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BVerwG Beschluss v. - 1 WB 29/22

Unbegründeter Fortsetzungsfeststellungsantrag gegen die erledigte Feststellung eines Sicherheitsrisikos

Gesetze: § 17 Abs 1 S 1 WBO, § 19 Abs 1 S 3 WBO, § 21 Abs 2 S 1 WBO, § 5 Abs 1 S 1 Nr 1 SÜG, § 5 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a SÜG, § 14 Abs 3 S 1 SÜG, § 36 Abs 2 Nr 1 VwVfG, § 43 Abs 2 VwVfG, § 13 Abs 1 SG

Tatbestand

1Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung für den Bereich Verschlusssachenschutz (Ü2-VS).

2Der 19.. geborene Antragsteller ist Berufssoldat mit voraussichtlichem Dienstzeitende am . Zuletzt wurde er mit Wirkung vom zum Stabsfeldwebel befördert und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 9 M eingewiesen.

3Für den Antragsteller war im Jahr 2006 eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü2-VS) ohne Feststellung eines Sicherheitsrisikos abgeschlossen worden. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Soldat in der ... in ... verwendet.

4Am meldete der damals zuständige Sicherheitsbeauftragte dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) in einem Nachbericht zur Sicherheitsüberprüfung, dass sich bezogen auf den Antragsteller sicherheitserhebliche Erkenntnisse ergeben hätten. Die Abteilung Personeller Geheimschutz des BAMAD leitete daraufhin eine Prüfung sicherheitserheblicher Erkenntnisse gemäß § 16 Abs. 2 SÜG ein.

5Nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe durch das Familiengericht O. im Juni 2013 erwirkte die geschiedene Ehefrau gegen den Antragsteller im Rahmen eines noch andauernden Unterhaltsstreits beim Amtsgericht A. einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über eine Forderung in Höhe von 426,37 €, der dem Antragsteller am zugestellt wurde. Auf der Grundlage dieses Beschlusses wurde der Sold des Antragstellers in den Monaten Juni und Juli 2013 anteilig gepfändet.

6Im Januar 2014 wurde der Antragsteller zur ... in ... versetzt. Dort wurde er mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut, für die ein Zu- und Umgang mit Verschlusssachen bis zum Geheimhaltungsgrad Geheim vorgesehen ist. Der Einsatzbereich unterliegt überdies dem personellen Sabotageschutz.

7Im Rahmen der Prüfung kam es zu Befragungen durch das BAMAD. Dort räumte der Antragsteller ein, durch die Scheidung in finanzielle Bedrängnis geraten zu sein. Eine Pfändung oder Zwangsvollstreckung sei indessen nicht erfolgt.

8Am gab der Antragsteller nach Aufforderung durch den Sicherheitsbeauftragten eine aktualisierte Sicherheitserklärung ab, in die auch die neue Lebensgefährtin einbezogen wurde. Unter Nr. 6 "Angaben zur finanziellen Situation" kreuzte er zu der Frage, ob in den letzten fünf Jahren Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn erfolgt seien (Nr. 6.2), das Kästchen mit der Antwort "Nein" an.

9Mit Schreiben vom forderte der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt den Antragsteller auf, sich innerhalb von drei Wochen nach Erhalt des Schreibens zu den sicherheitserheblichen Erkenntnissen zu äußern. Er hielt dem Antragsteller vor, dass sich Zweifel an seiner Zuverlässigkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG aufgrund einer unrichtigen Angabe in seiner Selbstauskunft ergäben. Hiernach habe er in der Sicherheitserklärung aus dem Jahr 2015 die gegen ihn erfolgte Zwangsvollstreckung im Jahr 2013 aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss seiner von ihm geschiedenen Ehefrau nicht angegeben und bei Befragungen durch das BAMAD bekräftigt, dass eine Pfändung oder Zwangsvollstreckung zu seinen Lasten nicht erfolgt sei. Die Zweifel an seiner Zuverlässigkeit leiteten sich ferner aus der angespannten finanziellen Situation infolge seiner umfangreichen Zahlungsverpflichtungen ab. Aufgrund dieser Situation könne auch ein Sicherheitsrisiko im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SÜG nicht ausgeschlossen werden.

