BVerwG Beschluss v. - 1 B 48/22

Verweigerung des Militärdienstes im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bei fehlendem Einberufungsbefehl

Gesetze: § 3 Abs 2 Nr 5 AsylVfG 1992, § 108 Abs 1 S 1 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Az: 1 LB 484/21 Urteilvorgehend Az: 5 K 536/18 Urteil

Gründe

1Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

21. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

31.1 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom - 1 B 1.14 - AUAS 2014, 110 und vom - 1 B 7.15 - juris Rn. 3).

41.2 Danach rechtfertigt die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,

"ob der Tatbestand einer Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ausschließlich bei demjenigen gegeben sein kann, der bereits Militärangehöriger ist bzw. für den ein - konkretisiert ihm gegenüber geltender - Einberufungsbefehl vorliegt, folglich Personen, bei denen diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, von vorneherein vom personellen Anwendungsbereich des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG auszunehmen sind",

schon deswegen nicht die Revisionszulassung, weil sie - jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde (vgl. 1 B 11.05 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 32 S. 13 m. w. N.) - im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ( [ECLI:EU:C:2020:945], EZ -) bereits dahingehend geklärt ist, dass eine Verweigerung des Militärdienstes im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG grundsätzlich auch durch einen Schutzsuchenden erfolgen kann, der noch kein Militärangehöriger ist oder der noch keinen Einberufungsbefehl erhalten hat (vgl. im Einzelnen 1 C 22.21 - juris Rn. 18 ff.).

5§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) (ABl. L 337 S. 9, ber. ABl. 2017 L 167 S. 58, nachfolgend RL 2011/95/EU) dahingehend auszulegen - wie vom Berufungsgericht ohne Bundesrechtsverstoß geschehen (UA S. 14 f.) -, dass die genannten Vorschriften es, wenn das Recht des Herkunftsstaates die Möglichkeit der Verweigerung des Militärdienstes nicht vorsieht und es dementsprechend kein Verfahren zu diesem Zweck gibt, nicht verwehren, diese Verweigerung auch für den Fall festzustellen, dass der Betroffene seine Verweigerung nicht in einem bestimmten Verfahren formalisiert hat und aus seinem Herkunftsland geflohen ist, ohne sich der Militärverwaltung zur Verfügung zu stellen. Maßgeblich ist, dass diese Verweigerung das einzige Mittel darstellt, das es dem Antragsteller erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG zu entgehen. Ist diese Verweigerung nach dem Recht des Herkunftsstaates rechtswidrig und ist der Antragsteller durch die Verweigerung der Strafverfolgung und Bestrafung ausgesetzt, so kann von ihm vernünftigerweise nicht verlangt werden, dass er jene vor der Militärverwaltung zum Ausdruck gebracht hat ( - Rn. 27 ff.).

6Erfordert eine Verweigerung des Militärdienstes damit nicht, dass sich der Betroffene zuvor der Militärverwaltung zur Verfügung gestellt haben muss, so setzt sie auch nicht voraus, dass der Betroffene im Zeitpunkt der Verweigerung den Militärdienst bereits angetreten haben oder Angehöriger des Militärs sein muss. Dies folgt auch daraus, dass für einen Wehrpflichtigen, der seinen Militärdienst in einem Konflikt verweigert, seinen künftigen militärischen Einsatzbereich aber nicht kennt, die Ableistung des Militärdienstes in einem Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs, der durch die wiederholte und systematische Begehung von Verbrechen oder Handlungen im Sinne des Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist, unabhängig vom Einsatzgebiet unmittelbar oder mittelbar die Beteiligung an solchen Verbrechen oder Handlungen umfassen würde ( - Rn. 38). Eine solche Situation kann nicht nur bei einem Militärangehörigen, sondern auch bei Personen eintreten, deren Einberufung alsbald bevorsteht (vgl. 1 C 22.21 - juris Rn. 23).

