BGH Beschluss v. - 1 StR 192/23

Strafverfahren wegen schweren Sexualdelikten: Prüfung eines Hangs zu regelmäßigem Alkoholkonsum bei Straftatausführung unter Alkoholeinfluss im Rahmen der Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs als sexuelle Handlung

Gesetze: § 64 StGB, § 177 Abs 1 StGB, § 177 Abs 8 Nr 1 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Heilbronn Az: 8 KLs 16 Js 15931/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Die vom Revisionsangriff nicht ausgenommene Nichtanordnung der Maßregel des § 64 StGB hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Die Ablehnung eines Hangs durch das sachverständig beratene Landgericht widerspricht den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur geltenden Fassung des § 64 StGB.

3a) Für einen Hang ist danach eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren; diese Neigung muss noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben. Ein übermäßiger Genuss setzt weder ein Abhängigkeitssyndrom noch eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit voraus. Vielmehr hat eine solche Beeinträchtigung lediglich indizielle Bedeutung für einen Hang; ihr Fehlen steht diesem nicht notwendig entgegen. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Es kann genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit Rauschmittel im Übermaß konsumiert (st. Rspr.; zuletzt Rn. 9 mwN).

4b) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte seit Anfang 2022 jeweils zum Wochenende eine Flasche Wodka oder Gin. Die vier Taten zu Lasten seiner Freundin beging er unter Alkoholeinfluss; in den ersten drei Fällen trank er jeweils eine halbe Flasche Gin oder Wodka. Bei seiner Festnahme am hatte er eine Blutalkoholkonzentration von über zwei Promille, wobei er auf den Polizeibeamten nur leicht alkoholisiert wirkte (UA S. 41). Angesichts dieser Umstände, die eine soziale Gefährdung durch regel- und übermäßigen Alkoholkonsum nahelegen, hätte sich das Landgericht nicht mit der Wertung begnügen dürfen, der Angeklagte habe nicht einmal sicher die Vorstufe einer Alkoholabhängigkeit erreicht.

52. Zum Schuldspruch ist ergänzend auszuführen: Die Feststellungen zum Fall 4 tragen bereits den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB („bei der Tat“).

6a) Wie durch die massiven Faustschläge steigerte der Angeklagte auch durch die kräftigen Schläge mit dem Nudelholz in den Genitalbereich der Geschädigten seine sexuelle Erregung; sie erfüllen daher bereits für sich genommen – freilich insoweit unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines besonders schweren sexuellen Übergriffs, nicht Vergewaltigung – als sexuelle Handlungen den Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB. Bereits der Einsatz des gefährlichen Werkzeugs als sexuelle Handlung ist ein Verwenden nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB (vgl. Rn. 13; Beschluss vom – 4 StR 464/00, BGHSt 46, 225, 228 f.; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 177 Rn. 158). Die Schläge waren potentiell geeignet, der Geschädigten Platzwunden im Bereich der Vagina zuzufügen. Dass das Landgericht diese besondere Art der sexuellen Misshandlung nicht im Schuldspruch zum Ausdruck gebracht hat, beschwert den Angeklagten jedenfalls nicht.

7b) Der Angeklagte hatte zudem bereits bei Einsatz des Nudelholzes vor, anschließend mit seiner Freundin gegen deren Willen geschlechtlich zu verkehren. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht das Geschehen ab 10.00 Uhr am als einheitlichen (vgl. § 52 Abs. 1 StGB) – wenngleich spontanen, so doch von Beginn an geplanten – Vorgang mit Sexualbezug gewertet. Mit den unterschiedlichen Gewaltakten wollte der Angeklagte die Geschädigte von vornherein für den Geschlechtsverkehr gefügig machen (UA S. 7-9; vgl. , BGHR StGB § 177 Abs. 8 Nr. 1 Verwenden 1 Rn. 8; Urteil vom – 4 StR 239/18 Rn. 13 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:110723B1STR192.23.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-45978