesamt viereinhalb Monate angedauert und das beklagte Land habe bei den angeordneten Maßnahmen weder nach Veranstaltungsart noch nach Hygienekonzept unterschieden, trifft nicht zu. Ab Anfang Juni 2020 waren - wie ausgeführt - unter Einhaltung von Schutzvorkehrungen und Hygienemaßnahmen - mit Ausnahme von Tanzveranstaltungen - sowohl private als auch öffentliche Veranstaltungen mit weniger als 100 Teilnehmern gestattet. Bei Veranstaltungen mit Sitzplätzen und festgelegtem Programm waren ab dem sogar bis zu 250 Teilnehmer erlaubt. Von diesen Zeitpunkten an wirkten sich die angeordneten Veranstaltungsbeschränkungen für den Kläger nicht mehr wie ein faktisches Betriebsverbot, sondern nur noch wie eine Betriebsbeschränkung aus.

51(dd) Die von dem beklagten Land in der Zeit von März bis Juli 2020 angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen waren auch verhältnismäßig im engeren Sinne (angemessen).

52Eine Maßnahme ist verhältnismäßig im engeren Sinn (angemessen), wenn der mit ihr verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen. Auch bei der Prüfung der Angemessenheit besteht grundsätzlich ein Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers (Senat, Urteil vom aaO Rn. 39 mwN).

53Der durch die Anordnungen bewirkte Eingriff in den Gewerbebetrieb des Klägers hatte zwar erhebliches Gewicht. Der Kläger konnte von seinem Gewerbebetrieb über einen Zeitraum von viereinhalb Monaten nicht in dem von ihm gewünschten Umfang Gebrauch machen, obwohl er nach den Feststellungen der Vorinstanzen zu dem Infektionsgeschehen nichts beitrug. Nach seinem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vortrag erlitt er dadurch erhebliche wirtschaftliche Einbußen.

54Die Intensität des Eingriffs in die Eigentumsfreiheit des Klägers wurde allerdings in mehrfacher Hinsicht signifikant abgemildert. Die durch die Corona-Verordnung I angeordneten Maßnahmen, also auch das Veranstaltungsverbot, waren von Anfang an zeitlich befristet. Der Verordnungsgeber hatte von vornherein eine "Ausstiegs-Strategie" im Blick und verfolgte ein stufenweises Öffnungskonzept (Senat, Urteil vom aaO Rn. 43). Eine weitere Abmilderung des Eingriffs in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bewirkten großzügige staatliche Hilfsprogramme (vgl. BVerfG, NJW 2022, 1672 Rn. 28). Darunter fiel die vom Bundeskabinett am beschlossene "Corona-Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbständige", die ab dem zur Verfügung stand, in deren Rahmen durch die Corona-Pandemie in existenzbedrohende wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten eine finanzielle Unterstützung von bis zu 9.000 € erhalten konnten und die in Baden-Württemberg zu mehr als 240.000 Bewilligungen mit einem Gesamtvolumen von über zwei Milliarden Euro führte. Die "Überbrückungshilfe I" des Bundes erreichte in Baden-Württemberg einen Umfang von insgesamt 32,9 Millionen Euro. Hinzukam, dass pandemiebedingt die Bezugsbedingungen für Kurzarbeitergeld gelockert wurden. Im Jahr 2020 gewährte die Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeitergeld (einschließlich der Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen) in Höhe von 22,07 Milliarden Euro (Senat, Urteil vom aaO Rn. 42; VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 223, 242). Unter anderem für Unternehmen, im Haupterwerb Soloselbständige sowie Angehörige freier Berufe, die, wie der Kläger, ihre Tätigkeit von einer bayerischen Betriebsstätte oder einem bayerischen Sitz der Geschäftsführung aus ausführten, gewährte der Freistaat gestaffelt nach der Anzahl der Erwerbstätigen eine Billigkeitsleistung zwischen 5.000 € und 50.000 € (Nr. 3 und 5 der Richtlinien für die Unterstützung der von der Corona-Virus-Pandemie [SARS-CoV-2] geschädigten Unternehmen und Angehörigen Freier Berufe vom , BayMBl. 2020 Nr. 156; siehe auch Nr. 2 und 3 der Richtlinien für die Gewährung von Überbrückungshilfen des Bundes für die von der Corona-Virus-Pandemie [SARS-CoV-2] geschädigten Unternehmen und Soloselbständigen vom , BayMBl. 2020 Nr. 175: bis zu 9.000 € bei Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten und bis zu 15.000 € bei Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten). Künstler erhielten vom Freistaat Bayern ebenfalls Unterstützungsleistungen im Hinblick auf die Corona-Pandemie (Richtlinien für die Gewährung finanzieller Hilfen für die von der Corona-Virus-Pandemie [SARS-CoV-2] betroffenen freischaffenden Künstlerinnen und Künstler vom , BayMBl. 2020 Nr. 301).

