Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Hamm Az: 1 AGH 9/22 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten um die Aufnahme der Klägerin in die Beklagte als Rechtsanwältin nach türkischem Recht (Avukat).
2Die 1975 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie wurde nach Abschluss eines Studiums an der juristischen Fakultät der Universität A. und eines Referendariats im Jahr 2000 als Rechtsanwältin in der Türkei zugelassen. Dort war sie bis 2016 als bei der Rechtsanwaltskammer A. zugelassene Rechtsanwältin in eigener Kanzlei und in verschiedenen staatlichen Einrichtungen tätig.
3Nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 galt die Klägerin als politisch Oppositionelle und wurde aus politischen Gründen aus ihrem staatlichen Beschäftigungsverhältnis entlassen. Gegen sie wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Zugehörigkeit zu dem G. -Netzwerk eingeleitet. Die Klägerin floh deshalb im September 2016 mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn nach Deutschland. Die türkischen Behörden löschten daraufhin die wohnrechtliche Meldung der Familie in der Türkei. Die Eintragung der Klägerin bei der Rechtsanwaltskammer A. wurde im Oktober 2017 gelöscht, weil Beiträge nicht gezahlt werden konnten und Mitteilungen der Rechtsanwaltskammer unbeantwortet blieben. Einer Wiederaufnahme der Klägerin in die Rechtsanwaltskammer A. steht ihre fehlende wohnrechtliche Anmeldung in der Türkei entgegen. Weitere Versagungsgründe nach türkischem Recht sind für den Senat nicht ersichtlich.
4Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkannte der Klägerin mit Bescheid vom die Flüchtlingseigenschaft zu, während es mit demselben Bescheid die Asylanerkennung ablehnte. Die Klägerin ist im Rechtsdienstleistungsregister im Sinne von §§ 10, 12, 16 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) für den Bereich "Rechtsdienstleistungen in ausländischem Recht - Türkei" eingetragen.
5Die Klägerin beantragte im Oktober 2020 die Aufnahme in die Beklagte als türkische Rechtsanwältin. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom den Antrag der Klägerin unter Verweis auf die fehlende Bescheinigung über die Zugehörigkeit zum Anwaltsberuf nach § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO und die fehlende Berufsausübung nach § 206 Abs. 1 Satz 1 BRAO [in der bis zum geltenden Fassung, im Folgenden: aF] ab.
6Der Anwaltsgerichtshof hat die gegen den Bescheid vom gerichtete Klage abgewiesen. Er hat ausgeführt, die Beklagte habe die Aufnahme der Klägerin zu Recht daran scheitern lassen, dass sie keine Bescheinigung der im Herkunftsstaat zuständigen Behörde, der Rechtsanwaltskammer A. , über die Zugehörigkeit zum Rechtsanwaltsberuf gemäß § 207 Abs. 1 BRAO vorlege. § 207 Abs. 1 BRAO sei nicht verfassungswidrig und auch nicht im Lichte der Grundrechte der Klägerin einschränkend dahin auszulegen, dass die Voraussetzung der Vorlage einer Bescheinigung der im Herkunftsstaat zuständigen Behörde über die Zugehörigkeit zum Rechtsanwaltsberuf in ihrem Fall nicht gelte. Die Klägerin könne sich als türkische Staatsangehörige nicht auf das "allen Deutschen" garantierte Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG berufen, sondern nur auf das "Auffanggrundrecht" der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Der Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG biete einen im Verhältnis zu Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG eher abgeschwächten Schutz.
7§ 207 Abs. 1 BRAO sei nicht verfassungswidrig und auch nicht verfassungskonform einschränkend auszulegen. Zwar werde durch die Vorgabe, für eine Zulassung nach §§ 206, 207 BRAO eine Bescheinigung der im Herkunftsstaat zuständigen Behörde über die Zugehörigkeit zu dem Beruf vorzulegen, in Art. 2 Abs. 1 GG eingegriffen. Denn nur der im Herkunftsstaat nach den dortigen Rechtsvorschriften zugelassene Anwalt könne in die Rechtsanwaltskammer aufgenommen werden und sich im Kammerbezirk als Anwalt niederlassen. Dieser Eingriff sei jedoch geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um sicherzustellen, dass in diesem Rahmen nur solche ausländischen Rechtsanwälte zugelassen würden, die tatsächlich befugt seien, in ihrem Herkunftsstaat den Beruf auszuüben. Dabei sei zu beachten, dass der nach § 206 BRAO niedergelassene ausländische Anwalt zwar in Deutschland, aber allein im Recht seines Heimatstaates und im Völkerrecht tätig sei. § 207 Abs. 1 BRAO solle sicherstellen, dass der Rechtsanwaltskammer eine effektive Aufsicht möglich sei. Dadurch werde gewährleistet, dass der ausländische Rechtsanwalt in seinem Herkunftsstaat wirklich zur Ausübung des Berufs berechtigt sei. Insofern sei es angezeigt, die im jeweiligen Herkunftsstaat zuständige Behörde nach dem dort geltenden Recht über die Zugehörigkeit zu dem Beruf entscheiden zu lassen. Dementsprechend verlange die deutsche Rechtsanwaltskammer bei der Aufnahme des ausländischen Anwalts auch keine Befähigung nach § 4 BRAO als allgemeine Voraussetzung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Vielmehr trete an diese Stelle der Nachweis der Zugehörigkeit zu dem Beruf durch eine Bescheinigung des Herkunftsstaates nach § 207 Abs. 1 BRAO. Würde von der Notwendigkeit zur Vorlage der Bescheinigung der im Herkunftsstaat zuständigen Behörde über die Zugehörigkeit zum Rechtsanwaltsberuf eine Ausnahme gemacht, obläge es entweder der deutschen Rechtsanwaltskammer, im betreffenden Fall selbst - auf Grundlage des im Herkunftsstaat geltenden Rechts - zu überprüfen, ob der Antragsteller dort befugt sei, in dem betreffenden Beruf tätig zu sein, oder es würde insoweit überhaupt keine Prüfung stattfinden.