10Der Antragsteller nahm mit Schreiben vom schriftlich gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten zu seiner finanziellen Situation Stellung. Nach Sichtung der eingereichten Unterlagen wurde der Antragsteller am zur Klärung offener Fragen durch den Geheimschutzbeauftragten aufgefordert und ausdrücklich auf die Möglichkeit einer persönlichen Anhörung hingewiesen. Hiervon machte der Antragsteller keinen Gebrauch und beantwortete die Fragen am unter Vorlage weiterer Unterlagen schriftlich.

11Der Disziplinarvorgesetzte äußerte in seiner Stellungnahme gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten vom , keinen Zweifel an der Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit oder Vertrauenswürdigkeit des Antragstellers zu haben. Aus seiner Sicht seien keine Anzeichen gegeben, dass er für eine sicherheitsempfindliche Verwendung nicht geeignet wäre.

12Mit Bescheid vom stellte der Geheimschutzbeauftragte fest, dass die erweiterte Sicherheitsüberprüfung Umstände ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Nach Ablauf von drei Jahren könne bei Bedarf eine Wiederholungsüberprüfung beauftragt werden. Die aktenkundige Eröffnung des Bescheids erfolgte am . Der Geheimschutzbeauftragte richtete unter dem noch ein Schreiben an den Antragsteller, in dem er unter Hinweis auf die Feststellung eines Sicherheitsrisikos mitteilte, er habe eine vorzeitige Wiederholungsüberprüfung nach Ablauf von drei Jahren zugelassen.

13Seit Oktober 2019 übt der Antragsteller keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit mehr aus.

14Gegen den formularmäßigen Bescheid erhob der Antragsteller mit Schreiben vom Beschwerde beim Geheimschutzbeauftragten, das beim Bundesministerium der Verteidigung am eingegangen ist, und bat um ein persönliches Gespräch. Da sich der Antragsteller bislang nur schriftlich geäußert habe, gab der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt dem Antragsteller die Möglichkeit, sich am noch einmal persönlich zu äußern und seine finanzielle Situation umfassend darzustellen. Mit Schreiben vom hielt der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung auch unter dem Eindruck der Anhörung an seiner Entscheidung fest.

15Mit Schreiben vom begründete der Antragsteller gegenüber dem Bundesministerium der Verteidigung seine Beschwerde damit, dass er die Frage, ob gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt worden seien mit Nein beantwortet habe, weil er hierunter nur Maßnahmen eines Gerichtsvollziehers verstanden habe. Auch habe er die Soldpfändung nicht absichtlich verschwiegen. Er habe diesen Umstand in der mit der Scheidung verbundenen belastenden Situation verdrängt und sich daran auch nicht mehr erinnern können.

16Mit Bescheid vom , dem Antragsteller am ausgehändigt, wies das Bundesministerium der Verteidigung die Beschwerde zurück. Der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt habe rechtsfehlerfrei Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG festgestellt. Hierfür spreche zunächst die unterlassene Angabe über die Gehaltspfändung im Jahr 2013 in seiner Sicherheitserklärung. Weiter habe der Antragsteller in einer Auflistung seiner Einnahmen und Ausgaben von Dezember 2019 ungenaue Angaben gemacht, um die Einkommenssituation zu schönen und seine finanzielle Situation zu verharmlosen. Auch habe sich seine finanzielle Lage mit Blick auf bestehende Immobilienkredite nicht stabilisiert. Negativ zu bewerten sei ferner, dass sich das Girokonto des Antragstellers bis Dezember 2019 meistens zwei Wochen nach Soldeingang bereits im Soll befände. Ratenkäufe für Konsumgüter belegten ebenfalls das nicht gesunde Finanzgebaren des Antragstellers. Auch bestünde die Gefahr der Erpressbarkeit durch fremde Nachrichtendienste gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SÜG.

17Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom , beim Bundesministerium der Verteidigung am eingegangen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag mit einer Stellungnahme vom dem Senat vorgelegt.

18Zur Begründung führt der Antragsteller insbesondere aus, der Geheimschutzbeauftragte gehe von einem falschen Sachverhalt aus. Falschangaben lägen nicht vor. Er habe Angaben dazu gemacht, wie es zu der Erklärung und auch zu der Nichtzahlung gekommen sei. Nicht das wirtschaftliche Unvermögen, sondern sein auf anwaltlicher Beratung beruhender Wille, nicht zu zahlen, sei Hintergrund der Pfändung gewesen. Seine finanzielle Situation sei unzutreffend dargestellt worden. Die Annahme der Erpressbarkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SÜG sei schließlich ebenfalls fehlerhaft.

19Der Antragsteller beantragt,

die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vom und den Bescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom aufzuheben.

20Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

21Es trägt vor, die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten sei schon allein deshalb nicht zu beanstanden, weil der Antragsteller die in der Sicherheitserklärung aus dem Jahre 2015 enthaltene Frage nach gegen ihn in den letzten fünf Jahren erfolgten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verneint habe. Die Motivation für sein vorwerfbares Verhalten sei dabei bedeutungslos. Auch im Rahmen der Aufklärung seiner finanziellen Verhältnisse habe der Antragsteller wiederholt unwahre und unvollständige Angaben gemacht und so eine geringere Summe der monatlichen Verpflichtungen angezeigt, was ebenfalls erhebliche Zweifel an seiner Zuverlässigkeit begründe.

22Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

23Die Wiederholungsüberprüfung im Sicherheitsüberprüfungsverfahren wurde zwischenzeitlich eingeleitet und ist noch nicht abgeschlossen.

Gründe

24Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

251. Der Antrag ist zwar zulässig.

26a) Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 SÜG kann durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Bescheides angefochten werden. Die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) folgende Zuständigkeit der Wehrdienstgerichte für Streitigkeiten, die die dienstliche Verwendung eines Soldaten betreffen, erstreckt sich auch auf die Überprüfung sicherheitsrechtlicher Bescheide im Sinne des § 14 Abs. 3 SÜG, weil mit der Feststellung des Geheimschutzbeauftragten über die Frage des Bestehens eines Sicherheitsrisikos im Kern über die sicherheitsrechtliche Eignung eines Soldaten für eine bestimmte dienstliche Verwendung entschieden wird ( 1 WB 32.21 - juris Rn. 23 m. w. N.).

27b) Für den gestellten Aufhebungsantrag hat der Antragsteller indessen kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, weil ihn die angefochtenen Bescheide vom und vom nicht mehr beschweren. Mit Ablauf des ist die mit diesen Bescheiden ausgesprochene Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG unwirksam geworden (zur Anwendung dieser Vorschrift im Wehrbeschwerderecht, vgl. 1 WB 8.21 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 115 Rn. 18 m. w. N.). Die Bescheide enthielten zwar in ihrer ursprünglichen Fassung keine entsprechende Befristung nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG. Durch das Bundesministerium der Verteidigung sind die Bescheide indessen mit einer derartigen Nebenbestimmung im Wege der Abhilfe (zur Abhilfebefugnis im Vorlageverfahren nach § 21 Abs. 3 WBO s. Bachmann, in: Fürst, GKÖD Band I, Stand 2017, § 21 WBO Rn. 34) versehen worden, wie sich aus der in dessen Vorlageschreiben vom enthaltenen Formulierung ergibt, "dass das festgestellte Sicherheitsrisiko am abläuft" (vgl. dort S. 27, letzter Absatz).

28c) Der Antragsteller kann sein diesbezügliches Rechtsschutzbegehren deshalb nur mit einem Fortsetzungsfeststellungsantrag weiterführen, den der Senat vor dem Hintergrund der hier eingetretenen Situation bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung seines Begehrens als gestellt erachtet.

