BGH Urteil v. - XI ZR 77/22

Verbraucherdarlehensvertrag im Fernabsatzgeschäft: Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz hinsichtlich erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen nach Widerruf im Lichte der Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie

Leitsatz

§ 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum geltenden Fassung ist nicht im Lichte von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG sowie des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (im Anschluss an - Leonhard, WM 2020, 1190) dahin teleologisch zu reduzieren, dass dem Verbraucher aus einem nach erklärtem Widerruf rückabzuwickelnden im Fernabsatz geschlossenen Darlehensvertrag kein Anspruch aus § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB auf Nutzungsersatz hinsichtlich der von ihm erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen zusteht.

Gesetze: § 346 Abs 1 Halbs 2 BGB, § 357 Abs 1 S 1 BGB vom , Art 7 Abs 4 EGRL 65/2002

Instanzenzug: Az: I-12 U 33/21vorgehend Az: 17 O 232/17

Tatbestand

1Die Parteien streiten in dritter Instanz noch um die Rechtsfolgen des von den Klägern erklärten Widerrufs ihrer auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen.

2Die Kläger schlossen mit der Beklagten im Jahr 2005 unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln einen durch eine Grundschuld besicherten Verbraucherdarlehensvertrag über nominal 144.000 € zu einem anfänglichen effektiven Jahreszins von 4,21% p.a. und einer Zinsbindung bis zum (künftig: Hauptdarlehen). Ebenfalls im Jahr 2005 schlossen die Parteien einen weiteren Verbraucherdarlehensvertrag über nominal 46.000 €. Die Mittel für dieses Darlehen (künftig: KfW-Darlehen) stellte die Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Verfügung. Über das den Klägern zukommende Widerrufsrecht belehrte die Beklagte die Kläger bei Abschluss beider Darlehensverträge unzureichend.

3Die Kläger erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Mit Schreiben vom widerriefen sie ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Sie lösten das Hauptdarlehen und das KfW-Darlehen jeweils durch unter Vorbehalt geleistete Zahlungen zum und zum ab.

4Die Kläger beanspruchen nach erklärter Aufrechnung mit Ansprüchen aus den aufgrund der Widerrufe entstandenen Rückgewährschuldverhältnissen Zahlung eines von ihnen errechneten Rückgewährsaldos in Höhe von 94.705,05 €, in den sie zu ihren Gunsten einen Anspruch auf Ersatz der auf die von ihnen erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen gezogenen Nutzungen, aber keine Wertersatzansprüche der Beklagten eingestellt haben.

5Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 0,03 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und die Revision insoweit beschränkt zugelassen, als die Kläger Ansprüche im Zusammenhang mit dem Widerruf des Hauptdarlehens geltend machen. Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Zahlungsbegehren insoweit weiter.

Gründe

6Die Revision der Kläger hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

7Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:

8Den Klägern stehe kein Anspruch auf Nutzungsersatz bezüglich der von ihnen auf das Hauptdarlehen erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen zu. Die nationale Regelung der Rechtsfolgen des Widerrufs eines Verbrauchervertrags in § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB [in der bis zum geltenden Fassung (künftig: aF)] i.V.m. § 346 Abs. 1 BGB sei bei im Fernabsatz geschlossenen Verbraucherdarlehensverträgen unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass der Darlehensgeber nur die empfangenen Zins- und Tilgungsleistungen, nicht aber Nutzungsersatz auf diese Beträge herauszugeben habe. Nach dem Wortlaut der nationalen Regelung stehe den Klägern ein Nutzungsersatzanspruch zwar zu. Der von den Parteien geschlossene Hauptdarlehensvertrag falle aber in den zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (künftig: Richtlinie 2002/65/EG). Deren Art. 7 Abs. 4 stehe einem Nutzungsersatzanspruch des Darlehensnehmers entgegen, wie der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom (C-301/18 - Leonhard, WM 2020, 1190) entschieden habe. Der Unvereinbarkeit der deutschen Regelung in ihrer an rein nationalen Kriterien ausgerichteten Auslegung mit den europarechtlichen Vorgaben könne und müsse durch eine unionsrechtskonforme Rechtsfortbildung abgeholfen werden. Die Verweisung gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB und damit die Herausgabe der gezogenen Nutzungen nicht erfasse. Es liege eine unionsrechtskonform zu schließende verdeckte Regelungslücke vor, da nicht zu erkennen sei, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Nutzungsersatz, der mit der Verweisung in § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF auf die Rücktrittsvorschriften verbunden sei, ein "gezielt gesetzter Bestandteil" des damaligen gesetzgeberischen Regelungskonzepts gewesen sei.