8In letzterem Fall würde nicht mehr sichergestellt, dass der ausländische Rechtsanwalt in seinem Herkunftsstaat überhaupt zur Ausübung des Berufs berechtigt sei. Es liege auf der Hand, dass dies nicht zuletzt im Hinblick auf die Bedeutung rechtsberatender Berufe nicht in Betracht komme. Es wäre aber auch keine gleich geeignete Maßnahme, die betreffende Überprüfung in Fällen wie dem vorliegenden der deutschen Rechtsanwaltskammer zu überlassen. Schon die Frage, ob die Zulassung der Klägerin bei der Rechtsanwaltskammer A. allein wegen der fluchtbedingten Löschung ihres Wohnsitzes in der Türkei erloschen sei, bedürfte - auf der Grundlage des türkischen Rechts - einer näheren Prüfung. Diese sei für eine deutsche Rechtsanwaltskammer nicht in gleicher Weise durchzuführen wie für eine türkische Rechtsanwaltskammer. Zu beachten sei ferner, dass die deutsche Rechtsanwaltskammer gegebenenfalls auch die laufende Berufsaufsicht über den ausländischen Rechtsanwalt - nach dem Recht seines Herkunftsstaates - zu führen hätte. Denn die Voraussetzungen zur Zulassung zur Anwaltschaft - hier nach dem Türkischen Anwaltsgesetz - könnten auch nach einer Zulassung gemäß §§ 206, 207 BRAO entfallen. Es wäre nicht sichergestellt, dass oder wie eine deutsche Rechtsanwaltskammer an die erforderlichen Informationen aus der Türkei kommen könne.
9Da die Zulassung eines ausländischen Rechtsanwalts diesen allein dazu berechtige, seine - heimatrechtsbezogene - Rechtsberatung in Deutschland anzubieten, und seine Befähigung und Berechtigung, in diesem Bereich rechtsberatend tätig zu sein, bestmöglich von der zuständigen Behörde seines Heimatstaates beurteilt werden könne, erscheine die Einschränkung von Art. 2 Abs. 1 GG durch §§ 206, 207 BRAO auch verhältnismäßig. Dabei sei zu beachten, dass der Klägerin durch die Nichtaufnahme bei der Beklagten nicht jegliche juristische Tätigkeit unmöglich gemacht werde.
10Die Klägerin könne auch aus Art. 8 und 19 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nichts Günstiges für sich herleiten. Art. 8 GFK finde keine Anwendung, weil keine außergewöhnliche Maßnahme gegen die Klägerin aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit ergriffen werde. §§ 206, 207 BRAO gälten für alle ausländischen Rechtsanwälte, unabhängig davon, welchem konkreten Staat sie angehörten. Art. 7 Nr. 1 GFK gelte zwar nur "vorbehaltlich der in diesem Abkommen vorgesehenen günstigeren Bestimmungen", die sich für die Klägerin aus Art. 19 GFK ergeben könnten. Aber auch diese Vorschrift sehe nur vor, dass Flüchtlingen, die einen freien Beruf auszuüben wünschten, "eine möglichst günstige und jedenfalls nicht weniger günstige Behandlung [zu] gewähren [ist], als sie Ausländern im Allgemeinen unter den gleichen Umständen gewährt wird". Auch hier sei zu beachten, dass die §§ 206, 207 BRAO für alle ausländischen Rechtsanwälte gälten, die eine Zulassung in Deutschland begehrten, der Klägerin also keine andere Behandlung als diesen zuteilwerde.
11Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom Anwaltsgerichtshof zugelassenen Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Zwar könne sie sich derzeit nicht auf Art. 12 GG berufen. Dieses Grundrecht müsse aber im Wege der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG mitberücksichtigt werden. Die Möglichkeit, als Rechtsberaterin tätig zu sein, unterscheide sich von der Tätigkeit als türkische Anwältin insbesondere dadurch, dass sie nicht in völkerrechtlichen Verfahren auftreten dürfe, um anderen Flüchtlingen vor internationalen Gerichten beistehen zu können.
12Die Klägerin beruft sich zudem auf das Grundrecht auf Asyl aus Art. 16a Abs. 1 GG. Dieses beinhalte das Recht, unter Teilhabe am Arbeitsmarkt eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Sie müsse sich als Juristin vollumfänglich entfalten und verwirklichen dürfen. Dabei dürften für sie als Flüchtling nicht die gleichen formellen Voraussetzungen gelten wie für andere Ausländer. Die rechtlichen Maßgaben des Flüchtlingsrechts seien unter verfassungsmäßiger Reduktion der §§ 206 und 207 BRAO dahingehend abzusenken, dass die Grundrechte des Flüchtlings nicht an formellen Voraussetzungen scheiterten, sondern ihrem Wesen nach erhalten blieben. Für den Fall, dass die Verfassungskonformität der vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen als entscheidungserheblich angesehen werde, werde angeregt, sie zwecks konkreter Normenkontrolle im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
13Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Anwaltsgerichtshofes vom festzustellen, dass der Ablehnungsbescheid der Rechtsanwaltskammer Köln vom rechtswidrig ist, und die Beklagte zu verurteilen, sie als Rechtsanwältin nach türkischem Recht in die Beklagte aufzunehmen.
14Die Beklagte beantragt,
zu erkennen, was rechtens ist.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom die Klägerin persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Gründe
I.
17Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufnahme in die Beklagte gemäß § 206 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO (nachfolgend zu 1.). Die in den vorgenannten Normen bestimmte Aufnahmevoraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Beruf des Rechtsanwalts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung in Bezug auf die Ausbildung und die Befugnisse des Berufsträgers entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf ist nicht verfassungswidrig. Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 16a GG (nachfolgend zu 2.).
181. Nach § 206 Abs. 1 BRAO dürfen sich Angehörige ausländischer Berufe, die in der Rechtsverordnung nach § 206 Abs. 2 BRAO aufgeführt sind, zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland niederlassen, wenn sie nach dem Recht des Herkunftsstaates befugt sind, den Beruf im Herkunftsstaat auszuüben, und auf Antrag in die für den Ort der Niederlassung zuständige Rechtsanwaltskammer aufgenommen wurden. Dem Antrag auf Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer ist nach § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO eine Bescheinigung der im Herkunftsstaat zuständigen Behörde über die Zugehörigkeit zu dem Beruf beizufügen. Eine solche Bescheinigung hat die Klägerin nicht vorgelegt.
