BAG Urteil v. - 6 AZR 115/22 (A)

Instanzenzug: Az: 18 Ca 7885/20 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 3 Sa 294/21 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer durch den Beklagten zu 1. erklärten Kündigung sowie über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2.

2Der Beklagte zu 1. ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Luftfahrtgesellschaft Walter mbH (im Folgenden Schuldnerin). Bei dieser handelte es sich um eine Fluggesellschaft. Die von der Schuldnerin eingesetzten Flugzeuge des Typs Dash-8 Q400 standen nicht in ihrem Eigentum, sondern waren geleast (sog. Dry Lease). Die Schuldnerin stellte diese Flugzeuge mit Besatzung, Wartung und Versicherung anderen Fluggesellschaften zur Verfügung (sog. Wet Lease). Anfang des Jahres 2017 wurde sie von der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden Air Berlin) übernommen.

3Nachdem über das Vermögen der Air Berlin im August 2017 das Insolvenzverfahren eingeleitet worden war, wurden die Geschäftsanteile an der Schuldnerin mit Anteilskauf- und Übertragungsvertrag vom an die Lufthansa Commercial Holding GmbH (im Folgenden LCH GmbH) veräußert. Die LCH GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Deutschen Lufthansa AG (im Folgenden DLH AG).

4Zum Zusammenschluss nach der EG-Fusionskontrollverordnung (Verordnung (EG) Nr. 139/2004) heißt es im Amtsblatt der Europäischen Union vom (ABl. EU C 379 S. 14):

5Die Beklagte zu 2. ist ebenfalls eine Fluggesellschaft und 100%ige Konzerntochter der DLH AG. Unter dem schloss sie als Leasingnehmerin mit der Schuldnerin als Leasinggeberin eine Wet-Lease-Vereinbarung, bezeichnet als „ACMIO Rahmenvertrag“ (im Folgenden ACMIO RV 2017). ACMIO steht für Aircraft (Flugzeug), Crew (Besatzung), Maintenance (Wartung), Insurance (Versicherung) und Overhead (Betriebskosten). Der ACMIO RV 2017 enthält auszugsweise folgende Regelungen:

6In Anlage 1 enthielt der ACMIO RV 2017 ein Muster für einen sog. ACMIO-Kurzvertrag (im Folgenden ACMIO KV). Der erste zwischen der Schuldnerin und der Beklagten zu 2. geschlossene ACMIO KV datiert vom . Ferner wurde vereinbart, dass die Schuldnerin die Luftverkehrsbetreiberzeugnisse („air operator certificate“, im Folgenden AOC) für 15 Airbus A 320 beantragen sollte, um diese Flugzeuge mit dem Tage des Vollzugs der Übernahme der Geschäftsanteile an der Schuldnerin durch die LCH GmbH am vom Lufthansa-Konzern übernehmen und im Wet Lease für die Beklagte zu 2. einsetzen zu können. Im Anschluss folgten weitere ACMIO KV. Diese betrafen sowohl die Dash-8-Q400-Flotte als auch die Airbusflotte.

7Die Schuldnerin setzte die Flugzeuge, welche sie im Wege des Dry Lease von der DLH AG oder anderen Konzerngesellschaften der DLH AG geleast hatte, nur im Rahmen des Wet Lease für die Beklagte zu 2. in deren Streckennetz ein. Die von der Beklagten zu 2. an die Schuldnerin hierfür geleisteten Zahlungen waren die einzigen Einnahmen der Schuldnerin.

8Mit der Planung, Koordinierung und Kontrolle der Arbeitseinsätze der Besatzungen betraute die Schuldnerin die Eurowings Aviation GmbH (im Folgenden EWA). Diese ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der LCH GmbH. Sie beschäftigt ausschließlich Bodenpersonal und erledigt mit diesem Verwaltungsaufgaben, auch für die Beklagte zu 2. sowie weitere Fluggesellschaften. Der zwischen der EWA und der Schuldnerin geschlossene Dienstleistungsrahmenvertrag vom (im Folgenden DLRV 2017) lautet auszugsweise wie folgt:

9Auf der Grundlage des DLRV 2017 wurden zwischen der Schuldnerin und der EWA mehrere Leistungsscheine vereinbart.

