Instanzenzug: Az: 3 Ni 8/18 (EP) Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 524 321 (Streitpatents), das am angemeldet wurde und einen nicht invasiven Nachweis fötaler genetischer Merkmale betrifft. Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 15, auf die vier bzw. sieben weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lauten:
1. A fraction of a sample of the blood plasma or serum of a pregnant woman in which, as the result of said sample having been submitted to a DNA extraction, followed by a size separation, of the extracellular DNA, the extracellular DNA present therein substantially consists of DNA consisting of 500 base pairs or less.
15. A process for performing non-invasive detection of fetal genetic traits which comprises subjecting a sample of the blood plasma or serum of a pregnant woman to a DNA extraction, followed by a size separation, of the extracellular DNA so as to obtain a fraction of said sample in which the extracellular DNA present therein substantially consists of DNA consisting of 500 base pairs or less, and determining the fetal genetic trait(s) to be detected by submitting such fraction to PCR (polymerase chain reaction) technology, ligase chain reaction or probe hybridisation techniques, or to nucleic acid arrays.
2Patentanspruch 6, auf den acht weitere Patentansprüche zurückbezogen sind, betrifft die Verwendung einer Probe nach Anspruch 1 zum nicht invasiven Nachweis fötaler genetischer Merkmale.
3Die Klägerin hat das Streitpatent insgesamt angegriffen und geltend gemacht, sein Gegenstand sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung verteidigt.
4Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie weiterhin die Nichtigerklärung des Streitpatents begehrt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
5Die zulässige Berufung ist unbegründet.
6I. Das Streitpatent betrifft den nicht invasiven Nachweis fötaler genetischer Merkmale.
71. Nach der Beschreibung der Streitpatentschrift ist es bekannt, dass im peripheren Blut zirkulierende zellfreie DNA vorhanden ist. Im Blut einer schwangeren Frau finde sich auch zirkulierende zellfreie fötale DNA, die im mütterlichen Plasma oder Serum nachgewiesen werden könne.
8Studien hätten gezeigt, dass das zirkulierende fötale genetische Material zur zuverlässigen Bestimmung von fötalen genetischen Orten verwendet werden könne, die im mütterlichen Genom nicht vorhanden sind (Abs. 1).
9Die Bestimmung anderer, komplexerer genetischer Orte fötalen Ursprungs, wie Aneuploidien (numerische Chromosomenaberrationen), chromosomale Fehlentwicklungen in Verbindung mit dem Down Syndrom oder genetische Mendelsche Störungen, sei hingegen schwieriger. Grund dafür sei, dass der Hauptanteil (im Allgemeinen mehr als 90 %) der im mütterlichen Blutkreislauf vorhandenen zellfreien DNA von der Mutter selbst stamme. Dies mache es schwierig, wenn nicht unmöglich, fötale genetische Veränderungen anhand der geringen Menge an zirkulierender zellfreier fötaler DNA im Blutkreislauf zu bestimmen (Abs. 2).
10Die Streitpatentschrift weist ferner auf zwei Publikationen hin, nach denen in der Blutplasmaprobe einer schwangeren Frau zellfreie fötale DNA von weniger als 500 Basenpaaren mittels PCR (polymerase chain reaction, Polymerase-Kettenreaktion) angereichert, durch Gelelektrophorese abgetrennt und fötale männliche DNA nachgewiesen worden sei (Abs. 6).
112. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, das technische Problem, die Bereitstellung von zellfreier fötaler DNA aus Serum- oder Plasmaproben schwangerer Frauen für pränatale genetische Analysen weiter zu verbessern.
123. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 die Fraktion einer Probe vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
1. Fraktion einer Probe von Blutplasma oder von Blutserum einer schwangeren Frau.
2. Die in der Fraktion anwesende extrazelluläre DNA besteht im Wesentlichen aus DNA, welche aus 500 Basenpaaren oder weniger besteht.
3. Die Fraktion ist Resultat einer mit der Probe durchgeführten DNA-Extraktion, gefolgt von einer Größentrennung, der extrazellulären DNA.
134. Der Anspruch bedarf näherer Erörterung.
14a) Patentanspruch 1 ist ein product-by-process-Anspruch.
15Die beanspruchte Fraktion wird dadurch beschrieben, dass sie in einem zweistufigen Prozess gewonnen wird. Zunächst wird die zellfreie DNA extrahiert. Sodann wird eine Trennung der extrahierten DNA nach der Größe der Fragmente vorgenommen, um eine Fraktion zu erhalten, die im Wesentlichen aus Fragmenten mit einer Größe von bis zu 500 Basenpaaren besteht.