19Es liegt auch kein Fall des § 207 Abs. 1 Satz 3 BRAO (in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Aufsicht bei Rechtsdienstleistungen und zur Änderung weiterer Vorschriften vom , BGBl. I, 2023, Nr. 64, S. 1 f.) vor, in dem unter den dort geregelten besonderen Umständen die Rechtsanwaltskammer auf die Vorlage der Bescheinigung nach § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO verzichten kann. Denn Voraussetzung eines solchen Verzichts ist die fortbestehende Zugehörigkeit des Antragstellers zu dem Beruf des Rechtsanwalts in seinem Herkunftsstaat (§ 207 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BRAO). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben.
20a) Da Herkunftsstaat der Klägerin im Sinne von § 206 Abs. 1, § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO die Türkei ist, kommt insofern allein die Zugehörigkeit zu dem Beruf des türkischen "Avukat" in Betracht (vgl. Verordnung zur Durchführung des § 206 der Bundesrechtsanwaltsordnung vom (BGBl. I 2002, S. 2886), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom (BGBl. I 2022, S. 1798)). Diesem Beruf gehört die Klägerin jedoch nicht (mehr) an.
21Unter der Zugehörigkeit zu dem Beruf im Sinne von § 206 Abs. 1, § 207 Abs. 1 BRAO ist die Zulassung zu dem Beruf im Herkunftsstaat beziehungsweise die Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaates zu verstehen (vgl. Weyland/Nöker, BRAO, 10. Aufl., § 207 BRAO Rn. 1a; Buchmann/Gerking in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 207 Rn. 4; zum Begriff der Zugehörigkeit zu dem Beruf des europäischen Rechtsanwalts gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 EuRAG vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte, BT-Drucks. 14/2269, S. 24). Nach der Löschung der Eintragung der Klägerin bei der Rechtsanwaltskammer A. wegen der Nichtzahlung von Beiträgen (vgl. Art. 65 Abs. 3 und Art. 72 Abs. 1 Buchst. d des türkischen Rechtsanwaltsgesetzes) ist die Klägerin in der Türkei nicht mehr als "Avukat" zugelassen. Infolgedessen gehört sie diesem Beruf nicht mehr an. Dementsprechend bezeichnet sich die Klägerin als "ausländische ehemalige Rechtsanwältin", die in der Türkei als Rechtsanwalt zugelassen gewesen sei (Klageschrift vom , S. 6, 9; vgl. auch Art. 63 Abs. 1 Satz 2 des türkischen Rechtsanwaltsgesetzes, wonach Personen, die in dem Namensverzeichnis der Rechtsanwaltskammer nicht aufgeführt werden, nicht berechtigt sind, den Titel "Avukat" zu führen).
22b) Eine Auslegung von § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 BRAO dergestalt, dass anerkannte Flüchtlinge als Voraussetzung der Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer nicht einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung im Sinne von § 206 Abs. 2 BRAO entsprechenden Beruf angehören müssen, ist nicht möglich.
23aa) Für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend. Seiner Erfassung dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Die in ihm ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption ist durch das Gericht bezogen auf den konkreten Fall möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (BVerfGE 133, 168 Rn. 66; Senat, Urteile vom - AnwZ (Brfg) 33/16, NJW 2017, 1681 Rn. 19; vom - AnwZ (Brfg) 12/17, NJW 2018, 791 Rn. 16 und vom - AnwZ (Brfg) 49/17, NJW 2018, 3100 Rn. 40; jeweils mwN). Eine Auslegung, die zu dem Wortlaut des Gesetzes, der Gesetzessystematik und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch tritt, ist ausgeschlossen (Senat, Urteil vom aaO; zu den Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung vgl. BVerfGE 110, 226, 267).
24bb) Die Anwendung dieser Grundsätze verbietet vorliegend eine Auslegung in vorstehendem Sinne. Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO, der Gesetzessystematik und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers wird der Schutz der Rechtsuchenden vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 RDG) dadurch sichergestellt und kann eine Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer nur erfolgen, dass beziehungsweise wenn der Antragsteller einem ausländischen Beruf im Sinne von § 206 Abs. 1 und 2 BRAO angehört. Der Nachweis der Zugehörigkeit zu einem solchen Beruf ist der Kern des gesetzlichen Regelungskonzepts. Er tritt an die Stelle des Nachweises der Befähigung nach § 4 Satz 1 BRAO (vgl. Weyland/Nöker, aaO § 207 Rn. 6). Damit ist ein Verzicht auf die Zugehörigkeit zu dem ausländischen Beruf im Sinne von § 206 Abs. 1 und 2 BRAO nicht vereinbar, und zwar unabhängig davon, ob mit ihm zugleich ein alternatives Konzept zum Schutz der Rechtsuchenden eingerichtet werden soll, wie etwa die von der Klägerin für die Aufnahme von Flüchtlingen in die Rechtsanwaltskammer vorgeschlagene Überprüfung durch "einschlägig zugelassene Anwälte nach türkischem Recht" (Schriftsatz vom , S. 9). Ein solches Konzept stünde zu dem Wortlaut und der Gesetzessystematik der §§ 206 f. BRAO in Widerspruch.
25Dies zeigt sich auch daran, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 207 Abs. 1 Satz 3 BRAO die Probleme ausländischer Rechtsanwälte in Bezug auf die Vorlage von Bescheinigungen betreffend die Zugehörigkeit zum Rechtsanwaltsberuf erkannt hat, aber dennoch in Bezug auf das Erfordernis der Zugehörigkeit zum Rechtsanwaltsberuf als solches festgehalten hat.
26c) Eine analoge Anwendung von § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO dergestalt, dass auch solche Personen in die Rechtsanwaltskammer aufzunehmen sind, die zwar nicht dem ausländischen Beruf angehören, aber über die Qualifikation für diesen Beruf verfügen und entsprechende Bescheinigungen vorlegen können, kommt ebenfalls nicht in Betracht.
27aa) Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom - AnwZ (Brfg) 41/21, AnwBl Online 2022, 667 Rn. 64 mwN; , NJW 2021, 1942 Rn. 38 mwN). Eine Analogie setzt daher voraus, dass die Übertragung der gesetzlichen Regelung auf den ungeregelten Fall nicht durch eine gesetzgeberische Entscheidung ausgeschlossen ist (Senat, aaO Rn. 65). Eine Regelungslücke liegt nicht vor, wenn eine Regelung nach Wortlaut, Systematik und Sinn abschließend ist (vgl. BVerfGE 65, 182, 191).
28bb) Vorliegend fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.
