BGH Beschluss v. - StB 49/23

Voraussetzungen eines konsensualen Pflichtverteidigerwechsels

Gesetze: § 143a Abs 2 StPO, § 143a Abs 3 StPO, NotwVertNRG

Gründe

I.

1Dem Angeschuldigten wurde am noch im Ermittlungsverfahren Rechtsanwalt H.       als Pflichtverteidiger bestellt. Nachdem der Generalbundesanwalt gegen den Angeschuldigten und mehrere Mitangeschuldigte Anklage wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie weiterer Delikte bei dem Thüringer Oberlandesgericht erhoben hatte, hat dieses durch Beschluss vom den zuvor als Wahlverteidiger tätigen Rechtsanwalt K.    als zusätzlichen Pflichtverteidiger bestellt. Den Antrag des Angeschuldigten vom , Rechtsanwalt H.        zu entpflichten und stattdessen Rechtsanwalt Ha.    - „unter Verzicht auf die bisher entstandenen Gebühren des zu entpflichtenden Pflichtverteidigers“ - zu bestellen, hilfsweise nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO einen Verteidigerwechsel vorzunehmen, hat das Oberlandesgericht durch Beschluss des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Senates vom abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es an der für eine konsensuale Umbeiordnung erforderlichen Zustimmung von Rechtsanwalt H.         fehle und kein zerstörtes Vertrauensverhältnis im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO vorliege. Gegen den Beschluss hat der Angeschuldigte am sofortige Beschwerde eingelegt und vorgebracht, dass es der Zustimmung des bisherigen Pflichtverteidigers nicht bedürfe. Im Übrigen sei das Vertrauensverhältnis erschüttert, weil Rechtsanwalt H.        den Angeschuldigten seit über einem dreiviertel Jahr nicht in der Untersuchungshaft aufgesucht, ohne ersichtlichen Grund seine Zustimmung zu einem Pflichtverteidigerwechsel verweigert und ohne Rücksprache mit ihm eigene Ermittlungen durchgeführt habe.

II.

2Die nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Verteidigerwechsel zu Recht abgelehnt.

31. Die Voraussetzungen für einen konsensualen Pflichtverteidigerwechsel liegen nicht vor.

4a) Die einvernehmliche Entpflichtung eines bestellten Pflichtverteidigers und die Bestellung eines anderen Verteidigers ist durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom (BGBl. I S. 2128) nicht normiert worden. Nach dem zugrundeliegenden Gesetzentwurf sollte indes unbeschadet der gesetzlichen Neuregelung der zuvor in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte anerkannte „konsensuale und zeit- und kostenaufwandsneutrale Verteidigerwechsel weiterhin möglich bleiben“. Danach soll „auf Antrag des Beschuldigten die Bestellung des bisherigen Verteidigers zu widerrufen und der neue Verteidiger beizuordnen“ sein, „wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: Einverständnis des bisherigen Verteidigers und des neuen Verteidigers, keine Verfahrensverzögerung sowie keine Mehrbelastung für die Staatskasse“ (BT-Drucks. 19/13829 S. 47, s. auch S. 49). Dementsprechend wird ein konsensualer Verteidigerwechsel in Rechtsprechung und Schrifttum für zulässig erachtet (s. , juris Rn. 1; Saarländisches , juris Rn. 11; vgl. auch , juris Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 143a Rn. 31; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 143a Rn. 14).

5Wie bereits der Begriff des konsensualen Wechsels zeigt, erfordert ein solcher ein Einvernehmen zwischen dem bisherigen und dem künftigen Pflichtverteidiger sowie dem Beschuldigten. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann auf das Einverständnis des bislang bestellten Pflichtverteidigers nicht mit der Begründung verzichtet werden, dieser sei durch seine Entpflichtung nicht beschwert und habe dagegen kein eigenes Beschwerderecht (vgl. dazu , BGHSt 65, 106 Rn. 4 ff.).

6Der Gesetzeswortlaut bietet mangels Regelung keinen Anhaltspunkt dafür, auf das Einverständnis des bisherigen Verteidigers verzichten zu können. Die Intention des Gesetzgebers, der nach den Gesetzesmaterialien ausdrücklich das Einverständnis für notwendig erachtet hat, spricht ersichtlich dagegen. In systematischer Hinsicht ermöglichen § 143a Abs. 2 und Abs. 3 StPO den Wechsel des Pflichtverteidigers lediglich in bestimmten Konstellationen. Diese gesetzlichen Vorgaben drohen ausgehöhlt zu werden, wenn bereits der Wunsch des Beschuldigten, das Einverständnis des neuen Verteidigers und dessen Verzicht auf eigene Gebühren in Höhe schon angefallener Kosten einen Wechsel zur Folge haben können. Dies gilt insbesondere für die Voraussetzungen gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO, wonach für einen Wechsel das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört sein muss.

