Instanzenzug: Az: I-21 U 122/20vorgehend LG Essen Az: 9 O 183/19
Gründe
1I. Der Kläger macht gemäß § 93 SGB XII auf ihn übergegangene Ansprüche auf Rückgewähr einer Schenkung geltend.
2Im Jahr 2001 erwarben der inzwischen verstorbene Beklagte zu 1 (dessen Erben die Beklagten zu 2 bis 4 sind) und die Beklagte zu 2 das Eigentum an einem Grundstück mit Gebäude und Freifläche in Marl. Das Grundstück war seit 1989 mit einem Wohnrecht belastet.
3Die am geborene Berechtigte des Wohnrechts (künftig: Leistungsempfängerin) zog am dauerhaft in ein Pflegeheim. Am bewilligte sie die Löschung des Wohnrechts.
4Der Kläger gewährt der Leistungsempfängerin Sozialleistungen. Er hat deshalb Ansprüche der Leistungsempfängerin auf Rückgewähr der Schenkung wegen Verarmung auf sich übergeleitet.
5Das Landgericht hat die Beklagten zu 1 und 2 antragsgemäß zur Zahlung von 36.153 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage nur bezüglich der weitergehenden Zinsforderung abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zu 2 bis 4 hat das Berufungsgericht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde verfolgen die Beklagten zu 2 bis 4 das Ziel einer vollständigen Abweisung der Klage weiter.
6II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
71. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Bewilligung der Löschung des Wohnrechts beruhe auf einer Schenkung, weil die Beklagten zu 1 und 2 keine Gegenleistung erbracht hätten. Aufgrund der Verarmung der Leistungsempfängerin sei der Wert der Schenkung herauszugeben.
8Dieser Wert spiegele sich in der Erhöhung des Verkehrswerts des Grundstücks wider. Die Werterhöhung sei auf der Grundlage des vom Kläger angegebenen Mietwerts von 5 Euro pro Quadratmeter und der damaligen Lebenserwartung der Leistungsempfängerin auf die Klagesumme zu beziffern.
9Der Klägervortrag hierzu sei nachvollziehbar. Insoweit sei unerheblich, ob der Vortrag der Beklagten, wonach das Gebäude sich zum Zeitpunkt der Löschungsbewilligung in einem desolaten Zustand befunden habe, unstreitig sei. Jedenfalls sei das pauschale Bestreiten des in erster Instanz unstreitig gebliebenen Mietwerts sowohl unsubstantiiert als auch verspätet im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO.
102. Dies rügt die Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg.
11Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
12a) Die Nichtberücksichtigung eines Vortrags wegen mangelnder Substantiierung verletzt Art. 103 Abs. 1 GG, wenn dies in offenkundig unrichtiger Weise geschieht (, MDR 2023, 53 Rn. 8; Beschluss vom - IX ZR 136/22, ZRI 2023, 359 Rn. 19).
13Diese Voraussetzung ist im Streitfall bezüglich des Vortrags der Beklagten zum Zustand des Wohngebäudes sowie den sich daraus ergebenden Folgen für dessen Vermietbarkeit und Mietwert erfüllt.
14Die Beklagten haben anhand zahlreicher, zum Teil auch fotografisch dokumentierter Mängel den Zustand des Wohngebäudes zum Zeitpunkt des Verzichts auf das Wohnrecht dargelegt. Der Kläger hat sich dazu bislang noch nicht geäußert.
15Bei dieser Ausgangslange bestand für eine weitere Substantiierung keine Veranlassung.
16Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich, welchen Zustand die Wohnung aufgewiesen hat. Dies ermöglicht die Beurteilung, ob der vom Kläger angegebene Mietwert von 5 Euro pro Quadratmeter angesetzt werden kann.
17b) Art. 103 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn ein Gericht rechtlich erhebliches Vorbringen aus prozessualen Erwägungen unberücksichtigt lässt, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze findet (vgl. nur , BVerfGE 69, 141, 144 sub III; Beschluss vom - 1 BvR 1935/03, NJW 2005, 1487 sub II 1). Diese Grenze ist bei Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie § 531 ZPO bereits dann erreicht, wenn sie in offenkundig unrichtiger Weise angewandt wird (, GRUR 2022, 1550 Rn. 10 f.).
18Die zuletzt genannte Voraussetzung ist im Streitfall ebenfalls erfüllt.
19aa) Eine Präklusion gemäß § 531 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass es sich um streitigen Vortrag handelt (, BGHZ 177, 212-217, Rn. 10). Unstreitige Tatsachen sind unabhängig von dieser Vorschrift auch dann zu berücksichtigen, wenn dies im Hinblick auf Folgefragen eine Beweisaufnahme erfordert (, GRUR 2022, 1550 Rn. 13).
20Dies gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO entscheidet.
21Eine Zurückweisung der Berufung nach dieser Vorschrift ist nur dann zulässig, wenn das Rechtsmittel auch unter Berücksichtigung des nach § 529 und § 531 ZPO zulässigen neuen Vorbringens offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat (, NJW 2017, 736 Rn. 13; Beschluss vom - XI ZR 538/17, NJW 2018, 2269 Rn. 24). Zu dem danach zu berücksichtigenden Vorbringen gehört auch neuer Vortrag, der unstreitig geblieben ist.
22bb) Im Streitfall hat sich der Kläger bislang zu dem neuen Vortrag der Beklagten über den Zustand des Wohngebäudes und dessen Vermietbarkeit nicht geäußert.
23Bei dieser Ausgangslage war das diesbezügliche Vorbringen schon deshalb zu berücksichtigen, weil es nicht bestritten ist.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:040723BXZR32.22.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-45320