29(1) Der Gesetzgeber ermöglicht in § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO ausdrücklich und abschließend nur solchen Personen die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer und erlaubt ihnen die Niederlassung zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen, die einem dem Beruf des Rechtsanwalts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung in Bezug auf die Ausbildung und die Befugnisse des Berufsträgers entsprechenden ausländischen Beruf angehören, der in der Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 206 Abs. 2 BRAO aufgeführt ist. Wesentliche Voraussetzung für die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer und Kern der gesetzlichen Regelung ist damit - wie durch die jüngst in Kraft getretene Ergänzung von § 207 Abs. 1 BRAO bestätigt wird - die Zugehörigkeit zu dem Beruf, nicht hingegen eine bestimmte fachliche Qualifikation des Antragstellers. Folgerichtig nimmt § 207 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BRAO von der dort bestimmten Geltung des Zweiten Teils der Bundesrechtsanwaltsordnung für den Antrag auf Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer § 4 BRAO aus, der die berufliche Qualifikation als Voraussetzung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft regelt. Nach dem Regelungskonzept der § 206 Abs. 1, § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO ist entscheidendes Kriterium mithin die Vergleichbarkeit des ausländischen Berufs mit dem deutschen Anwaltsberuf, nicht hingegen die fachliche Qualifikation.
30Dies wird auch in § 207 Abs. 4 Satz 1 BRAO deutlich, der den niedergelassenen ausländischen Rechtsanwalt dazu verpflichtet, die Berufsbezeichnung nach dem Recht des Herkunftsstaates (hier: Avukat) zu führen. Eine solche Verpflichtung ist nur denkbar, wenn der ausländische Antragsteller einem dem deutschen Anwaltsberuf entsprechenden Beruf des Herkunftsstaates auch tatsächlich angehört, nicht hingegen, wenn er lediglich über die fachliche Qualifikation für diesen Beruf verfügt.
31(2) Die Vollständigkeit des gesetzlichen Regelungskonzepts ergibt sich zudem daraus, dass der Gesetzgeber für ausländische Personen - etwa für ausländische Rechtsanwälte, die nicht einem der in der Rechtsverordnung nach § 206 Abs. 2 BRAO genannten Berufe angehören - in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG die Möglichkeit vorsieht, nach entsprechender Registrierung Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht zu erbringen (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drucks. 16/3655, S. 65), wovon die Klägerin Gebrauch gemacht hat.
32(3) Eine planwidrige Regelungslücke kann die Klägerin schließlich auch nicht aus den § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG zugrundeliegenden Wertungen herleiten. Dort ist bestimmt, dass ein Ausländer, der einen - Flüchtlingen auszustellenden - Reiseausweis nach Art. 28 GFK besitzt, seine alte Staatsangehörigkeit entgegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG nicht aufgeben muss, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen. Regelungsgegenstand, -inhalt und -konzept des Staatsangehörigkeitsgesetzes unterscheiden sich wesentlich von denjenigen der Bundesrechtsanwaltsordnung. Der Umstand, dass der Gesetzgeber Flüchtlinge im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts privilegiert, rechtfertigt daher nicht die Annahme, er habe ihnen auch im Bereich der Erbringung von Rechtsdienstleistungen und des Zugangs zum Beruf des Rechtsanwalts eine privilegierte Stellung zukommen lassen wollen und dies nur übersehen.
332. Die in § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 BRAO bestimmte Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung im Sinne von § 206 Abs. 2 BRAO entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf ist nicht verfassungswidrig. Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 16a GG. Dementsprechend besteht keine Veranlassung, gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
34a) Der Anwaltsgerichtshof hat zutreffend ausgeführt, dass sich die Klägerin als ausländische Staatsangehörige nicht auf das allen Deutschen garantierte Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG berufen kann. Dies erkennt auch die Klägerin an.
35b) Die in § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 BRAO für die Niederlassung als ausländischer Rechtsanwalt bestimmte Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung im Sinne von § 206 Abs. 2 BRAO entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf ist mit der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit der Klägerin vereinbar.
36aa) Die Unanwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 GG auf Ausländer bedeutet nicht, dass die Verfassung sie in diesem Bereich schutzlos lässt. Der systemgerechte Ansatz liegt vielmehr bei dem subsidiären allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfG, NJW 1988, 2290, 2291; NJW 2002, 663). Das darf indes nicht so verstanden werden, dass der Nichtdeutsche, dem die Berufung auf die Berufsfreiheit verwehrt ist, denselben Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG beanspruchen könnte. Eine solche Auffassung ließe das Spezialitätsverhältnis zwischen Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG außer Acht. Das allgemeine Freiheitsrecht ist insoweit nur anwendbar, als es im Rahmen der in ihm geregelten Schranken die Handlungsfreiheit gewährleistet. Zur verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne dieses Grundrechts gehört jede Rechtsnorm, die formell und materiell mit der Verfassung im Einklang steht (BVerfG, NJW 1988, 2290, 2291; zur Angleichung des Schutzniveaus des Art. 2 Abs. 1 GG an dasjenige des Art. 12 Abs. 1 GG im Falle von Bürgern und juristischen Personen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union vergleiche allerdings BVerfG, NJW 2016, 1436 Rn. 11 f.).
37bb) Die in § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 BRAO für die Niederlassung als ausländischer Rechtsanwalt bestimmte Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung im Sinne von § 206 Abs. 2 BRAO entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf stellt einen Eingriff in das für die Klägerin subsidiär eingreifende Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG dar.
38Das Grundrecht schützt die Handlungsfreiheit grundsätzlich im umfassenden Sinne; geschützt wird jedes menschliche Verhalten. Da nach der Art der geschützten Tätigkeit nicht differenziert wird, sind von Art. 2 Abs.1 GG auch berufliche Tätigkeiten erfasst (BVerfGE 113, 29, 45; vgl. auch BVerfGE 80, 137, 152).
39(1) Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG ist allerdings vorliegend nicht eröffnet, soweit die Klägerin explizit als türkische Rechtsanwältin (Avukat) zugelassen werden will.