7Allerdings reichen die dargestellten Umstände nicht für den Nachweis aus, dass der Antragsteller den Militärdienst tatsächlich verweigert hat. Nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. a, b und c RL 2011/95/EU ist dies wie die anderen zur Stützung des Antrags auf internationalen Schutz vorgebrachten Anhaltspunkte unter Berücksichtigung aller mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, der maßgeblichen Angaben des Antragstellers und der von ihm vorgelegten Unterlagen sowie seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Umstände zu prüfen ( - Rn. 31).

8Weitergehenden Klärungsbedarf legt die Beschwerde nicht dar.

91.3 Die Revision ist auch nicht wegen der als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage,

"welche Anforderungen an die Voraussetzungen der Zumutbarkeit des Freikaufs zu stellen sind und ob alleine die Berufung auf die Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits die Zumutbarkeit des Freikaufs ausschließt",

zuzulassen, weil die Frage nach der Zumutbarkeit des Freikaufs keine revisionsrechtlich klärungsfähige abstrakte Rechtsfrage ist, sondern von der Würdigung der besonderen Umstände im jeweiligen Einzelfall abhängig ist (vgl. zur Zumutbarkeit einer Mitwirkungshandlung nach § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG 2004 1 B 54.06 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 4 Rn. 4). Hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts der "Zahlungsunfähigkeit" hat die Beschwerde zudem die Entscheidungserheblichkeit der Frage nicht dargelegt. Das Berufungsgericht geht nämlich ausdrücklich davon aus, dass der Kläger - unabhängig davon, ob die Freikaufsregelungen vom syrischen Staat überhaupt beachtet würden - weder bei Erreichen des wehrpflichtigen Alters noch derzeit in der Lage sei, die finanziellen Mittel für das Wehrersatzgeld aufzubringen (UA S. 22). Das Berufungsgericht hat sich damit anders als die Beschwerde behauptet nicht allein auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gestützt.

101.4 Des Weiteren ist die Revision auch nicht wegen der Frage,

"welche Prognoseanforderungen im Fall einer generalisiert und unabhängig von der künftigen militärischen Verwendung drohenden Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bestehen, namentlich, ob es für deren Feststellung quantitativer Ermittlungen und Feststellungen dazu bedarf, in welchem Umfang sich (einfache) Wehr- bzw. Militärdienstpflichtige unfreiwillig an Kriegsverbrechen unmittelbar oder zumindest mittelbar beteiligen mussten bzw. müssen",

zuzulassen, da sie ebenfalls durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt ist.

11Das Berufungsgericht (UA S. 16) ist ohne Bundesrechtsverstoß unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ( - Rn. 34 ff.) davon ausgegangen, dass es allein den staatlichen Behörden unter gerichtlicher Kontrolle obliegt zu prüfen, ob die Ableistung des Militärdienstes durch den Antragsteller, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, diesen zwangsläufig oder zumindest sehr wahrscheinlich veranlassen würde, Verbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu begehen. Diese Tatsachenwürdigung muss sich auf ein Bündel von Indizien stützen, das geeignet ist, in Anbetracht aller relevanten Umstände - insbesondere der mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, sowie der individuellen Lage und der persönlichen Umstände des Antragstellers - zu belegen, dass die Gesamtsituation die Begehung der behaupteten Kriegsverbrechen plausibel erscheinen lässt ( - Rn. 35 unter Hinweis auf [ECLI:EU:C:2015:117] - Rn. 46). Ein einzelnes quantitatives Kriterium ist dem nicht zu entnehmen (vgl. hierzu 1 C 22.21 - juris Rn. 37 ff., 40).

12Weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

131.5 Schließlich rechtfertigt auch die Frage,

"ob die Tatsachengerichte im Fall einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG aufgrund der vom (Rs. C-238/19) entwickelten Verknüpfungsvermutung bei unklarer Erkenntnislage von der Verpflichtung enthoben sind, sich die i.S.d. § 108 VwGO nötige Überzeugungsgewissheit von der Verknüpfung der Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund zu verschaffen",

nicht die Zulassung der Revision, weil die Entscheidungserheblichkeit der Frage bereits nicht dargelegt ist. Das Berufungsgericht (UA S. 28) hat vielmehr unter ausdrücklichem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ( 1 B 2.21 - juris Rn. 10; vgl. zuletzt 1 C 22.21 - juris Rn. 50 ff.), nach der die vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellte "starke Vermutung" von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Prüfung in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände steht und damit keine unwiderlegliche Vermutung oder starre Beweislastregel darstellt, die eine richterliche Überzeugungsbildung nach den zu § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entwickelten Grundsätzen ausschließt, die Situation in Syrien und die individuellen Umstände des Klägers im Einzelnen geprüft und auf dieser Grundlage das Bestehen einer Verknüpfung bejaht (UA S. 27 ff.). Auch hat das Berufungsgericht die "starke Vermutung" als tatsächlichen Erfahrungssatz (UA S. 28, vgl. hierzu ebenfalls 1 C 22.21 - juris Rn. 47) in seine Prüfung, ob eine Verknüpfung besteht, einbezogen.

14Dass das Berufungsgericht dabei zu einem anderen Ergebnis gelangt ist als von der Beschwerde und der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten, rechtfertigt nicht die Annahme, das Berufungsgericht habe sich "ersichtlich" keine volle richterliche Überzeugungsgewissheit verschafft. Die Ausführungen der Beschwerde erschöpfen sich vielmehr in einer allgemeinen Urteilskritik und greifen hier lediglich die anderslautende Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an, auf die eine Revisionszulassung aber nicht gestützt werden kann.

152. Die Revision ist auch nicht wegen der ebenfalls geltend gemachten Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Die Rüge, die Berufungsentscheidung weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, bleibt ohne Erfolg.

162.1 Die Beschwerde hat einen solchen Zulassungsgrund bereits nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt.

17Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten, ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z. B. 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

182.2 Einen divergierenden Rechtssatz zum 1 C 31.18 - zeigt die Beschwerde nicht auf; ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht hat schon keinen Rechtssatz aufgestellt, nach dem das Tatsachengericht aufgrund der vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Vermutungsregel in der Sonderkonstellation des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht gehalten sei, sich bei einer unklaren Erkenntnislage die nach § 108 Abs. 1 VwGO erforderliche volle Überzeugungsgewissheit zu verschaffen. Vielmehr verweist das Berufungsgericht - wie oben ausgeführt - ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bildung einer vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit. Des Weiteren geht es - revisionsgerichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden - davon aus, dass die vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellte starke Vermutung als tatsächlicher Erfahrungssatz in die Prüfung einzubeziehen ist. Vor diesem Hintergrund muss der Frage, ob das Berufungsgericht hier überhaupt von einer unklaren Erkenntnislage ausgeht, nicht weiter nachgegangen werden.

193. Die Revision ist schließlich nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, das Berufungsgericht habe gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO und den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen.

203.1 Die Rüge einer Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO erfordert eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. 8 B 1.20 - juris Rn. 10). Zudem ist substantiiert darzulegen, dass sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf entscheidungserhebliche tatsächliche Feststellungen bezieht und die Entscheidung mithin auf diesem auch beruhen kann.

21Nach § 108 Abs. 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Ein einen Verfahrensfehler begründender Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung kann ausnahmsweise insbesondere dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet ( 1 B 95.21 - juris Rn. 21 m. w. N.).

223.2 Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsgericht habe seine Amtsaufklärungspflicht verletzt, weil es bei der Frage der Verweigerung des Militärdienstes die persönlichen Umstände des Klägers nicht berücksichtigt, insbesondere keine Feststellungen zur Vorladung des Klägers getroffen habe, ist bereits nicht dargetan, welche Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Auch ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass bereits im Verfahren vor dem Berufungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die vermisste Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden wäre oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen.

23Abgesehen davon hat das Berufungsgericht, die von der Beschwerde angesprochenen Umstände berücksichtigt (UA S. 15).

