BGH Urteil v. - X ZR 61/21

Gebrauchsmusterverletzung: Vom Vorbenutzungsrecht gedeckte Modifikation eines vorbenutzten Gegenstands; Beschränkung des Gebrauchsmusters - Faserstoffbahn

Leitsatz

Faserstoffbahn

1. Die Modifikation eines vorbenutzten Gegenstandes, der alle Merkmale eines unabhängigen Schutzanspruchs des Klagegebrauchsmusters verwirklicht, kann auch dann von einem Vorbenutzungsrecht gedeckt sein, wenn der vorbenutzte Gegenstand weitere Merkmale, die nach dem Klageantrag zwingend vorgesehen sind, nicht aufgewiesen hat.

2. Dies gilt unabhängig davon, ob lediglich die Verletzungsklage auf eine in der genannten Weise beschränkte Fassung eines unabhängigen Schutzanspruchs gestützt wird oder ob das Gebrauchsmuster in einem Löschungsverfahren entsprechend beschränkt worden ist.

Gesetze: § 13 Abs 3 GebrMG, § 12 PatG

Instanzenzug: Az: 2 U 116/05 Urteilvorgehend Az: 4a O 264/04

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen wortsinngemäßer Verletzung des deutschen Gebrauchsmusters 298 18 178 (Klagegebrauchsmuster) in Anspruch, das während des Rechtsstreits nach Ablauf der Höchstschutzdauer erloschen ist und eine saugfähige Faserstoffbahn betrifft.

2Die Schutzansprüche 1, 10 und 11, auf die die Klage zuletzt gestützt worden ist, haben in einem von der Beklagten angestrengten Löschungsverfahren folgende Fassung erhalten (mit Änderungsmarkierung gegenüber der ursprünglich eingetragenen Fassung):

1. Saugfähige Faserstoffbahn (100), bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern (1), dadurch gekennzeichnet, dass die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (3) miteinander verpresst und in den Prägebereichen (3) des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebestoff- und/ bindemittelfrei dergestalt fusioniert sind, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst.

10. Faserstoffbahn (100) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Faserstoffbahn (100) einen Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen, beispielsweise Titanoxid, Kreide oder Kaolin, aufweist.

11. Faserstoffbahn (100) nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass der Zusatz ein superabsorbierendes Polymer (SAP) umfasst, wobei der Anteil 0,5 bis 70 Gew.-%, vorzugsweise zwischen 5 bis 30 Gew.-% der Gesamtmasse, beträgt.

3Die Beklagte vertreibt Slipeinlagen mit den Bezeichnungen "Siempre Ultraplus 18 normal" und "Siempre Ultraplus 14 long" (angegriffene Ausführungsformen I) sowie "TIP" (angegriffene Ausführungsform II).

4Die Klägerin hat in erster Instanz geltend gemacht, die angegriffenen Ausführungsformen I verletzten das Klagegebrauchsmuster in der ursprünglich eingetragenen Fassung. Das Landgericht hat die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß zur Unterlassung, Vernichtung, Auskunft und Rechnungslegung verurteilt sowie deren Schadensersatzpflicht festgestellt.

5In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihr Begehren zuletzt auf die Kombination von Schutzanspruch 1 in der Fassung nach dem Löschungsverfahren mit den zusätzlichen Merkmalen der Schutzansprüche 10 und 11 gestützt, auf die angegriffene Ausführungsform II erweitert und zeitlich an das Erlöschen des Klagegebrauchsmusters angepasst. Das Berufungsgericht hat den Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung entsprechend neu gefasst und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

6Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

7Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8I. Das Klagegebrauchsmuster betrifft eine saugfähige Faserstoffbahn.

91. Nach der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters wird zur Herstellung einer solchen Faserstoffbahn cellulosehaltiges Material, etwa Holz- oder Pflanzenfasern, unter Druck verbunden.

10Das Komprimieren erfolge zwischen glatten Kalanderwalzen, was eine Erhöhung der Dichte bewirke. Das Material weise jedoch eine geringe Reißfestigkeit auf. Zu deren Verbesserung müssten synthetische Zusatzstoffe hinzugefügt werden, die das Recycling der Zellstofffasern erschwerten (S. 1 Z. 11-23).

112. Das Klagegebrauchsmuster betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Faserstoffbahn bereitzustellen, deren Reißfestigkeit und Recyclingfähigkeit verbessert ist.

123. Zur Lösung schlägt das Schutzrecht in den Ansprüchen 1, 10 und 11 eine Faserstoffbahn vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

1. Faserstoffbahn (110), die

1.1 saugfähig ist und

1.2 aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern (1) besteht.