40(a) Die Klägerin gehört diesem Beruf - wie ausgeführt - gegenwärtig nicht an. Eine Tätigkeit als türkische Rechtsanwältin könnte sie in Deutschland nur entfalten, wenn sie die Zugehörigkeit, das heißt die Zulassung zu diesem Beruf zuvor neu erlangen würde. Da dies nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin in der Türkei mangels dortiger wohnrechtlicher Meldung nicht möglich ist, kommt eine erneute Zulassung zu dem Beruf der türkischen Rechtsanwältin nur durch deutsche staatliche Institutionen in Betracht. Ob der Anspruch auf eine solche staatliche Leistung von dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit umfasst ist, erscheint bereits in Anbetracht des Charakters dieses Grundrechts als typisches Abwehrrecht fraglich (zu Art. 2 Abs. 1 GG als typischem Freiheits- und Abwehrrecht sowie zu der gebotenen Zurückhaltung hinsichtlich der Ableitung von Leistungsansprüchen aus den als Abwehrrechten formulierten Grundrechten vgl. Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 Rn. 48, 57 (Stand: September 2022)). Jedenfalls aber ist der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit im Hinblick auf eine - konstitutive - (erneute) Zulassung der Klägerin zu dem Beruf der türkischen Rechtsanwältin deshalb nicht eröffnet, weil eine solche Maßnahme dem deutschen Staat und damit auch der Beklagten nicht möglich ist (vgl. § 62 Abs. 1 BRAO zur Rechtsanwaltskammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts).
41Durch Auslegung der entsprechenden Grundrechtsnorm ist festzustellen, ob sie nach Wortlaut, Sinn und Zweck für jede denkbare Anwendung hoheitlicher Gewalt innerhalb der Bundesrepublik gelten will oder ob sie bei Sachverhalten mit mehr oder weniger intensiver Auslandsbeziehung eine Differenzierung zulässt oder verlangt. Die Reichweite der Grundrechte ist aus der Verfassung selbst zu bestimmen, wobei die Grundhaltung der Verfassung, dass andere Staaten als gleichberechtigte Glieder der Völkerrechtsgemeinschaft anerkannt werden und deren eigenständige Rechtsordnung respektiert wird, zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 31, 58, 75 ff.).
42Die Zulassung als ausländischer Rechtsanwalt, hier: als türkischer Avukat, verleiht dem vorliegenden Sachverhalt einen starken Auslandsbezug. Erfolgte sie in Deutschland in Bezug auf Personen, die diesem Beruf nicht (mehr) angehören - sei es durch einen ausdrücklichen Verwaltungsakt, sei es durch die Einbeziehung eines Anspruchs auf Zulassung zu dieser Tätigkeit in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG -, wäre dies ein unmittelbarer Eingriff in die staatliche Souveränitäts- und Kompetenzsphäre der Türkei. Ein solcher staatlicher Akt widerspräche sowohl der vorgenannten Grundhaltung der Verfassung als auch dem völkerrechtlichen Gebot der Nichteinmischung, das über Art. 25 GG Bestandteil der deutschen Rechtsordnung ist (vgl. BVerfG, NVwZ 2008, 878, 879). Vor diesem Hintergrund ist der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit dahin zu bestimmen, dass von ihm die (konstitutive) Zulassung zu einem ausländischen Beruf im Hinblick auf Personen, die diesem Beruf nach dem Recht ihres Herkunftsstaates nicht angehören, nicht erfasst wird.
43(b) Es kann offenbleiben, ob der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet ist, soweit das Begehren der Klägerin dahin gehen sollte, unabhängig von einer ausdrücklichen formalen (erneuten) Zulassung als türkische Rechtsanwältin berufsrechtlich zumindest wie eine solche behandelt zu werden in dem Sinne, dass sie in Deutschland als Rechtsanwältin für türkisches Recht auftreten und in dem in § 206 Abs. 3 Nr. 1 BRAO bestimmten Umfang tätig werden darf. Denn der in diesem Falle durch § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 BRAO erfolgende Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Klägerin wäre verfassungsrechtlich gerechtfertigt (nachfolgend zu cc (3)).
44(2) Eröffnet ist der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG jedenfalls im Hinblick auf die Erbringung von Rechtsdienstleistungen im türkischen Recht und im Völkerrecht in Deutschland (vgl. § 206 Abs. 3 Nr. 1 BRAO) als solche.
45Insofern liegt auch ein Eingriff in dieses Grundrecht der Klägerin vor. Durch die in § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 BRAO für die Niederlassung als ausländischer Rechtsanwalt bestimmte Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung im Sinne von § 206 Abs. 2 BRAO entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf wird in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte und von ihr geltend gemachte Freiheit der Klägerin eingegriffen, in Deutschland Rechtsdienstleistungen im türkischen Recht und im Völkerrecht zu erbringen. Denn ohne die - an die Aufnahme in die Beklagte gebundene - gesetzliche Erlaubnis gemäß § 206 Abs. 1 und 3 Nr. 1 BRAO besteht für die Klägerin das Verbot nach § 3 RDG, diese Rechtsdienstleistungen in Deutschland zu erbringen (zu dem sich aus der Zusammenschau von Bundesrechtsanwaltsordnung und Rechtsdienstleistungsgesetz ergebenden Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vgl. Wolf in Gaier/Wolf/Göcken, aaO § 3 RDG Rn. 1). Der Umstand, dass mit der Registrierung gemäß §§ 10 ff. RDG ein weiterer Weg zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen in Deutschland offensteht, der von der Klägerin auch beschritten worden ist, schließt den in den Erlaubnisvoraussetzungen der § 206 Abs. 1 und 2, § 207 Abs. 1 BRAO liegenden Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Klägerin nicht aus. Denn die Registrierung gemäß §§ 10 ff. RDG hängt von zusätzlichen Voraussetzungen ab (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 RDG: Nachweis theoretischer und praktischer Sachkunde) und erlaubt der registrierten Person zwar Rechtsdienstleistungen in einem ähnlichen, nicht aber in exakt demselben Umfang wie dem in eine Rechtsanwaltskammer nach § 206 Abs. 1 Nr. 2, § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO aufgenommenen ausländischen Rechtsanwalt (nachfolgend zu cc) (2) (d) (aa) bis (cc)).
46cc) Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit ist, soweit er nach dem Vorstehenden gegeben ist, verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
47Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit ist nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung verbürgt (Art. 2 Abs. 1 GG). Darunter sind alle Rechtsnormen zu verstehen, die sich formell und materiell mit dem Grundgesetz im Einklang befinden und insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 103, 197, 215). Die Regelungen der §§ 206 f. BRAO werden diesen Anforderungen gerecht.