55Nach alledem hat die öffentliche Hand für den zu beurteilenden Zeitraum einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen der Grundrechtsbeeinträchtigung des Klägers und dem mit dem Veranstaltungsverbot verfolgten Schutz besonders bedeutsamer Gemeinwohlbelange gefunden. Angesichts der unkalkulierbaren Dynamik des Infektionsgeschehens im März 2020 bestand eine besondere Dringlichkeit, zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung sowie eines funktionierenden Gesundheitssystems tätig zu werden. Der Schutz dieser überragend wichtigen Gemeinwohlbelange rechtfertigte selbst schwere Grundrechtseingriffe (vgl. BVerfG, NJW 2022, 1672 Rn. 21). Dabei ist der Ansatz, den Schutz dieser Rechtsgüter primär durch Maßnahmen der Kontaktbeschränkung - wozu auch Versammlungs- und Veranstaltungsverbote zählen - zu erreichen, nicht zu beanstanden. Da Schutzmöglichkeiten über Impfungen oder erfolgversprechende medikamentöse Behandlungen an COVID-19 Erkrankter fehlten, durfte der Beklagte zu der Einschätzung gelangen, den Schutz der Gemeinwohlbelange nur durch eine Begrenzung der Infektionszahlen erreichen zu können. Kontaktbeschränkungen waren und sind nach insoweit gesicherten fachwissenschaftlichen Erkenntnissen dazu ein hochwirksames Mittel (BVerfGE 159, 223 Rn. 228).

56(e) Durch die angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen wurde zwar zugleich in das Grundrecht des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen. In der Zeit von Mitte März bis Anfang Juni 2020 war es ihm aufgrund des Veranstaltungsverbots unmöglich, seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen, und in der Zeit danach war er aufgrund der zu beachtenden Schutzauflagen (insbesondere: nur begrenzt zugelassene Teilnehmerzahlen, Verbot von Tanzveranstaltungen) in der Freiheit seiner Berufsausübung beschränkt (vgl. Joder aaO S. 239 f). Dieser Eingriff war jedoch aus den bereits im Zusammenhang mit der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG dargelegten Gründen rechtmäßig (vgl. VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 199 ff). Daran ändert sich auch nichts, wenn man die durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfreiheit zusätzlich in den Blick nimmt. Die Kunstfreiheit ist in Fällen, in denen es um den Ausgleich von Erwerbsschäden auf Grund von infektionsschutzrechtlichen Veranstaltungsverboten und -beschränkungen geht, nicht in ihrer immateriellen, sondern in ihrer vermögensrechtlichen Dimension betroffen (vgl. Kießling/Kümper aaO Rn. 16 aE). Soweit die Kunst - wie im vorliegenden Fall - beruflich ausgeübt wird, ist daher die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG maßgeblich (Scholz in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 12 Rn. 181 [Stand: 99. EL, September 2022]). Bereits aus diesem Grund scheiden Ansprüche wegen Aufopferung oder aufopferungsgleichen Eingriffs von vornherein aus (Senat, Beschluss vom - III ZR 142/92, NJW 1994, 1468 und Urteil vom - III ZR 224/94, BGHZ 132, 181, 188; vgl. auch BVerfG, NVwZ 1998, 271, 272).