2. Die Zellstofffasern sind in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (3) miteinander verpresst.

3. Die Zellstofffasern sind in den Prägebereichen (3) des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und bindemittelfrei fusioniert,

3.1 und zwar dergestalt, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst.

4. Die Faserstoffbahn (100) weist einen Zusatz von Hilfs- und Füllstoffen auf.

4.1 Der Zusatz umfasst ein superabsorbierendes Polymer (SAP),

4.1.1 wobei der Anteil 0,5 bis 70 Gew.-% beträgt.

13II. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

14Schutzanspruch 1 konkretisiere die Anforderungen an die Fusionierung benachbarter Zellstofffasern in den Prägebereichen nach den Merkmalen 3 und 3.1 vom Ergebnis her. Deren feste und innige Verbindung sei dann gegeben, wenn sich diese bei den je nach Gebrauchszweck üblichen Wassermengen und Temperaturen nicht löse.

15Eine Definition des "Nicht-Lösens" lasse sich dem Klagegebrauchsmuster nicht entnehmen. Entgegen der Auffassung der Beklagten folge hieraus allerdings nicht, dass Merkmal 3.1 nur erfüllt sei, wenn sich keine der zahlreichen Faserverbindungen in den Prägebereichen unter Wassereinwirkung löse.

16Aus dem Anspruchswortlaut ergebe sich kein derart restriktives Verständnis. Der Begriff des "Nicht-Lösens" der Faserverbindungen ziele auf einen bestimmten Materialzustand unter Wassereinwirkung ab. Ein "Nicht-Lösen" bedeute daher nicht zwingend, dass die Verbindung der Fasern in alle Richtungen in vollem Umfang erhalten bleiben müsse. Unter funktionalen Gesichtspunkten genüge es angesichts der angestrebten verbesserten Reißfestigkeit vielmehr, wenn auch im nassen Zustand noch so viele Verbindungen zwischen benachbarten Zellstofffasern existierten, dass der jeweilige Prägepunkt erhalten bleibe. Dies sei dadurch erkennbar, dass unter den nach Merkmal 3.1 relevanten Bedingungen keine Dispergierung der Prägebereiche oder ihr Zerfall in einzelne Fasern erfolge. Eine bloße Veränderung der Geometrie des Faserverbundes - etwa durch Aufquellen - sei daher kein Lösen der Verbindung.

17Dabei genüge es zwar nicht, wenn sich nur einzelne Prägebereiche unter Wassereinwirkung nicht auflösten. Umgekehrt sei allerdings auch nicht erforderlich, dass stets alle Prägepunkte der Faserstoffbahn mit einem intakten Saugkern unter Gebrauchsbedingungen bestehen blieben. Hielten einzelne Prägepunkte dem Wassereinfluss nicht stand, führe dies nicht aus dem Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters heraus, sofern genügend Prägepunkten erhalten blieben, die insgesamt ein mechanisch stabiles Produkt gewährleisteten.

18Nach Merkmalsgruppe 4 müsse die Faserstoffbahn einen Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen aufweisen, wobei dieser einen bestimmten Anteil superabsorbierende Polymere (SAP) enthalten müsse. Hierzu genüge es, wenn der Faserstoffbahn nur superabsorbierende Polymere als Zusatz hinzugefügt würden. Aus der Formulierung "umfasst" folge, dass der Zusatz zumindest aus superabsorbierenden Polymeren bestehen müsse. Weitere Zusatzstoffe seien optional. Dementsprechend nenne auch die Beschreibung Titandioxid und superabsorbierende Polymere ausdrücklich als Alternativen.

19Ausgehend von diesem Verständnis machten die angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre des Klagegebrauchsmusters in der zuletzt streitgegenständlichen Fassung unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.

20Soweit die Beklagte in der Berufungsinstanz erstmals geltend mache, die angegriffene Ausführungsform I sei aufgrund des vorhandenen Silikons nicht bindemittelfrei nach Merkmal 3, sei dieses neue Vorbringen nicht zuzulassen. Ein Ausnahmefall nach § 531 Abs. 2 ZPO liege nicht vor. Die Klägerin habe erstinstanzlich behauptet, die angegriffene Ausführungsform I sei klebstoff- und bindemittelfrei. Dem sei die Beklagte nicht entgegengetreten. Eine Zulassung des neuen Vorbringens sei nicht deswegen gerechtfertigt, weil Schutzanspruch 1 erst in der für die Berufungsinstanz maßgeblichen Fassung zwingend vorsehe, dass die Faserstoffbahn bindemittel- und klebstofffrei sein müsse: Auch Schutzanspruch 1 in der ursprünglich eingetragenen Fassung habe diese Eigenschaft - neben einem Alternativverhältnis - vorgesehen.

21Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten auch Merkmal 3.1.

22Dies ergebe sich in nachvollziehbarer Weise aus den eingeholten Sachverständigengutachten. Zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsformen seien deren Prägepunkte zunächst isoliert untersucht worden. Der Umstand, dass sich dabei einige der isolierten Prägepunkte im Wasser gelöst hätten, habe der Sachverständige nachvollziehbar damit begründet, dass durch das Zerschneiden des Saugkerns der Zusammenhalt benachbarter Zellstofffasern gestört worden sei. Der von der Beklagten wiederholt angesprochene Zerfall von knapp der Hälfte bzw. knapp zwei Dritteln der isolierten Prägebereiche unter Wassereinwirkung sei nach den nachvollziehbaren sachverständigen Ausführungen nicht mit einer Fasersuspension gleichzusetzen. Auch ein in zwei Hälften zerfallener Prägepunkt bestehe aus stabil miteinander verbundenen Fasern. Diese seien dementsprechend nicht gelöst.

23Da eine isolierte Untersuchung der Prägepunkte deren Stabilität beeinträchtigte, sei ohnehin eine Untersuchung des intakten Saugkerns erforderlich gewesen. Unter Wassereinwirkung quellten die Saugkerne auf, so dass die Prägebereiche nicht mehr erkennbar seien. Sie seien gleichwohl noch vorhanden. Eine Fasersuspension sei nicht feststellbar. Vielmehr bildeten die Saugkerne auch im hochgequollenen Zustand ein kompaktes Material. Die fehlende Desintegration lasse den Schluss auf die durch die Prägebereiche bereitgestellte beanspruchte Stabilität zu.

24Die Verwirklichung der Merkmalsgruppe 4 stehe ausgehend von deren zutreffender Auslegung nicht in Streit.

25Die Beklagte könne sich auch nicht auf ein privates Vorbenutzungsrecht nach § 13 Abs. 3 GebrMG i.V.m. § 12 PatG berufen. Das angeblich vorbenutzte Produkt "H.  H.   C.   " enthalte unstreitig keine superabsorbierenden Polymere. Damit fehle es am Erfindungsbesitz zum Prioritätszeitpunkt als Grundvoraussetzung für das Entstehen eines privaten Vorbenutzungsrechts.

26Der Vorbenutzer sei auf die Nutzung desjenigen Besitzstandes beschränkt, für den vor dem Anmelde- oder Prioritätstag sämtliche Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes erfüllt gewesen seien. Weiterentwicklungen seien ihm verwehrt, wenn sie erstmals in den Gegenstand der geschützten Erfindung eingriffen. So verhalte es sich im Streitfall. Mangels superabsorbierender Polymere würde das angeblich vorbenutzte Produkt erstmals in den Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters eingreifen.

27Die Entscheidung "Schutzverkleidung" des Bundesgerichtshofs führe zu keiner abweichenden Beurteilung. Dort gehe es nicht um die Voraussetzungen, sondern um die Grenzen des Vorbenutzungsrechts für den Fall einer Modifikation des Besitzstandes. Die Frage nach der Zulässigkeit von Modifikationen am vorbenutzten Gegenstand könne sich erst dann stellen, wenn durch diesen ein geschützter Besitzstand begründet worden sei. Hieran fehle es, weil das vorbenutzte Produkt "H.  H.   C.   " mangels superabsorbierender Polymere keinen solchen Besitzstand darstelle.

28Der Umstand, dass die zwingende Verwendung von superabsorbierenden Polymeren ursprünglich lediglich in Schutzanspruch 11 vorgesehen gewesen sei, helfe der Beklagten nicht weiter. Denn für die Beurteilung, ob der Erfindungsbesitz gegeben sei, komme es auf die am Schluss der mündlichen Verhandlung maßgebliche Anspruchsfassung an. Die Anforderungen der Merkmalsgruppe 4 seien nunmehr Gegenstand des Hauptanspruchs und ihre Erfüllung daher für das Entstehen eines geschützten Besitzstandes essentiell.

29III. Diese Entscheidung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

301. Die Auslegung des Klagegebrauchsmusters durch das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend.

31a) Die feste und innige Verbindung benachbarter Zellstofffasern in den Prägebereichen löst sich unter Wassereinwirkung im Sinne von Merkmal 3.1 dann nicht, wenn sie in einem solchen Maße fortbesteht, dass sie im Gebrauchszustand nach wie vor zu einer reißfesten Faserstoffbahn beiträgt.