48(1) Der Bund verfügt insofern nach Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG über die Gesetzgebungszuständigkeit.
49(2) Die in § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 BRAO für die Niederlassung zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland bestimmte Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung im Sinne von § 206 Abs. 2 BRAO entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf ist auch verhältnismäßig.
50(a) Die vorgenannten Regelungen verfolgen das verfassungsrechtlich legitime Ziel, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 RDG).
51(b) Das in § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 BRAO i.V.m. § 3 RDG geregelte Verbot der Niederlassung zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf Personen, die nicht Angehörige eines dem Beruf des Rechtsanwalts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung im Sinne von § 206 Abs. 2 BRAO entsprechenden Berufs sind, ist auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen.
52Ein Mittel ist bereits dann im verfassungsrechtlichen Sinn geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt; dem Gesetzgeber kommt dabei ein Einschätzungs- und Prognosevorrang zu (BVerfGE 116, 202, 224 mwN). Bei Anlegung dieses Maßstabs ist eine Eignung des in den vorgenannten Normen geregelten Verbots im Hinblick auf den Schutz vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen ohne weiteres zu bejahen.
53(c) Die vorgenannten Regelungen sind zur Erreichung dieses Zieles auch erforderlich.
54(aa) Der Gesetzgeber verfügt bei der Einschätzung der Erforderlichkeit ebenfalls über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum. Daher können Maßnahmen, die er zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts für erforderlich hält, verfassungsrechtlich nur beanstandet werden, wenn nach den ihm bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten Erfahrungen feststellbar ist, dass Regelungen, die als Alternativen in Betracht kommen, die gleiche Wirksamkeit versprechen, die Betroffenen aber weniger belasten (BVerfGE 116, 202, 225 mwN).
55(bb) Das Gesetz eröffnet ausländischen Juristen, deren Herkunftsstaat nicht einer der in § 206 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BRAO genannten Staaten ist, zwei Wege zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen in Deutschland. Zum einen besteht für sie die Möglichkeit, sich als Rechtsdienstleistende nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG registrieren zu lassen. In diesen Fällen wird das Ziel, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RDG), durch den von § 12 Abs. 1 Nr. 2 RDG geforderten Sachkundenachweis erreicht. Auf dieser Grundlage hat sich die Klägerin gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG beim Oberlandesgericht K. als der zuständigen Behörde registrieren lassen.
56Zum anderen wird Angehörigen der in § 206 Abs. 1 und 2 BRAO genannten ausländischen Berufe, die gemäß § 206 Abs. 1, § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommen wurden, erlaubt, Rechtsdienstleistungen in dem in § 206 Abs. 3 BRAO bestimmten Umfang zu erbringen. Im Hinblick auf diesen Personenkreis wird der Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen dadurch erreicht, dass eine Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer nur erfolgt, wenn die betreffenden Personen in Bezug auf die Ausbildung zum Beruf und die Befugnisse des Berufsträgers einem dem Beruf des Rechtsanwalts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung entsprechenden Beruf angehören (§ 206 Abs. 2 BRAO) und die Zugehörigkeit zu dem Beruf von der im Herkunftsstaat zuständigen Behörde bescheinigt wird (§ 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO). Diese gesetzlichen Voraussetzungen ersetzen die Prüfung der beruflichen Qualifikation des Antragstellers (vgl. Weyland/Nöker, aaO § 207 Rn. 6: An die Stelle der Befähigung nach § 4 BRAO tritt der Nachweis der Zugehörigkeit zu dem Beruf durch eine Bescheinigung des Herkunftsstaates). Die Einschätzung ihrer Erforderlichkeit unterliegt dem Beurteilungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers.
57Regelungen, die in Bezug auf den vorgenannten Personenkreis als Alternative in Betracht kommen und im Hinblick auf das Ziel des Schutzes vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen die gleiche Wirksamkeit versprechen, die Betroffenen aber weniger belasten, sind nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere für die von der Klägerin - de lege ferenda - vorgeschlagene Alternative, ihre Aufnahme in die Beklagte von einer Prüfung der Eignung durch ein mit zugelassenen Anwälten nach türkischem Recht besetztes Gremium abhängig zu machen. Zum einen ist nicht erkennbar, dass sie eine solche Prüfung weniger belasten würde als der - von ihr offenbar bereits erbrachte - Sachkundenachweis nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 RDG. Zum anderen wäre eine solche (gesetzliche) Regelung in der Rechtspraxis nicht umsetzbar. Sie müsste nicht nur für die Beklagte und die Aufnahme von türkischen Juristen gelten, sondern bundesweit für alle Rechtsanwaltskammern und für Juristen aus allen Vertragsstaaten des Welthandelsabkommens (WTO-Staaten). Die Einrichtung von Prüfungsgremien für jeden WTO-Staat mit nach dem Recht des jeweiligen WTO-Staates zugelassenen Anwälten ist indes weder durchführbar noch seitens der Rechtsanwaltskammern leistbar.
58(d) Das in § 206 Abs. 1 i.V.m. § 207 Abs. 1 BRAO i.V.m. § 3 RDG geregelte Verbot der Niederlassung zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland für Personen, die nicht Angehörige eines im Sinne von § 206 Abs. 2 BRAO dem Beruf des Rechtsanwalts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung entsprechenden Berufs sind, ist auch angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne). Angemessen ist eine Regelung, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 117, 163, 193 mwN). Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einem durch Gesetz erfolgenden Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gewisse Härten für Einzelne in Kauf genommen werden müssen, da ein Gesetz, das seiner Natur nach typisieren muss, nicht alle Einzelfälle berücksichtigen kann; es genügt, wenn es eine für möglichst viele Tatbestände angemessene Regelung schafft (BVerfGE 13, 230, 236).
59In diesem Rahmen bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, ob die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht zur Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG entwickelt hat (sog. Drei-Stufen-Theorie, begründet von BVerfGE 7, 377, 404 ff.), auf Eingriffe in die - für die berufliche Betätigung von Ausländern subsidiär geltende - allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG uneingeschränkt anwendbar sind (vgl. BVerfG, NJW 2016, 1436 Rn. 11 f. zur Sicherstellung des über Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutzniveaus für Bürger und juristische Personen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union über das subsidiär anwendbare allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG). Denn das in § 206 Abs. 1 und 2, § 207 Abs. 1 BRAO i.V.m. § 3 RDG geregelte Niederlassungsverbot hält auch einer an diesen Maßstäben ausgerichteten Prüfung stand.