16b) Grundlage für die Herstellung der anspruchsgemäßen Fraktion ist die Probe des Blutplasmas oder -serums einer schwangeren Frau. Diese enthält neben maternaler auch die für nachgelagerte genetische Nachweise interessierende fötale extrazelluläre DNA.
17aa) Auf welche Weise und unter welchen Bedingungen die Probe gewonnen wird, lässt Patentanspruch 1 offen. Zentrifugation und Sterilfiltration werden in der Patentbeschreibung nur beispielhaft genannt. Auch ist nur vorzugsweise vorgesehen, dass die Probe im Wesentlichen zellfrei ist (Abs.7 Z. 50-51).
18bb) Entsprechendes gilt für die Lagerbedingungen vor Weiterverwendung der Probe.
19cc) Das herstellungs- oder lagerungsbedingte Vorhandensein von genomischer DNA zellulären Ursprungs in der Probe ist damit ebenfalls nicht ausgeschlossen.
20Zu Recht und von der Berufung unbeanstandet hat das Patentgericht in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG angenommen, dass Patentanspruch 1 die Herkunft der zellfreien DNA offenlässt. Dieser Begriff umfasst danach nicht nur zellfreie fötale und maternale DNA, die natürlicherweise im Blut zirkuliert, sondern auch genomische zellfreie DNA, die etwa durch den Zerfall (die Lyse) von Zellen bei der Präparation von Plasma- oder Serumproben oder durch die Lagerung der Probe entsteht. Zwar spricht das Streitpatent vielfach, etwa in den Absätzen 1 und 3 bis 5 der Beschreibung, von zirkulierender zellfreier DNA, doch hat dies in Patentanspruch 1 keinen Niederschlag gefunden (ebenso Urteil des High Court of Justice vom [2019] EWHC 1497 (Pat), para. 110 f., zum britischen Teil des Streitpatents).
21c) Maßgebliche Bedeutung für die Lehre des Streitpatents hat die in Merkmal 2 vorgesehene Beschränkung der in der Fraktion anwesenden extrazellulären DNA auf im Wesentlichen solche, die aus 500 oder weniger Basenpaaren besteht.
22Die Begrenzung beruht auf der von der Streitpatentschrift als überraschend bezeichneten Erkenntnis, dass der Großteil der zirkulierenden extrazellulären fötalen DNA eine relativ geringe Größe von etwa 500 Basenpaaren oder weniger hat, während der Großteil der zirkulierenden extrazellulären maternalen DNA eine Größe von mehr als 500 Basenpaaren aufweist. In bestimmten Fällen scheint das zirkulierende DNA-Material, das kleiner als 300 Basenpaare ist, sogar fast vollständig aus fötaler DNA zu bestehen (Abs. 3).
23In der Beschreibung des Streitpatents wird hierzu auf ein erstes Beispiel verwiesen, nach welchem bei den Proben zellfreie DNA-Fragmente mit einer Länge von 300 bis 500 Basenpaaren zwischen 6,43 und 31,42 % fötalen Ursprungs waren, wobei der Median bei 19 % lag. Bei den Fragmenten mit einer Länge von bis zu 300 Basenpaaren lag der Anteil fötaler DNA zwischen 22,22 und 87,06 % (Median bei 73,2 %). Anhand eines zweiten Beispiels wird erläutert, dass in zwei Fraktionen, die nach Größen getrennt waren (bis 300 und bis 500 Basenpaare), väterlicherseits vererbte fötale Allelen nachgewiesen werden konnten, während dieser Nachweis in einer Probe ohne Größentrennung nicht gelang.
24Die Beschränkung der Anzahl der Basenpaare hat danach den Effekt, eine Fraktion mit einem deutlich erhöhten Anteil an extrazellulärer fötaler DNA zu erhalten. Dies ermöglicht die Analyse von fötalen genetischen Merkmalen, deren Bestimmung bislang als schwierig oder nicht möglich galt (Abs. 5).
25d) Mittel zur Anreicherung von DNA mit 500 Basenpaaren oder weniger ist eine auf die DNA Extraktion folgende Größentrennung (Merkmal 3).
26Die Größentrennung kann mittels Chromatographie oder Elektrophorese erfolgen. Hierauf ist Patentanspruch 1 aber nicht beschränkt (Abs. 7 Z. 54).
