Vollstreckung der Wertersatzeinziehung: Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Einreichung elektronischer Dokumente
Leitsatz
Bei der Vollstreckung der Wertersatzeinziehung unterliegt die Staatsanwaltschaft nach § 459g Abs. 2 und § 459 StPO in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG der Pflicht zur Einreichung elektronischer Dokumente gemäß § 130d ZPO.
Gesetze: § 451 Abs 1 StPO, § 459 StPO, § 459g Abs 2 StPO, § 6 Abs 1 Nr 1 JBeitrO, § 130d ZPO, § 569 Abs 2 S 1 ZPO, § 569 Abs 3 Nr 1 ZPO
Instanzenzug: LG Gera Az: 7 T 282/22vorgehend AG Gera Az: M 2592/22vorgehend AG Gera Az: M 2592/22
Gründe
1I. Die Staatsanwaltschaft Gera betreibt für den Freistaat Thüringen als Gläubiger gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer Wertersatzeinziehung nebst Verfahrenskosten aus einem Urteil des Amtsgerichts Gera vom .
2Am reichte sie bei der Gerichtsvollzieherverteilerstelle des Amtsgerichts Gera in Papierform einen Vollstreckungsantrag zur Abnahme der Vermögensauskunft ein. Die zuständige Gerichtsvollzieherin wies darauf hin, dass der Antrag elektronisch gestellt werden müsse.
3Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete, ausschließlich in Papierform eingelegte Erinnerung der Staatsanwaltschaft Gera zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete, per Telefax eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht verworfen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Staatsanwaltschaft Gera ihren Vollstreckungsantrag für den Gläubiger weiter.
4II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die sofortige Beschwerde sei unzulässig, weil sie entgegen § 793 ZPO in Verbindung mit § 569 Abs. 2 Satz 1, § 130d ZPO nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden sei. Die Staatsanwaltschaft sei vorliegend Behörde im Sinne von § 130d ZPO, weil sie bei der Vollstreckung der Wertersatzeinziehung als Vollstreckungsbehörde handele.
5§ 32b Abs. 3 Satz 1 StPO stehe der Anwendung des § 130d ZPO nicht entgegen. Diese Vorschrift gelte nicht im zivilprozessualen Verfahren der sofortigen Beschwerde. Der Wortlaut der Norm beziehe sich darüber hinaus explizit auf das Stadium der Strafverfolgung; es fehle an ausdrücklichen Regeln für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde tätig werde. Dies sei folgerichtig, weil bei der Strafvollstreckung nicht in allen Fällen strafverfahrensrechtliche Verfahrensbesonderheiten und die in der Strafprozessordnung vorgesehene Kommunikation der am Strafverfahren unmittelbar beteiligten Behörden und Gerichte gleichermaßen zum Tragen kommen müssten. Auch bezwecke die Vorschrift keine Befreiung der Staatsanwaltschaft von der generellen Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs, sondern die Förderung der elektronischen Kommunikation auch vor einer verpflichtenden Nutzung im Strafverfahren. Der Gesetzgeber habe in § 6 Abs. 3 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) eine weitere normative Grundlage für die elektronische Übermittlung von Dokumenten durch die Staatsanwaltschaft geschaffen.
6Die sofortige Beschwerde hätte auch in der Sache keinen Erfolg. Im Rahmen des Vollstreckungsantrags gelte § 130d ZPO entsprechend.
7III. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
81. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde zu Recht als unzulässig angesehen, weil die Staatsanwaltschaft sie nicht als elektronisches Dokument übermittelt hat.
9a) Nach § 569 Abs. 2 Satz 1 ZPO wird die sofortige Beschwerde durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingelegt. Sie kann gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden, wenn - wie im Streitfall - der Rechtsstreit im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess zu führen ist. Gemäß § 130d ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln. Davon umfasst sind neben Erklärungen, die der Schriftform bedürfen, auch alle Erklärungen, die in schriftlicher Form abgegeben werden können (BeckOK.ZPO/von Selle, 48. Edition [Stand ], § 130d Rn. 3).
10Nach § 459g Abs. 2, § 459 StPO gelten für die Vollstreckung der Wertersatzeinziehung die Vorschriften des Justizbeitreibungsgesetzes, soweit die Strafprozessordnung nichts anderes bestimmt. § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG ordnet die sinngemäße Geltung vollstreckungsrechtlicher Vorschriften der Zivilprozessordnung an. Darin ist auch eine Verweisung auf § 130d ZPO enthalten.
