Arbeitslosengeldanspruch - Neuberechnung des Bemessungsentgelts wegen nachträglich zugeflossenem Arbeitsentgelt - Verzinsung der Nachzahlung des Arbeitslosengeldes - Verzinsungsbeginn - tatsächlicher Zufluss der Lohnnachzahlung - Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz
Ein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld, der auf einer Neuberechnung des Bemessungsentgelts wegen nachträglich zugeflossenen Arbeitsentgelts beruht, ist erst nach diesem Zufluss fällig und zuvor nicht zu verzinsen.
Gesetze: § 40 Abs 1 SGB 1, § 41 SGB 1, § 44 Abs 1 SGB 1, § 44 Abs 2 Alt 1 SGB 1, § 131 Abs 1 S 1 SGB 3 vom , § 131 Abs 1 S 2 Alt 1 SGB 3 vom , § 151 Abs 1 S 1 SGB 3 vom , § 151 Abs 1 S 2 Alt 1 SGB 3 vom , § 337 Abs 2 SGB 3, Art 3 Abs 1 GG
Instanzenzug: Az: S 10 AL 419/18 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 10 AL 84/20 Urteilnachgehend Az: B 11 AL 6/23 C Beschluss
Tatbestand
1Im Streit ist der Beginn der Verzinsung eines Anspruchs auf Nachzahlung von Arbeitslosengeld (Alg).
2Die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA) bewilligte dem Kläger für die Zeit vom bis Alg in Höhe eines täglichen Leistungssatzes von 28,40 Euro. Grundlage war das in der Arbeitsbescheinigung der ehemaligen Arbeitgeberin angegebene Bruttoarbeitsentgelt (Bescheide vom und ).
3Einen Überprüfungsantrag des Klägers vom , mit dem dieser geltend gemacht hatte, er beanspruche von seiner ehemaligen Arbeitgeberin arbeitsrechtlich eine höhere Vergütung nach dem "equal pay"-Gebot, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom ). Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kam es vor dem Bundesarbeitsgericht zwischen dem Kläger und seiner ehemaligen Arbeitgeberin zu einem Vergleich (Beschluss vom ). In diesem verpflichtete sich die Arbeitgeberin zu einer Lohnnachzahlung in Höhe von 64 758,85 Euro (netto), die am dem Konto des Klägers gutgeschrieben wurde. Das Ergebnis des Vergleichs teilte der Kläger der Beklagten am mit. Auf der Grundlage einer entsprechend korrigierten Arbeitsbescheinigung änderte die Beklagte die Leistungsbewilligung auf einen täglichen Leistungssatz von 55,15 Euro und gewährte eine Nachzahlung in Höhe von 12 037,50 Euro (Bescheide vom ).
4Den Antrag des Klägers auf Verzinsung dieses Nachzahlungsanspruchs lehnte die Beklagte zunächst ab, bewilligte aber im Widerspruchsverfahren Zinsen in Höhe von 641,92 Euro für die Zeit vom bis ; für die Zeit bis lehnte sie eine Verzinsung weiterhin ab, weil der vollständige Leistungsantrag erst im Juni 2016 vorgelegen habe (Bescheid vom ; "Abhilfebescheid" vom ; Widerspruchsbescheid - ergangen erst im Berufungsverfahren - vom ).
5Die dagegen gerichtete Klage ist erfolglos geblieben (). Das LSG hat das Urteil des SG geändert sowie die Beklagte verurteilt, den Nachzahlungsbetrag auch für die Zeit vom 1.7. bis mit vier Prozent pro Jahr zu verzinsen; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Der Anspruch auf Nachzahlung von Alg nach dem erhöhten Leistungssatz sei erst mit dem Zufluss der Arbeitsentgeltnachzahlung am iS des § 44 Abs 1 SGB I fällig geworden. Dies folge aus § 131 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB III aF, der als materiell-rechtliche Voraussetzung bestimme, dass Arbeitsentgelt, auf das der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch gehabt habe, als erzielt gelte, wenn es tatsächlich zugeflossen sei.
6Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 131 Abs 1 SGB III aF, des § 44 Abs 1 iVm § 41 SGB I, des § 77 SGG iVm § 39 SGB X, des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art 3 Abs 1 GG sowie eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des LSG nach § 103 SGG und seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art 103 Abs 1 GG bzw § 62 SGG. Der Zufluss iS des § 131 Abs 1 SGB III aF stelle keine materielle Fälligkeitsvoraussetzung des Anspruchs auf Alg dar, sondern bewirke nur die Erkenntnis der wahren Rechtslage. Dies folge schon aus den bestandskräftigen Änderungsbescheiden der Beklagten vom . Seinen entsprechenden Vortrag habe das LSG nicht zur Kenntnis genommen. Die Verschiebung des Fälligkeitszeitpunkts auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses unter Außerachtlassung der Bestandskraft der Bescheide vom stelle eine Verletzung von § 77 SGG iVm § 39 SGB X dar und führe hinsichtlich des Beginns der akzessorischen Nebenforderung auf Verzinsung nach § 44 Abs 1 iVm § 41 SGB I zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlung. Nach alledem habe das LSG das Datum des Zuflusses der Gehaltsnachzahlung nicht von Amts wegen ermitteln dürfen.
7Der Kläger beantragt,die Beklagte unter Abänderung der Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom und des Sozialgerichts Nürnberg vom sowie unter teilweiser Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zu verurteilen, den Nachzahlungsbetrag von 12 037,50 Euro auch für die Zeit vom bis mit 4 Prozent pro Jahr zu verzinsen.
8Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
9Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Gründe
10Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere Verzinsung des Alg-Nachzahlungsanspruchs.
11Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Ablehnungsbescheid vom in der Fassung des Bescheids vom und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (zur Nachholung des Vorverfahrens bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 78 RdNr 3, unter Hinweis auf - BSGE 16, 21 <23> = SozR Nr 5 zu § 78 SGG, juris RdNr 11). Der Bescheid vom ist trotz seiner Bezeichnung als "Abhilfebescheid" dahin auszulegen, dass die Beklagte dem Widerspruch des Klägers gegen den Ablehnungsbescheid und seinem Begehren auf Verzinsung nur teilweise für Zeit vom bis abgeholfen und eine Verzinsung für die noch streitige Zeit vom bis weiterhin abgelehnt hat. Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 iVm Abs 4 SGG), die zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils gerichtet ist (§ 130 Abs 1 SGG). Der geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung durfte auch unabhängig von der Hauptforderung zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden ( - SozR 4-1200 § 44 Nr 9 RdNr 8 mwN).
12In der Sache hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verzinsung der Alg-Nachzahlung für die Zeit vor dem , denn dieser Alg-Anspruch war erst am fällig.
13Nach § 44 Abs 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier Prozent pro Jahr zu verzinsen. Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte mit den Änderungsbescheiden vom keine Regelung über die Fälligkeit des Nachzahlungsanspruchs auf Alg getroffen. Diese Bescheide verhalten sich lediglich zu der Frage, für welchen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren und in welcher Höhe die Nachzahlung beansprucht werden kann. Dafür spricht die Formulierung unter "6." der Bescheide, dass das bewilligte Alg "- von etwaigen Nachzahlungen abgesehen -" jeweils monatlich nachträglich ausgezahlt werde. Eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Fälligkeitsregelung ist damit gerade für die vorliegende Nachzahlungskonstellation nicht getroffen worden. Auch greifen die Bescheide den Begriff der Fälligkeit nicht auf.
14Es gelten vielmehr die gesetzlichen Fälligkeitsregelungen, hier § 41 iVm § 40 Abs 1 SGB I und § 337 Abs 2 SGB III. Ansprüche auf Sozialleistungen werden nach § 41 iVm § 40 Abs 1 SGB I grundsätzlich mit ihrem Entstehen fällig, dh sobald die im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage vorliegen. Entscheidend ist der Zeitpunkt, von dem ab der Gläubiger die Leistung verlangen kann und der Schuldner sie leisten muss, in dem also alle gesetzlichen Zahlungsvoraussetzungen gegeben sind (vgl - SozR 4-5860 § 15 Nr 1 RdNr 37). Davon abweichend wird der Anspruch auf Alg nach der Auszahlungsregelung des § 337 Abs 2 SGB III erst zum Ende desjenigen Monats, für den Alg "nachträglich ausgezahlt" wird, also am Ende des Monats, in dem der Anspruch entsteht, fällig (zur Auslegung des § 337 Abs 2 SGB III - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen, juris RdNr 23; vgl zu § 122 AFG - SozR 3-1200 § 44 Nr 2, juris RdNr 20).