60Die in § 206 Abs. 1 und Abs. 2, § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO bestimmten Voraussetzungen für die Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen stellen eine subjektive Berufswahlregelung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar. Denn sie regeln mit dem Erfordernis der Zugehörigkeit zu einem in der Rechtsverordnung nach § 206 Abs. 2 BRAO aufgeführten ausländischen Beruf eine subjektive Voraussetzung der Berufsaufnahme. Eine subjektive Berufswahlregelung ist nur statthaft, soweit dadurch ein überragendes Gemeinschaftsgut, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht, geschützt werden soll und der Eingriff nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck der ordnungsgemäßen Erfüllung steht sowie keine übermäßige unzumutbare Belastung enthält (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 59, 302, 316; 69, 209, 218).
61Der von § 206 Abs. 1 und 2, § 207 Abs. 1 BRAO i.V.m. § 3 RDG bezweckte Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen stellt ein überragendes Gemeinschaftsgut dar, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht.
62Der durch diese Normen erfolgende Grundrechtseingriff steht auch weder außer Verhältnis zur angestrebten ordnungsgemäßen Erfüllung des Schutzes vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen noch enthält er eine übermäßige unzumutbare Belastung. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs und die durch ihn bewirkte Belastung des Grundrechtsträgers sind vorliegend vor dem Hintergrund der Möglichkeit einer Registrierung nach §§ 10 ff. RDG zu sehen, die dem ausländischen Juristen, der Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland erbringen will, hierfür einen alternativen Weg zur Verfügung stellt, der von der Klägerin auch beschritten worden ist. Dabei unterscheidet sich der Umfang der Rechtsdienstleistungsbefugnis der registrierten Person nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG nicht wesentlich von derjenigen des ausländischen Anwalts aus einem Herkunftsstaat, wenn letzterer Mitglied der Welthandelsorganisation ist (sog. WTO-Anwalt) und der Anwalt auf seinen Antrag - unter Vorlage einer Bescheinigung nach § 207 Abs. 1 Satz 1 BRAO - in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommen wurde. Die Klägerin wird daher - entgegen ihrer Darstellung - durch die Verweigerung der Aufnahme in die Beklagte auch nicht beruflich "ausgeschaltet".
63(aa) Als in die Beklagte aufgenommene WTO-Anwältin könnte die Klägerin Rechtsdienstleistungen auf dem Gebiet des Rechts der Türkei als ihrem Herkunftsstaat und des Völkerrechts erbringen (§ 206 Abs. 3 Nr. 1 BRAO). Dagegen wäre sie auch als WTO-Anwältin in Deutschland nicht postulationsfähig (Weyland/Nöker, aaO § 206 Rn. 6a; Kilian in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 206 Rn. 10; Buchmann/Gerking in Gaier/Wolf/Göcken, aaO § 206 Rn. 21).
64(bb) Nach §§ 10 ff. RDG registrierte Personen sind gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG ebenfalls zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen auf dem Gebiet des Rechts ihres Herkunftsstaats befugt, wenn sie - wie im Falle der für das Recht der Türkei registrierten Klägerin offenbar geschehen - einen entsprechenden Sachkundenachweis erbringen. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch das Völkerrecht beim Rechtsdienstleistenden im ausländischen Recht nicht ausgenommen (vgl. BT-Drucks. 16/3655, S. 65). Danach ist der Terminus "ausländisch" in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG umfassend und nicht nur im Sinn des rein nationalen ausländischen Rechts zu verstehen. Er umfasst auch das in der jeweiligen Rechtsordnung anwendbare supranationale Recht sowie die Grundsätze des Völkerrechts. Dabei ist aus der Formulierung "Grundsätze des Völkerrechts" keine sachliche Begrenzung der Beratungsbefugnis ableitbar, weil es keine allgemeinverbindlich definierte Kernmaterie des Völkerrechts gibt (Rillig in Deckenbrock/Henssler, Rechtsdienstleistungsgesetz, 5. Aufl., § 10 Rn. 122; Krenzler/Schmidt, Rechtsdienstleistungsgesetz, 2. Aufl., § 10 Rn. 92; K. Lamm in Dreyer/Lamm/Müller, RDG, 1. Aufl., § 10 Rn. 48 Fußnote 66). Insbesondere erstreckt sich die Befugnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen im nationalen ausländischen Recht gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG auf dasjenige Völkerrecht, das in dem nationalen ausländischen Recht gilt. Eine im türkischen Recht Rechtsdienstleistungen erbringende Person darf mithin etwa zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) beratend tätig werden, da die Türkei Vertragsstaat dieser Konventionen ist.
65Dass die Klägerin, wenn sie sich als türkische Rechtsanwältin (Avukat) mit dieser Berufsbezeichnung gemäß § 206 Abs. 1, § 207 Abs. 4 BRAO in Deutschland niederlassen dürfte, auch vor internationalen Gerichten auftreten dürfte, was ihr ohne diesen formalen Status nicht in gleichem Maße möglich ist (vgl. etwa Art. 36 Abs. 2 und 4 der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte), ist nicht eine Frage des deutschen, sondern des türkischen und des internationalen Rechts. Sollte die fehlende Mitgliedschaft der Klägerin in einer deutschen Rechtsanwaltskammer insofern einen Hinderungsgrund darstellen, so handelt es sich dabei um eine - nicht dem deutschen Recht zuzurechnende - Folgewirkung ihrer fehlenden Zulassung als Avukat in der Türkei im internationalen Prozessrecht.
66(cc) Die Unterschiede der Rechtsdienstleistungsbefugnis der registrierten Person nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG und des in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommenen ausländischen WTO-Anwalts sind nach alledem begrenzt. Dementsprechend ist auch die Intensität des mit der Nichtaufnahme des ausländischen Juristen in die Rechtsanwaltskammer gemäß § 206 Abs. 1, § 207 Abs. 1 BRAO verbundenen Eingriffs gering. Dieser steht damit weder außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck der ordnungsgemäßen Erfüllung eines Schutzes der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen noch enthält er eine übermäßige unzumutbare Belastung. Vorliegend steht der Klägerin insbesondere ein - von ihr auch bereits beschrittener - Weg zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland offen, ohne erneut einen Wohnsitz in der Türkei begründen und deshalb um ihren Status als Flüchtling nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AsylG fürchten zu müssen. Soweit für sie aufgrund eines von ihr selbst gewählten Tätigkeitsschwerpunktes der Auftritt vor internationalen Gerichten von besonderer Bedeutung ist, handelt es sich bei der - bei Registrierung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz - allenfalls eingeschränkt bestehenden Möglichkeit eines solchen Auftritts um eine in Kauf zu nehmende gewisse Härte in ihrem Einzelfall, die von dem Gesetz, das seiner Natur nach typisieren muss, nicht berücksichtigt werden muss (s.o.).
