Ende der Prozesspflegschaft: Verfahrenseintritt eines ordentlichen gesetzlichen Vertreters
Leitsatz
Das Amt des Prozesspflegers ist mit dem Verfahrenseintritt eines ordentlichen gesetzlichen Vertreters des Verfahrensbeteiligten beendet, ohne dass es einer gerichtlichen Aufhebung der Bestellung bedarf (im Anschluss an , WM 2021, 346 Rn. 21).
Gesetze: § 57 ZPO, § 170 Abs 1 S 1 ZPO
Instanzenzug: LG Regensburg Az: 22 S 11/22vorgehend AG Straubing Az: 2 C 882/18
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt den Beklagten unter Berufung auf seine Eigentümerstellung auf Räumung und Herausgabe eines Hausgrundstücks in Anspruch.
2Das mit dem Rechtsstreit befasste Amtsgericht hat am für den Beklagten wegen Prozessunfähigkeit Rechtsanwalt K. als besonderen Vertreter gemäß § 57 ZPO (Prozesspfleger) bestellt.
3Am hat das Betreuungsgericht für den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung eine vorläufige rechtliche Betreuung angeordnet, die unter anderem den Aufgabenkreis "Vertretung in gerichtlichen Angelegenheiten" umfasst hat und bis zum befristet gewesen ist. Als Betreuer hat es zunächst Rechtsanwalt Ku. , dann mit Beschluss vom statt diesem Rechtsanwalt M. bestellt.
4Das Amtsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe des Hausgrundstücks an den Kläger verurteilt. Die Zustellung der für den Beklagten bestimmten Urteilsabschriften ist am (lediglich) an Rechtsanwalt K. erfolgt.
5Mit einem am beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat Rechtsanwalt M. für den Beklagten Berufung eingelegt und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungsfrist beantragt. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.
6Zur Begründung hat es, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
7Die im Januar 2022 erfolgte Berufungseinlegung sei verspätet. Die einmonatige Berufungsfrist sei für den Beklagten durch die Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils an den Prozesspfleger K. im Oktober 2021 in Gang gesetzt worden. Daran ändere die zwischenzeitlich erfolgte Bestellung eines allgemeinen Betreuers für den Beklagten nichts, da der Prozesspfleger zuvor wirksam bestellt worden und eine Abberufung nicht erfolgt sei. Der Beklagte sei auch nicht ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen. Ihm sei die durch die Zustellung erlangte Kenntnis des Prozesspflegers gemäß § 87 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Kenntnis vom Verkündungstermin habe der Beklagte zudem selbst durch die an ihn persönlich erfolgte Zustellung der Anordnung des schriftlichen Verfahrens erlangt. Er habe deshalb darauf hinwirken können und müssen, dass ihm das Urteil durch den Prozesspfleger mitgeteilt werde.
8Der Senat hat dem Beklagten Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsbeschwerdeverfahren bewilligt und ihm antragsgemäß Rechtsanwalt Dr. T. beigeordnet. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am zugestellt worden. Mit am eingegangenem Anwaltsschriftsatz hat der Beklagte Rechtsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde beantragt. Mit am eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte die Rechtsbeschwerde begründet.
II.
9Dem Beklagten ist antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen (§ 233 ZPO).
III.
10Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
111. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom - VIII ZB 15/16, NJW-RR 2017, 691 Rn. 6; vom - VIII ZB 56/20, NJW 2022, 400 Rn. 13; jeweils mwN).
122. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Unzulässigkeit der Berufung des Beklagten nicht bejaht werden. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht seine Annahme, die Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils an Rechtsanwalt K. am habe mit Wirkung für den Beklagten die einmonatige Frist zur Einlegung der Berufung (§ 517 Alt. 1 ZPO) in Lauf gesetzt, allein darauf gestützt, dass dieser als Prozesspfleger nicht (ausdrücklich) abberufen worden sei. Infolgedessen hat es - was die Rechtsbeschwerde mit Recht rügt - nicht geprüft, ob das Amt als Prozesspfleger zu diesem Zeitpunkt bereits deshalb beendet gewesen ist, weil der zwischenzeitlich bestellte rechtliche Betreuer als ordentlicher gesetzlicher Vertreter des Beklagten zuvor in den Rechtsstreit eingetreten war.
13a) Zwar ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der für einen prozessunfähigen Beklagten bestellte Prozesspfleger die Stellung eines gesetzlichen Vertreters hat und deshalb Zustellungen mit Wirkungen für und gegen diese Partei nach § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an ihn - und nicht an die nicht prozessfähige Partei - zu erfolgen haben (vgl. , WM 2021, 346 Rn. 12).
14Auch hat das Berufungsgericht noch zutreffend erkannt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Amt des Prozesspflegers nicht von selbst endet, wenn der Verfahrensbeteiligte, für den der Prozesspfleger bestellt wurde, tatsächlich prozessfähig ist oder die Prozessfähigkeit im Laufe des Verfahrens wiedererlangt. Vielmehr gebieten es die Gründe der Rechtssicherheit und -klarheit in diesen Fällen, dass die Prozesspflegschaft erst durch die gerichtliche Aufhebung endet (vgl. , aaO Rn. 20-23).
