BSG Beschluss v. - B 7 AS 54/23 B

Gründe

1I. Mit Urteil vom hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen. Der Senat hat auf den Antrag der Klägerin, ihr zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG PKH zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, PKH bewilligt und Rechtsanwalt H, C, beigeordnet (Beschluss vom ). Dieser Beschluss ist der Klägerin am zugestellt worden; am hat der beigeordnete Rechtsanwalt Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und mitgeteilt, die Begründung der Beschwerde bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Auf Hinweis des Gerichts (vom ), dass die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am abgelaufen sein dürfte, hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Einlegungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde beantragt und am die Beschwerdebegründung vorgelegt.

2II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG ist abzulehnen.

3Die Beschwerde der Klägerin ist verfristet und damit unzulässig. Nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils - hier: am - einzulegen. Die Klägerin hat die Beschwerde jedoch nicht innerhalb der am abgelaufenen Frist eingelegt, sondern erst am .

4Der Klägerin ist nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde zu gewähren. Ist jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs 1 SGG). Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 67 Abs 2 Satz 1 bis 3 SGG).

5Einem Beteiligen, der innerhalb der Rechtsmittelfrist - wie hier - ordnungsgemäß einen PKH-Antrag gestellt hat, ist folglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn das Rechtsmittel binnen eines Monats nach Zustellung des PKH bewilligenden Beschlusses formgerecht eingelegt wird (stRspr; vgl nur - SozR 3-1500 § 67 Nr 5 S 12 f mwN). Die Klägerin hat jedoch nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses - mit Zustellung der Entscheidung über die Bewilligung von PKH an sie am - die versäumte Rechtshandlung - hier die Beschwerdeeinlegung beim BSG - nachgeholt (§ 67 Abs 2 Satz 3 und 4 SGG), sondern erst am . Maßgeblich für den Fristbeginn ist die Zustellung beim Beteiligten, wenn diesem ein - wie hier - zuvor nicht für ihn tätig gewordener Rechtsanwalt beigeordnet wird. Hierdurch wird eine Gleichstellung von prozesskostenhilfebedürftigen und nicht prozesskostenhilfebedürftigen Beteiligten erreicht. Der Prozessbeteiligte muss sich nach der Beiordnung selbst um die Mandatierung kümmern, sodass bis dahin (vgl § 73 Abs 6 Satz 6 SGG) fristauslösend die Zustellung bei ihm ist (grundlegend - SozR 1500 § 64 Nr 1; - RdNr 6 ).

6Die Klägerin versäumte die Frist zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung nicht schuldlos. Die Nichteinhaltung der einmonatigen Frist zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung beruht vielmehr auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das der Klägerin zuzurechnen ist (§ 73 Abs 6 Satz 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO). Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist ( - SozR 4-1500 § 67 Nr 7 RdNr 14). Ohne Verschulden iS des § 67 Abs 1 SGG ist eine Frist nur versäumt, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaft Prozessführenden nach den gesamten Umständen zuzumuten ist ( - SozR 4-1750 § 175 Nr 1 RdNr 15; - RdNr 8 mwN). Das Verhalten des Prozessbevollmächtigten ist dagegen nicht schuldhaft, wenn er darlegen kann, dass es zu einem Büroversehen gekommen ist, obwohl er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl zusammenfassend - RdNr 8 mwN). Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt; er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung zu vergewissern (vgl etwa - NJW 2008, 2589 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 67 RdNr 8d mwN).

7Der Prozessbevollmächtigte hat vorgetragen, dass seine langjährig tätige und zuverlässige Mitarbeiterin das gerichtliche Schreiben vom , mit dem auf den Lauf der Fristen nach Bewilligung von PKH informiert worden ist und dem der Beschluss über die PKH-Bewilligung vom beigefügt war, am entgegengenommen und darauf Frist zur Einlegung der Beschwerde auf den und zur Begründung auf den notiert habe. Irrtümlich sei für den Fristbeginn damit auf die Zustellung an die Kanzlei, nicht an die Klägerin, abgestellt worden. Die Rechtsanwaltsfachangestellte habe gegen die klare Anweisung verstoßen, das Fristen auslösende Schriftstück sorgfältig vor dem Notieren der Fristen durchzulesen, was dem derzeitigen überobligatorischen Arbeitsdruck geschuldet sei. Über Regelungen zur Fristenkontrolle und die Bedeutung würden die Mitarbeitenden regelmäßig belehrt, mindestens zweimal jährlich. Zwar sei der Vorgang nach Notierung der Fristen ihm, dem Bevollmächtigten, weisungsgemäß vorgelegt worden. Er habe jedoch nur überprüft, ob Fristen notiert worden seien, nicht aber, ob der Fristbeginn zutreffend bestimmt worden ist.

8Es kann dahingestellt bleiben, ob unter Berücksichtigung dieses Vorbringens von einem Versäumnis der Rechtsanwaltsfachangestellten ausgegangen werden kann, das dem Prozessbevollmächtigten ggf zuzurechnen ist. Denn es liegt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten selbst vor. Delegierbar sind grundsätzlich nur Routineangelegenheiten. Die Berechnung von Fristen, die nicht zu den Routinefristen gehören, muss der Rechtsanwalt selbst übernehmen ( B 11a AL 93/05 B). Dazu gehört auch die Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach erstmaliger Beiordnung im PKH-Verfahren, weil es sich hierbei wegen der höchstrichterlichen Spruchpraxis zum Fristenlauf nach PKH-Bewilligung um den Fall einer unüblichen und schwierigen Fristberechnung handelt ( - RdNr 8 unter Verweis auf ; so auch zur Frist zur Begründung einer NZB - mwN; zur Begründungsfrist im arbeitsgerichtlichen Verfahren - mwN).

9Dass die Berechnung einer Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach PKH-Bewilligung durch das BSG zu den Routinefristen der Kanzlei gehört, ist nicht vorgetragen. Selbst wenn hier der Bürokraft gleichwohl die Berechnung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hätte überlassen werden dürfen, hätte der Prozessbevollmächtigte sich nicht darauf beschränken dürfen, nur die Notierung der Fristen zu prüfen. Vielmehr hätte er die Richtigkeit der Fristberechnung im konkreten Fall - auch und gerade vor dem Hintergrund der von ihm behaupteten überobligatorischen Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden in der Kanzlei - überprüfen müssen. Dies ist nach seinem eigenen Vortrag nicht erfolgt. Das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten, es benachteilige Prozessführende auch nach Bewilligung von PKH, wenn für die Fristberechnung nicht auf die Zustellung des Beschlusses beim Bevollmächtigten, sondern der klagenden Person abgestellt werde, ist für die Beurteilung seines Verschuldens unerheblich. Im gerichtlichen Schreiben vom , auf dem die Fristen notiert worden sind und das der Rechtsanwalt nach eigenem Bekunden als solches gesehen hat, wird unter Ziff 1 darauf hingewiesen, dass „die Einlegung einer formgültigen Nichtzulassungsbeschwerde nach Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung von PKH an die Antragstellerin innerhalb der Monatsfrist des § 67 Abs 2 SGG nachzuholen“ sei. Selbst wenn er insoweit eine andere Rechtsauffassung vertritt, hätte er nach Lektüre der Hinweise zumindest aus Gründen der Rechtssicherheit dem gerichtlichen Hinweis folgen und insoweit den sichersten Weg wählen müssen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:060723BB7AS5423B0

Fundstelle(n):
LAAAJ-47290