11Zwar verweist, worauf die Rechtsbeschwerde mit Recht hinweist, § 459 StPO nicht schrankenlos auf die Vorschriften des Justizbeitreibungsgesetzes, sondern nur, soweit in der Strafprozessordnung nichts anderes bestimmt ist. Aus der Vorschrift des § 32b Abs. 3 Satz 1 StPO lässt sich jedoch entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde (in ihrem Sinne auch jurisPK.ERV/D. Müller, Stand , § 753 ZPO Rn. 22.8) keine andere Bestimmung herleiten (vgl. , BeckRS 2022, 6011; LG Osnabrück, Beschluss vom - 2 T 142/22, juris Rn. 14; LG München II, Beschluss vom - 6 T 1617/22, BeckRS 2022, 14384; AG Neuss, Beschluss vom - 63 M 162/22, juris Rn. 6; AG Ahaus, Beschluss vom - 6 M 296/22, BeckRS 2022, 4173; AG Bad Iburg, Beschluss vom - 3 M 80/22, BeckRS 2022, 3640; , juris Rn. 17; AG Coesfeld, Beschluss vom - 7 M 203/22, BeckRS 2022, 4170; AG Nordhorn, Beschluss vom - 4 M 3123/22, juris Rn. 8 bis 13; AG Siegburg, Beschluss vom - 214 Cs 39/21, BeckRS 2022, 6428; AG Erfurt, Beschluss vom - M 1093/22, juris Rn. 12 bis 14; AG Dachau, Beschluss vom - M 650/22, BeckRS 2022, 14385; AG Herzberg, Beschluss vom - 6 M 321/22, BeckRS 2022, 27333; jurisPK.ERV/Radke, Stand , § 32b StPO Rn. 17; jurisPK.ERV/Biallaß, Stand , § 130d ZPO Rn. 76; im Ergebnis auch BeckOK.StPO/Valerius, 47. Edition, [Stand ], § 32b Rn. 1).
12aa) Nach dieser Vorschrift sollen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte einander Dokumente als elektronische Dokumente übermitteln, wenn die Akten elektronisch geführt werden. Erst mit Wirkung ab dem wird gemäß Art. 33 Abs. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs die Führung von elektronischen Akten in der Strafjustiz verpflichtend.
13bb) Diese Vorschrift begründet damit zwar keine Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten, schließt eine solche durch andere Bestimmungen angeordnete Pflicht jedoch auch nicht aus. Dies wäre mit dem Zweck der Vorschrift, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern und eine vollständige, ausnahmslos elektronische Aktenführung in Strafsachen zu bewirken (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, BT-Drucks. 18/9416, S. 42), nicht zu vereinbaren (vgl. LG München II, Beschluss vom - 6 T 1617/22, BeckRS 2022, 14384).
14Wie sich ihrem Wortlaut zudem entnehmen lässt, zielt die Vorschrift in erster Linie auf die Kommunikation zwischen den am Straferkenntnisverfahren Beteiligten (vgl. , BeckRS 2022, 6011; LG München II, Beschluss vom - 6 T 1617/22, BeckRS 2022, 14384; , juris Rn. 17; AG Coesfeld, Beschluss vom - 7 M 203/22, BeckRS 2022, 4170; AG Nordhorn, Beschluss vom - 4 M 3123/22, juris Rn. 9; AG Erfurt, Beschluss vom - M 1093/22, juris Rn. 12; jurisPK.ERV/Biallaß aaO § 130d ZPO Rn. 76; aA jurisPK.ERV/D. Müller aaO § 753 ZPO Rn. 22.12). Sie berücksichtigt dabei strafverfahrensrechtliche Besonderheiten. So ist - anders als in § 130d ZPO - eine elektronische Einreichung von Dokumenten nicht in allen Fällen verpflichtend und wird dies auch mit Einführung der elektronischen Akte nicht sein. Der Gesetzgeber wollte hiermit dem Umstand Rechnung tragen, dass vielerlei Situationen möglich seien, in denen ein Bedürfnis bestehen könne, Dokumente in Papierform weiterzuleiten, beispielsweise wenn Datenverarbeitungsgeräte in der einzelnen Situation nicht verfügbar seien, gleichwohl jedoch ein Bedürfnis nach sofortiger Übermittlung eines Dokuments bestehe (BT-Drucks. 18/9416, S. 49). Diese Situationen sind im Rahmen eines Strafverfahrens, das zahlreiche Beteiligte und vielfältige Kommunikationsbeziehungen einschließt (vgl. BT-Drucks. 18/9416, S. 44), vorstellbar, nicht aber im Rahmen der Vollstreckung von Geldstrafen und Wertersatzeinziehung (, BeckRS 2022, 6011; AG Nordhorn, Beschluss vom - 4 M 3123/22, juris Rn. 10 und 13; AG Erfurt, Beschluss vom - M 1093/22, juris Rn. 12).
15Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft noch nicht zur Führung einer elektronischen Akte verpflichtet ist, ist keine Besonderheit, die der Anwendung des § 130d ZPO entgegensteht (vgl. AG Dachau, Beschluss vom - M 650/22, BeckRS 2022, 14385). Auch Rechtsanwälte sind zu einer elektronischen Aktenführung nicht verpflichtet; für sie gilt dennoch die Vorschrift des § 130d ZPO und damit die Pflicht, Schriftsätze elektronisch bei Gericht einzureichen. Die Verpflichtung zur Einreichung von elektronischen Dokumenten dient zwar der elektronischen Aktenführung. Maßgebend ist dabei jedoch zum einen der Empfänger des elektronischen Dokuments, der von dem sonst drohenden Druck- und Scanaufwand entlastet werden soll (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BT-Drucks. 17/12634, S. 27; § 3 Abs. 1 der Verordnung über die Standards für die Erstellung elektronischer Dokumente und für deren Übermittlung zwischen Strafverfolgungsbehörden und Gerichten). Zum anderen hat der Gesetzgeber auch im Zivilprozess die Pflicht zur Einreichung von elektronischen Dokumenten noch vor der Pflicht zur Führung einer elektronischen Akte angeordnet.
16Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde führt eine solche Auslegung nicht dazu, dass die gesetzlich gesetzte Frist zur Einführung der elektronischen Aktenführung leerliefe. Die Versendung von elektronischen Dokumenten ist mit einer elektronischen Aktenführung nicht gleichzusetzen. Darüber hinaus ist die Staatsanwaltschaft bereits gemäß § 6 Abs. 3 ERVV verpflichtet, ein besonderes elektronisches Behördenpostfach vorzuhalten, damit im Rahmen des Strafverfahrens bei ihr elektronische Dokumente eingereicht werden können (§ 32a StPO). Dass neben dieser passiven Nutzungspflicht auch in eingeschränktem Maß - nämlich soweit es die Vollstreckung von Geldstrafen und auf Geldzahlung lautende Nebenfolgen betrifft - eine aktive Nutzungspflicht besteht, führt nicht dazu, dass ein Zwang zur elektronischen Aktenführung begründet wird.
17b) Die Staatsanwaltschaft war danach gemäß § 130d ZPO verpflichtet, die sofortige Beschwerde als elektronisches Dokument zu übermitteln.
18Die Staatsanwaltschaft ist als Vollstreckungsbehörde eine Behörde im Sinne von § 130d ZPO (vgl. hierzu LG München II, Beschluss vom - 6 T 1617/22, BeckRS 2022, 14384; , juris Rn. 13 bis 16; AG Dachau, Beschluss vom - M 650/22, BeckRS 2022, 14385).
19Bei der Beschwerdeschrift handelt es sich zudem um einen schriftlichen Antrag im Sinne dieser Vorschrift. Dem steht nicht entgegen, dass die Beschwerde gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle hätte eingelegt werden können. Wählt die Vollstreckungsbehörde nicht diesen Weg, sondern entscheidet sie sich für die Einreichung einer Beschwerdeschrift, kommt § 130d ZPO zur Anwendung mit der Folge, dass diese Beschwerdeschrift nur elektronisch eingereicht werden kann (zu § 4 Abs. 6 Satz 1 JVEG vgl. LG Lübeck, NJW-RR 2022, 1728 [juris Rn. 14]).
202. Darüber hinaus wäre, wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, die sofortige Beschwerde auch unbegründet. Der Vollstreckungsantrag der Staatsanwaltschaft vom war mangels elektronischer Einreichung unzulässig.
21a) Die Strafvollstreckung erfolgt gemäß § 451 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde. Für die Vollstreckung einer Wertersatzeinziehung gelten gemäß § 459g Abs. 2, § 459 StPO die Vorschriften des Justizbeitreibungsgesetzes, soweit die Strafprozessordnung nichts anderes bestimmt. Gemäß § 1 Abs. 1 und 4 JBeitrG werden auch die Kosten des Verfahrens nach diesem Gesetz vollstreckt. Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt die Staatsanwaltschaft gemäß § 7 Satz 1 JBeitrG bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher.
22§ 6 Abs. 1 JBeitrG bestimmt, dass die Vorschrift des § 753 Abs. 4 und 5 ZPO sinngemäß Anwendung findet. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge als elektronisches Dokument zu übermitteln (vgl. , juris Rn. 12).
23b) Der Vollstreckungsantrag der Staatsanwaltschaft vom erfüllt diese Anforderungen nicht, da er nicht elektronisch eingereicht worden ist. Die Vorschrift des § 32b Abs. 3 Satz 1 StPO steht dem, wie ausgeführt, nicht entgegen.
24IV. Danach war die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Eine Kostenentscheidung ist wegen etwaiger ersatzfähiger Auslagen des Schuldners auch mit Blick auf § 2 GKG nicht entbehrlich.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:010623BIZB80.22.0
Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 10 Nr. 33
NJW 2023 S. 2643 Nr. 36
NJW 2023 S. 2645 Nr. 36
WM 2023 S. 1467 Nr. 31
XAAAJ-45050