57(f) Es bedeutete auch keinen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG), dass der Beklagte im Verlauf des Mai 2020 zunächst für Veranstaltungen, die der Religionsausübung, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Daseinsfürsorge oder -vorsorge, der medizinischen Versorgung sowie der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG dienten, Ausnahmevorschriften erließ, bevor er ab Anfang Juni 2020 öffentliche Kulturveranstaltungen und einige Tage später auch private Veranstaltungen, jeweils mit weniger als 100 Teilnehmern, wieder gestattete. Diese Ungleichbehandlungen waren aus Gründen des Infektionsschutzes gerechtfertigt. Es lag im Interesse des Infektionsschutzes, die durch die Kontaktbeschränkungen erzielten Erfolge nicht durch übereilte Lockerungen vorschnell zu gefährden, sondern das Veranstaltungsverbot stufenweise zu lockern, um im Rahmen einer engmaschigen Kontrolle beobachten zu können, wie sich einzelne Öffnungsschritte auf das Infektionsgeschehen auswirken. Die mit der stufenweisen Lockerung verbundene Ungleichbehandlung unterschiedlicher Veranstaltungsarten war somit an den Zwecken der Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG ausgerichtet (vgl. VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 224, 281). Dabei stand dem beklagten Land in der Auswahl, für welche Veranstaltungsarten es das Veranstaltungsverbot zuerst lockerte, ein weiterer Beurteilungsspielraum zu (vgl. Schmitz/Neubert aaO S. 668 f unter III 3 aE). Dass das beklagte Land diesen überschritten hat, ist nicht ersichtlich.

583. Ebenso wenig kann dem Kläger unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt werden.

59Bei den hier in Rede stehenden, auf § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG gestützten infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen (Veranstaltungsverbote und -beschränkungen) handelt es sich um den Vollzug von Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, der als Ausdruck der Sozialgebundenheit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen ist (Senat, Urteile vom aaO Rn. 59 und vom aaO Rn. 48). Zwar kann der Gesetzgeber bei der Regelung von Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG unter dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung ausnahmsweise verpflichtet sein, Ausgleichsregelungen vorzusehen, um eine unzumutbare Belastung des Eigentümers zu verhindern. Ausgleichsmaßnahmen bedürfen jedoch immer einer gesetzlichen Grundlage (BVerfGE 100, 226, 244 f). Fehlt eine solche - wie im Fall von flächendeckenden infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit auf der Grundlage von § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG - ist es daher unzulässig, einen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts zu gewähren (Senat, Urteile vom aaO und vom aaO; vgl. auch VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 259 f).

60Außerdem ist die Rechtsfigur der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung bislang vor allem auf Härtefälle zulasten einzelner Eigentümer angewandt worden, während es im Rahmen einer Pandemie um eine unkalkulierbare Vielzahl von Betroffenen geht (Senat, Urteile vom aaO Rn. 61 und vom aaO Rn. 49; VGH Baden-Württemberg aaO).

614. Der Umstand, dass die infektionsschutzrechtlichen Veranstaltungsverbote und -beschränkungen aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nach dem geltenden Recht (§ 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 56, 65 IfSG) keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche begründen, ist auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber des Infektionsschutzgesetzes war verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, für Belastungen, wie sie für den Kläger mit den in den Veranstaltungsverboten und -beschränkungen liegenden Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einhergingen, Ausgleichsansprüche zu regeln. Der Zeitraum, in dem sich das von dem beklagten Land angeordnete Veranstaltungsverbot für den Kläger faktisch wie eine Betriebsuntersagung auswirkte, betrug - wie dargelegt - lediglich zweieinhalb Monate; danach war es dem Kläger in eingeschränktem Umfang wieder möglich, die von ihm angebotenen Dienstleistungen zu erbringen. Ein solcher Zeitraum war unter Berücksichtigung des den Betriebsinhaber grundsätzlich treffenden Unternehmerrisikos für den Gewerbebetrieb des Klägers nicht unzumutbar (vgl. VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 224, 268, 273).