29Hat sich eine truppendienstliche Maßnahme, die - wie hier die Feststellung eines Sicherheitsrisikos - keinen Befehl im Sinne von § 2 Nr. 2 WStG darstellt, vor der gerichtlichen Entscheidung erledigt, so entscheidet das Wehrdienstgericht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO, ob die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann sich das berechtigte Interesse aus einem Rehabilitierungsinteresse, aus einer Wiederholungsgefahr oder aus der Absicht ergeben, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, sofern dieser nicht von vornherein als aussichtslos erscheint; ein Feststellungsinteresse kommt auch in Betracht, wenn die erledigte Maßnahme eine fortdauernde faktische Grundrechtsbeeinträchtigung nach sich zieht ( 1 WB 28.20 - juris Rn. 17 m. w. N.).

30Im vorliegenden Fall ist ein Rehabilitierungsinteresse anzunehmen, weil der Antragsteller seit Oktober 2019 als Folge der Feststellung des Sicherheitsrisikos nicht mehr in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet wird und dies einem - hier freilich nicht näher bestimmbaren - Kreis von Soldaten an seinem Dienstort in ... bekannt geworden ist (vgl. 1 WB 21.12, 1 WB 22.12 - juris Rn. 28). Außerdem hat er im Hinblick auf die laufende Wiederholungsüberprüfung ein schutzwürdiges Interesse feststellen zu lassen, ob ihm in der Vergangenheit mit Recht bereits ein Sicherheitsrisiko zur Last gelegt wurde.

312. Der danach zulässige Antrag ist jedoch unbegründet. Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in den angefochtenen Bescheiden war rechtmäßig und verletzte den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

32a) Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Antrags (stRspr, vgl. z. B. 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 35 m. w. N.). Bis zu diesem Zeitpunkt können in Ergänzung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten und mit dessen Zustimmung tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos, einschließlich der dabei zu treffenden Prognose, in das Verfahren eingeführt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 Rn. 23, vom - 1 WB 47.13 - juris Rn. 29 und vom - 1 WB 3.19 - juris Rn. 22). Hat ein Antragsteller - wie hier - seinen Antrag als Untätigkeitsantrag eingelegt, besteht die Möglichkeit des Nachschiebens von tatsächlichen Anhaltspunkten nur bis zum Eingang dieses Antrags. Die mit einem zeitlich nachfolgenden Vorlageschreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vorgetragenen Ergänzungen können deshalb nicht berücksichtigt werden.

33Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl. z. B. 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 23 m. w. N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle - hier: dem Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung -, aufgrund einer an diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG).

34Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, z. B. 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 24 ff. m. w. N.).

35Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für einen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SÜG bestehen. Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine "Beweislast", weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (vgl. auch - BVerfGE 39, 334 <353>; stRspr, z. B. 1 WB 58.11 - juris Rn. 30).

36b) Nach diesen Maßstäben ist die Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch den hierfür zuständigen Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 SÜG, Nr. 2418 der Zentralen Dienstvorschrift <ZDv> A-1130/3) rechtmäßig erfolgt.

37aa) Der angefochtene Bescheid leidet nicht an formellen Mängeln. Der Antragsteller hatte insbesondere Gelegenheit, sich vor Feststellung des Sicherheitsrisikos zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen persönlich zu äußern (§ 14 Abs. 3 Satz 4 SÜG i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 SÜG; vgl. hierzu 1 WB 57.12 - BVerwGE 148, 267 Rn. 54 ff.).

38bb) Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

39(1) Der zuständige Geheimschutzbeauftragte hat diese Feststellung jeweils entscheidungstragend sowohl auf Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG) als auch auf eine besondere Gefährdung des Antragstellers bei möglichen Anbahnungs- oder Werbungsversuchen ausländischer Nachrichtendienste (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SÜG) gestützt; dies ergibt sich aus den mit Zustimmung des Geheimschutzbeauftragten beim Bundesministerium der Verteidigung angestellten ergänzenden Erwägungen des Bundesministeriums der Verteidigung in dessen Stellungnahme vom (S. 23) anlässlich der Vorlage des Antrags auf gerichtliche Entscheidung. Aus Sicht des Senats hält die Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung schon wegen der auch allein tragenden Zuverlässigkeitszweifel im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG stand, sodass es einer Erörterung der zweiten entscheidungstragenden Begründung nicht bedarf.