9Die Einwendungen der Kläger gegen die in die Rückabwicklung des Hauptdarlehensvertrags einbezogenen Wertersatzansprüche der Beklagten aus § 312d Abs. 6 BGB in der bis zum geltenden Fassung (künftig: aF), § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i.V.m. § 346 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BGB, seien unbegründet. Die Beklagte habe die Kläger vor Abgabe ihrer Vertragserklärungen gemäß § 312d Abs. 6 BGB aF darauf hingewiesen, dass ihr im Fall eines wirksamen Widerrufs des Darlehensvertrags ein Wertersatzanspruch zustehe. Sowohl in der Widerrufsbelehrung als auch in dem vor Vertragsschluss ausgehändigten Informations- und Merkblatt zum Baufinanzierungsdarlehen für den Verbraucher werde auf den Wertersatzanspruch hingewiesen.

10Auch die weitere Anspruchsvoraussetzung des § 312d Abs. 6 BGB aF sei erfüllt, da der Abruf des Darlehens durch die Kläger der Erteilung der ausdrücklichen Zustimmung zum Beginn mit der Ausführung der Dienstleistung vor Ende der Widerrufsfrist gleichzusetzen sei. Dafür spreche der Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2002/65/EG, der im Gegensatz zur nationalen Umsetzungsregelung die Erteilung einer ausdrücklichen Zustimmung nicht verlange. Entgegen der Ansicht der Kläger fehle es nicht an Feststellungen dazu, dass der Darlehensabruf vor Ende der Widerrufsfrist erfolgt sei. Aus den Vertragsunterlagen ergebe sich, dass eine Auszahlung des Darlehens nicht ohne einen vorherigen schriftlichen Abruf durch den Darlehensnehmer erfolge. Die Darlehen seien unstreitig nach Vertragsschluss ausgezahlt worden. Es sei daher von einem Abruf der Darlehen durch die Kläger auszugehen. Die in dem Abruf des Darlehens liegende Aufforderung zur Leistungserbringung sei in jedem Fall vor Ablauf der Widerrufsfrist erfolgt, da diese mangels ordnungsgemäßer Belehrung nie zu laufen begonnen habe.

II.

11Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

121. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf Ansprüche aus dem aufgrund der Widerruferklärungen betreffend den Hauptdarlehensvertrag entstandenen Rückgewährschuldverhältnis beschränkt.

13Bei der Beschränkung der Revisionszulassung auf diese Ansprüche handelt es sich um einen rechtlich selbstständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs. Auch die vom Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage, ob das nationale Recht eine unionsrechtskonforme Auslegung im Lichte der Richtlinie 2002/65/EG zulässt, nach der die Kläger aus dem Rückgewährschuldverhältnis keinen Nutzungsersatz auf die von ihnen erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen beanspruchen können, ist nur für diesen Teil des Streitstoffs erheblich.

14Entgegen der Meinung der Revisionserwiderung ist die Zulassung der Revision allerdings nicht lediglich auf Nutzungsersatzansprüche der Kläger aus dem genannten Rückgewährschuldverhältnis beschränkt. Der Entscheidungssatz des angefochtenen Urteils enthält keinen Zusatz, der die zugelassene Revision in diesem Sinne einschränkt. Eine Eingrenzung des Rechtsmittels kann sich zwar auch aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergeben. Aus diesen muss dann aber mit ausreichender Klarheit hervorgehen, dass das Berufungsgericht die Möglichkeit einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nur wegen eines - tatsächlich und rechtlich selbständigen - abtrennbaren Teils seiner Entscheidung eröffnen wollte (, BGHZ 191, 119 Rn. 8 und vom - XI ZR 368/11, juris Rn. 14). Das ist hier - bezogen auf die Nutzungsersatzansprüche der Kläger - nicht der Fall.

15Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen zwar nur damit begründet, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Frage, ob das nationale Recht eine unionsrechtskonforme Auslegung im Lichte der Richtlinie 2002/65/EG dahin zulässt, dass ein Nutzungsersatzanspruch der Kläger ausgeschlossen ist, bislang höchstrichterlich nicht geklärt sei. Hiermit hat es aber lediglich den Anlass der Revisionszulassung mitgeteilt, ohne die im Tenor zugelassene revisionsrechtliche Nachprüfung von allen Ansprüchen aus dem aufgrund der Widerrufe des Hauptdarlehensvertrags entstandenen Rückgewährschuldverhältnis entsprechend beschränken zu wollen.

162.a) Das Berufungsgericht ist noch zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Rechtsfolgen nach den wirksam erklärten Widerrufen der Kläger in erster Linie nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF richten. Nach dieser Vorschrift finden auf das Widerrufs- und Rückgaberecht, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) entsprechende Anwendung. Danach ergibt sich aus § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB für den hier maßgebenden Zeitraum, dass die darlehensgebende Bank dem Darlehensnehmer die mutmaßlich gezogenen Nutzungen aus den erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen erstatten muss (st. Rspr., Senatsurteil vom - XI ZR 9/17, WM 2019, 917 Rn. 19; Beschlüsse vom - XI ZR 366/15, WM 2016, 454 Rn. 17 ff. und vom - XI ZR 116/15, ZIP 2016, 109 Rn. 7).

17b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt eine Auslegung des nationalen Rechts im Lichte des Unionsrechts (vgl. - Leonhard, WM 2020, 1190) dahin, dass einem Verbraucher aus einem nach erklärtem Widerruf rückabzuwickelnden im Fernabsatz im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG geschlossenen Darlehensvertrag kein Anspruch aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i.V.m. § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB auf Nutzungsersatz hinsichtlich erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen zusteht, nicht in Betracht.

18aa) Der im Fernabsatz geschlossene Hauptdarlehensvertrag fällt in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/65/EG. Die grundpfandrechtliche Besicherung steht dem nicht entgegen. Denn der Gesetzgeber hat von der in Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2002/65/EG eröffneten Möglichkeit, Immobiliarkredite und grundpfandrechtlich besicherte Kredite von dem Widerrufsrecht auszunehmen, im hier maßgebenden Zeitraum keinen Gebrauch gemacht.

19bb) Die hier maßgebenden nationalen Vorschriften (§ 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i.V.m. § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB) können nicht im Lichte der Richtlinie 2002/65/EG unionsrechtskonform dahin ausgelegt werden, dass ein Verbraucher im Anwendungsbereich dieser Richtlinie keinen Nutzungsersatz auf erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen beanspruchen kann (vgl. OLG Brandenburg, BKR 2020, 88 Rn. 7 ff.; Dieckmann, BKR 2021, 300, 304; Maier, VuR 2020, 166, 169; aA LG Bonn, BKR 2021, 300 Rn. 58 ff.; Korff, jurisPR-BKR 8/2020 Anm. 2; Schultheiß, WuB 2020, 429, 431; Omlor, JuS 2020, 683, 684; Rodi, GPR 2020, 246, 249; Latta/Lühmann, BKR 2020, 69, 75; Sänger, jurisPR-BKR 7/2021 Anm. 5).

20(1) Die Entscheidung darüber, ob im Rahmen des nationalen Rechts ein Spielraum für eine richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung besteht, obliegt den nationalen Gerichten (BVerfG, WM 2012, 1179, 1181; NVwZ-RR 2018, 169 Rn. 37). Eine richtlinienkonforme Auslegung darf nicht dazu führen, dass das Regelungsziel des Gesetzgebers in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird, oder dazu, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben oder der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt wird. Richterliche Rechtsfortbildung berechtigt den Richter nicht dazu, seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen (BVerfG, aaO). Demgemäß kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nur in Frage, wenn eine Norm tatsächlich unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten im Rahmen dessen zulässt, was der gesetzgeberischen Zweck- und Zielsetzung entspricht. Der Grundsatz unionsrechtskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung darf nicht zu einer Auslegung des nationalen Rechts contra legem führen (, BGHZ 193, 238 Rn. 50 und vom - XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 13; BVerfG, aaO). Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ( - Adeneler, Slg. 2006, I-6057 Rn. 110 und vom - C-282/10 - Dominguez, NJW 2012, 509 Rn. 25). Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege findet ihre Grenzen an dem nach der innerstaatlichen Rechtstradition methodisch Erlaubten (, BGHZ 201, 101 Rn. 20 und vom - IV ZR 440/14, BGHZ 215, 126 Rn. 22 ff.; Senatsurteil vom , aaO; BVerfG, aaO).

