BGH Urteil v. - X ZR 119/22

Instanzenzug: LG Memmingen Az: 13 S 676/22vorgehend AG Memmingen Az: 22 C 1347/21

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf teilweise Erstattung des Beförderungsentgelts für einen gebuchten, aber nicht angetretenen Flug in Anspruch.

2Der Zedent war zusammen mit einer weiteren Reisenden am 23. und auf von der Beklagten durchzuführende Flüge von Memmingen nach Sofia und zurück gebucht. Für die Flugtickets bezahlte der Zedent insgesamt 200,68 Euro.

3Der Zedent und die weitere Reisende traten weder den Hin- noch den Rückflug an.

4Nach Abtretung der sich aus der Stornierung ergebenden Ansprüche forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung des auf Steuern, Gebühren und Entgelte entfallenden Anteils des Buchungspreises auf. Dieser Anteil beträgt 71,88 Euro. Die Beklagte leistete keine Zahlung.

5Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 71,88 Euro nebst Zinsen verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

6Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision strebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage an. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

7Die zulässige Revision ist unbegründet.

8I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9Das Amtsgericht habe seine internationale Zuständigkeit zu Recht bejaht. Der geltend gemachte Anspruch auf Rückgewähr des Entgelts sei als Anspruch aus einem Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Brüssel Ia zu qualifizieren. Die Gerichtsstandklausel in den Allgemeinen Beförderungsbestimmungen der Beklagten sei unwirksam, weil sie den Kunden unangemessen benachteilige. Darauf dürfe sich auch die Klägerin als Zedentin berufen.

10Ebenfalls unwirksam seien die in den Allgemeinen Beförderungsbestimmungen enthaltenen Klauseln über ein Abtretungsverbot und die Anwendbarkeit irischen Rechts.

11Auf der Grundlage des danach maßgeblichen deutschen Rechts habe die Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 und § 648 Satz 2 BGB einen Anspruch auf Erstattung des Beförderungsentgelts in Höhe der Steuern, Gebühren und Entgelte, die die Beklagte infolge des Nichtantritts der Flüge nicht habe abführen müssen.

12§ 648 Satz 2 BGB sei entgegen der Auffassung der Beklagten auch im Streitfall anwendbar. Es sei anerkannt, dass im Gesamtpreis enthaltene Steuern, Gebühren und Entgelte zu erstatten seien, wenn der Flug nicht angetreten werde, da diese Kosten nur anfielen, wenn der Fluggast die Beförderungsleistung tatsächlich in Anspruch nehme. Dass im Streitfall die Flugnebenkosten nicht in den Flugpreis einberechnet seien, führe nicht zu einer anderen Beurteilung, da sie auch in diesem Fall als ersparte Aufwendungen im Sinne von § 648 Satz 2 BGB anzusehen seien. Dafür spreche der Wortlaut der Vorschrift, der nicht voraussetze, dass die Aufwendungen Teil der vereinbarten Vergütung seien. Die Flugnebenkosten stellten auch nicht bloße allgemeine Geschäftskosten dar, die nicht zu den abzuziehenden Aufwendungen gehörten, sondern wiesen einen spezifischen Bezug zur Flugbeförderung auf. Die Beklagte habe mit ihrem Geschäftsmodell, die Flugnebenkosten nicht in den Flugpreis einzurechnen, das Risiko selbst gesetzt. Auch das in § 648 Satz 2 BGB verankerte Bereicherungsverbot spreche nicht gegen die Annahme einer Erstattungspflicht. Es widerspreche den Grundsätzen des Verbraucherschutzes, wenn Luftfahrtunternehmen dadurch über die Erstattungsfähigkeit von Steuern und Gebühren bestimmen könnten, dass sie diese nicht als Bestandteil des Flugpreises ausweisen. Außerdem würden die Wertungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man aus dem Recht zur freien Preisbildung folgerte, dass Luftverkehrsunternehmen Bestimmungen des nationalen Rechts zulasten ihrer Vertragspartner unterlaufen dürften.

13II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

141. Zu Recht und von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht die - auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende - internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bejaht.

152. Ebenfalls nicht angegriffen und rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin aktivlegitimiert ist und dass das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nach deutschem Recht zu beurteilen ist.

163. Wie das Berufungsgericht ebenfalls zu Recht ausgeführt hat, unterliegt ein Personenbeförderungsvertrag den Vorschriften über den Werkvertrag (, NJW 2018, 2039 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 97/14, NJW 2016, 2404 Rn. 14).

17a) Soweit nichts anderes vereinbart ist (dazu , NJW 2018, 2039 Rn. 23 ff.), kann ein Fluggast daher nach § 648 Satz 1 BGB den Beförderungsvertrag jederzeit kündigen. Die Kündigung hat nach § 648 Satz 2 BGB zur Folge, dass das Luftverkehrsunternehmen als Werkunternehmer zwar berechtigt bleibt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen, sich aber dasjenige anrechnen lassen muss, was es infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

18b) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen hat der Zedent den Beförderungsvertrag durch Nichtantritt der Flüge konkludent gekündigt. Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

194. Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass sich ein Luftverkehrsunternehmen ersparte Aufwendungen gemäß § 648 Satz 2 BGB auch dann anrechnen lassen muss, wenn es sie nicht in die Kalkulation des Endpreises einbezogen hat.

20a) Erspart im Sinne von § 648 Satz 2 BGB sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diejenigen Aufwendungen, die der Unternehmer ohne die Kündigung gehabt hätte und die er infolge der Kündigung nicht mehr tätigen muss (, BGHZ 209, 278 = NJW 2016, 2944 Rn. 26).