15Für die Frage, wann ein Anspruch auf die Sozialleistung Alg entsteht, ist nicht das Stammrecht auf Alg maßgeblich. Ein Stammrecht kann entsprechend seiner Natur (nur verfestigte Rechtsposition) selbst nicht fällig und damit auch nicht verzinst werden. Dies ist nur bezogen auf die aus dem Stammrecht hervorgehenden periodischen Einzelansprüche auf Alg der Fall (vgl - SozR 3-2600 § 300 Nr 3, juris RdNr 15, 17; Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl 2018, § 40 RdNr 17, § 44 RdNr 15; Lilge in Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Aufl 2019, § 44 RdNr 32).
16Der vorliegende Anspruch auf Alg entstand aber erst mit dem Zufluss der Nachzahlung aus dem Arbeitsverhältnis. Zwar entstehen Einzelansprüche bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich mit dem Beginn der Zeiträume, für die sie bestimmt sind (vgl - SozR 4-4300 § 57 Nr 6 RdNr 15; ferner 4b RV 33/86 - SozR 1200 § 44 Nr 18, juris RdNr 10 mwN). Der Anspruch auf Zahlung von Einzelansprüchen auf höheres Alg, bei denen die Erhöhung auf einer nachträglichen Erfüllung arbeitsrechtlicher Ansprüche beruht, folgt jedoch der Sonderregelung des § 131 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III aF (ab : § 151 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III). Abzustellen ist danach auf das Ende desjenigen Monats, in dem die verspätet ausgezahlten Arbeitsentgelte tatsächlich zugeflossen sind. Denn erst mit diesem tatsächlichen Zufluss sind die materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für den Anspruch auf - wegen der erforderlichen nachträglichen Neubemessung - höheres Alg erfüllt. Erst dann kann der Arbeitslose höheres Alg beanspruchen. Schon der Wortlaut des § 131 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III aF spricht vom tatsächlichen Zufluss. Dieses Verständnis folgt aber auch aus der Vor- und Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Regelung.
17Für die Bemessung des Alg war nach § 112 Abs 1 Satz 1 AFG (einer Vorgängerregelung) das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat, heranzuziehen. Nach der vom BSG zunächst vertretenen sog "Zuflusstheorie" war nur das bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses abgerechnete und dem Arbeitslosen tatsächlich zugeflossene Arbeitsentgelt, als "erzielt" anzusehen (vgl etwa - juris RdNr 19 ff mwN; instruktiv hierzu Arens/Boz Ali, NZS 1996, 158; Wissing, SGb 1995, 181).
18Diese reine "Zuflusstheorie" hat der 7. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom modifiziert ( - BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22, juris RdNr 29 ff). Er folgte nicht der sog "Anspruchstheorie", nach der dasjenige Arbeitsentgelt als erzielt anzusehen ist, das der Arbeitslose rechtlich für den Bemessungszeitraum zu beanspruchen hat, ohne dass das Arbeitsentgelt (nachträglich) zugeflossen sein muss (hierzu Pitschas, SGb 1990, 208; Wissing, SGb 1995, 181, 183 mwN; vgl ferner Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 151 RdNr 46 f, Stand Juni 2021). Vielmehr müsse die Regelung des § 112 Abs 1 Satz 1 AFG im Lichte des Art 3 Abs 1 GG so ausgelegt werden, dass als "erzielt" auch diejenigen Teile des Arbeitsentgelts zu berücksichtigen seien, die dem Arbeitslosen nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis infolge nachträglicher Vertragserfüllung für den Bemessungszeitraum tatsächlich zugeflossen seien. Denn Arbeitslose, denen Teile des Arbeitsentgelts zunächst vorenthalten, aber später nachgezahlt worden seien, dürften bei der Leistungsbemessung nicht schlechter dastehen als diejenigen, deren Arbeitsentgelt rechtzeitig und vollständig bis zum Ausscheiden ausgezahlt worden sei (sog "kombinierte Anspruchs- und Zuflusstheorie"; - BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22, juris RdNr 29 ff unter Verweis auf - BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6; - SozR 3-4100 § 112 Nr 35, juris RdNr 22).