21Nach diesen Maßgaben kommt eine teleologische Reduktion des § 357 Abs. 1 BGB aF dahin, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene Verweisung auf § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB auf im Wege des Fernabsatzes geschlossene Verbraucherdarlehensverträge keine Geltung beansprucht, nicht in Betracht. Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt wie eine Analogie eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (zur teleologischen Reduktion , BGHZ 179, 27 Rn. 22 mwN; zur Analogie , BGHZ 201, 380 Rn. 14; Senatsurteil vom 14. März 2023 - XI ZR 420/21, WM 2023, 728 Rn. 33 mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). An einer solchen fehlt es hier, wie der Senat (Beschluss vom - XI ZR 366/15, WM 2016, 454 Rn. 19 ff.) bereits ausführlich begründet hat. Die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die Geltung des neuen Rechts auf die Zukunft zu beschränken, kann der Senat nicht revidieren (Senatsbeschluss, aaO Rn. 22).

22Der Senat müsste sich, um § 357 Abs. 1 BGB aF teleologisch in dem genannten Sinne zu reduzieren, gegen die ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers stellen. Das verbietet ihm das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip. Die Beachtung des klar erkennbaren Willens des Gesetzgebers ist Ausdruck demokratischer Verfassungsstaatlichkeit. Dies trägt dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) Rechnung. Das Gesetz bezieht seine Geltungskraft aus der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers, dessen artikulierter Wille den Inhalt des Gesetzes daher mit bestimmt. Der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers darf nicht übergangen oder verfälscht werden. So verwirklicht sich die in Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG vorgegebene Bindung der Gerichte an das Gesetz, denn dies ist eine Bindung an die im Normtext zum Ausdruck gebrachte demokratische Entscheidung des Gesetzgebers (BVerfGE 149, 126 Rn. 75).

23Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-301/18 - Leonhard, WM 2020, 1190), in dem der Gerichtshof entschieden hat, Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2002/65/EG sei dahin auszulegen, dass ein Verbraucher, der sein Widerrufsrecht in Bezug auf einen im Fernabsatz mit einem Anbieter geschlossenen Darlehensvertrag ausübt, von dem Anbieter vorbehaltlich der Beträge, die er selbst unter den in Art. 7 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie genannten Bedingungen an ihn zahlen muss, die Erstattung der zur Erfüllung des Vertrags gezahlten Tilgungs- und Zinsbeträge verlangen kann, nicht aber Nutzungsersatz auf diese Beträge, ändert daran nichts. Der Senat kann § 357 Abs. 1 BGB aF nicht entgegen dem ausdrücklichen Willen des nationalen Gesetzgebers für im Fernabsatz geschlossene Verbraucherdarlehensverträge teleologisch reduzieren.

24Auch der Gerichtshof der Europäischen Union bekräftigt in ständiger Rechtsprechung, die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung dürfe nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen ( - Pupino, Slg. 2005, I-5285 Rn. 47, vom - C-212/04 - Adeneler, Slg. 2006, I-6057 Rn. 110, vom - C-268/06 - Impact, Slg. 2008, I-2483 Rn. 100, 103, vom - C-282/10 - Dominguez, NJW 2012, 509 Rn. 25, vom - C-193/17 - Cresco Investigation, NZA 2019, 297 Rn. 74, vom - C-486/18 - Praxair MRC, NZA 2019, 1131 Rn. 38 und vom - C-143/18 - Romano, WM 2019, 1919 Rn. 38; ebenso Senatsurteil vom - XI ZR 290/11, BGHZ 193, 238 Rn. 50; , BGHZ 221, 325 Rn. 21; BVerfG, WM 2012, 1179, 1181).