32aa) Die Anforderung des "Nicht-Lösens" bedeutet entgegen der Ansicht der Revision auch unter funktionalen Gesichtspunkten nicht zwingend, dass die im trockenen Zustand bestehende feste und innige Verbindung benachbarter Zellstofffasern in den Prägebereichen unter Wassereinwirkung genau in diesem Zustand erhalten bleiben muss.

33Vielmehr genügt es, wenn die Zellstofffasern in den Prägebereichen unter Wassereinwirkung noch so verbunden sind, dass genügend Prägepunkte erhalten bleiben, die zur angestrebten erhöhten Reißfestigkeit und mechanischen Belastbarkeit der Faserstoffbahn beitragen. Unter dieser Voraussetzung ist es unerheblich, wenn einzelne Prägebereiche unter Wassereinwirkung dispergieren.

34bb) Ob sich die geometrische Form der Prägebereiche im Vergleich zum trockenen Zustand verändert oder einzelne Fasern ihre Verbindung verlieren, ist, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, ebenfalls nicht von Bedeutung.

35Die Beschreibung des Klagegebrauchsmusters hebt hervor, dass sich die erfindungsgemäße Faserstoffbahn unter Verwendung der geprägten Bereiche durch eine hohe mechanische Belastbarkeit auch im nassen Zustand auszeichnet (S. 3 Z. 1-3). Damit ist nicht zwingend vorgegeben, dass die mechanische Belastbarkeit derjenigen im trockenen Zustand entsprechen muss und sich die Verbindung in benachbarten Zellstofffasern in den Prägebereichen unter Wassereinwirkung nicht verändern darf. Vielmehr reicht es aus, wenn auch in nassem Zustand noch eine ausreichend hohe Festigkeit gegeben ist.

36Die weitere Umsetzung dieser Vorgabe, insbesondere die Anordnung und die Festlegung der Anzahl der hierfür erforderlichen Prägebereiche, bleibt dem Fachmann überlassen.

37cc) Das Berufungsgericht hat demnach zu Recht angenommen, dass sich die Verbindung benachbarter Zellstofffasern im Prägebereich bei Einwirkung von Wasser unter Gebrauchstemperatur auch dann im Sinne von Merkmal 3.1 nicht löst, wenn die Faserstoffbahn insgesamt unter Wassereinwirkung nicht zu einem Faserbrei oder einer Fasersuspension desintegriert und die in der Merkmalsgruppe 3 vorgesehenen und dort näher definierten Prägebereiche hierzu beitragen.

38dd) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht die Auslegung von Merkmal 3.1 nicht dem Sachverständigen überlassen.

39Vielmehr hat das Berufungsgericht ausgehend vom Wortlaut des Schutzanspruchs dessen technisch funktionalen Sinngehalt ermittelt. Auf dieser Grundlage ist es unter ergänzender Heranziehung der Beschreibung zu seinem zutreffenden Auslegungsergebnis gelangt.

40Dabei ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht zusätzlich auf die sachverständigen Erläuterungen der technischen Zusammenhänge der unter Schutz gestellten Lehre bezogen und diese bei seiner Auslegung berücksichtigt hat (vgl. , BGHZ 184, 49 Rn. 25 f. - Kettenanordnung II).

41b) Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die alleinige Verwendung von superabsorbierenden Polymeren den Anforderungen der Merkmalsgruppe 4 genügt.

42aa) Entgegen der Auffassung der Revision setzen die genannten Merkmale nicht voraus, dass der Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen aus superabsorbierenden Polymeren und wenigstens einer weiteren Komponente bestehen muss.

43In Schutzanspruch 10 werden mögliche Beispiele der Zusammensetzung des beanspruchten Zusatzes in einem Alternativverhältnis genannt. Jede der dort genannten Komponenten kann demnach für sich genommen den Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen bilden. Nach Anspruch 11 umfasst der Zusatz superabsorbierende Polymere. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich daraus nur, dass der Zusatz superabsorbierende Polymere enthalten muss. Weitere Bestandteile sind demgegenüber optional.

44In Einklang damit nennt auch die Beschreibung beispielhaft einen Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen, der aus Titandioxid oder superabsorbierenden Polymeren besteht (S. 4 Z. 15-21). Eine kumulative Verwendung verschiedener Stoffe ist auch insoweit nicht zwingend vorgesehen.

45bb) Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus der Verwendung des Plurals in Bezug auf die Hilfs- und Füllstoffe nichts Gegenteiliges.