62Die gesamtstaatlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie waren außerordentlich. Die Pandemie hatte gravierende Auswirkungen in nahezu allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Da die Grundbelastung der Bevölkerung bereits hoch war und die Gesellschaft dem Einzelnen in der Krise mehr abverlangt als unter normalen Verhältnissen, verschiebt sich der Vergleichsmaßstab zur Bestimmung einer Ausgleichspflicht für entstandene Schäden. Eine besondere, die Regelung gesetzlicher Entschädigungsansprüche bedingende Belastungsintensität kann sich erst dann ergeben, wenn Einzelne gerade im Vergleich zu sonstigen, ebenfalls intensiv Betroffenen signifikant stärker betroffen sind (VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 269). Daran fehlt es hier. Eine (faktische) Betriebsuntersagung von zweieinhalb Monaten war - auch unter Berücksichtigung der danach aus den Teilnehmerzahlenbeschränkungen und dem Tanzverbot für den Kläger folgenden Betriebsbeschränkung - angesichts der gesamten wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen Auswirkungen der Pandemie nicht derart gravierend, dass gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 GG eine verfassungsrechtliche Pflicht bestand, hierfür Entschädigungsansprüche vorzusehen (vgl. BeckOK, InfSchR/Kruse, § 65 IfSG Rn. 34b [16. Edition, Stand: ]).

63Wie der Senat bereits mehrfach betont hat (Urteile vom aaO Rn. 62 und vom aaO Rn. 53), sind Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen (vgl. BeckOK, InfSchR/Eckart/Kruse aaO; Breuer aaO S. 234 f; Cornils aaO S. 486, 500, 512 f). Hieraus ergibt sich zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen (vgl. BVerfGE 27, 253, 283 zum Ausgleich von Besatzungsschäden). Dieser sozialstaatlichen Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen, dass er - wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen - haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt ("Corona-Hilfen"), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reaktion erlauben, indem Hilfen spürbar und zeitnah ausgezahlt werden (Senat aaO). Dabei kommt dem Staat ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu, der sich daran zu orientieren hat, für grundsätzlich wirtschaftlich gesunde Unternehmen die Folgen der sie unverschuldet treffenden Pandemie abzumildern (vgl. VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 272). Die oben unter 2 c bb (2) (d) (dd) dargestellten staatlichen Hilfen im Rahmen des ersten Lockdowns genügten diesen Anforderungen (Senat, Urteil vom aaO). Die von der Revision unter Berufung auf BVerfGE 57, 107, 117 und das Senatsurteil vom (aaO Rn. 61) aufgeworfene Frage, ob für längerfristige existenzgefährdende Maßnahmen ausnahmsweise eine Haftungsgeneralklausel im Infektionsschutzgesetz normiert werden müsste, stellt sich nach alledem im Rahmen der sozialstaatlichen Bewältigung einer Pandemie nicht (vgl. VGH Baden-Württemberg aaO Rn. 271 f).

64Mangels eines Verstoßes der einschlägigen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes gegen das Grundgesetz kommt die von der Revision für erforderlich gehaltene Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht in Betracht.

655. Ein Anspruch des Klägers aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) scheidet schon deshalb aus, weil die in den Corona-Verordnungen des beklagten Landes angeordneten Veranstaltungsverbote und -beschränkungen in dem streitigen Zeitraum rechtmäßig waren.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:030823UIIIZR54.22.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 2306 Nr. 41
DB 2023 S. 2500 Nr. 43
DStR-Aktuell 2023 S. 10 Nr. 32
GmbHR 2024 S. 87 Nr. 2
NJW 2024 S. 188 Nr. 4
NJW 2024 S. 218 Nr. 4
NJW 2024 S. 225 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 33/2023 S. 2280
NWB-Eilnachricht Nr. 33/2023 S. 2280
WM 2023 S. 2105 Nr. 45
ZIP 2023 S. 4 Nr. 32
SAAAJ-49505