25(2) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes nicht unter Hinweis darauf konstruiert werden, der Gesetzgeber habe ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien jedenfalls den zwingenden Vorgaben der Richtlinie 2002/65/EG genügen wollen (vgl. , WM 2018, 1601 Rn. 14). Die Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucks. 15/2946, S. 23 re. Sp.) belegen vielmehr im Gegenteil, dass der Gesetzgeber mit der Verweisung in § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF auf § 346 Abs. 1 BGB einen Nutzungsersatzanspruch des Verbrauchers bewusst schaffen wollte. Denn dort heißt es unmissverständlich, dass im Fall des Widerrufs gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i.V.m. § 346 Abs. 1 BGB nicht nur die empfangenen Leistungen zurückzugewähren, sondern auch die gezogenen Nutzungen herauszugeben sind. Im Einklang hiermit stehen die Ausführungen in den Gesetzgebungsmaterialien zu dem späteren Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom (BGBl. I S. 3642). Auch dort heißt es, dass dem Darlehensnehmer gegen den Darlehensgeber im Fall des Widerrufs von Verbraucherdarlehensverträgen bisher ein Anspruch auf Herausgabe oder Ersatz von Nutzungen über § 346 BGB zugestanden habe (BT-Drucks. 17/12637, S. 65 re. Sp.).

26Damit ergibt sich nicht nur aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik, sondern auch aus der Gesetzesbegründung, dass eine planwidrige Regelungslücke, die das Berufungsgericht erkennen möchte, tatsächlich nicht vorliegt. Der Gesetzgeber hat in dem hier maßgebenden Zeitraum einen Nutzungsersatzanspruch des Verbrauchers bewusst und ausdrücklich geregelt. Über diesen eindeutigen gesetzgeberischen Willen hat sich das Berufungsgericht hinweggesetzt, indem es einen solchen Anspruch im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung und mit einem angeblichen unionsrechtskonformen Umsetzungswillen des Gesetzgebers verneint hat.

273. Keinen Erfolg hat die Revision demgegenüber, soweit sie sich gegen den zugunsten der Beklagten in die Verrechnung der wechselseitigen Rückabwicklungsansprüche eingestellten Wertersatzanspruch der Beklagten wendet. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass sich die Ansprüche der Beklagten auf Herausgabe der von den Klägern erlangten Gebrauchsvorteile für die überlassene Darlehensvaluta nach § 312d Abs. 6 BGB aF i.V.m. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BGB und nach dem Vertragszins richten (vgl. , WM 2019, 917 Rn. 18 und vom - XI ZR 717/17, WM 2019, 2350 Rn. 18; Senatsbeschluss vom - XI ZR 362/17, WM 2019, 538 Rn. 6).

28Nach § 312d Abs. 6 BGB aF hat der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen abweichend von § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt nur zu leisten, wenn er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und wenn er ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. Das Berufungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass diese Voraussetzungen vorliegend gegeben sind.

29a) Es hat zutreffend festgestellt, dass die Beklagte den Klägern in der dem Hauptdarlehensvertrag beigefügten Widerrufsbelehrung einen Hinweis im Sinne des § 312d Abs. 6 BGB aF erteilt hat.

30In der Widerrufsbelehrung heißt es, dass im Fall des Widerrufs für den Zeitraum, in dem das Darlehen zur Verfügung gestellt war, Wertersatz zu leisten und dass für die Berechnung des Wertersatzes der im Darlehensvertrag vereinbarte Zinssatz zugrunde zu legen ist. Dieser Hinweis genügt den Anforderungen des § 312d Abs. 6 BGB aF.

31Ein Hinweis nach dieser Vorschrift kann, wie hier, im Rahmen der Widerrufsbelehrung erteilt werden (vgl. OLG Nürnberg, WM 2018, 370, 371; OLG Brandenburg, BKR 2020, 88 Rn. 17; Lühmann, WuB 2018, 211, 213). Denn der Gesetzgeber hat die Musterwiderrufsbelehrung ausdrücklich um einen solchen Hinweis ergänzt und in den Gesetzesmaterialien hierzu ausgeführt, dass der Hinweis nach § 312d Abs. 6 BGB aF Voraussetzung für einen Wertersatzanspruch ist (vgl. BT-Drucks. 15/2946, S. 16 li. Sp., S. 27 re. Sp.).

