Unbeendeter Versuch der gefährlichen Körperverletzung: Rücktritt trotz außertatbestandlicher Zielerreichung der Beutesicherung
Gesetze: § 22 StGB, § 24 Abs 1 S 1 Alt 1 StGB, § 223 Abs 1 StGB, § 224 Abs 1 Nr 2 Alt 2 StGB
Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 1 KLs 91/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen versuchte der Angeklagte, einen Supermarkt zu verlassen, ohne Waren zu bezahlen, die er zuvor in seinen Rucksack verstaut hatte. Im Kassenbereich wurde er vom Ladendetektiv angesprochen. Um sich im Besitz der Beute zu halten und einer Festnahme zu entziehen, griff der Angeklagte diesen mit einem Messer an und verfehlte ihn mit seinem schwungvoll geführten Stich lediglich deshalb, weil der Geschädigte zurückwich und danach auf Distanz zu dem Angeklagten blieb. Aufgrund dessen konnte der Angeklagte mit seiner Beute aus den Geschäftsräumen fliehen.
4b) Die Strafkammer hat angenommen, der Körperverletzungsversuch sei „bereits beendet und fehlgeschlagen, jedenfalls aber der Rücktritt hiervon nicht freiwillig“ gewesen. Diese Annahme ist rechtsfehlerhaft, denn sie wird von den Feststellungen nicht getragen.
5aa) Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt werden muss, und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält (vgl. , NStZ 2019, 198; Beschlüsse vom - 3 StR 120/22, juris Rn. 15; vom - 4 StR 587/19, NStZ-RR 2020, 102).
6Hieran gemessen war der Versuch nicht fehlgeschlagen und unbeendet, nachdem der Ladendetektiv vor dem Messerstich des Angeklagten zurückgewichen war. Denn er blieb, wenn auch distanzwahrend, in der Nähe des Angeklagten, so dass dieser ihm hätte nachsetzen und weiter auf ihn hätte einwirken können.
7Zwar hätte der Angeklagte nach seinem Vorstellungsbild, auf das es insofern ankommt (vgl. nur , NStZ-RR 2023, 74, 75), dann die primär erstrebte Flucht mit der Beute nicht mehr verwirklichen können. Maßgebend ist aber insoweit, dass er nach seiner Vorstellung, wenn auch unter Aufgabe seines eigentlichen Ziels, rein tatsächlich in der Lage gewesen wäre, den Detektiv weiter anzugreifen.
8bb) Zudem gab der Angeklagte seinen Versuch, den Ladendetektiv zu verletzen, freiwillig im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB auf, denn es handelte sich um eine autonome Entscheidung, der ursprünglich beabsichtigten Flucht Vorrang zu geben (vgl. , NStZ-RR 2014, 9, 10; vom - 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399 Rn. 6; Beschluss vom - 2 StR 665/87, BGHSt 35, 184, 186).
9cc) Der rechtlichen Beurteilung als freiwilliger Rücktritt vom Versuch widerspricht es schließlich nicht, dass der Angeklagte mit dem Angriff auf den Ladendetektiv den beabsichtigten Zweck, die Flucht mit der Beute, erreichte. Die „außertatbestandliche Zielerreichung“ und die damit verbundene, vom Täter erkannte Nutzlosigkeit der Tatfortsetzung führt weder zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs noch wird dadurch die Freiwilligkeit eines Rücktritts ausgeschlossen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 120/22, juris Rn. 18; vom - 3 StR 325/13, NStZ 2014, 202; vom - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 230 ff.).
10c) Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen.
112. Der Strafausspruch hat keinen Bestand, weil trotz der an sich maßvollen Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten angesichts der konkreten Strafzumessungserwägungen nicht auszuschließen ist, dass das Tatgericht auf eine geringere Strafe erkannt hätte, wenn es den Angeklagten lediglich wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls verurteilt hätte.
12Die zum Strafausspruch getroffenen Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen und werden daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht zu den bisherigen in Widerspruch stehen.
133. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:160523B3STR137.23.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-44500