67(3) Die vorstehenden Erwägungen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des durch § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 BRAO erfolgenden Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit der Klägerin gelten in gleichem Maße, soweit ihr Begehren dahin gehen sollte, berufsrechtlich - unabhängig von einer ausdrücklichen formalen (erneuten) Zulassung - wie eine türkische Rechtsanwältin (Avukat) behandelt zu werden in dem Sinne, dass sie in Deutschland als Rechtsanwältin für türkisches Recht auftreten und in dem in § 206 Abs. 3 Nr. 1 BRAO bestimmten Umfang tätig werden darf (vgl. oben zu bb (1) (b)). Einer solchen berufsrechtlichen Behandlung der Klägerin stünden die vorgenannten Normen entgegen. Der hierin liegende Eingriff in das - unterstellt: in seinem Schutzbereich betroffene - Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG diente ebenfalls dem legitimen Ziel, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen. Er wäre aus den vorgenannten Gründen geeignet und erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen sowie - in Anbetracht seiner geringen Intensität (vorstehend zu (2) (d)) - insbesondere auch angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne).
68c) Die in § 206 Abs. 1 i.V.m. § 207 Abs. 1 BRAO für die Niederlassung als ausländischer Rechtsanwalt bestimmte Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem dem Rechtsanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung im Sinne von § 206 Abs. 2 BRAO entsprechenden Beruf und der Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Zugehörigkeit zu dem Beruf verstößt nicht gegen das Asylrecht gemäß Art. 16a Abs. 1 GG. Danach genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Ob die Klägerin, deren Antrag auf Asylanerkennung mit Bescheid vom abgelehnt wurde, sich als - mit demselben Bescheid - anerkannter Flüchtling dennoch auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn es fehlt jedenfalls an einem Eingriff in dieses Grundrecht.
69aa) Eingriffe in den Kernbereich des durch Art. 16a Abs. 1 GG geschützten Asylrechts sind Maßnahmen aufenthaltsverweigernder oder -beendender Natur wie etwa die Abweisung an der Grenze, die Ablehnung eines Asylantrags, der Entzug des Aufenthaltsrechts, die Abschiebung und die Auslieferung (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 17. Aufl., Art. 16a Rn. 31 f. mwN). Ein solcher Eingriff liegt nicht vor.
70bb) Ob andere Maßnahmen Eingriffe in das Asylrecht darstellen können, ist nicht abschließend geklärt. Während nach einer Ansicht von Art. 16a Abs. 1 GG nur ein Recht "auf" Asyl umfasst ist und Rechte "im" Asyl auf anderen Grundrechten - etwa auf Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - beruhen (Jarass/Pieroth, aaO Rn. 36; Becker in von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band 1, 7. Aufl., Art. 16a Rn. 120 mwN), ist nach anderer Ansicht das Grundrecht auf Asyl nicht auf den vorgenannten Kernbereich beschränkt. Danach sind die Worte "genießen Asylrecht" in Art. 16a Abs. 1 GG dahin weit zu verstehen, dass den im Bundesgebiet aufgenommenen politisch Verfolgten grundsätzlich die Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins geschaffen werden sollen, wozu in erster Linie ein gesicherter Aufenthalt sowie die Möglichkeit zu beruflicher und persönlicher Entfaltung gehören (BVerwGE 49, 202, 206 zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in der bis zum geltenden Fassung).
71cc) Unabhängig von der Frage der grundrechtlichen Einordnung eines Rechts des politisch Verfolgten auf die Möglichkeit zu beruflicher Entfaltung wird hiervon jedoch nicht das Recht umfasst, ohne weiteres in einem bestimmten Beruf tätig zu werden.
72Inwieweit, unter welchen Voraussetzungen und Vorbehalten die im Bundesgebiet aufgenommenen politisch Verfolgten über den Kernbereich des Verfolgungsschutzes hinaus Rechte besitzen sollen, lässt sich dem Begriff des Asylrechts nicht unmittelbar entnehmen. Insoweit ist Art. 16a GG eine "offene Norm", die zwar eine Grundregel gibt, im Übrigen aber einen ergänzenden Regelungsauftrag an den Gesetzgeber enthält. Bei seiner Verwirklichung steht dem Gesetzgeber ein erhebliches Maß an Gestaltungsfreiheit zur Verfügung, im Rahmen dessen er auch andere Ziele und Werte der Rechtsordnung zu berücksichtigen hat (BVerwG, aaO).
73Der Klägerin als anerkanntem Flüchtling mit Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG steht es frei, erwerbstätig zu sein (vgl. § 4a Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Sie kann jeder erlaubten Tätigkeit nachgehen und unterliegt als Flüchtling keinen besonderen Einschränkungen. Sie hat allerdings auch keinen Anspruch auf eine besondere Privilegierung im Verhältnis zu anderen Personengruppen. Der Gesetzgeber ist - im Rahmen der ihm in erheblichem Maße zustehenden Gestaltungsfreiheit - nicht verpflichtet, im Hinblick auf die berufliche Entfaltung des politisch Verfolgten diesen gegenüber anderen Ausländern zu privilegieren und ihm ohne weiteres den Zugang zu einem bestimmten Beruf zu ermöglichen. Vielmehr steht es ihm frei, auch in Bezug auf politisch Verfolgte (und anerkannte Flüchtlinge) zum Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen an den für die Erbringung von Rechtsdienstleistungen bestehenden Voraussetzungen der §§ 206 f. BRAO und §§ 10 ff. RDG festzuhalten. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in anderen Bereichen Flüchtlinge besserstellt als andere Ausländer, kann die Klägerin ebenfalls nicht ableiten, dies müsse auch im Rahmen von §§ 206 ff. BRAO gelten.
II.
74Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 2 BRAO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:220523UANWZ.BRFG.24.22.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-44422