46Vielmehr liegt ein Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen nach dem maßgeblichen Verständnis der Klagegebrauchsmusterschrift bereits dann vor, wenn dieser aus einer bestimmten Menge eines Stoffes gebildet wird.

47cc) Aus der von der Revision in Bezug genommenen Entscheidung "Reifenabdichtmittel" folgt ebenfalls nicht anderes.

48Die dortige Beurteilung, wonach ein Patentanspruch, der die Zusammensetzung eines Mittels aus bestimmten zwingend vorhandenen Komponenten und nur einem bestimmten weiteren optionalen Bestandteil lehrt, über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht, in denen dieses Mittel neben zwingend vorgesehenen Bestandteilen aus beliebigen weiteren Komponenten bestehen darf (, GRUR 2011, 1109 Rn. 37 ff. - Reifenabdichtmittel), hat mit der hier interessierenden Auslegung der Merkmalsgruppe 4 nichts gemeinsam.

49Zum einen hätte der Umstand, dass der Gegenstand des Schutzrechts bei einer bestimmten Auslegung der Ansprüche in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, nicht ohne weiteres zur Folge, dass der Anspruch enger auszulegen ist.

50Unabhängig davon ist im Streitfall eine Abweichung der in Rede stehenden Merkmale gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

512. Auf der Grundlage seiner zutreffenden Auslegung ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei zu der Beurteilung gelangt, dass die angegriffenen Ausführungsformen die Merkmale der zuletzt mit dem Hauptantrag geltend gemachten Anspruchsfassung verwirklichen.

52a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind bei den angegriffenen Ausführungsformen Prägebereiche im Sinne der Merkmalsgruppe 3 vorhanden, deren feste und innige Verbindung auch im Gebrauchszustand unter Wassereinwirkung so weit erhalten bleibt, dass diese ein mechanisch stabiles Produkt gewährleisten.

53Zu diesem Ergebnis ist das Berufungsgericht durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Würdigung der eingeholten Sachverständigengutachten sowie der ergänzenden mündlichen Erläuterungen gelangt.

54aa) Revisionsrechtlich ist nur zu überprüfen, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt ferner das Beweismaß (vgl. nur , NJW 2015, 2011 Rn. 11; Urteil vom - X ZR 100/00, GRUR 2003, 507, 508 - Enalapril).

55bb) Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung im angegriffenen Urteil.

56Insbesondere hat das Berufungsgericht das vermehrte Auseinanderfallen der Fasern in den isoliert untersuchten Prägebereichen unter Wassereinwirkung entgegen der Auffassung der Revision nicht außer Acht gelassen oder diesen Umstand als ausreichend im Rahmen seiner Überzeugungsbildung angesehen.

57Vielmehr hat das Berufungsgericht nachvollziehbar dargelegt, dass die isolierte Untersuchung der Prägebereiche aufgrund der Verletzung der intakten Saugkerne nicht als Beurteilungsmaßstab geeignet ist, und deshalb maßgeblich auf die Eigenschaften des intakten Saugkerns abgestellt. Hierbei ist es zu der Beurteilung gelangt, dass die in den Prägebereichen fusionierten Zellstofffasern wegen ihrer auch unter Wassereinwirkung weiterhin bestehenden Bindung für die mechanische Stabilität der angegriffenen Ausführungsformen im Gebrauchszustand sorgen. Lediglich ergänzend hat es hierbei auf die auch bei der Untersuchung der isolierten Prägebereiche noch bestehende Verbindung benachbarter Zellstofffasern unter Wassereinwirkung Bezug genommen.

58Diese Beurteilung lässt keine Rechtsfehler erkennen. Insbesondere hat sich das Berufungsgericht mit seiner Beweiswürdigung entgegen der Auffassung der Revision nicht zum "Sprachrohr" der Sachverständigen gemacht.

59b) Die Verwirklichung der Merkmalsgruppe 4 durch die angegriffenen Ausführungsformen wird von der Revision unter Zugrundelegung der bereits dargelegten zutreffenden Auslegung, wonach nur das Vorhandensein von superabsorbierenden Polymeren einen Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen darstellt, nicht in Abrede gestellt.

60c) Zu Recht hat das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten, die angegriffenen Ausführungsformen I seien wegen des vorhandenen Silikons nicht klebstoff- und bindemittelfrei im Sinne von Merkmal 3, als neues Vorbringen gem. § 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt.

61aa) Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz behauptet, das in den angegriffenen Ausführungsformen I enthaltene Silikon stelle ein Bindemittel dar.

