Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt: Begründungserfordernis zu hinreichend konkreten Aussicht auf den Erfolg einer Alkoholtherapie
Gesetze: § 64 S 2 StGB, § 67d Abs 1 S 1 StGB, § 67d Abs 1 S 3 StGB, § 246a Abs 1 StPO, § 267 Abs 6 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Erfurt Az: 10 KLs 860 Js 22782/16 (3)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Teilfreispruch und Teileinstellung des Verfahrens im Übrigen wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, Nötigung, versuchter Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung, Sachbeschädigung in zwei Fällen, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, von der zwei Monate zur Entschädigung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat keinen Bestand. Das Landgericht hat zwar die Voraussetzungen des § 64 Satz 1 StGB rechtsfehlerfrei bejaht. Eine hinreichend konkrete Behandlungsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB ist aber nicht belegt.
3a) Nach dieser Vorschrift darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Einer sicheren und unbedingten Gewähr bedarf es hierfür zwar nicht. Erforderlich ist aber, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie vorliegen, die nicht nur die Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung, sondern die positive Feststellung der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht tragen. Damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob eine Erfolgsaussicht in dem vom Gesetzgeber geforderten Ausmaß besteht, bedarf es der hinreichenden Darlegung konkreter, durch den Tatrichter als prognostisch bedeutsam für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg bewerteter Umstände in den Urteilsgründen (vgl. zum Ganzen nur Rn. 4; Beschluss vom – 4 StR 349/22 Rn. 11; jew. mwN).
4b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Begründung, mit der das Landgericht eine hinreichende Erfolgsaussicht der Maßregel im Sinne des § 64 Satz 2 StGB bejaht hat, ist nicht rechtsfehlerfrei. Zwar steht sie entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht in einem durchgreifenden Widerspruch zu den Erwägungen, aus denen das Landgericht eine Therapieweisung gemäß § 56c Abs. 3 StGB für nicht aussichtsreich gehalten hat. Denn die Strafkammer hat insoweit maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte, dem es derzeit an einer Einsicht in die bei ihm bestehende Alkoholkrankheit fehle, sich nicht bereit zeigte, seine Einwilligung zu einer hinreichend lang dauernden Maßnahme nach § 56c Abs. 3 StGB zu erteilen. Hierauf wie auch auf weitere vom Landgericht diesbezüglich für prognoseungünstig gehaltene Umstände käme es aber für eine zwangsweise zu vollziehende Maßregel nach § 64 StGB nicht an.
5Allerdings sind die (beweiswürdigenden) Ausführungen, auf die die Strafkammer ihre positive Behandlungsprognose im Sinne des § 64 Satz 2 StGB gestützt hat, lückenhaft und daher nicht in dem gebotenen Maße nachvollziehbar. Denn sie erschöpfen sich in der Erörterung solcher Umstände, die gegen einen Behandlungserfolg sprechen. Mit der – für sich genommen sorgfältigen und gut nachvollziehbaren – Begründung dafür, dass und warum die genannten prognoseungünstigen Gesichtspunkte der Maßregelanordnung nicht durchgreifend entgegenstehen, sind die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB aber nicht vollständig dargetan. Die gebotene positive Feststellung der Erfolgsaussicht kann sich hieraus erst dann ergeben, wenn gleichzeitig hinreichend gewichtige Gründe für die Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs sprechen. Solche positiven Gesichtspunkte hat die Strafkammer indes nicht benannt und zu den von ihr erörterten Gegengründen ins Verhältnis gesetzt. Dem Urteil kann daher ein Beleg letztlich nur für die Möglichkeit einer erfolgreichen Behandlung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, nicht aber für die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB entnommen werden.
6Die Anordnung der Maßregel hat daher keinen Bestand, sondern bedarf – wiederum unter sachverständiger Beratung (§ 246a StPO) – neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen sind von dem aufgezeigten Darlegungs- und Erörterungsmangel allerdings nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können um weitere Feststellungen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen, ergänzt werden.
72. Im Übrigen hat die rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben. Entgegen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist auch der Schuldspruch wegen versuchter Nötigung im Fall II.5. der Urteilsgründe nicht zu beanstanden. Zur Erörterung eines strafbefreienden Rücktritts von dem Versuch musste das Landgericht sich nicht gedrängt sehen.
8a) Nach den Feststellungen zu dieser Tat schrieb der Angeklagte an den Leiter der Lebensmittelüberwachungsbehörde, die wegen im Brauereibetrieb des Angeklagten festgestellter Mängel ein Bußgeldverfahren führte, einen Brief. Hierin äußerte er neben Ehrverletzungen auch, dass er dem Adressaten empfehle, sich „ein bisschen zu mäßigen“, falls diesem sein Leben und seine Gesundheit lieb sei, was das Landgericht unter Berücksichtigung des Äußerungszusammenhangs rechtsfehlerfrei dahin gewürdigt hat, dass der Angeklagte eine Körperverletzung oder Tötung angedroht habe, um den Behördenleiter zur Unterlassung weiterer hoheitlicher Maßnahmen in dem laufenden Bußgeldverfahren zu veranlassen. Zwei Tage später erreichte die Behörde ein weiteres Schreiben, in dem sich der Angeklagte entschuldigte und als Grund seines Verhaltens Wut und Alkoholkonsum nannte.
9b) Hinreichende Anhaltspunkte für ein Verhalten, das die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts von dem hier gegebenen beendeten Nötigungsversuch erfüllt haben könnte, ergeben sich aus diesen Feststellungen nicht. Dass das Entschuldigungsschreiben ursächlich für das Ausbleiben des Nötigungserfolgs geworden sein, der Angeklagte also dessen Eintritt verhindert haben könnte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB), liegt entgegen der nicht näher begründeten Beurteilung des Generalbundesanwalts fern. Dasselbe gilt für einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB. Denn das ernsthafte Bemühen im Sinne dieser Norm erfordert ein Ausschöpfen der aus Sicht des Täters ausreichenden Verhinderungsmöglichkeiten; er muss alles tun, was in seinen Kräften steht, mithin die am besten geeignete („optimale“) Rettungsmaßnahme ergreifen (st. Rspr.; vgl. nur mwN). Anlass, ein derartiges Rücktrittsverhalten zu erörtern, bot der festgestellte Inhalt des zweiten Schreibens nicht. Dem Antrag des Generalbundesanwalts, die Strafverfolgung im Fall II.5. der Urteilsgründe gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO auf die tateinheitlich verwirklichte Beleidigung zu beschränken, folgt der Senat daher nicht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:070623B4STR448.22.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-43749