15b) Das Berufungsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, die - zeitlich der Bestellung von Rechtsanwalt K. zum Prozesspfleger nachfolgende - Einrichtung einer rechtlichen Betreuung für den Beklagten sei für die Frage der gesetzlichen Vertretung im Rechtsstreit deshalb ohne Bedeutung, weil es an einer Abberufung des Prozesspflegers fehle. Insoweit hat das Berufungsgericht - wie die Rechtsbeschwerde mit Erfolg rügt - verkannt, dass es für die Beendigung des Amts des Prozesspflegers im Falle eines Verfahrenseintritts des ordentlichen gesetzlichen Vertreters einer gerichtlichen Aufhebung der Bestellung nicht bedarf.
16aa) Bei dem Prozesspfleger gemäß § 57 ZPO handelt es sich um einen Notvertreter, der (lediglich) bis zur Bestellung eines ordentlichen gesetzlichen Vertreters des Verfahrensbeteiligten einstweilen die Vertretung zu übernehmen hat (vgl. , NJW 2011, 1739 Rn. 11 mwN) und dessen Amt deshalb mit dem Verfahrenseintritt eines solchen Vertreters beendet ist (vgl. , WM 2021, 346 Rn. 21 mwN; Musielak/Voit/Weth, ZPO, 20. Aufl., § 57 Rn. 5; MünchKommZPO/Lindacher/Hau, 6. Aufl., § 57 Rn. 20; Käck, Der Prozesspfleger, 1991, S. 89 ["endet kraft Gesetzes mit dem Eintritt"]; siehe bereits Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 1880, Band 2 Abt. 1, S. 171 [zu § 55 CPO-E]).
17bb) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeerwiderung erfordert der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit vorliegend nicht deshalb eine förmliche Aufhebung der Bestellung des Prozesspflegers, weil die Einrichtung der Betreuung für den Beklagten durch einstweilige Anordnung (§ 300 Abs. 1 FamFG) erfolgt und deshalb die Amtsstellung des Betreuers gemäß § 302 Satz 1 FamFG kraft Gesetzes befristet war. Auch der (vorläufige) rechtliche Betreuer hat im Rahmen seines Aufgabenkreises die Stellung eines ordentlichen gesetzlichen Vertreters des Betroffenen (§ 1815 Abs. 1, § 1823 BGB; zuvor § 1902 BGB aF). Sofern er in das gerichtliche Verfahren eintritt, steht verlässlich fest, dass die Prozessführung für den betreffenden Verfahrensbeteiligten nunmehr (bis zum Ablauf der Frist) von ihm übernommen wird.
18c) Nach alledem kommt es für die Frage, ob im Streitfall die Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils an Rechtsanwalt K. die Berufungseinlegungsfrist für den Beklagten in Lauf gesetzt hat, darauf an, ob die als rechtliche Betreuer eingesetzten Rechtsanwälte Ku. oder M. zuvor als ordentliche gesetzliche Vertreter für den Beklagten in den beim Amtsgericht geführten Rechtsstreit eingetreten waren.
19Die Rechtsbeschwerde verweist insoweit auf erstinstanzlich eingereichte Schriftsätze der Rechtsanwälte Ku. und M. in ihrer Funktion als rechtliche Betreuer des Beklagten, die als Verfahrenseintritt für den Beklagten auszulegen seien. Diesbezügliche Feststellungen hat das Berufungsgericht indessen nicht getroffen. Träfe das Vorbringen der Rechtsbeschwerde zu, wäre in der Folge das Amt von Rechtsanwalt K. als Prozesspfleger des Beklagten beendet gewesen und hätte die an ihn vorgenommene Zustellung des Urteils nicht gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit Wirkung für den Beklagten die Berufungseinlegungsfrist gemäß § 517 Alt. 1 ZPO auslösen können.
20d) Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Insbesondere hat der von der Rechtsbeschwerdeerwiderung angeführte Umstand, dass die für den Beklagten eingerichtete rechtliche Betreuung zum endete und deshalb eine gesetzliche Vertretungsbefugnis von Rechtsanwalt M. als Betreuer des Beklagten nachfolgend nicht mehr bestand, nicht dazu geführt, dass der Beklagte im Rechtsstreit fortan wieder durch Rechtsanwalt K. als Prozesspfleger vertreten wurde. Ein solches "Wiederaufleben" des erloschenen Amts ist im Gesetz auch bei erneutem Eintritt der Prozessunfähigkeit einer Partei beziehungsweise bei Wegfall des ordentlichen gesetzlichen Vertreters in ein und demselben Prozess nicht vorgesehen. Vielmehr bedarf es einer erneuten Prüfung, ob die Voraussetzungen der Bestellung eines Betreuers oder - bei Gefahr im Verzug - eines Prozesspflegers gegeben sind.
IV.
21Da nach den bisher getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden kann, ob die Berufungsschrift des Beklagten rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen ist, kann die Verwerfung der Berufung keinen Bestand haben. Ist die Berufungsschrift rechtzeitig eingegangen, war über den (hilfsweise gestellten) Antrag auf Wiedereinsetzung nicht zu entscheiden. Der angefochtene Beschluss ist deshalb insgesamt aufzuheben und der Rechtsstreit, da er nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von den Möglichkeiten der § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO, § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:160523BVIIIZB89.22.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2023 S. 1103 Nr. 16
QAAAJ-44653