62Erstinstanzlich hat die Beklagte die auf das eingeholte Parteigutachten gestützte Behauptung der Klägerin, die angegriffene Ausführungsform I sei bindemittelfrei und der in den Zellstofffasern nachgewiesene geringe Anteil an Silikon sei die dort üblicherweise vorkommende Menge, nicht bestritten.

63bb) Die Revision zeigt keine Gesichtspunkte auf, die eine Berücksichtigung des neuen Vorbringens nach § 531 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz geboten hätten.

64Der Umstand, dass Schutzanspruch 1 in der zuletzt geltenden Fassung nur noch die Kombination von Klebstoff- und Bindemittelfreiheit erfasst, stellt insoweit keinen hinreichenden Grund dar.

65Bereits erstinstanzlich hat die Klägerin die Verletzung der schon vom ursprünglich eingetragenen Schutzanspruch 1 geschützten Kombination der Klebstoff- und Bindemittelfreiheit durch die angegriffenen Ausführungsformen I geltend gemacht. Damit war diese Kombination von Anfang an Gegenstand des Rechtstreits und das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin entscheidungserheblich. Die Beklagte hätte das Vorbringen der Klägerin daher gegebenenfalls schon in erster Instanz bestreiten müssen.

66Entgegen der Auffassung der Revision folgt etwas anderes nicht daraus, dass nach der ursprünglich eingetragenen Anspruchsfassung auch die alleinige Verwendung eines Klebstoffs oder eines Bindemittels zu einer Schutzrechtsverletzung geführt hätte. Da schon der ursprüngliche Klageantrag jedenfalls auch gegen eine Kombination beider Eigenschaften gerichtet war, wäre die Klage jedenfalls teilweise abzuweisen gewesen, wenn diese Kombination nicht vorgelegen hätte.

673. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Vorbenutzungsrecht der Beklagten hingegen nicht verneint werden.

68a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Vorbenutzer grundsätzlich auf die Nutzung desjenigen Besitzstands beschränkt, für den vor dem Anmelde- oder Prioritätstag sämtliche Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands erfüllt waren. Weiterentwicklungen über den Umfang der bisherigen Benutzung hinaus sind ihm verwehrt, wenn sie in den Gegenstand der geschützten Erfindung eingreifen.

69aa) Einen solchen Eingriff hat der Senat für den Fall angenommen, dass bei der als patentverletzend angegriffenen Ausführungsform erstmals alle Merkmale eines Patentanspruchs verwirklicht sind, während dies bei der vorbenutzten Ausführungsform wegen Fehlens eines dieser Merkmale noch nicht gegeben war (, GRUR 2002, 231, 234 - Biegevorrichtung).

70bb) Ein Eingriff in den Gegenstand des Schutzrechts kann darüber hinaus aber auch dann vorliegen, wenn der Vorbenutzer die Erfindung in einem stärkeren Maße nutzt, als dies seinem Besitzstand entspricht, oder wenn er die Erfindung in anderer Weise nutzt, als dies vor dem Anmelde- oder Prioritätstag der Fall war.

71Zwar darf das Vorbenutzungsrecht nicht so eng gefasst werden, dass der Vorbenutzer davon keinen wirtschaftlich sinnvollen Gebrauch machen kann. Andererseits ist aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die technische Lehre eines Patents oder Gebrauchsmusters Alternativen umfassen kann, die die technischen und wirtschaftlichen Vorteile der Erfindung in quantitativ oder qualitativ unterschiedlicher Weise verwirklichen.

72Ob in diesem Sinne eine andere Benutzungsform vorliegt, ist am Maßstab der unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen ausgelegten Schutzansprüche zu entscheiden. Veränderungen, die keinen Einfluss darauf haben, ob und in welcher Weise die technische Lehre eines Schutzanspruchs und deren einzelne Merkmale verwirklicht werden, sind für das Vorbenutzungsrecht ohne Belang. Wird hingegen mindestens ein Merkmal des Schutzanspruchs in technisch anderer Weise verwirklicht, als dies vor dem Anmeldetag oder Prioritätstag der Fall war, kann dies die Grenzen des Vorbenutzungsrechts überschreiten.

73Ob letzteres der Fall ist, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung zu entscheiden, die das Interesse des Vorbenutzers, den erworbenen Besitzstand wirtschaftlich sinnvoll nutzen zu können, und das Interesse des Schutzrechtsinhabers, die Benutzung seines Schutzrechts nur dulden zu müssen, soweit die unter Schutz gestellte technische Lehre vom Vorbenutzer auch erkannt und umgesetzt worden ist, in einen angemessenen Ausgleich bringt.