243.3 Auch die Rüge der Beschwerde, das Berufungsgericht verstoße gegen Verfahrensrecht, weil es "aus der nicht eindeutig zu ermittelnden Faktenlage, welche Bestrafung einem Wehrdienstverweigere[r] droht, den rechtlichen Schluss zieht, die Furcht des Klägers vor Verfolgung sei begründet", bleibt ohne Erfolg. Ein Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist insoweit ebenfalls weder im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO schlüssig dargelegt noch ist dieser in der Sache ersichtlich.

25Das Berufungsgericht führt zwar eingangs (UA S. 22 ff.) zur Frage, welche Folgen eine Wehrdienstentziehung für syrische Wehrpflichtige hat, aus, dies werde in den Erkenntnismitteln nicht eindeutig beantwortet. Das Berufungsgericht bezieht sich insoweit aber auf diverse mögliche Folgen einer Wehrdienstverweigerung wie z. B. auch die Durchführung eines Strafprozesses, für die es hinreichende Anhaltspunkte in den Materialien verneint. Hinsichtlich der Inhaftierung ist es hingegen der Auffassung, dass diese beachtlich wahrscheinlich zu erwarten sei (UA S. 23, 24). Es bestehen daher keine Anhaltspunkte, dass sich das Berufungsgericht nicht die volle richterliche Überzeugungsgewissheit im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO gebildet hat.

26Soweit die Beschwerde darüber hinaus einen Verstoß gegen das "Gebot der erschöpfenden Aufarbeitung des eingeführten Tatsachenmaterials und damit gegen die Pflicht zur vollständigen Sachverhaltserfassung aus § 108 Abs. 1 VwGO" geltend macht, weil das Berufungsgericht die Erkenntnismittel nicht vollumfänglich ausgewertet habe, insbesondere anderslautende Aussagen zur Inhaftierung von Wehrdienstverweigerern aus dem Bericht des Danish Immigration Service (DIS, Syria - Military Service, Mai 2020) nicht beachtet habe, lässt sich daraus der Vorwurf einer selektiven Verwertung nicht herleiten. Das Berufungsgericht hat seine im Einzelnen begründete Einschätzung und Würdigung vielmehr aus mehreren Erkenntnismitteln abgeleitet (UA S. 23 f.). Dabei war es nicht verpflichtet, jede Einzelheit oder alle sich etwa nicht voll entsprechenden Angaben in den eingeführten Erkenntnismitteln einander gegenüber zu stellen und ausführlich zu bewerten ( 1 B 463.02 - juris Rn. 5 m. w. N.). Aus der Nichterwähnung einzelner Umstände kann regelmäßig nicht geschlossen werden, das Gericht habe diese bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Nichterwähnung einzelner Erkenntnismittel oder Passagen eines Erkenntnismittels. Im Allgemeinen genügt es vielmehr, wenn der Begründung entnommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht seiner Pflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt und seiner Entscheidung das Vorbringen der Beteiligten sowie den festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde gelegt hat. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass ein Gericht seine Pflicht zur richtigen und vollständigen Berücksichtigung des entscheidungserheblichen, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens geschöpften Tatsachenstoffs verletzt hat, kann ein Verstoß im Einzelfall festgestellt werden (vgl. zum Ganzen 1 B 463.02 - juris Rn. 5 m. w. N.).

27Die Beschwerde legt des Weiteren auch nicht dar, inwiefern die hier behauptete selektive Verwertung einzelner Erkenntnismittel einen Verfahrensverstoß durch pflichtwidrig unterlassene Aufklärung nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO - wie wohl ebenfalls geltend gemacht - enthalten soll. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung - soweit vorhanden - sind regelmäßig revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz - wie hier von der Beschwerde ausführlich erhoben - kann daher ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründet werden. Ein Verfahrensverstoß kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen und deshalb seiner Überzeugungsbildung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, oder allenfalls noch bei einer von Willkür geprägten Beweiswürdigung ( 1 B 463.02 - juris Rn. 5 m. w. N.). Für eine derart grobe und eindeutige Verletzung des Gebots der freien Beweiswürdigung lässt sich der Beschwerde aber nichts entnehmen und ist eine solche auch nicht ersichtlich.