10Der Leistungsschein „Crew Planning“ war gültig ab dem und umfasste folgende Dienstleistungen: „Controlling: Operations Meeting, Training Planning Meeting, Flight Plan Evaluation Meeting“; „Monatliche Erstellung von individuellen Einsatzplänen für alle Kabinen- und Cockpitmitarbeiter unter Berücksichtigung aller wirtschaftlichen, gesetzlichen und LGW internen Regularien“; „Jährliche Erstellung eines Urlaubsplans für alle Kabinen- und Cockpitmitarbeiter unter Berücksichtigung aller wirtschaftlichen, gesetzlichen und LGW internen Regularien“; „Planung von lizenzrelevanten Schulungsereignissen (Simulator, SEP, etc.)“; „Planung von Dienstreisen und Buchung von dafür benötigten Unterkünften“ und „Sachliche Prüfung von Rechnungen über entstandene Kosten“.

11Mit dem ebenfalls ab dem gültigen Leistungsschein „Crew Control“ wurden der EWA ua. folgende Aufgaben übertragen: „Ständige Kontrolle der Besatzungen Legalität, Sicherheit, Effizienz und Pünktlichkeit“; „Informationsweiterleitung an die Crew über Deportees und VIPs“; „Buchung und Kontrolle von Proceedings“; „Erstellung und Versand des monatlichen Cosmic Radiation Report“ und „Erfassung und Weiterverarbeitung von Crew Unregelmäßigkeiten“.

12In beiden Leistungsscheinen war unter Ziff. 3 am Ende ausgeführt: „Alle Entscheidungen im Bereich 3 (Aufgaben und Service Level) des Auftraggebers obliegen ausschließlich dem Auftraggeber.“, das heißt der Schuldnerin.

13Auf der Grundlage dieser vertraglichen Vereinbarungen erstellte die EWA in ihrem Integrated Operation Control Center (im Folgenden IOCC) die Dienstpläne für die Besatzungen der Schuldnerin, koordinierte diese und passte sie bei kurzfristigen Ausfällen an. Die Dienstpläne wurden den Arbeitnehmern direkt vom IOCC elektronisch zur Verfügung gestellt. Bei Störfällen wie Flugverspätungen, Erkrankungen während des Flugs oder Schwierigkeiten mit Passagieren hatte sich die Besatzung an das IOCC zu wenden. Die organisatorischen Abläufe wurden dem fliegenden Personal in einem sog. „Welcome Guide“ (im Folgenden WCG Flug) erläutert. Dies betraf auch den Mitarbeiterausweis im Eurowings-Design und eine auf Eurowings bezogene E-Mail-Adresse.

14Die Wartung der Flugzeuge der Schuldnerin erfolgte durch die Eurowings Technik GmbH (im Folgenden EWT) auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags.

15Die Schuldnerin beschäftigte in den Bereichen Boden, Kabine und Cockpit zuletzt insgesamt 348 Arbeitnehmer. Das fliegende Personal nahm die Arbeit von den Flughäfen in Düsseldorf, Berlin-Tegel, Stuttgart und Nürnberg auf. Die zentrale Personalabteilung war am Sitz der Schuldnerin in Düsseldorf angesiedelt. Für die Arbeitnehmer des Bereichs Cockpit war gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG durch den Tarifvertrag Personalvertretung Nr. 1 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der LGW Luftfahrt-Gesellschaft Walter mbH vom 5./ (im Folgenden TVPV) die Personalvertretung Cockpit (im Folgenden PV Cockpit) errichtet. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 TVPV ist die PV Cockpit vor jeder Kündigung zu hören. Die Gründe für die Kündigung sind gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 TVPV mitzuteilen. Eine ohne Anhörung der PV Cockpit ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 3 TVPV unwirksam.

16Ende des Jahres 2018 gab die Schuldnerin die Flugzeuge des Herstellers Airbus an ihre Leasinggeber zurück. Das in diesen Flugzeugen eingesetzte Personal wechselte zu einer anderen Fluggesellschaft. Die Schuldnerin setzte das Wet Lease mit der Beklagten zu 2. dementsprechend nur mit den verbliebenen 15 Dash-8 Q400 fort.