40(2) Der zuständige Geheimschutzbeauftragte ist nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Er legt seiner Bewertung im Wesentlichen zugrunde, dass der Antragsteller in seiner Sicherheitserklärung vom vorsätzlich zu einem wesentlichen Punkt eine falsche Angabe gemacht hat. Dieser Sachverhalt ist zutreffend festgestellt.

41Der Antragsteller hat unter Nr. 6.2 der Sicherheitserklärung zu der Frage, ob in den letzten fünf Jahren Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn erfolgt sind, das Kästchen mit der Antwortmöglichkeit "Nein" angekreuzt. Hierbei handelt es sich um eine unzutreffende Angabe. Denn im Juni 2013 ist von der geschiedenen Ehefrau im Rahmen eines noch andauernden Unterhaltsstreits beim Amtsgericht Ansbach ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen den Antragsteller über eine Forderung in Höhe von 426,37 € erwirkt worden, der dem Antragsteller am zugestellt worden ist. Auf der Grundlage dieses Beschlusses wurde der Sold des Antragstellers in den Monaten Juni und Juli 2013 anteilig gepfändet.

42Dieser objektive Sachverhalt, den der Geheimschutzbeauftragte seiner Entscheidung als sicherheitserheblichen Umstand zugrunde gelegt hat, wird als solcher vom Antragsteller nicht bestritten, sondern lediglich abweichend bewertet. Zutreffend stellt der Geheimschutzbeauftragte auch wissentliches und willentliches Handeln fest, geht also auch von einem zutreffend ermittelten subjektiven Tatbestand aus.

43(3) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte in diesem Sachverhalt tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG) erkannt hat. Mit dieser Einschätzung hat er weder den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt noch allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt.

44Falsche Angaben im Sicherheitsüberprüfungsverfahren sind grundsätzlich geeignet, die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG nach sich zu ziehen ( 1 WB 18.21 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 36 Rn. 48 m. w. N.). Zu den der Wahrheitspflicht unterliegenden dienstlichen Angelegenheiten im Sinne des § 13 Abs. 1 SG gehört auch die im Überprüfungsverfahren abzugebende Sicherheitserklärung (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 28.11 - juris Rn. 35 m. w. N. und vom - 1 WB 32.13 - juris Rn. 34 ff.).

45Ohne Rechtsfehler hat der Geheimschutzbeauftragte in der unzutreffenden Angabe in der Sicherheitserklärung einen vorwerfbaren gravierenden Verstoß gegen die Wahrheitspflicht erkannt. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller mit seiner Unterschrift auf der Sicherheitserklärung bestätigt hat, die Ausfüllanleitung bei seinen Angaben beachtet zu haben, hat er aus Sicht des Senats vorsätzlich gehandelt. Denn nach der Ausfüllanleitung fallen unter die in Nr. 6.2 der Sicherheitserklärung erwähnten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auch Pfändungen des Arbeitslohnes. Eingedenk dessen erachtet der Senat die Erklärung des Antragstellers, er habe nur Maßnahmen eines Gerichtsvollziehers als Zwangsvollstreckungsmaßnahmen angesehen, als fernliegende Fehlinterpretation, die nicht geeignet ist, den Verstoß in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Entsprechendes gilt für den Hinweis des Antragstellers, die Pfändung sei auf den anwaltlichen Rat zurückzuführen, den Unterhaltsbeitrag nicht an seine geschiedene Ehefrau zu zahlen. Für die Bewertung der Falschangabe als vorsätzliche Wahrheitspflichtverletzung ist das Motiv für das Unterlassen der Unterhaltsleistung ohne Belang. Dass der Antragsteller - wie er angibt - die Tatsache der Pfändung in der mit der Scheidung verbundenen belastenden Situation verdrängt haben will und sich daran auch nicht mehr habe erinnern können, bewertet der Senat als bloße Schutzbehauptung.

