BGH Beschluss v. - V ZB 3/23

Nachbarrecht: Anforderungen an die Berufungsbegründung bei Geltendmachung eines Beseitigungsanspruchs für einen geringfügigen Überbau

Gesetze: § 275 Abs 2 S 2 BGB, § 912 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 2 BGB, § 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 27 U 4750/22vorgehend LG Augsburg Az: 101 O 2330/20

Gründe

I.

1Der Kläger zu 1 hat einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück der Klägerin zu 2 erworben, ist aber noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Der Beklagte zu 2 ist Eigentümer des Nachbargrundstücks, das die Beklagte zu 1 gepachtet hat. Die Beklagten ließen 2014 eine Maschinenhalle errichten, durch die das Grundstück der Klägerin zu 2 um ca. 7 m² überbaut wurde.

2Die Kläger nehmen mit ihrer Klage die Beklagten auf Beseitigung des Überbaus und Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

3Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig. Zwar erfülle die Berufungsbegründung die Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, soweit sich die Kläger gegen die Begründung des Landgerichts wendeten. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit der überbauenden Beklagten könne nicht festgestellt werden. Nicht angegriffen werde aber die selbständig tragende Begründung des Landgerichts, dass nach dem gerichtlichen Sachverständigengutachten die Kosten für die Beseitigung des Überbaus mindestens 50.000 € betrügen und diese Kosten wegen der geringen überbauten Fläche unverhältnismäßig seien.

III.

4Das hält rechtlicher Nachprüfung im Verhältnis zu dem Kläger zu 1 stand. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 2 hat hingegen Erfolg.

51. Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Klägers zu 1 ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss den Kläger zu 1 nicht in seinem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung des Klägers zu 1 entspreche inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO, ist - allerdings nur im Ergebnis - nicht zu beanstanden.

6a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmte Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 90/20, juris Rn. 5 mwN; VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 7 mwN; Beschluss vom - VII ZB 43/21, juris Rn. 6).

7b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers zu 1 nicht gerecht. Das Berufungsgericht setzt sich - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - nicht damit auseinander, dass das Landgericht bereits die Aktivlegitimation des Klägers zu 1 verneint hat, da er nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. Gegen diese - die Klageabweisung selbständig tragende - Erwägung des Landgerichts bringt die Berufungsbegründung des Klägers zu 1 nichts vor.

82. a) Demgegenüber ist die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 2 auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Berufungsbegründung überspannt und dadurch der Klägerin zu 2 den Zugang zu der Rechtsmittelinstanz in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert. Dies verletzt deren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 154/06, NJW 2007, 1534 Rn. 9; Beschluss vom - V ZB 28/13, juris Rn. 5).

9b) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin zu 2 nicht unter Verweis darauf als unzulässig verwerfen dürfen, dass die Berufungsbegründung nicht die Mindestanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erfülle.

10aa) Das Landgericht hat angenommen, es könne nicht nachvollzogen werden, warum es zu einem Überbau gekommen sei; Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit ließen sich nicht feststellen. Zudem seien die Kosten der Beseitigung, welche der Sachverständige mit 50.000 € beziffert habe, im Verhältnis zum Umfang der Überbauung unverhältnismäßig.

11bb) Die Berufungsbegründung wendet sich zunächst, wie das Berufungsgericht richtig sieht, gegen die Annahme des Landgerichts, Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit der Beklagten könne nicht festgestellt werden, so dass eine Pflicht zur Duldung des Überbaus bestehe (§ 912 Abs. 1 i.V.m. § 1004 Abs. 2 BGB). Anders als das Berufungsgericht meint, greift die Klägerin zu 2 in ihrer Berufungsbegründung aber auch die Würdigung des Landgerichts an, die Kosten für die Beseitigung des Überbaus von mindestens 50.000 € seien wegen der geringen überbauten Fläche unverhältnismäßig. In der Berufungsbegründung heißt es insoweit, die Beseitigungskosten seien nicht unverhältnismäßig hoch und letztendlich dem Umstand geschuldet, dass eine vorsätzliche bzw. grob fahrlässige Überbauung im Sinne des § 912 Abs. 1 BGB vorliege. Damit wendet sich die Klägerin zu 2 zwar nicht gegen die Höhe der sachverständig ermittelten Beseitigungskosten. Sie bringt aber hinreichend zum Ausdruck, dass sie die Auffassung des Landgerichts, die Beseitigungskosten von mindestens 50.000 € seien unverhältnismäßig, deshalb für unrichtig hält, weil bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit das Verschulden der Überbauenden eine Rolle spielen müsse. In der Sache nimmt sie damit Bezug auf § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB (vgl. dazu Senat, Urteil vom - V ZR 97/67, NJW 1970, 1180, 1181; Urteil vom - V ZR 184/07, NJW 2008, 3122 Rn. 19; Urteil vom - V ZR 171/07, NJW 2008, 3123 Rn. 23 f.). Damit ist den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entsprochen. Ob die Ausführungen der Klägerin zu 2 schlüssig sind und unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten Erfolg haben, ist für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung (vgl. , MDR 2022, 428 Rn. 18, 22; Beschluss vom - VII ZB 43/21, juris Rn. 6 mwN).

123. Nach alledem hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zu 1 zu Recht, die Berufung der Klägerin zu 2 hingegen zu Unrecht als unzulässig verworfen. Hinsichtlich der Entscheidung über die Berufung des Klägers zu 1 hat der Beschluss des Berufungsgerichts Bestand; die Verwerfung einer Berufung als unzulässig kann auf einzelne Streitgenossen begrenzt werden (vgl. , NJW-RR 2017, 1341 Rn. 12). Im Übrigen unterliegt der Beschluss der Aufhebung und ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:200723BVZB3.23.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-46535