17Im Februar 2019 schlossen die LCH GmbH und die LF Verwaltungs GmbH, die damals noch als Zeitfracht Luftfahrt Holding GmbH firmierte, einen Kauf- und Übertragungsvertrag, mit dem die LF Verwaltungs GmbH den Geschäftsanteil der LCH GmbH an der Schuldnerin übernahm. Am schloss die Schuldnerin mit der Beklagten zu 2. einen neuen ACMIO RV (im Folgenden ACMIO RV 2019). Ab März 2019 galt zudem eine Vereinbarung über Übergangsdienstleistungen, welche die Schuldnerin vor dem Hintergrund des Gesellschafterwechsels mit der EWA und der EWT getroffen hatte. Demzufolge erbrachten diese Firmen weiterhin ihre Dienstleistungen für die Schuldnerin. Dies erfasste auch die „Auswahl des Cockpit- und Kabinenpersonals/Rekrutierung“.

18Vor dem Hintergrund des pandemiebedingten Erliegens des Flugbetriebs suspendierte die Beklagte zu 2. den ACMIO-Vertrag Ende März 2020 wegen höherer Gewalt. Am wurde der Vertrag einvernehmlich beendet. Noch im selben Monat gab die Schuldnerin die letzten ihrer Flugzeuge an die Dry-Lease-Geber zurück.

19Am beantragte die Schuldnerin beim zuständigen Amtsgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bei Eigenverwaltung. Das Gericht ordnete zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an. Der Beklagte zu 1. wurde zum vorläufigen Sachwalter bestellt.

20Mit Bescheid vom widerrief das Luftfahrt-Bundesamt die Betriebsgenehmigung der Schuldnerin. Der Bescheid wurde mit Ablauf eines Monats nach Zustellung bestandskräftig.

21Mit E-Mail vom nebst beigefügtem Schreiben vom leitete die Schuldnerin gegenüber der PV Cockpit das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ein.

22Mit gerichtlichem Beschluss vom wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zu 1. zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser zeigte mit Schreiben vom gleichen Tag die Masseunzulänglichkeit an.

23Mit Anwaltsschreiben vom erstattete der Beklagte zu 1. eine Massenentlassungsanzeige für alle Beschäftigten der Schuldnerin bei der Agentur für Arbeit Düsseldorf. Zudem erstattete er Anzeigen bei den Agenturen für Arbeit in Nürnberg, Stuttgart, Berlin-Mitte, Berlin-Nord und Berlin Süd.

24Anfang Juli 2020 erfolgte die Kündigung des Kabinen- und Bodenpersonals. Unter dem 15./ schloss der Beklagte zu 1. mit der PV Cockpit einen Interessenausgleich. Dieser sah eine Übersendung des Interessenausgleichs als alleinige Stellungnahme der PV Cockpit nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG an die Agentur für Arbeit vor. Eine solche Übersendung hat der Beklagte zu 1. aber nicht behauptet.

25Der Kläger war seit dem bei der Schuldnerin als Pilot beschäftigt. Er wurde auf dem Flugzeugtyp Dash-8 Q400 eingesetzt. Mit E-Mail vom hörte der Beklagte zu 1. die PV Cockpit unter Bezugnahme auf die Interessenausgleichsverhandlungen zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers unter Wahrung der Kündigungsfrist nach § 113 Satz 2 InsO an. Diese sei durch die beabsichtigte Betriebsstilllegung bedingt. Wegen der Kündigung aller Arbeitsverhältnisse sei eine Sozialauswahl nicht durchzuführen. Mit Schreiben vom , das dem Kläger am zuging, kündigte der Beklagte zu 1. das Arbeitsverhältnis zum , hilfsweise zum nächst zulässigen Zeitpunkt. Ebenso kündigte er die Arbeitsverhältnisse der übrigen Piloten noch im Juli 2020.

26Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und die Feststellung des Fortbestands eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2. begehrt.

27Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Eine Betriebsstilllegung liege nicht vor, weil es bereits mit Übernahme des Unternehmensanteils durch die LCH GmbH am zu einem Betriebsübergang auf die Beklagte zu 2. gekommen sei. Das Personal der Schuldnerin sei wie vorher mit denselben Flugzeugen nur für die Beklagte zu 2. nach deren Einsatzplänen und auf deren Strecken geflogen. Hierfür seien auch die Start- und Landerechte (im Folgenden Slots) der Schuldnerin genutzt worden. Die Schuldnerin sei eine wirtschaftliche Einheit gewesen, welche in ihrer Gesamtheit nach Vorgaben der Beklagten zu 2. deren Flugbetrieb habe aufrechterhalten sollen und damit letztlich auf sie übergegangen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die Schuldnerin mit anderen Unternehmen des Lufthansa-Konzerns Dienstleistungsverträge abgeschlossen habe. In der Gesamtschau sei die Schuldnerin in den Flugbetrieb der Beklagten zu 2. eingegliedert worden.