283.4 Eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO und der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 VwGO ist von der Beschwerde auch nicht insoweit im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, als sie geltend macht, das Berufungsgericht habe mit dem Freikauf und der Statusbereinigung zumutbare Möglichkeiten des Klägers zur Vermeidung einer Bestrafung außer Acht gelassen.

29Die Beschwerde legt nicht dar, wie das Berufungsgericht diese Möglichkeiten des Klägers für einen Freikauf oder eine Statusbereinigung hätte feststellen sollen, mithin welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür geeignet und erforderlich gewesen wären. Auch verhält sich die Beschwerde nicht dazu, welche Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären, sondern belässt es bei dem Hinweis auf ein vermutlich anderes Entscheidungsergebnis. Insbesondere zeigt die Beschwerde nicht auf, welche konkreten Tatsachenfeststellungen oder Beweiserhebungen übergangen worden seien. Die Beschwerdebegründung enthält zudem keine Ausführungen dazu, beim Berufungsgericht auf eine weitere Sachaufklärung hingewirkt zu haben. Es wird auch nicht dargetan, dass sich die für notwendig erachtete Sachaufklärung dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen. Die bloße Behauptung, diese hätte sich dem Berufungsgericht aufdrängen müssen, genügt hierfür nicht.

303.5 Auch der Vorwurf der Beschwerde, das Berufungsgericht hätte seine gerichtliche Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil es keine quantitative Überprüfung vorgenommen und Feststellungen dazu getroffen habe, in welchem Umfang eingezogene Militärdienstpflichtige tatsächlich gezwungen seien, sich unmittelbar oder mittelbar an Kriegsverbrechen zu beteiligen, greift nicht durch. Auch insoweit genügt das Vorbringen der Beschwerde bereits nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO (vgl. zum Erfordernis einer quantitativen Ermittlung zudem die Ausführungen unter 1.4).

313.6 Soweit die Beschwerde mit der Verletzung des "Gebots der Einheitlichkeit der Rechtsprechung" sinngemäß einen Verstoß gegen die sich aus dem Überzeugungsgrundsatz (Begründungspflicht, § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO) ergebende Pflicht, sich im Rahmen der Feststellung und Würdigung der Lage im betreffenden Herkunftsland mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe auseinanderzusetzen, rügen dürfte, führt auch dies nicht zur Zulassung der Revision.

32Ein rügefähiger Verfahrensfehler liegt unter dem Gesichtspunkt der (grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnenden) Auseinandersetzungspflicht nur vor, wenn sich ein Beteiligter einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu eigen macht und es sich hierbei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen handelt, auf das das Berufungsgericht in den Urteilsgründen nicht eingeht und sich auch sonst aus dem gesamten Begründungszusammenhang nicht erkennen lässt, dass und in welcher Weise es diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat (vgl. 1 B 93.21 - juris Rn. 9 m. w. N.).

33Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht. Daraus geht schon nicht hervor, dass und welche tatrichterlichen Feststellungen anderer Oberverwaltungsgerichte sich die Beklagte als Parteivortrag zu eigen gemacht hatte, mit dem sich das Berufungsgericht nicht oder nicht hinreichend auseinandergesetzt haben soll. Der (pauschale) Verweis der Beschwerdebegründung auf drei Entscheidungen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung, in denen den Erkenntnismitteln zu Syrien keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Unterstellung oder Zuschreibung einer oppositionellen Haltung von Wehrdienstverweigerern entnommen worden seien, genügt insoweit nicht, zumal sich das Berufungsgericht mit der abweichenden Rechtsprechung anderer Obergerichte durchaus auseinandergesetzt hat (UA S. 27 ff.).

344. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:210623B1B48.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-46206