21Der Wortlaut des Gesetzes differenziert nicht danach, ob der Unternehmer die in Rede stehenden Aufwendungen in seine Preiskalkulation einbezogen und ob er die Kalkulation gegenüber dem Besteller offengelegt hat.

22b) Eine solche Differenzierung ist auch nach dem Sinn und Zweck von § 648 Satz 2 BGB nicht geboten.

23Die Regelung in § 648 Satz 2 BGB dient dem Zweck, einen ausgewogenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Falle einer Kündigung ohne besonderen Grund zu gewährleisten. Zu diesem Interessenausgleich gehört es, den Unternehmer vor Nachteilen aufgrund der Kündigung zu bewahren (, NJW 2007, 3423 Rn. 18). Umgekehrt erschiene es inkonsequent, wenn der Unternehmer aufgrund der Kündigung einen Vorteil erlangen könnte, der ihm bei Erfüllung des Vertrags nicht entstanden wäre (vgl. nur Staudinger/Peters (2019), BGB, § 648 Rn. 32).

24Vor diesem Hintergrund muss sich der Unternehmer Aufwendungen, die ihm bei Erfüllung des Vertrags entstanden wären, aufgrund der Kündigung aber nicht angefallen sind, anrechnen lassen, und zwar unabhängig davon, ob und in welcher Weise er sie in seine Preiskalkulation einbezogen hat.

25Aufwendungen, die bei Erbringung der Leistung anfallen, führen auch dann zu einer Vermögenseinbuße des Unternehmers, wenn sie nicht in die Kalkulation eingeflossen sind. Unabhängig von der konkreten Kalkulationsweise steht dem Unternehmer bei Erfüllung des Vertrags nur die vereinbarte Vergütung zu. Der hieraus erzielbare Gewinn wird durch die tatsächlich anfallenden Aufwendungen bestimmt. Ob und inwieweit diese in die Kalkulation eingeflossen sind, hat hierauf keinen Einfluss. Wenn der Unternehmer nach der Kündigung die gesamte vereinbarte Vergütung behalten dürfte, obwohl er Aufwendungen erspart hat, stünde er mithin besser als bei Durchführung des Vertrags. Dies widerspricht der Zielsetzung von § 648 Abs. 2 BGB.

26c) Entgegen der Auffassung der Revision führt der Vortrag der Beklagten, sie kalkuliere ihre Flugpreise in der Erwartung, zusätzliche Umsätze mit dem Verkauf von Speisen und Getränken während des Fluges oder der Vermittlung eines Mietwagens oder einer Unterkunft am Zielort zu erzielen, nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

27Wie auch die Revision im Ansatz nicht verkennt, hat das Luftfahrtunternehmen aufgrund der Flugbuchung keinen gesicherten Anspruch auf Abschluss solcher Zusatzgeschäfte. Daraus erzielte Umsätze und Gewinne lassen sich deshalb - anders als Aufwendungen der im Streitfall in Rede stehenden Art - nicht einem konkreten Vertrag oder einem konkreten Fluggast zuordnen. Deshalb besteht kein Raum für eine Schätzung der aufgrund der Kündigung möglicherweise entgangenen zusätzlichen Einnahmen.

28d) Aus den unionsrechtlichen Regeln über die Festlegung und Angaben von Flugpreisen für innergemeinschaftliche Flugdienste ergibt sich ebenfalls keine abweichende Beurteilung.

29Nach Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 vom über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. L 293, S. 3) können Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft ihre Flugpreise und Frachtraten für innergemeinschaftliche Flugdienste grundsätzlich frei festlegen.

30Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung muss bei der Öffentlichkeit zugänglichen Flugpreisen stets der zu zahlende Endpreis ausgewiesen werden. Nach Satz 3 sind ferner die einzelnen Teilbeträge anzugeben, aus denen sich der Endpreis zusammensetzt, und zwar aufgeschlüsselt nach dem Flugpreis, den Steuern, den Flughafengebühren und den sonstigen Gebühren, Zuschlägen und Entgelten. Das Luftfahrtunternehmen darf die genannten Nebenkosten nicht in den Flugpreis einbeziehen. Soweit es sie an den Fluggast weitergibt, muss es sie vielmehr separat als Bestandteil des Endpreises ausweisen (, GRUR 2018, 305 = RRa 2017, 225 Rn. 27 ff.).

31Diese Vorschriften betreffen lediglich die Preiskalkulation und deren Offenlegung gegenüber dem Fluggast. Sie regeln nicht die Frage, welche beiderseitigen Rechte und Pflichten bestehen, wenn der Fluggast von einem ihm zustehenden Kündigungsrecht Gebrauch macht.

325. Auf den von der Beklagten in den Vorinstanzen geltend gemachten Gegenanspruch auf Zahlung einer Verwaltungsgebühr (zu solchen Gebühren vgl. , GRUR 2016, 716 - Flugpreise; , GRUR 2018, 305 Rn. 37 ff.) stützt sich die Revision nicht.

33III. Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.

34Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits entschieden, dass die Regelung in Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 allein Informations- und Transparenzpflichten statuiert (, GRUR 2018, 305 Rn. 30). Daraus folgt, dass die Frage, welche Rechte und Pflichten den Vertragsparteien nach einer wirksamen Kündigung zustehen, nach nationalem Recht zu beurteilen ist.

35IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:010823UXZR119.22.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-46195