Strafzumessung bei Betäubungsmitteldelikten: "Nicht geringe Menge" bei Besitz von Marihuana zum Eigenverbrauch und zum Weiterverkauf; Konkurrenzen
Gesetze: § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 261 StPO, § 267 StPO, § 52 StGB, § 53 StGB
Instanzenzug: LG Krefeld Az: 22 KLs 17/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit "unerlaubtem" Besitz von Betäubungsmitteln in 25 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat die Strafkammer nicht angeordnet. Die auf die - nicht ausgeführte - Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Überprüfung des Urteils hat hinsichtlich der Feststellungen zu den Taten sowie der sie tragenden Beweiswürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.
32. Jedoch war der Schuldspruch wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu ändern.
4Das Landgericht hat - soweit hier relevant - die folgenden Feststellungen getroffen:
5Der Angeklagte beschaffte sich in 24 Fällen von einem unbekannt gebliebenen Dealer jeweils mindestens 50 g Marihuana, um dieses teils selbst zu konsumieren (zwischen 15 und 25 g) und im Übrigen gewinnbringend weiterzuverkaufen (Taten zu II. 1.). Des Weiteren bewahrte er eine Gesamtmenge von 66,72 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 10,1 g THC in seiner Wohnung auf, wovon höchstens 25 g für den Eigenkonsum und der Rest zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Das Landgericht hat dies in allen Fällen als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit dem Besitz von Betäubungsmitteln gewürdigt.
6Dabei hat es jedoch übersehen, dass der Besitz im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG im Verhältnis zu den anderen Begehungsformen des § 29 Abs. 1 BtMG den Charakter eines Auffangtatbestandes hat. In der Folge wird der Besitz in Fällen wie den vorliegenden, in denen das Tatgericht Feststellungen zur Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft zur freien Verfügung über das Betäubungsmittel im Einverständnis mit dem zuvor Verfügungsberechtigten (MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29 BtMG Rn. 947 mwN) hat treffen können, durch den Tatbestand des Erwerbs nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG verdrängt (, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 2).
7Hinsichtlich der Tat zu II. 2. hat das Landgericht nicht bedacht, dass der Angeklagte insgesamt eine nicht geringe Menge von Betäubungsmitteln in Besitz hatte, sodass der Schuldspruch entsprechend zu ändern war (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Dass weder die zum Verkauf noch die zum Eigenkonsum vorgesehenen Mengen für sich genommen den Grenzwert zur nicht geringen Menge von 7,5 g THC überschritten, steht dem nicht entgegen. Die Strafkammer hat diesbezüglich zwar im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass grundsätzlich Tateinheit zwischen Besitz und Handeltreiben vorliegt, wenn eine Teilmenge zum Eigenverbrauch, eine andere zum Verkauf vorgesehen ist (, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 3). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Besitz der Gesamtmenge den Verbrechenstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verwirklicht, die zum Weiterverkauf vorgesehene Menge die Grenze zur nicht geringen Menge aber nicht überschreitet; in diesen Fällen verdrängt die Tatvariante des Handeltreibens diejenige des - wegen des Verbrechenscharakters das schwerere Unrecht verwirklichenden - Besitzes in nicht geringer Menge nicht (, BGHSt 42, 162, 165 f.).
8Hinsichtlich der abgeurteilten Delikte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist die ausdrückliche Bezeichnung als "unerlaubt" entbehrlich, da Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz ausschließlich den unerlaubten Umgang mit den dort genannten Stoffen betreffen (vgl. , juris Rn. 5 mwN).
9Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst geändert. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte bei einem entsprechenden Hinweis nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
103. Die Überprüfung des Strafausspruches hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
114. Die Entscheidung, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB abzusehen, hat keinen Bestand. Das Landgericht hat bei der Prüfung, ob bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.
12Es hat die Voraussetzungen eines Hanges nach § 64 StGB als nicht erfüllt angesehen, weil ein solcher eine intensive Neigung voraussetze, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren "und somit eine psychische Abhängigkeit besteht" (UA S. 15). Damit ist die Strafkammer von einem zu engen Verständnis ausgegangen. Ein Hang setzt weder eine physische noch eine psychische Abhängigkeit des Betroffenen voraus. Vielmehr ist ein dafür erforderlicher übermäßiger Konsum bereits anzunehmen, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung zum Rauschmittelgebrauch sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (, juris Rn. 28; Beschluss vom - 1 StR 367/17, NStZ-RR 2017, 370). Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen liegt eine solche Gefährlichkeit nicht fern, zumal der bereits wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorbestrafte Angeklagte "durch den gewinnbringenden Verkauf des Marihuanas seinen Eigenkonsum finanzieren" wollte (UA S. 6).
13Da zudem die weiteren Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach den Urteilsgründen nicht auszuschließen sind, beruht das Urteil auf diesem Rechtsfehler. Insbesondere steht der Anordnung der Maßregel nicht von vornherein entgegen, dass der Angeklagte sich nicht durch den Sachverständigen hat explorieren lassen (, NStZ-RR 2017, 172, 173).
14Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; s. , NStZ-RR 2020, 168, 169 mwN). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:030522B3STR95.22.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-45681