32Der Wertersatzanspruch muss entgegen der Meinung der Revision in dem nach § 312d Abs. 6 BGB aF zu erteilenden Hinweis der Höhe nach nicht konkret beziffert werden (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 30; OLG Brandenburg, BKR 2020, 88 Rn. 16 ff.; OLG Nürnberg, WM 2018, 370, 371; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom - 3 U 126/16, juris Rn. 51; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom - 3 U 209/16, juris Rn. 46; OLG Frankfurt am Main, Hinweisverfügung vom - 19 U 160/15, juris Rn. 50 ff.; MünchKommBGB/Wendehorst, 5. Aufl., § 312d Rn. 128 ff.; Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Aufl., § 312d Rn. 16). Der vom Darlehensnehmer geschuldete Wertersatz bemisst sich gemäß § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB nach der im Vertrag vereinbarten Gegenleistung und damit nach dem Vertragszins. Sowohl die vereinbarte Verzinsung als auch die Dauer der Kapitalüberlassung, die der Darlehensnehmer mit seinen Rückzahlungen selbst bestimmt, sind diesem bekannt und legen die Höhe der Wertersatzpflicht fest. Dem Darlehensgeber ist es danach nicht möglich, zu einem Zeitpunkt vor Vertragsabschluss seinen Wertersatzanspruch für den Fall eines später erklärten Widerrufs konkret zu beziffern. Der Darlehensnehmer ist zudem nicht schutzbedürftig, weil ihm die erforderlichen Informationen zur Berechnung des Wertersatzanspruchs zur Verfügung stehen.

33b) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht weiter festgestellt, dass die Kläger gemäß § 312d Abs. 6 BGB aF ausdrücklich zugestimmt haben, dass die Beklagte vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt.

34Eine ausdrückliche Zustimmung in diesem Sinne liegt, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, in dem Abruf des Darlehens durch den Darlehensnehmer (OLG Nürnberg, WM 2018, 370, 371; OLG Brandenburg, BKR 2020, 88 Rn. 18). Der Darlehensnehmer erklärt sich, indem er von dem Darlehensgeber verlangt, das Darlehen auszuzahlen, nicht nur mit der Leistungserbringung des Darlehensgebers einverstanden, sondern fordert diesen aktiv zur Leistung auf. Mit einer solchen Erklärung stimmt er ausdrücklich dem Beginn der Ausführung der Dienstleistung durch den Darlehensgeber vor Ende der Widerrufsfrist zu, wenn diese zum Zeitpunkt der Erklärung, wie hier, noch nicht abgelaufen ist.

35Das Berufungsgericht hat die zwischen den Parteien getroffene vertragliche Vereinbarung, nach der eine Auszahlung des Darlehens von einem schriftlichen Abruf durch die Darlehensnehmer abhängt, und den Umstand, dass das Darlehen nach Vertragsschluss ausgezahlt worden ist, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahingehend gewürdigt, dass die Kläger das Darlehen bei der Beklagten tatsächlich abgerufen haben. Es hat bei seiner widerspruchsfreien Würdigung weder wesentliche Umstände außer Betracht gelassen noch gegen Verfahrensvorschriften, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen. Die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO).

III.

36Das Berufungsurteil ist in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

37Das Berufungsgericht wird sich mit der Höhe des Nutzungsersatzanspruchs der Kläger zu befassen haben. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf die Ausführungen in seinen Urteilen vom (XI ZR 9/17, WM 2019, 917 Rn. 16 ff.), vom (XI ZR 573/15, WM 2017, 1004 Rn. 15) und vom (XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 58) hin.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:040723UXIZR77.22.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 2050 Nr. 37
NJW-RR 2023 S. 1351 Nr. 20
WM 2023 S. 1463 Nr. 31
ZIP 2023 S. 1635 Nr. 31
HAAAJ-45051