27II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung - soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
28Der Gegenstand der nebengeordneten Ansprüche 1, 6 und 15 sei durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.
29Dem Fachmann sei bekannt gewesen, dass ein großer Anteil zellfreier DNA maternalen Ursprungs den Nachweis von Veränderungen im Genom des Fötus erschwere. Ausgehend vom Übersichtsartikel von Y.Y.N. Lui und Y.M.D. Lo (Circulating DNA in Plasma and Serum: Biology, Preanalytical Issues and Diagnostic Applications, in: Clinical Chemistry and Laboratory Medicine, 2002, Vol. 40, S. 962 bis 968; MW30) und der darin zitierten Publikation von R.W.K. Chiu et al. (Effects of Blood-Processing Protocols on Fetal and Total DNA Quantification in Maternal Plasma, in: Clinical Chemistry, 2001, Vol. 47, S. 1607 bis 1613; MW 32) habe für den mit der patentgemäßen Aufgabe betrauten Fachmann - ein Team, dem sowohl ein Biochemiker mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung von Assays für die Nukleinsäurediagnostik angehöre, als auch ein promovierter Genetiker, der über eine mehrjährige Berufserfahrung im Bereich der nicht invasiven Pränataldiagnostik verfüge - allenfalls der Schluss nahegelegen, den Anteil an zellfreier fötaler DNA im Plasma oder Serum gegenüber dem Hintergrund an maternaler DNA dadurch zu erhöhen, dass der Verbleib von Zellen im Plasma vermieden und damit gleichzeitig die Freisetzung von genomischer DNA maternalen Ursprungs durch die Lyse maternaler Zellen während der Probenaufbereitung unterbunden werde.
30Der in der Veröffentlichung von R.M. Angert et al. (Fetal Cell-free Plasma DNA Concentrations in Maternal Blood Are Stable 24 Hours after Collection: Analysis of First- and Third-Trimester Samples, in: Clinical Chemistry, 2003, Vol. 49, S. 195 bis 198; MW33) gezogene Schluss, zur Vermeidung von genomischer zellfreier DNA maternalen Ursprungs die Vollblutproben vor der Zentrifugation nur kurz zu lagern, um Ereignisse, wie Apoptose, Zelltod oder Zelllyse, die an der Freisetzung genomischer DNA beteiligt sein könnten, zu reduzieren, weise nicht in die Richtung der Lehre des Streitpatents.
31Der in der internationalen Anmeldung WO 03/074723 A2 (MW34) verfolgte Ansatz, durch die Zugabe von Zelllyseinhibitoren die Lyse der maternalen Zellen, die in den Blutproben den weitaus größten Anteil der Zellen ausmachten, zu reduzieren, basiere ebenfalls lediglich auf dem Prinzip der Reduzierung des Hintergrunds an hochmolekularer genomischer DNA maternalen Ursprungs.
32Gegen ein Naheliegen spreche, dass in diesem Stand der Technik eine Größentrennung von im Plasma oder Serum enthaltener extrazellulärer DNA weder angesprochen noch in Betracht gezogen werde. Unter Berücksichtigung von Beispiel 2 des Streitpatents sei die Auswahl der Grenze bei 500 Basenpaaren auch nicht willkürlich erfolgt.
33Die in MW33 erfolgte Nennung der Apoptose als mögliche Ursache für im Plasma enthaltene zellfreie fötale DNA stelle keinen hinreichenden Hinweis in Richtung der Lehre des Streitpatents dar. Die Untersuchung von F.Z. Bischoff et al. (Cell-free fetal DNA and intact fetal cells in maternal blood circulation, in: Human Reproduction Update, 2002, Vol. 8, S. 493 bis 500; MW21) habe keine wechselseitige Beziehung zwischen der Häufigkeit von intakten fötalen Zellen und der Menge an zellfreier fötaler DNA im maternalen Blut nachweisen können. Selbst wenn der Fachmann die Entstehung der zellfreien fötalen DNA mit dem Phänomen der Apoptose in Verbindung gebracht hätte, habe sich daraus kein Hinweis ergeben, die gesamte extrazelluläre DNA einer Größentrennung zu unterwerfen und danach die fötale Genotypisierung anhand von DNA-Fragmenten mit einer Größe von maximal 500 Basenpaaren durchzuführen.