74Danach können die Grenzen des Vorbenutzungsrechts überschritten sein, wenn mit der Modifikation ein zusätzlicher Vorteil verwirklicht wird, der von der nicht modifizierten Ausführungsform nicht verwirklicht worden ist. Dies kommt in Betracht, wenn erstmals eine Ausführungsform benutzt wird, die in einem Unteranspruch oder in der Beschreibung wegen dieses zusätzlichen Vorteils hervorgehoben wird.

75Sind hingegen in einem Schutzanspruch für ein Merkmal zwei vollständig gleichwertige Alternativen genannt, wird der Umstand, dass der Vorbenutzer nur eine dieser Alternativen benutzt hat, regelmäßig keine entsprechende Beschränkung seiner Benutzungsbefugnis rechtfertigen. Ebenso wird es zu würdigen sein, wenn in der Patentschrift oder der Gebrauchsmusterschrift eine Abweichung von der Vorbenutzung offenbart ist, bei der es sich um eine selbstverständliche Abwandlung handelt, die aus Sicht des Fachmanns mit dem Erfindungsbesitz des Vorbenutzers zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt ohne Weiteres in Betracht zu ziehen ist (vgl. , BGHZ 222, 54 Rn. 26 ff. - Schutzverkleidung).

76b) Ausgehend von diesen Grundsätzen kann im Streitfall der Erfindungsbesitz der Beklagten mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden.

77aa) Das Berufungsgericht hat mit Blick auf die in Rede stehende Vorbenutzung des Produkts "H.  H.   C.   " lediglich festgestellt, dass dieses unstreitig keine superabsorbierenden Polymere enthalte. Hieraus hat es den Schluss gezogen, dass kein geschützter Besitzstand der Beklagten in Bezug auf die zuletzt durch die Klägerin geltend gemachte Anspruchsfassung begründet worden sei, weshalb sich die Frage einer zulässigen Modifikation am vorbenutzten Gegenstand nicht stelle.

78bb) Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

79Die Modifikation eines vorbenutzten Gegenstandes, der alle Merkmale eines unabhängigen Schutzanspruchs des Klagegebrauchsmusters verwirklicht, kann auch dann von einem Vorbenutzungsrecht gedeckt sein, wenn der vorbenutzte Gegenstand weitere Merkmale, die nach dem Klageantrag zwingend vorgesehen sind, nicht aufgewiesen hat.

80(1) Mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts ist revisionsrechtlich zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass das von ihr vor dem Prioritätstag im Inland benutzte Produkt "H.  H.   C.   " die Merkmale 1 bis 3.1 der zuletzt geltend gemachten Anspruchsfassung verwirklicht hat.

81Auf dieser Grundlage ergibt sich, wie die Revision zu Recht geltend macht, ein durch § 13 Abs. 3 GebrMG i.V.m. § 12 PatG geschützter Besitzstand in Bezug auf den Gegenstand von Schutzanspruch 1.

82(2) Vor diesem Hintergrund ist entscheidungserheblich, ob eine Modifikation des vorbenutzten Gegenstands nach den Vorgaben der Merkmalsgruppe 4 von dem Vorbenutzungsrecht gedeckt ist.

83Für die Beurteilung dieser Frage ist nach der oben aufgezeigten Rechtsprechung des Senats maßgeblich, ob mit der Modifikation ein zusätzlicher Vorteil verwirklicht wird oder ob es sich um eine vollständig gleichwertige Alternative oder eine selbstverständliche Abwandlung handelt.

84Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist diese Frage auch dann von Bedeutung, wenn mit der Modifikation erstmals die zusätzlichen Merkmale eines Unteranspruchs verwirklicht werden. Die Hervorhebung eines Merkmals in einem Unteranspruch kann zwar im Einzelfall dafür sprechen, dass es sich um einen relevanten zusätzlichen Vorteil handelt. Die Aufnahme in einen Unteranspruch vermag die inhaltliche Prüfung, ob ein solcher Vorteil vorliegt oder ob es sich nur um eine vollständig gleichwertige Alternative oder eine selbstverständliche Abwandlung handelt, indes nicht zu ersetzen (vgl. dazu , BGHZ 222, 54 Rn. 31 f. - Schutzverkleidung; im Ergebnis ebenso Scharen, GRUR 2021, 343, 344; Haft, GRUR 2021, 219, 220).

85(3) Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob lediglich die Verletzungsklage auf eine durch zusätzliche Merkmale beschränkte Fassung eines unabhängigen Schutzanspruchs gestützt wird oder ob das Gebrauchsmuster in einem Löschungsverfahren entsprechend beschränkt worden ist.