28Zudem sei die PV Cockpit vor der Kündigung nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden. Es fehlten Angaben zur wirtschaftlichen Situation der Schuldnerin, welche eine Einschätzung bezüglich der Möglichkeit von Kurzarbeit ermöglicht hätte. Auch im Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG seien die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht hinreichend dargestellt worden. Ferner habe die Schuldnerin die endgültige Entscheidung, den Flugbetrieb stillzulegen, bereits mit Beendigung der ACMIO RV 2019 am und damit schon vor Einleitung des Konsultationsverfahrens getroffen.

29Das Arbeitsverhältnis bestehe mit der Beklagten zu 2. fort. Dies gelte auch dann, wenn man keinen Betriebsübergang annehme. In diesem Fall sei ein Arbeitsverhältnis gemäß § 10 Abs. 1 AÜG aufgrund unzulässiger Arbeitnehmerüberlassung begründet worden. Das fliegende Personal sei in den Betrieb der Beklagten zu 2. eingebunden gewesen und hätte deren Weisungen unterlegen. Dabei sei der Beklagten zu 2. das Handeln der EWA zuzurechnen, anderenfalls handle es sich um eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung. Die Beklagte zu 2. sei als Fluggesellschaft selbst für die Durchführung ihres Flugbetriebs verantwortlich. Es sei absolut unüblich, dass die operative Kontrolle über den Flugbetrieb einschließlich der Personalsteuerung im Rahmen eines Wet Lease fremdvergeben werde („modified Wet Lease)“. Die Kontrolle des Personals der Schuldnerin über das IOCC der EWA diene nur der zentralen Planung der Beklagten zu 2. Die Schuldnerin habe als Teil des Lufthansa-Konzerns an diesem System teilnehmen müssen, um das Konzept der Beklagten zu 2. unter Beteiligung der EWA umzusetzen. Dem entspreche die zeitweilige Identität der Geschäftsführer der EWA und der Beklagten zu 2.

30Der Kläger hat beantragt

31Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

32Der Beklagte zu 1. hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei rechtswirksam. Der Betrieb der Schuldnerin sei stillgelegt worden. Mit Beendigung des ACMIO-Vertrags mit der Beklagten zu 2. sei der einzige Kunde der Schuldnerin entfallen. Die darauf bezogenen vertraglichen Beziehungen zwischen der Schuldnerin und anderen Gesellschaften des Lufthansa-Konzerns seien beendet worden. Die Schuldnerin habe sämtliche von den Unternehmen des Lufthansa-Konzerns geleasten Flugzeuge zurückgeben müssen. Die Suche nach einem Investor sei ebenso wie die Prüfung neuer Geschäftsmodelle, zB die Durchführung von Charterflügen, erfolglos geblieben. Vor diesem Hintergrund habe die Geschäftsführung der Schuldnerin ausweislich eines schriftlichen Geschäftsführerbeschlusses am mit seiner Zustimmung als vorläufiger Sachwalter die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Betrieb der Schuldnerin vollständig und endgültig mit sofortiger Wirkung stillzulegen. Einen entsprechenden schriftlichen Beschluss habe die LF Verwaltungs GmbH als einzige Gesellschafterin der Schuldnerin am durch ihren Geschäftsführer gefasst. Eine Sozialauswahl sei nicht vorzunehmen gewesen, da sämtliche Arbeitsverhältnisse beendet wurden. Die Verfahren nach § 74 TVPV und § 17 KSchG seien ordnungsgemäß durchgeführt worden.

33Die Beklagte zu 2. hat die Auffassung vertreten, dass mit dem Kläger kein Arbeitsverhältnis begründet worden sei. Ein Betriebsübergang habe nicht stattgefunden. Die Schuldnerin habe während der Vertragslaufzeit der ACMIO RV ihre Dienste als eigenständiges Unternehmen erbracht. Hierfür habe sie sich auf der Basis von Dienstleistungsverträgen anderer Konzerngesellschaften bedient. Sie - die Beklagte zu 2. - habe keine wesentlichen Betriebsmittel oder Schlüsselpersonal der Schuldnerin übernommen. Ein Arbeitsverhältnis sei auch nicht aufgrund unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung zustande gekommen. Der Einsatz des fliegenden Personals habe nur den vertragsgemäßen Gebrauch der überlassenen Flugzeuge ermöglicht.

34Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageziele weiter.

Gründe

35Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der gegen die Beklagte zu 2. gerichteten Klage wendet. Im Übrigen sieht sich der Senat bis zu der für den angekündigten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) im Verfahren - C-134/22 - an einer abschließenden Entscheidung gehindert und hat das Verfahren dementsprechend ausgesetzt.

36I. Die Klage ist insgesamt zulässig. Es liegt keine unzulässige eventuelle subjektive Klagehäufung vor (vgl. hierzu  - Rn. 35). Der Kläger hat die zu 1. und 2. gestellten Feststellungsanträge jeweils unbedingt erhoben. Die Antragstellung kann folglich nicht dahingehend verstanden werden, dass der zu 2. gestellte Feststellungsantrag im Verhältnis zu dem zu 1. gestellten Kündigungsschutzantrag als Hauptantrag und der Kündigungsschutzantrag bezüglich des Beklagten zu 1. als Hilfsantrag zu verstehen wären und deshalb eine unzulässige eventuelle subjektive Klagehäufung vorläge. Zwar ist einerseits die der Sache nach primär begehrte Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2. in zeitlicher Hinsicht zuerst zu prüfen, weil der Kläger einen Betriebsübergang bereits zum behauptet. Die Kündigungsschutzklage andererseits kann nur Erfolg haben, falls das Arbeitsverhältnis nicht schon vor Zugang der Kündigung auf die Beklagte zu 2. übergegangen ist. Dieses lediglich denklogische Abhängigkeitsverhältnis, welches zu einer prozessualen Verschränkung führt, ist aber erst bei der Prüfung der Schlüssigkeit der Kündigungsschutzklage aufzulösen (vgl.  - Rn. 36; - 8 AZR 692/10 - Rn. 20). Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob in Fällen, in denen der Übergang des Arbeitsverhältnisses im Wege eines Betriebsübergangs umstritten ist, die Erhebung einer sog. „Betriebsübergangs-Feststellungsklage“ in Betracht kommt (vgl. dazu  - Rn. 22, BAGE 152, 345).

37II. Die gegen die Beklagte zu 2. gerichtete Klage ist unbegründet. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Für den Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2. gibt es keine Rechtsgrundlage. Folglich ist der Feststellungsantrag zu 2. unabhängig von der Wirksamkeit der streitbefangenen Kündigung unbegründet.

381. Das ursprünglich mit der Schuldnerin begründete Arbeitsverhältnis des Klägers ist zu keinem Zeitpunkt im Wege eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beklagte zu 2. übergegangen.

39a) Der am zwischen Air Berlin und der LCH GmbH geschlossene Anteilskauf- und Übertragungsvertrag hat keinen Betriebsübergang bewirkt. Die bloße Übernahme von Gesellschaftsanteilen stellt keinen Wechsel des Inhabers als natürliche oder juristische Person dar (zum Erfordernis des Inhaberwechsels vgl. die Parallelentscheidung  (A) - Rn. 43 ff.).

40b) Die Durchführung des Wet Lease auf der Grundlage mehrerer ACMIO-Verträge bis Ende März 2020 hatte ebenfalls mangels Inhaberwechsels keinen Betriebsübergang auf die Beklagte zu 2. zur Folge ( (A) - Rn. 47 ff.). Dies gilt auch bei Berücksichtigung der ACMIO RV 2019 und der ab März 2019 geltenden Vereinbarung über Übergangsdienstleistungen der EWA und der EWT. Diese Verträge enthalten keine entscheidungserheblichen Neuregelungen.

41c) Ein Betriebsübergang auf die Beklagte zu 2. ist auch nicht bezogen auf die Zeit nach Beendigung der ACMIO-Vereinbarung im April 2020 ersichtlich. Dies würde voraussetzen, dass die bei der Schuldnerin zur Durchführung des Wet Lease geschaffene wirtschaftliche Einheit jedenfalls in Form einer Beibehaltung der funktionellen Verknüpfung der Produktionsfaktoren nunmehr auf die Beklagte zu 2. übergegangen wäre (vgl. zum Luftverkehrssektor  - [Ferreira da Silva e Brito ua.] Rn. 33;  - Rn. 62, BAGE 170, 244). Ein solches „Weiterleben“ der wirtschaftlichen Einheit der Schuldnerin bei der Beklagten zu 2. ist dem Vortrag des Klägers bezogen auf die Zeit nach Beendigung der ACMIO-Vereinbarung nicht zu entnehmen.