34Die von der Klägerin ergänzend zur Apoptose vorgelegten Dokumente kämen zu der Feststellung, dass zellfreie fötale DNA kein eindeutiges Ergebnis apoptotischer Vorgänge sei. Damit sei das allgemeine Fachwissen ohne Belang, dass bei der Apoptose grundsätzlich Nukleosomen-Fragmente entstünden, deren Größe bei 180 bis 200 Basenpaaren oder einem Vielfachen davon liege. Mit ihrer variablen Größe böten die apoptotischen Nukleosomen-Fragmente keinen Anhaltspunkt dafür, dass mittels Apoptose freigesetzte zellfreie fötale DNA eine Größe von maximal 500 Basenpaaren besitze.
35Soweit die Veröffentlichung von F.Z. Bischoff et al. (Fetal DNA in Maternal Plasma Circulates as Apoptotic Bodies: Elucidation of the structural nature of fetal DNA for non-invasive prenatal genetic diagnosis, in: ASHG Annual Meeting, 2003, Program No. 137; MW29) davon ausgehe, dass zellfreie fötale DNA in Form von "apoptotic bodies" in maternalen Plasmaproben vorkomme, werde für die Anreicherung solcher apoptotischer Körper eine Realtime PCR mit PCR-Primern verwendet, die spezifisch für einen Sequenzabschnitt auf dem Y-Chromosom des männlichen Fötus seien. Damit basiere der Ansatz auf der bekannten Strategie, zellfreie fötale DNA einer bekannten Sequenz mittels Primer in einer Polymerase-Kettenreaktion anzureichern.
36Die in dem Abstract von T. Ikeda et al. (Frequency at which fetal DNA is present in maternal plasma: Difference by fragment length, P-910, Kagoshima University, ohne Datum; MW38) beschriebenen Untersuchungen erfolgten auf der Basis der quantitativen PCR-Technik, so dass eine Größentrennung von DNA-Fragmenten keine Rolle spiele. MW38 lehre letztlich nur, für den nicht-invasiven pränatalen Nachweis PCR-Primer zu verwenden, die möglichst kurze DNA-Fragmente amplifizieren, da dies im Hinblick auf die Sensitivität und Spezifität der PCR Vorteile verspreche.
37Die weiteren Entgegenhaltungen rechtfertigten keine abweichende Beurteilung.
38III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
39Die Berufung zieht zu Recht nicht in Zweifel, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 neu ist. Anders als die Berufung meint, ergibt er sich auch nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
401. Im Ausgangspunkt zu Recht nimmt die Berufung an, dass es für die Frage der Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 entscheidend darauf ankommt, ob der Stand der Technik dem Fachmann die Anregung vermittelte, die aus in üblicher Weise gewonnenen Plasmaproben von schwangeren Frauen extrahierte zellfreie DNA einer Größentrennung zu unterwerfen und sie danach zu sortieren, ob sie bis 500 Basenpaare umfasst oder aber größer ist.
41a) Zutreffend hat das Patentgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass im Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents bekannt war, dass eine Plasma- oder Serumprobe, die aus dem peripheren Blut einer schwangeren Frau gewonnen wird, zellfreie DNA verschiedenen Ursprungs enthält. Sie enthält zirkuläre zellfreie maternale DNA, zirkuläre zellfreie fötale DNA und genomische zellfreie maternale DNA. Das Vorhandensein zirkulärer zellfreier fötaler DNA ist für eine nicht invasive Untersuchung auf genetische Abweichungen von besonderem Interesse.
42Im Prioritätszeitpunkt war ferner bekannt, dass der Anteil zirkulärer zellfreier fötaler DNA an der gesamten zellfreien DNA in einer solchen Probe in der Regel nur zwischen 2 und 10 % liegt. Insbesondere für die Untersuchung auf Genorte in der zellfreien fötalen DNA, die auch in DNA maternalen Ursprungs auftreten, ist es nachteilig, wenn deren Anteil hoch ist.
43b) Wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, belegen die Entgegenhaltungen MW30, MW32, MW33 und MW34 das Bestreben, den Anteil genomischer zellfreier maternaler DNA in Plasma- oder Serumproben aus dem Blut schwangerer Frauen zu verringern.
