Instanzenzug: Az: 23 U 3459/21vorgehend Az: 24 O 11/21
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Am kaufte der Kläger von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten Mercedes-Benz C 220 d als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 38.450 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse: EURO 6) ausgestattet. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger teilweise durch ein Darlehen bei der M. AG (künftig Darlehensgeberin). Dem Darlehensvertrag lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Darlehensgeberin zugrunde. Dort hieß es unter anderem:
3Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung, Feststellung und Freistellung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger seine Anträge insoweit weiterverfolgt, als er in der Hauptsache auf Zahlung von 27.865,80 € nebst Verzugszinsen (Berufungsantrag zu 1) und auf Zahlung von Deliktszinsen in Höhe von 7.066,37 € (Berufungsantrag zu 2), jeweils Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 3) und auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) angetragen hat. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 1, 3 und 4 weiter. Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2 hat er die Revision vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat im Umfang des zuletzt beschränkten Angriffs Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
5Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:
6Dem Kläger stehe kein Anspruch gegen die Beklagte zu. Der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, weil er etwa bestehende deliktische Ansprüche an die Darlehensgeberin abgetreten habe. Die in den Darlehensvertrag einbezogene Abtretungsklausel erfasse die geltend gemachten deliktischen Ansprüche und halte einer Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB stand. Weder sei sie - weil bankenüblich - überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB noch benachteilige sie den Kläger unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Klausel sei auch nicht unklar. Aufgrund der Offenlegung der Sicherungsabtretung könne der Kläger nicht Zahlung an sich verlangen. Eine Rückabtretung der Ansprüche, die von der Beklagten bestritten werde, habe der Kläger nicht substantiiert vorgetragen.
II.
7Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Kläger ist vielmehr Anspruchsinhaber möglicher deliktischer Ansprüche gegen die Beklagte, weil die in der Sicherungsabrede zwischen dem Kläger und der Darlehensgeberin enthaltene Abtretungsklausel nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 400 BGB, § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO unwirksam ist. Darauf, ob die Unwirksamkeit der Klausel zusätzlich aus Gesichtspunkten hergeleitet werden könnte, die in dem Senatsurteil vom (VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) tragend waren, kommt es nicht an (vgl. , BGHZ 110, 241, 244; Staudinger/Wendland, BGB, Neubearbeitung 2022, § 307 Rn. 111 f. mwN).
81. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, bei der Sicherungsabtretung von Ansprüchen gegen die Beklagte "gleich aus welchem Rechtsgrund" handele es sich um eine vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, die gemäß § 305 Abs. 2 BGB Bestandteil des Darlehensvertrags geworden sei.
92. Weiter im Ergebnis rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die Klausel als nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB kontrollfähig erachtet.
10Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB sind Gegenstand der Inhaltskontrolle solche Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzenden Regelungen vereinbart werden (st. Rspr., vgl. nur , BGHZ 207, 176 Rn. 16 mwN). Die Klausel, die der Senat ohne Bindung an die Auslegung des Berufungsgerichts selbst auslegen kann (vgl. , BGHZ 222, 74 Rn. 38; Urteil vom - XI ZR 551/21, NJW 2023, 296 Rn. 19), ist so zu verstehen, mit Ausnahme von Gewährleistungsansprüchen aus Kaufvertrag erfasse sie sämtliche mit dem Erwerb des Fahrzeugs in Zusammenhang stehende Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte ( VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122 Rn. 14). Einbezogen sind entgegen der Rechtsauffassung der Revisionserwiderung auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung und Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz, die dem Kläger und Darlehensnehmer bei der Verwendung des gekauften Fahrzeugs entstehen. Die Klausel erfasst damit in Abweichung von der gesetzlichen Regelung nicht nur, was die Revisionserwiderung zugesteht, Ansprüche wegen der Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Klägers als Fahrzeugkäufers gegen die Beklagte (dazu grundlegend , BGHZ 225, 316 Rn. 46 f.). Sie betrifft vielmehr auch Rentenansprüche aus § 843 BGB bzw. aus § 9 ProdHaftG, § 843 Abs. 2 bis 4 BGB im Falle einer aus der Verwendung des Fahrzeugs entstehenden Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung, die nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO bis zu einer anderslautenden Entscheidung durch das Vollstreckungsgericht nicht pfändbar und damit nach § 400 BGB nicht abtretbar sind (vgl. , BGHZ 31, 210, 217; Urteil vom - V ZR 138/66, NJW 1970, 282, 283; Urteil vom - VIII ZR 137/76, BGHZ 70, 206, 212; Staudinger/Bieder/Gursky, BGB, Neubearbeitung 2022, § 394 Rn. 41).