42d) Das ACMIO-Vertragskonstrukt und die Durchführung des Wet Lease stellen entgegen der Auffassung der Revision keine Umgehung des § 613a Abs. 1 BGB dar. Damit wurde kein gesetzlich missbilligter Erfolg angestrebt (vgl.  - Rn. 37). Die Parteien des Wet Lease haben lediglich von einer von § 613a BGB nicht eingeschränkten und durch Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1008/2008 (LuftverkehrsdienstVO) unionsrechtlich anerkannten Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Dabei ist arbeitsrechtlich ohne Belang, ob es sich um ein typisches Wet Lease oder ein vom Kläger als „modified Wet Lease“ bezeichnetes abweichendes Modell handelte, welches nach Ansicht des Klägers den luftverkehrsrechtlichen Vorgaben für den eigenverantwortlichen Betrieb einer Fluggesellschaft nicht entsprach. Entscheidend ist, dass die gewählte Konstruktion der Schuldnerin die für einen Betrieb als wirtschaftliche Einheit iSd. § 613a Abs. 1 BGB erforderliche funktionelle Autonomie beließ ( (A) - Rn. 49). Welche luftverkehrsrechtlichen Konsequenzen die Einschaltung der EWA für die Schuldnerin bzw. die Beklagte zu 2. hatte, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.

432. Ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2. ist auch nicht während der Durchführung des Wet Lease wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AÜG zustande gekommen. Es fehlt die hierfür erforderliche weisungsgebundene Eingliederung des Klägers in die Arbeitsorganisation der Beklagten zu 2.

44a) Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des Neunten Senats des - 9 AZR 468/21 - Rn. 29 ff.) verwiesen. Dieser Entscheidung lagen bezogen auf den ACMIO RV 2017 dieselben vertraglichen Vereinbarungen der Schuldnerin mit der Beklagten zu 2., der EWA und der EWT sowie der WCG Flug wie im vorliegenden Rechtsstreit zu Grunde. Dies gilt auch bezüglich der ab März 2019 geltenden Vereinbarung über Übergangsdienstleistungen der EWA und der EWT. Aus der hier vorgelegten ACMIO RV 2019 ergibt sich nichts Abweichendes. Auf Grundlage dieser Vereinbarung wurde das Geschäftsmodell der Schuldnerin nach dem Gesellschafterwechsel letztlich unverändert fortbetrieben.

45b) Die hiergegen gerichtete Kritik des Klägers verfängt nicht. Soweit er darauf hinweist, dass die Überlassung technischen Geräts mit Bedienungspersonal eine Arbeitnehmerüberlassung darstelle, weil diese Überlassung ohne Fremdsteuerung des Arbeitseinsatzes keinen Sinn mache, sondern der Leasingnehmer das technische Gerät nach eigenen Vorstellungen zur Verfolgung seines Betriebszwecks einsetzen wolle (vgl. Schüren/Hamann/Hamann AÜG 6. Aufl. § 1 Rn. 244), liegen hier keine derartigen Vertragsgestaltungen vor. Diese sehen gerade keine weisungsgebundene Eingliederung vor (vgl.  - Rn. 40 ff.). Vielmehr hat die Schuldnerin mit dem Wet Lease ihren eigenen Betriebszweck weiterverfolgt. Der Hinweis des Klägers auf das im Konzern der Lufthansa verfolgte „Steckerleistensystem“, an das ua. die Schuldnerin habe „andocken“ müssen, ändert daran nichts.

46c) Auch bezüglich der tatsächlichen Vertragspraxis sind dem Vortrag des Klägers keine Umstände zu entnehmen, die zu einer anderen Beurteilung führen würden (zur Darlegungs- und Beweislast  - Rn. 35). Der Kläger stellt bezüglich der Weisungserteilung ebenfalls auf die EWA ab. Deren Handlungen seien der Beklagten zu 2. zuzurechnen. Dies ist unzutreffend, denn die EWA war die alleinige Vertragspartnerin der Schuldnerin und trat nicht ersichtlich als bevollmächtigte Vertreterin der Beklagten zu 2. auf. Eine Zurechnung rechtsgeschäftlicher Erklärungen allein aufgrund einer konzernrechtlichen Verbundenheit ist nach dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip ausgeschlossen ( - Rn. 48, 54 ff.). Dies gölte auch bei einer Personenidentität der Geschäftsführungen von EWA und Beklagter zu 2.

