Sicherungsverfahren mit Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Feststellung der Schuldunfähigkeit des Beschuldigten wegen paranoider Schizophrenie
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Neuruppin Az: 22 KLs 3/23
Gründe
1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat im Wesentlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Nach den Feststellungen warf der Beschuldigte am Glasflaschen in Richtung der beiden Polizeibeamten, die ihn wegen eines von ihm zuvor begangenen Ladendiebstahls zur Sache befragen wollten; dabei traf er einen der Polizeibeamten am Bein, wodurch dieser nicht unerheblich verletzt wurde. Am stieß der Beschuldigte in einem Tankstellen-Shop die Mitarbeiterin heftig gegen die Schulter, um die auf dem Tresen liegenden Waren ohne Bezahlung an sich zu nehmen und für sich zu verwenden. Die Mitarbeiterin stürzte und verletzte sich. Am verlangte er in einem Imbiss von dem Geschädigten einen „Gratis-Döner“. Als der Geschädigte den Beschuldigten ohne Erfolg zum Verlassen der Geschäftsräume aufgefordert hatte und diesen hinausschieben wollte, ergriff der Beschuldigte seinerseits den Geschädigten, zog diesen hinaus und versetzte ihm einen gezielten Faustschlag ins Gesicht.
3Das Landgericht ist dem Sachverständigen folgend davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund der „seit 2021“ bestehenden Wahnsymptomatik einer paranoiden Schizophrenie im Sinne des § 20 StGB aufgehoben war. Die Körperverletzungen und der tätliche Angriff auf die Polizeibeamten seien als erhebliche Anlasstaten anzusehen. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschuldigte auch künftig Straftaten von erheblichem Gewicht begehen wird. Ihm fehlten Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft, so dass er nach seiner Entlassung binnen kurzer Zeit die Medikamente nicht mehr einnehmen und die Wahnsymptomatik erneut auftreten würde.
42. Die Entscheidung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung darauf beruht (st. Rspr.; vgl. etwa mwN).
6aa) Die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (vgl. ). Erforderlich sind vielmehr konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat; Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage des Beschuldigten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (st. Rspr.; vgl. ; Beschluss vom - 1 StR 190/21; jeweils mwN). Das Tatgericht hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. etwa Rn. 7 mwN).
7bb) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Ihnen ist der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung des Beschuldigten und den Taten nicht hinreichend zu entnehmen. Der Beschuldigte habe während der kurzzeitigen, nach dem PsychKG angeordneten Unterbringungen „in Verkennung der Realität Rollenwechsel vollzogen (Dolmetscher, Arzt, Präsident von Nigeria)“. Die von ihm durch „psychotische Zustände und aus einer Wahnsymptomatik heraus“ an den Tag gelegten aggressiven Verhaltensweisen seien charakteristische Störungsmuster einer paranoiden Schizophrenie. Damit ist indessen nicht hinreichend belegt, dass der Beschuldige wahnbedingt außer Stande war, Tatanreizen zu widerstehen. Da der Beschuldigte auf Verzögerungen und Störungen zunächst ungehalten reagierte, mangels deutscher Sprachkenntnisse heftig gestikulierte und dann aggressiv wurde, versteht sich ein solcher Zusammenhang auch nicht von selbst. Die „psychotischen Zustände“ und das von den Tatzeugen beschriebene „psychisch auffällige“ Verhalten sind nicht durch Anknüpfungstatsachen belegt.
8b) Schließlich begegnet die Begründung der negativen Gefährlichkeitsprognose durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. dazu mwN). Das Landgericht hat diese auf die fehlende Krankheits- und Behandlungseinsicht gestützt, ohne diese Feststellungen durch Tatsachen näher zu belegen. Immerhin sei es unter der Zwangsmedikation in der vorläufigen Unterbringung zu einer Besserung der Symptomatik gekommen. Hierzu ist zudem die Darstellung der Vorstrafen unzureichend. Insbesondere wurde der Beschuldigte für eine am selben Tag wie die Tat II.1 der Urteilsgründe begangene Sachbeschädigung sowie für die am verwirklichten Vergehen der Beleidigung, des Diebstahls geringwertiger Sachen und der Bedrohung jeweils zu Geldstrafen verurteilt. Einzelheiten zu der am im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangenen Beleidigung werden nicht mitgeteilt.
93. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:050923B6STR360.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 3735 Nr. 51
GAAAJ-48657