46(4) Rechtlich unbedenklich ist schließlich, dass aus der unwahren Angabe im Sicherheitsüberprüfungsverfahren prognostisch auf Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers geschlossen und dass der damit einhergehenden Gefährdung von Sicherheitsinteressen Vorrang vor den Interessen des Antragstellers gegeben worden ist.

47Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt der Pflicht, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG), ein besonderes Gewicht für die sicherheitsrechtliche Beurteilung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 13.10 - Rn. 29 und vom - 1 WB 24.17 - NVwZ 2019, 65 Rn. 30). Nicht nur, aber gerade auch im Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen muss sich die militärische Führung auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen sowie auf die unaufgeforderte Erfüllung von Meldepflichten jederzeit und grundsätzlich ohne weitere Nachprüfung verlassen können. Hiernach begegnet die von dem Geheimschutzbeauftragten getroffene und vom Bundesministerium der Verteidigung bekräftigte Einschätzung, dass wegen der im Verhalten des Antragstellers sichtbar werdenden Verharmlosungstendenzen keine positive Prognose gestellt werden könne, keinen durchgreifenden Bedenken.

48Dass die falsche Angabe in der Sicherheitserklärung in das Jahr 2015 zurückreicht, mag (in der Regel) das Gewicht des Verstoßes gegen die Wahrheitspflicht verringern (vgl. 1 WB 28.21 - juris Rn. 34). Im vorliegenden Zusammenhang darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsteller bis zum Zeitpunkt der Vorlage des Antrags auf gerichtliche Entscheidung immer wieder versucht hat, (auch) sein diesbezügliches Verhalten - wie die Geheimschutzbeauftragten und das Bundesministerium der Verteidigung zutreffend hervorgehoben haben - zu relativieren und zu verharmlosen. Eine überzeugende kritische Reflektion seines Verstoßes ist ihm bisher nicht gelungen, worauf nicht zuletzt auch die Schutzbehauptungen und Ausflüchte in der Antragsbegründung deuten (zu dem Gesichtspunkt der mangelnden Einsicht eines Betroffenen in die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens im Rahmen der erforderlichen Prognoseentscheidung, vgl. 1 WB 21.16 - juris Rn. 40). Das durch eine fehlende ernsthafte Mitwirkung gekennzeichnete Verhalten des Antragstellers lässt überdies erkennen, dass ihm die Bedeutung des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens nicht im ausreichenden Maße bewusst ist und er hierfür auch nicht das erforderliche Verständnis entwickelt hat.

49Nicht zu beanstanden ist, dass der Geheimschutzbeauftragte der positiven Stellungnahme des Vorgesetzten des Antragstellers keine Bedeutung beigemessen hat. Diese Einschätzung bewertet (retrospektiv) die vom Antragsteller auf seinem Dienstposten erbrachten Leistungen, nicht vorbeugend das Risikopotential. Zu dessen Einschätzung ist nicht der dienstliche Vorgesetzte, sondern der Geheimschutzbeauftragte berufen ( 1 WB 32.21 - juris Rn. 52).

50Konkrete und praktikable Möglichkeiten, statt der Feststellung eines Sicherheitsrisikos lediglich Auflagen, Einschränkungen oder personenbezogene Sicherheitshinweise festzusetzen (Nr. 2605 Abs. 1 und 2602 ZDv A-1130/3) oder dem vorliegenden Sicherheitsrisiko durch Fürsorgemaßnahmen zu begegnen (Nr. 2608 ZDv A-1130/3), sind weder vom Antragsteller aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Insoweit ist daher nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte dem Sicherheitsinteresse Vorrang eingeräumt hat (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG, Nr. 2605 Abs. 4 ZDv A-1130/3). Den für den Antragsteller sprechenden Gesichtspunkten ist durch die Verkürzung der grundsätzlich fünfjährigen Wirkungsdauer der Feststellung (Nr. 2609 ZDv A 1130/3) auf drei Jahre Rechnung getragen worden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:290623B1WB29.22.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-47856