Online-Nachricht - Mittwoch, 19.07.2023

Verfahrensrecht | Anwendung von Korrekturnormen bei Veranlagungen unter Verwendung eines Risikomanagementsystems (FG)

In den Fällen des teilautomatisierten Erlasses von Steuerbescheiden, in denen die Bearbeiter des Finanzamts unter Anwendung des Risikomanagementsystems nur die als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte überprüfen, kann die Finanzbehörde vom Steuerpflichtigen bei der Steuererklärungserstellung verursachte Schreib- und Rechenfehler sowie sonstige offenbare Unrichtigkeiten nach § 129 AO nur berichtigen, soweit sie sich die Unrichtigkeit zu Eigen macht. Dies ist ausgeschlossen, soweit der Besteuerungssachverhalt, dem die Unrichtigkeit anhaftet, nicht ausgesteuert und überprüft wird (; Revision zugelassen).

Sachverhalt: Der Kläger vermietete Praxisräume an seine Ehefrau, die Klägerin, für den Betrieb einer Praxis für Fußpflege und Nageldesign. Nach Durchführung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung erstattete das Finanzamt dem Kläger im Streitjahr 2016 die aus der Herstellung der Praxisräume resultierenden Vorsteuerbeträge in Höhe von 23.023 €. Auf den Einspruch des Klägers hin erstattete das Finanzamt sodann - ebenfalls im Streitjahr - weitere Vorsteuerbeträge in Höhe von 163 €.

In der Einkommensteuererklärung für 2016 erfasste die vom Kläger beauftragte Steuerberatungspraxis bei den Einnahmen aus Vermietung versehentlich nur die Erstattungsbeträge aus den geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen in Höhe von 163 €, nicht aber die Erstattungsbeträge aus den erstmaligen Bescheiden über 23.023 €. Das Finanzamt übernahm bei Veranlagung diese Unrichtigkeit und führte keine Überprüfung der Angaben des Klägers durch, weil das Risikomanagementsystem keinen Prüfhinweis erteilte.

Nachdem das Finanzamt den Fehler im Rahmen einer späteren Außenprüfung aufgedeckte, änderte es den Einkommensteuerbescheid für 2016 und erfasste nunmehr auch die Vorsteuererstattungsbeträge aus den erstmaligen Bescheiden.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg:

  • Das Finanzamt ist nicht berechtigt gewesen, die bestandskräftige Einkommensteuerveranlagung zu korrigieren. Eine Änderung nach § 173 AO wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen scheidet aus, weil dem Finanzamt die Höhe der tatsächlich erstatteten Vorsteuern bei Veranlagung bekannt gewesen ist. Das Finanzamt ist bei Veranlagung verpflichtet gewesen, diese ihr bekannte Tatsache auszuwerten, wenngleich das Risikomanagementsystem der Sachbearbeiterin des Finanzamts bei Veranlagung keinen Prüfhinweis erteilt hat.

  • Eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung kommt auch nach der Regelung des § 173a AO, die mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom (BGBl I 2016, 1679) gerade im Hinblick auf die automationsgestützte Veranlagung eingeführt wurde, nicht in Betracht. Denn die Regelung erfasst nur Schreib- und Rechenfehler, nicht hingegen - wie die Regelung des § 129 AO - auch sonstige offenbare Unrichtigkeiten, wie mechanische Versehen.

  • Schlussendlich scheidet auch eine Berichtigung der Einkommensteuerfestsetzung nach § 129 AO aus. Zum einen ist die unrichtige Angabe der Vorsteuererstattungshöhe nicht klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar gewesen. Zum anderen kann das Finanzamt eine Unrichtigkeit aus der Sphäre des Steuerpflichtigen nicht als "eigene Unrichtigkeit" übernehmen, wenn der Besteuerungssachverhalt, dem die Unrichtigkeit anhaftet, nicht als prüfungsbedürftig ausgesteuert und überprüft wird.

Hinweis:

Das FG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen.

Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Niedersachsen veröffentlicht. Eine Aufnahme in die NWB Datenbank erfolgt in Kürze.

Quelle: Niedersächsisches FG, Pressemitteilung v. (il)

Fundstelle(n):
BAAAJ-44444