7Da der konsensuale Verteidigerwechsel nicht gesetzlich geregelt ist, ist den normierten Tatbeständen Vorrang zu geben. Wenn gleichwohl in Fortführung früherer Rechtsprechung über das Gesetz hinaus ein Wechsel möglich sein soll, spricht wenig dafür, diesen nicht normierten Ausnahmefall noch auszuweiten. Im Übrigen braucht das - sowohl nach der Rechtsprechung als auch nach der Gesetzesbegründung - für notwendig erachtete Einverständnis des bisherigen Pflichtverteidigers nicht ausschließlich in dessen eigenem Interesse zu bestehen (vgl. in Bezug auf eine missbräuchliche Verdrängung , NStZ 1993, 201, 202), sondern kann zugleich Nachweis dafür sein, dass mit dem nach § 143a StPO nicht erforderlichen Verteidigerwechsel kein besonderer zusätzlicher Aufwand und keine weiteren Komplikationen verbunden sind.

8b) Vor diesem Hintergrund fehlt das für einen konsensualen Verteidigerwechsel erforderliche Einverständnis von Rechtsanwalt H.         . Dieser hat sich ausdrücklich den Ausführungen des Generalbundesanwalts angeschlossen, mit denen die Zurückweisung des Antrags auf Verteidigerwechsel beantragt worden ist.

92. Ein Verteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist ebenfalls nicht veranlasst. Weder aus den vom Angeschuldigten vorgebrachten Umständen noch sonst ergibt sich, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeschuldigten und Rechtsanwalt H.         endgültig zerstört ist.

10a) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeschuldigten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen. Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeschuldigten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen für sich genommen die Entpflichtung nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 6/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 1 Rn. 10-11 mwN; vom - 1 StR 284/22, juris Rn. 2). Unabhängig davon kann von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt. Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält. Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein (s. insgesamt , juris Rn. 5 mwN).

11b) Hieran gemessen ist nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen.

12Nicht behebbare Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept sind dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.

13Ferner ist nicht ersichtlich, dass Rechtsanwalt H.        nicht in ausreichendem Maße Kontakt zu dem inhaftierten Angeschuldigten gehalten hat. Bereits nach den Darlegungen des - seit dem inhaftierten - Angeschuldigten hatte der Pflichtverteidiger zu diesem im Vorfeld eines Haftprüfungstermins am telefonisch und bei dem Termin direkten Kontakt. Später suchte er ihn im Juni 2022 in der Justizvollzugsanstalt auf. Wenige Tage nach Zustellung der Anklage an ihn im Mai 2023 informierte er den Angeschuldigten über den Verfahrensstand schriftlich und bot an, ihn auf Wunsch in der Justizvollzugsanstalt aufzusuchen; ansonsten werde er rund drei bis vier Wochen vor dem ersten Hauptverhandlungstermin zur Besprechung kommen. Die Tatsache, dass er den Angeschuldigten nicht unaufgefordert besuchte, begründet ebenso wenig wie die im Schriftsatz des neuen Verteidigers beanstandete Wortwahl eine endgültige Störung des Vertrauensverhältnisses. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Angeschuldigte bereits seit April 2022 neben dem Pflicht- einen Wahlverteidiger hatte. Der Pflichtverteidiger hat sich, wie sich aus seinem Schreiben an den Angeschuldigten ergibt, weiter um den Austausch mit diesem trotz des sich auf objektive Umstände stützenden Eindrucks bemüht, dieser schenke sein Vertrauen allein dem Wahlverteidiger.

14Schließlich begründet die Weigerung des Pflichtverteidigers, seine Zustimmung zu einem konsensualen Verteidigerwechsel zu erklären, keinen Vertrauensverlust. Führte allein die Versagung des Einverständnisses zu einem Vertrauensverlust und schüfe so die Voraussetzung für einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO, verlöre das Einverständnis seine Bedeutung als eigenständiges ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal.

15Die vom Angeschuldigten vorgebrachten Gesichtspunkte reichen auch in ihrer Gesamtheit nicht aus, um eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses darzutun.

Schäfer                    Hohoff                    Anstötz

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:100823BSTB49.23.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-47365