44MW30 und 32 sehen insoweit vor, nach einer zweifachen Zentrifugation der Probe, die der Herstellung weitgehend zellfreien Plasmas oder Serums dient, entweder eine Mikrozentrifugation oder eine Filterung durchzuführen, um verbleibende maternale Zellen aus der Probe zu entfernen. Je geringer der Anteil maternaler Zellen in der Probe ist, umso geringer ist die Gefahr, dass solche Zellen, etwa durch Lyse oder aufgrund einer Lagerung der Probe, DNA freisetzen und damit genomische zellfreie maternale DNA in die Serum- oder Plasmaprobe gelangt. Im Idealfall führt dies zu einer Probe, die nur zirkulierende zellfreie DNA maternalen und fötalen Ursprungs aufweist.
45Die Entgegenhaltungen beschäftigen sich danach mit der Frage, wie der Anteil genomischer zellfreier maternaler DNA bei der Herstellung einer Plasma- oder Serumprobe aus dem peripheren Blut einer schwangeren Frau möglichst geringgehalten werden kann. Dies zielt darauf, dass das für die Spezifizität einer nicht-invasiven Diagnostik der zellfreien fötalen DNA wichtige Verhältnis von zellfreier fötaler und zellfreier maternaler DNA nicht zu Lasten der fötalen DNA verschoben wird.
46Die Entgegenhaltungen schlagen insoweit jedoch lediglich verschiedene Maßnahmen bei der Aufbereitung der Probe vor, um den Anteil genomischer zellfreier maternaler DNA zu verringern. Wie auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, weist keine dieser Entgegenhaltungen auf die Möglichkeit hin, die insgesamt in der Probe enthaltene zellfreie DNA, unabhängig davon ob sie zirkulierend oder genomisch ist oder ob sie fötalen oder maternalen Ursprungs ist, nach der Größe zu trennen. Erst recht ergibt sich aus ihnen kein Hinweis, einen Grenzwert von 500 Basenpaaren zu wählen.
47c) Anders als die Berufung meint, ergibt sich aus MW33 kein Anlass, die zellfreie DNA in der Plasma- oder Serumprobe aus dem peripheren Blut einer Schwangeren nach der Größe zu trennen.
48MW33 befasst sich, ausgehend von der Feststellung, dass es im mütterlichen Blut fötale Zellen und zellfreie fötale DNA gibt, mit der Frage, ob sich die Konzentration zellfreier fötaler DNA nach der Blutentnahme verändere. Der Beitrag kommt zu dem Ergebnis, dass diese Konzentration bis 24 Stunden nach der Blutentnahme stabil bleibt. Der aus anderen Studien bekannte Anstieg der Gesamt-DNA in einer solchen Probe sei danach vermutlich auf Apoptose, Zelltod oder Lyse zurückzuführen. MW33 nimmt weiter an, dass fötale Zellen im mütterlichen Blut nicht apoptotisch seien, weil sonst zu erwarten wäre, dass sie nach der Blutentnahme DNA freisetzten, sich also die Konzentration zellfreier fötaler DNA erhöhe.
49Der Ursprung zellfreier fötaler DNA ist nach MW33 weiterhin unbekannt. Der Beitrag spricht insoweit als möglichen Ursprung die Plazenta, das fötale hämatopoetische System oder das Fruchtwasser an. In diesem Zusammenhang findet sich in MW33 die Bemerkung, dass Untersuchungen über die Größe der betreffenden Moleküle - gemeint ist zellfreie fötale DNA - Hinweise auf deren Ursprung geben könnten und insbesondere eine Untersuchung auf Muster, die auf eine Apoptose hindeuteten, in Betracht komme.
50MW33 erörtert auch die Möglichkeit, die stabile Konzentration zellfreier fötaler DNA damit zu erklären, dass DNA aus fötalen Zellen freigesetzt und zugleich zellfreie fötale DNA metabolisiert werde, hält dies aber für unplausibel.
51Bei der Frage, ob MW33 einen Hinweis auf eine Trennung der zellfreien DNA nach der Größe gab, ist zu berücksichtigen, dass nach der Entdeckung zirkulierender zellfreier fötaler DNA im Jahr 1997 noch in den Jahren 2002 und 2003 deren Ursprung ungeklärt war. Diskutiert wurde eine Entstehung durch Lyse oder Apoptose (MW11, MW21), aus der Plazenta (MW20) oder Wachstum und Zell-Austausch während der Entwicklung des Fötus (MW21).
52Vor diesem Hintergrund ergab sich aus MW33 allenfalls eine Anregung, eine Untersuchung der Größe zellfreier fötaler DNA, insbesondere darauf, ob sich für apoptotische Vorgänge typische Größen ergeben, vorzunehmen, um auf diesem Weg möglicherweise Klarheit über den Ursprung zellfreier fötaler DNA zu erlangen.