19In Orientierung an dieser "kombinierten Anspruchs- und Zuflusstheorie" wurde die Regelung des § 134 Abs 1 Satz 2 SGB III mit Wirkung zum durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom (BGBl I 594) eingeführt und durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom (BGBl I 2848) mit Wirkung zum wortgleich in § 131 Abs 1 Satz 2 SGB III aF übernommen (zur Vor- und Entstehungsgeschichte B 11a AL 43/05 R - SozR 4-4300 § 134 Nr 1 RdNr 23; B 7a AL 28/06 R - RdNr 16; Brackelmann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl 2023, § 151 RdNr 21; Brand in Brand, SGB III, 9. Aufl 2021, § 151 RdNr 10 f; Michalla-Munsche in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK SozR, § 151 RdNr 11, Stand ; aA Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 151 RdNr 46 f, Stand Juni 2021, wonach der Gesetzgeber die "Anspruchstheorie" als gesetzliche Regelung übernommen habe). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung sollen Entgelte, die der Arbeitslose vor seinem Ausscheiden aus dem letzten versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tatsächlich nicht erhalten hat, gleichwohl rückwirkend bei der Bemessung des Alg berücksichtigt werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Arbeitslose diese Entgelte beanspruchen konnte und sie, zur Vermeidung von Manipulationen durch nachträgliche rückwirkende Erhöhung der Arbeitsentgelte, auch tatsächlich zugeflossen sind (vgl BT-Drucks 13/4941 S 178 f zu § 134 Abs 1 SGB III in der bis zum geltenden Fassung; BR-Drucks 557/03 S 250 zu § 131 Abs 1 SGB III aF). Damit wurde der tatsächliche Zufluss der Arbeitsentgelte zur materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzung erhoben.
20Dem steht nicht entgegen, dass § 131 Abs 1 Satz 1 SGB III aF für das Bemessungsentgelt auf den Bemessungszeitraum abstellt, daher aufgrund nachträglicher Vertragserfüllung zugeflossene Arbeitsentgelte als im Bemessungszeitraum erzielt gelten ( - BSGE 126, 217 = SozR 4-4300 § 150 Nr 5, RdNr 27) und dass die Nachzahlung der Arbeitsentgelte materiell-rechtlich wegen der durch sie erforderlich gewordenen Neuberechnung des im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelts auf die Zeit ab Anspruchsbeginn zurückwirkt (zur nachträglichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X - BSGE 78,109 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48, juris RdNr 18 ff; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 151 RdNr 79, Stand ). Die Frage der Fälligkeit des durch das nachträglich iS des § 131 Abs 1 Satz 2 SGB III aF erzielte (beitragspflichtige) Arbeitsentgelt höheren Alg ist zu unterscheiden von der Frage, für welche Zeit - rückwirkend - dem Kläger ein erhöhtes Alg zu bemessen und zu zahlen ist (vgl 5b RJ 68/81 - SozR 1200 § 44 Nr 5, juris RdNr 11). Die nachträgliche Erfüllung einzelner Anspruchsvoraussetzungen - hier des § 131 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III aF - lässt den Anspruch auf höheres Alg als solchen nicht rückwirkend entstehen. Denn nur wegen der nachträglichen Vertragserfüllung, dh nach dem tatsächlichen Zufluss der Arbeitsentgelte, kann der Arbeitslose höheres Alg verlangen und muss die BA höheres Alg leisten.