86Nach § 12 Abs. 1 PatG treten die Wirkungen des erteilten Patents gegenüber demjenigen nicht ein, der zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt im Erfindungsbesitz war. Dem hierdurch begründeten Schutz des Vorbenutzers kann durch eine nachträgliche Beschränkung des Schutzrechts nicht die Grundlage entzogen werden. Nach den oben aufgezeigten Grundsätzen vermag der Umstand, dass ein vorbenutzter Gegenstand alle Merkmale eines erteilten unabhängigen Anspruchs erfüllt, zwar nicht jede nachträgliche Modifikation zu rechtfertigen. Ob eine Modifikation nach den oben aufgezeigten Maßstäben vom Vorbenutzungsrecht gedeckt ist oder nicht, muss sich aber bereits aus der erteilten Fassung des Patents bzw. aus der ursprünglich eingetragenen Fassung des Gebrauchsmusters ergeben. Eine nachträgliche Änderung der Ansprüche vermag ein danach bestehendes Recht zur Modifikation des vorbenutzten Gegenstands nicht zu beseitigen (vgl. Scharen, GRUR 2021, 343, 344; im Ergebnis ebenso Haft, GRUR 2021, 219, 221).

87Vor diesem Hintergrund kann die von der Revision aufgeworfene Frage, ob die Aufnahme zusätzlicher Merkmale in den Klageantrag eines Gebrauchsmusterverletzungsrechtsstreits einer nachträglichen Beschränkung eines erteilten Patentanspruchs im Patentnichtigkeitsverfahren oder eines erteilten Schutzanspruchs im Gebrauchsmusterlöschungsverfahrens gleichsteht, dahinstehen.

88(4) Ebenfalls keiner Entscheidung bedarf im Streitfall die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen es dem Vorbenutzer darüber hinaus gestattet ist, die Vorbenutzung in einer Weise fortzuentwickeln, die zwar keine selbstverständliche Abwandlung darstellt, für den Fachmann mit dem Erfindungsbesitz des Vorbenutzers aber nahelag (ebenfalls offen gelassen in , BGHZ 222, 54 Rn. 33 - Schutzverkleidung).

89c) Das Berufungsgericht hätte im Streitfall mithin klären müssen, ob der vorbenutzte Gegenstand so modifiziert werden darf, dass er die zusätzlichen Merkmale der Merkmalsgruppe 4 verwirklicht.

90Wie die Revision zutreffend geltend macht, kommt dies in Betracht, wenn mit der Modifikation kein zusätzlicher, durch die Schutzschrift hervorgehobener Vorteil verbunden ist oder wenn es sich bei den zusätzlichen Merkmalen aus Sicht des Fachmanns mit dem Erfindungsbesitz des Vorbenutzers zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt um eine selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlung des ursprünglich genutzten Gegenstandes handelt (vgl. , BGHZ 222, 54 Rn. 31 f. - Schutzverkleidung).

91IV. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden.

92Das Berufungsgericht wird die Voraussetzungen eines Vorbenutzungsrechts im wiedereröffneten Berufungsverfahren auf der Grundlage der oben aufgezeigten Rechtslage erneut zu beurteilen haben. Sofern es zu dem Ergebnis gelangt, dass der von der Beklagten vorbenutzte Gegenstand die Merkmale 1 bis 3.1 verwirklicht, wird es sich insbesondere mit dem Vorbringen der Beklagten auseinanderzusetzen haben, der Einsatz von superabsorbierenden Polymeren im Sinne der Merkmalsgruppe 4 stelle eine selbstverständliche Abwandlung der vorbenutzen Faserstoffbahn dar.

93Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ermöglicht die Feststellung des Berufungsgerichts, superabsorbierende Polymere verfügten aufgrund ihrer hohen Saugkraft über eine "Sprengkraft" gegenüber in ihrer Umgebung liegende Strukturen, keine abschließende Entscheidung. Der genannte Umstand kann zwar ein Indiz dafür bilden, dass der Einsatz von superabsorbierenden Polymeren keine selbstverständliche Abwandlung der vorbenutzten Faserstoffbahn darstellt, weil möglicherweise zu besorgen war, dass dies zu Problemen hinsichtlich der Festigkeit führen könnte. Ob diese Gefahr bestand und welche Schlussfolgerungen sich daraus ausgehend vom vorbenutzten Gegenstand gegebenenfalls ergaben, kann auf der Grundlage der in Rede stehenden Feststellung jedoch nicht abschließend beurteilt werden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:200623UXZR61.21.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-44119