53Aus MW33 ergab sich dagegen keine Anregung, sich mit dem Verhältnis der Größe von zellfreier fötaler DNA zu maternaler DNA zu befassen und die gesamte zellfreie DNA aus einer Serum- oder Plasmaprobe der Größe nach zu sortieren sowie dafür einen Grenzwert von 500 Basenpaaren zu wählen.
54d) Aus dem als MW29 vorgelegten Abstract ergibt sich keine weitergehende Anregung.
55aa) Nach der von der Klägerin vorgelegten Bestätigung des British Library Research Service (MW-BER2) ist MW29 seit dem der Öffentlichkeit zugänglich und rechnet damit zum Stand der Technik.
56bb) MW29 legt zugrunde, dass zellfreie fötale DNA im mütterlichen Blutkreislauf vorhanden und für die nicht invasive pränatale genetische Diagnostik interessant ist. Zur verbesserten Isolierung oder Anreicherung dieser DNA sei eine weitere molekulare Charakterisierung erforderlich, da ihre strukturelle Beschaffenheit und die Mechanismen ihrer Variation unklar seien. Die Autoren stellen die Vermutung auf, dass der Großteil der fötalen DNA in membrangebundenen Vesikeln (Apoptosekörpern) zirkuliere und machen es sich zur Aufgabe, durch den Nachweis fötaler Sequenzen bei Schwangerschaften mit männlichen Föten die biologische Natur zirkulierender fötaler DNA zu bestimmen.
57Durch eine Färbung mit Acridinorange kann nach MW29 die nicht-zelluläre DNA aussortiert werden. Anschließend sei das Verhältnis von Kopien für Abschnitte, die aus der DNA eines männlichen Fötus stammen, und für Abschnitte, die sowohl in fötaler wie maternaler DNA vorkommen, ermittelt worden. Dabei habe sich eine signifikante Anreicherung der fötalen DNA im Vergleich zu nicht sortiertem Plasma ergeben.
58MW29 zieht daraus den Schluss, fötale DNA scheine in Apoptosekörpern zu zirkulieren.
59cc) Danach mag MW29 ein Hinweis darauf zu entnehmen sein, dass eine Einfärbung mit Acridinorange dazu dienen kann, zirkulierende zellfreie DNA von zellfreier DNA genomischen Ursprungs zu unterscheiden.
60Zu Recht hat das Patentgericht jedoch angenommen, dass sich aus MW29 keine Anregung ergibt, eine Trennung bei einem Wert von 500 Basenpaaren vorzunehmen.
61Es fehlt bereits an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Fachmann im Prioritätszeitpunkt ohne weiteres die in MW29 ausgesprochene Vermutung, zirkulierende zellfreie fötale DNA sei apoptotischen Ursprungs, zugrunde gelegt hätte. In anderen Veröffentlichungen aus diesem Zeitraum, etwa MW33, wird vermutet, die fötale DNA beruhe nicht auf Apoptose. Auch MW29 selbst bezeichnet den Ursprung als unklar.
62Dieser Umstand wiegt umso schwerer, als MW29, ihrem Charakter als Abstract entsprechend, nur stichwortartige Angaben über Anlage und Durchführung der Untersuchung und zur Begründung ihrer Ergebnisse entnommen werden können. Der Abstract konnte demgemäß auch nicht Gegenstand einer kritischen Prüfung auf die Wahrung wissenschaftlicher Standards (peer review) gewesen sein, wie sie bei einer Originalarbeit zu erwarten war (, GRUR 2016, 1027 Rn. 28 - Zöliakiediagnoseverfahren).
63Selbst wenn man aber diese Vermutung zugrunde legt und ferner annimmt, dass auf Apoptose beruhende Fragmente typischerweise eine Länge von 180 bis 200 Basenpaaren oder eines Vielfachen dieses Werts haben, ergibt sich daraus kein ausreichender Hinweis, eine Größentrennung bei 500 Basenpaaren vorzunehmen.
64e) Die weiteren Entgegenhaltungen werden von der Berufung mit Recht nicht mehr gesondert erörtert und rechtfertigen keine andere Beurteilung.
652. Für den Gegenstand der Patentansprüche 6 und 15 ergibt sich keine abweichende Entscheidung.
66IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:220623UXZR56.21.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-45900