21Ausgehend von dem tatsächlichen Zufluss der nachgezahlten Arbeitsentgelte am wurde der Nachzahlungsanspruch auf Alg in Höhe von 12 037,50 Euro nach § 337 Abs 2 SGB III zum fällig und war der Anspruch nach Ablauf eines vollständigen Kalendermonats (hierzu - SozR 4-1200 § 44 Nr 9 RdNr 15-16 mwN) erst ab dem zu verzinsen.
22Ein früherer Beginn der Verzinsung des Nachzahlungsanspruchs auf Alg folgt nicht aus § 44 Abs 2 Alt 1 SGB I. Maßgebend für den Beginn der Verzinsung ist, ausgehend von dem Wortlaut des § 44 Abs 2 SGB I ("frühestens"), stets der spätere Zeitpunkt, abhängig davon, ob die Frist des § 44 Abs 1 SGB I oder diejenige des § 44 Abs 2 SGB I zuerst geendet hat (vgl 5b RJ 68/81 - SozR 1200 § 44 Nr 5, juris RdNr 12; - SozR 4-1200 § 44 Nr 9 RdNr 15-16; im Ergebnis ebenso - SozR 4-1200 § 44 Nr 6 RdNr 14 f).
23Die von dem Kläger gerügte Verletzung des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ( - juris RdNr 239 mwN). Gemessen daran besteht in den von § 131 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III aF geregelten Fällen der nachträglichen Vertragserfüllung keine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Beginns der Verzinsung des Nachzahlungsanspruchs auf Alg im Vergleich zu Arbeitslosen, denen das (höhere) Arbeitsentgelt bereits im Bemessungszeitraum zugeflossen ist. Der Beginn der Verzinsung des (Nachzahlungs-) Anspruchs auf Alg beurteilt sich gleichermaßen anhand dessen Fälligkeit, die im Fall der nachträglichen Vertragserfüllung erst nach dem tatsächlichen Zufluss der Arbeitsentgelte eintritt. Letzteres ist sachlich gerechtfertigt, weil zuvor nicht absehbar ist, ob der Arbeitslose tatsächlich ein höheres beitragspflichtiges Arbeitseinkommen erzielt hat. Die kombinierte Anspruchs- und Zuflusstheorie dient zugleich der Verwaltungsvereinfachung, weil sie die BA von der Ermittlung entlastet, welche offenen Vergütungsansprüche einem Arbeitslosen möglicherweise gegen seinen früheren Arbeitgeber noch zustehen.
24Ein früherer Beginn der Verzinsung lässt sich auch nicht auf den von der Rechtsprechung entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Dieser zielt ausdrücklich nicht ab auf Schadensersatz in Form eines finanziellen Ausgleichs, sondern ist gerichtet auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung eines Zustands, der bestünde, wenn der Versicherungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte. Wenn aber die Beklagte die Bescheide über höheres Alg - hier die Änderungsbescheide vom - zu einem früheren Zeitpunkt erlassen hätte, wäre der geltend gemachte Zinsanspruch ohnehin nicht entstanden (vgl 5b RJ 68/81 - SozR 1200 § 44 Nr 5, juris RdNr 13).
25Die vom Kläger im Revisionsverfahren als Verfahrensfehler geltend gemachte Verletzung von § 103 SGG sowie seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) durch das LSG liegen nicht vor. Der Sache nach macht der Kläger keinen Verfahrensmangel der unzureichenden Sachaufklärung geltend (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), sondern wendet sich gegen die Ermittlung - seiner Rechtsauffassung nach - nicht entscheidungserheblicher Tatsachen. Dies vermag für sich genommen keinen Verfahrensmangel zu begründen. Das Gebot der Wahrung des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht regelmäßig nur, die Ausführungen von Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Es ist erst verletzt, wenn sich klar ergibt, dass das Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (zu alledem - RdNr 4 mwN; - RdNr 15 mwN). Das LSG ist jedoch ersichtlich auf den Vortrag des Klägers, die Bescheide vom enthielten eine vorgreifliche Fälligkeitsregelung, eingegangen und hat sich in der angegriffenen Entscheidung hiermit auseinandergesetzt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:150223UB11AL4221R0
Fundstelle(n):
GAAAJ-44519