47d) Ob das von der Schuldnerin und der Beklagten zu 2. betriebene Wet-Lease-Modell in Bezug auf die Beklagte zu 2. den luftverkehrsrechtlichen Vorgaben für den Betrieb einer Fluggesellschaft entsprach, kann wiederum offenbleiben. Eine solche Konformität ist auch im Rahmen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AÜG nicht zu prüfen.

48e) Soweit sich die Revision auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom (- 15 Sa 30/21 -; Revision anhängig unter - 9 AZR 10/23 -) beruft, führt dies nicht weiter. Das Landearbeitsgericht Baden-Württemberg hat in diesem Verfahren entsprechend dem dortigen Klageziel wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung den Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit der EWA und nicht mit der hiesigen Beklagten zu 2. angenommen.

49III. Das mit dem Antrag zu 1. gegen den Beklagten zu 1. betriebene Kündigungsschutzverfahren war in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen.

501. Die Kündigungsschutzklage ist nicht bereits wegen Unschlüssigkeit unbegründet, weil der Kläger ausweislich des gegen die Beklagte zu 2. gerichteten Feststellungsantrags von einem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 2. noch vor dem Zugang der streitgegenständlichen Kündigung ausgeht. Die Revisionsbegründung verdeutlicht, dass der Kläger sich im Rahmen der Kündigungsschutzklage nicht nur auf den von ihm angenommenen Betriebsübergang beruft, sondern auch auf andere Gründe für die Unwirksamkeit der Kündigung. Dieser gleichsam hilfsweise erbrachte Vortrag kommt hier zum Tragen, da - wie ausgeführt - kein Betriebsübergang vorliegt (vgl.  - Rn. 88, BAGE 170, 244; - 6 AZR 752/11 - Rn. 36).

512. Die streitgegenständliche Kündigung vom ist wegen der beabsichtigten Stilllegung des Betriebs sozial gerechtfertigt (vgl. § 1 Abs. 2 KSchG). Eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG war wegen der Kündigung aller Beschäftigten der Schuldnerin nicht veranlasst (vgl.  (A) - Rn. 64 ff.).

523. Die Kündigung scheitert auch nicht gemäß § 74 Abs. 1 Satz 3 TVPV an einer fehlerhaften Anhörung der PV Cockpit. Die E-Mail vom enthielt die erforderlichen Angaben (vgl.  (A) - Rn. 67 ff.). Entgegen der Auffassung der Revision musste die PV Cockpit bezüglich der wirtschaftlichen Situation nicht dergestalt unterrichtet werden, dass sie die Möglichkeit der Einführung von Kurzarbeit hätte prüfen können. Der Beklagte zu 1. beabsichtigte die Kündigung aller Beschäftigten wegen der Stilllegung des Betriebs und musste die PV Cockpit nur diesbezüglich unterrichten (vgl.  - Rn. 69; APS/Koch 6. Aufl. BetrVG § 102 Rn. 109c; KR/Rinck 13. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 82).

534. Die Kündigung ist jedoch nach der aktuellen Rechtsprechung wegen eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 3 KSchG nach § 134 BGB unwirksam. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Schuldnerin die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige nicht ordnungsgemäß iSd. § 17 Abs. 3 KSchG erstattet (vgl. hierzu (A) - Rn. 71 ff.). Es kann derzeit aber noch nicht abschließend entschieden werden, ob hieraus gemäß § 134 BGB die Unwirksamkeit der Kündigung folgt. Der Senat ist gehalten, die Entscheidung des EuGH im Verfahren - C-134/22 - abzuwarten, um dann seine Rechtsprechung insbesondere bezüglich der Rechtsfolgen eines solchen Verstoßes einer Überprüfung unterziehen zu können (vgl.  (A) - Rn. 75). Der Senat hat das Verfahren daher bis zu einer Entscheidung des EuGH entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO ausgesetzt (vgl. hierzu  (A) - Rn. 30 ff.).

54IV. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:110523.U.6AZR115.22A.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-45578