Unterbrechung der Hauptverhandlung: Erörterung eines Ablehnungsgesuchs als fristwahrende Verhandlung
Gesetze: § 29 Abs 2 StPO, § 29 Abs 3 StPO, § 35 Abs 2 StPO, § 229 Abs 1 StPO, § 229 Abs 2 StPO, § 229 Abs 4 S 1 StPO, § 337 StPO
Instanzenzug: LG Stendal Az: 501 KLs 22/21nachgehend Az: 6 StR 75/23 Beschluss
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und mit schwerem Raub zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf Verfahrens-beanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Den Verfahrensrügen bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Ergänzend bemerkt der Senat:
3a) Die Rüge, es liege ein Verstoß gegen § 229 StPO vor, weil die Strafkammer im Termin vom nicht zur Sache verhandelt habe, ist zwar zulässig erhoben, dringt aber nicht durch.
4aa) Die Strafkammer hat an diesem Verhandlungstag, dem derjenige vom vorausgegangen war und derjenige vom folgte, die am ergangene Entscheidung über das am gegen die gesamte Strafkammer erhobene Ablehnungsgesuch verkündet sowie einen Pflichtverteidiger bestellt.
5bb) Dieser Termin hat die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO gewahrt, weil in ihm zur Sache verhandelt worden ist. Es ist anerkannt, dass die Erörterung eines Ablehnungsgesuchs eine fristwahrende Verhandlung zur Sache im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO darstellt (vgl. – allerdings nicht tragend – ; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 229 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 229 Rn. 11a; SK-StPO/Deiters/Albrecht, 5. Aufl., § 229 Rn. 4; Deutscher, StRR 2012, 44, 48; Michel, ZFS 2000, 373; aA KK-StPO/Gmel/Peterson, 9. Aufl., § 229 Rn. 7; Knauer/Wolf, NJW 2004, 2932, 2934). Nichts anderes gilt, wenn – wie hier – der den Befangenheitsantrag zurückweisende und bereits zuvor gefasste Beschluss in der Hauptverhandlung verkündet wird. Bereits dadurch wird das Verfahren gefördert (vgl. für Feststellungen zur Verhandlungsfähigkeit , BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1; vom – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754), denn es kann unbeschadet der Regelungen in § 29 Abs. 2 und 3 StPO nur nach einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch dauerhaft fortgesetzt und beendet werden.
6Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch keiner Verkündung in der Hauptverhandlung bedurft hätte, sie vielmehr nach § 35 Abs. 2 StPO auch durch eine formlose schriftliche Mitteilung hätte bekanntgemacht werden können. Solange das Verfahren tatsächlich gefördert und der Sitzungstag nicht von vornherein als sogenannter Schiebetermin konzipiert worden ist, bleibt ohne Bedeutung, ob das Verfahren auch anders hätte gefördert werden können und ob weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären (vgl. , NStZ-RR 1998, 335; vom – 1 StR 234/98, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 4; vom – 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077; Beschluss vom – 6 StR 95/22 Rn. 28).
7b) Die Rüge, mit der die fehlerhafte Ablehnung des Beweisantrages vom beanstandet wird, ist bereits unzulässig.
8aa) Offen bleiben kann die Frage, ob es sich bei dem abgelehnten Antrag überhaupt um einen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO handelt. Jedenfalls fehlt es an einem vollständigen Vortrag der rügebegründenden Tatsachen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
9Wird die Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO gerügt, dann muss die Revision diejenigen Tatsachen vortragen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit des Gerichtsbeschlusses ergeben soll. Bei einer Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit gehören dazu auch solche, aus denen die geltend gemachte Erheblichkeit der Beweisbehauptung folgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 605/99; vom – 5 StR 307/03; LR-StPO/Becker, aaO, § 244 Rn. 373; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl., § 244 Rn. 404; Sander, NStZ-RR 2004, 1, 2; Hamm/Pauly, Die Revision in Strafsachen, 8. Aufl., S. 440).
10bb) Diesen Anforderungen genügt die Revision nicht.
11Ausweislich der Revisionsbegründung handelt es sich bei den vermeintlich fehlerhaften Geo-Daten um solche der Applikation „GoogleMaps“ sowie der Kategorie „Mobilfunk-Mast/Cell Tower“. Gleichwohl legt der Beschwerdeführer keine Daten dieser Kategorie und auszugsweise „zur Veranschaulichung“ nur 73 der insgesamt 13.144 der Kategorie „Gps Fixs“ zuzuordnende Geodaten vor, obwohl der in Augenschein genommene Inhalt des Datenträgers insgesamt 23.056 mittels des Programms „Cellebrite Reader“ darstellbare Geodaten umfasst, von denen 4.952 der Kategorie „CellTowers“ zugeordnet werden können. Es wird zudem weder behauptet, dass die 73 vorgelegten Daten sogenannte Anomalien aufweisen, noch sind solche ersichtlich.
12Wegen dieser Lücken im Tatsachenvortrag kann der Senat die Beweiserheblichkeit der Behauptung nicht prüfen.
13c) Auch die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist ungeachtet der Frage, ob sie eine bestimmte Beweisbehauptung enthält (vgl. zu den Begründungsanforderungen ), schon unzulässig, weil nicht vorgetragen wird, woraus sich Anhaltspunkte für die Notwendigkeit und Möglichkeit weiterer Aufklärungen hätten ergeben sollen.
142. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende Überprüfung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270623B6STR75.23.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-44898