Revision im Strafverfahren: Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz bei verschlossenen Eingangstüren nach Hausalarm
Gesetze: § 338 Nr 6 StPO, § 169 GVG
Instanzenzug: Az: 503 KLs 6/22
Gründe
1Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2Der Erörterung bedarf nur die formelle Rüge der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes.
31. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4Am zweiten Hauptverhandlungstag () fand von 11.47 Uhr bis 12 Uhr die Zeugenvernehmung einer Kriminalbeamtin statt. Um 11.51 Uhr wurde der Hausalarm ausgelöst, der in allen Sitzungssälen akustisch zu vernehmen war. Nach Ertönen des Alarms erkundigte sich der Vorsitzende bei einem im Sitzungssaal anwesenden Wachtmeister, ob ein Sicherheitsrisiko für den Saal bestehe, was dieser verneinte. Daraufhin führte der Vorsitzende die Vernehmung der Zeugin fort. Der Alarm wurde um 12.10 Uhr beendet. Während des Alarms waren die Eingangstüren zum Gerichtsgebäude aus Sicherheitsgründen verschlossen. Der Beschwerdeführer behauptet, dass „dem Gericht“ diese Folge der Alarmauslösung bekannt gewesen sei und es mithin im Zeitraum von 11.51 Uhr bis 12 Uhr bewusst unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt habe. Es sei daher der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO gegeben.
52. Die Rüge hat keinen Erfolg. Denn sie ist jedenfalls unbegründet.
6a) Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO liegt nur vor, wenn das Gericht oder der Vorsitzende eine die Öffentlichkeit unzulässig beschränkende Anordnung trifft oder eine ihnen bekannte Beschränkung nicht beseitigt; der Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz muss mithin auf einem Verschulden des Gerichts beruhen. Wird die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung wie hier nicht durch eine richterliche Anordnung, sondern durch ein tatsächliches Hindernis beschränkt, kann eine Rüge der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes daher nur dann durchdringen, wenn dem Gericht oder dem Vorsitzenden die faktische Beschränkung bekannt war oder sie diese bei ordnungsgemäßer Sorgfalt hätten erkennen und beseitigen können (vgl. , BGHSt 22, 279, 300; Beschluss vom – 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741, 2742; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 338 Rn. 49; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 338 Rn. 89).
7b) Unter den gegebenen Umständen trifft das Gericht kein Verschulden an der Beschränkung der Öffentlichkeit.
8Soweit der Beschwerdeführer behauptet, dass Gericht hätte um die Folgen der Auslösung des Alarms gewusst, ist dies nicht erwiesen. Denn der Vorsitzende hat in einer dienstlichen Erklärung zur Revisionsbegründung ausgeführt, dass ihm dies bis zu einer Mitteilung der Hausverwaltung vom nicht bekannt gewesen sei.
9Die tatsächliche Beschränkung der Öffentlichkeit fällt auch nicht deshalb in den Verantwortungsbereich des Gerichts, weil es die faktische Zugangsbeschränkung bei der Anwendung der gebotenen Sorgfalt und Umsicht hätte bemerken können. Zwar kann es für das Gericht im Einzelfall geboten sein, sich von der Wahrung der Öffentlichkeit (etwa durch die Einholung von Auskünften bei Wachtmeistern) zu überzeugen. Die Anforderungen, die in dieser Hinsicht an die Aufmerksamkeit des Gerichts und des Vorsitzenden zu stellen sind, dürfen aber auch nicht überspannt werden. Es muss berücksichtigt werden, dass den Gerichten und insbesondere den Vorsitzenden gerade in der mündlichen Verhandlung eines Strafprozesses mannigfache Aufgaben übertragen sind, die in hohem Maße ihrer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen (vgl. , BGHSt 22, 279, 300, 302).
10Gemessen daran fällt dem Gericht kein Verschulden zur Last. Der Vorsitzende hat sich unmittelbar nach der Auslösung des Alarms bei dem im Sitzungssaal anwesenden Wachtmeister nach dem Sicherheitsrisiko für den Saal erkundigt. Dass dieser ihn auch nur auf die Möglichkeit einer Schließung der Zugangstüren zum Gerichtsgebäude infolge des Alarms hingewiesen hätte, trägt die Revision nicht vor. Ohne gegenteilige Anzeichen durfte das Gericht aber davon aus gehen, dass der Zugang zum Gerichtsgebäude und damit auch dem betreffenden Sitzungssaal trotz des Hausalarms uneingeschränkt möglich war (vgl. auch , NStZ 2012, 173, 174).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:210623B5STR73.23.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-45673