113. Die so zu verstehende Klausel hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 400 BGB, § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ohne Wertungsmöglichkeit nicht stand. Sie weicht zulasten des Klägers ohne Rücksicht darauf, ob die Voraussetzungen eines Verbundgeschäfts vorliegen, von zwingenden Vorschriften ab (vgl. , BGHZ 180, 257 Rn. 33; Urteil vom - XI ZR 66/13, BGHZ 199, 281 Rn. 10; Urteil vom - XI ZR 174/13, NJW 2015, 1440 Rn. 17; Urteil vom - XI ZR 166/14, BGHZ 207, 176 Rn. 30 f.; Urteil vom - XI ZR 309/16, BGHZ 218, 132 Rn. 18; Urteil vom - XI ZR 294/19, BGHZ 227, 343 Rn. 19). Die § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 400 BGB sind zwingendes Recht (vgl. , NJW 2001, 1443). § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist auch auf Renten anwendbar, die dem Kläger zu zahlen wären (vgl. , NZI 2010, 777 Rn. 42 ff.).
12Darauf, ob sich die Darlehensgeberin (auch) den Einwand der Treuwidrigkeit entgegenhalten lassen müsste, wenn sie sich auf die Abtretung von Ansprüchen aus § 843 BGB bzw. § 9 ProdHaftG, § 843 Abs. 2 bis 4 BGB beriefe, kommt es nicht an. Einwände gegen die Rechtsausübung des Verwenders betreffen die Ausübungskontrolle und setzen eine wirksame Klausel voraus, so dass die Prüfung anhand der §§ 307 ff. BGB Vorrang vor der Prüfung anhand des § 242 BGB genießt. Der Anwendungsbereich einer Klausel kann mithin nicht unter Verweis auf § 242 BGB eingeschränkt werden, um sie im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion auf den gerade noch wirksamen Inhalt zurückzuführen (vgl. , BGHZ 204, 302 Rn. 19; Urteil vom - VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122 Rn. 23).
134. Die wegen ihrer Abweichung von § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 400 BGB ohne Wertungsmöglichkeit unwirksame formularmäßige Sicherungsabtretung sämtlicher Ansprüche gegen die Beklagte mit Ausnahme solcher aus kaufrechtlicher Gewährleistung kann nicht mit der Maßgabe aufrechterhalten werden, dass andere Ansprüche als solche auf Zahlung von Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind, wirksam abgetreten sind. Ein solches Verständnis liefe auf eine geltungserhaltende Reduktion hinaus, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig ist (, NJW 2015, 1440 Rn. 18; Urteil vom - XI ZR 166/14, BGHZ 207, 176 Rn. 32, jeweils mwN). Die Klausel kann auch nicht in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil zerlegt werden (vgl. , BGHZ 218, 132 Rn. 20; Urteil vom - VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122 Rn. 25).
III.
14Das Berufungsurteil unterliegt daher, soweit das Berufungsgericht die Berufungsanträge zu 1, 3 und 4 zurückgewiesen hat, der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht keine tragfähigen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten wegen einer deliktischen Schädigung des Klägers getroffen hat. Der Senat verweist die Sache daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:030723UVIAZR1498.22.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-44767