BGH Beschluss v. - 2 StR 67/22

Schadensfeststellung bei der Vorenthaltung von Arbeitsentgelt durch die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen

Gesetze: § 73 Abs 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 266a StGB, § 39c EStG

Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 600 Js 47098/17 - 18 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 22 Fällen sowie wegen Betrugs in sechs Fällen zu zwei Jahren und vier Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 33.000 € angeordnet. Die Revision des Angeklagten, die er auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im Tatzeitraum Gesellschafter und Geschäftsführer einer B.  GmbH, bei der er bis zu 15 Arbeitnehmer „weitgehend nach der offiziellen Lohnbuchhaltung“ beschäftigte, die auch „sozialversicherungsrechtlich gemeldet“ waren. Spätestens ab April 2004 ließ er sich von drei ihm bekannten Firmen Rechnungen ausstellen, die ganz oder teilweise „nicht leistungshinterlegt“ waren (Abdeckrechnungen). Den „nicht leistungshinterlegten“ Rechnungsbetrag wies er in der GmbH zur Zahlung an und erhielt ihn abzüglich einer Rechnungsaussteller-Provision in bar zurück. Das so erlangte „Schwarzgeld“ nutzte der Angeklagte, „um seine Mitarbeiter zumindest teilweise ‚schwarz‘ zu entlohnen“; für sich selbst entnahm er mindestens 1.500 € monatlich. In der Zeit von Mai 2014 bis Dezember 2016 (Fälle 1 bis 22 der Urteilsgründe) meldete er die Arbeitnehmer „nicht oder nicht richtig zur Sozialversicherung“ an und machte „damit einhergehend gegenüber der zuständigen Einzugsstelle falsche Angaben“. Hierdurch entstand ein Gesamtschaden in Höhe von 736.514,51 €. In den Monaten Juli bis Dezember 2015 (Fälle 23 bis 28 der Urteilsgründe) meldete der Angeklagte gegenüber der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (S.  -Bau) zudem bewusst zu niedrige Lohnsummen, wodurch dieser ein täuschungsbedingter Gesamtschaden in Höhe von 72.903,48 € entstand.

32. Die Verfahrensbeanstandungen des Angeklagten haben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.

43. Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Indes können die Einzelstrafaussprüche und folglich auch der Gesamtausspruch keinen Bestand haben, denn die Urteilsgründe lassen besorgen, dass die Strafkammer ihrer Strafzumessung unzutreffende Schadensbeträge zugrundegelegt hat.

5a) Zwar hat das Landgericht die methodischen Grundsätze bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen für eine Schätzung vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge im Ausgangspunkt nicht verkannt und in Ermangelung anderweitig verlässlicher Beweismittel zwei Drittel des Nettoumsatzes als gezahlte Nettolohnsumme veranschlagt (vgl. , NStZ 2010, 635, 636). Indes kann die Berechnung des Nettoumsatzes nicht nachvollzogen werden, insbesondere ist den (insgesamt sehr knappen) Urteilsgründen nicht zu entnehmen, welche „nach den Angaben des Angeklagten anzuerkennenden Fremdleistungen“ die Strafkammer „vom ermittelten Nettoumsatz“ in Abzug gebracht hat. So bleibt beispielsweise auch unklar, ob und gegebenenfalls wie das Landgericht die 1.500 € bei der Ermittlung des Nettoumsatzes berücksichtigt hat, die der Angeklagte monatlich aus dem erhaltenen „Schwarzgeld“ für sich behielt und die nicht für Lohnzahlungen an die bis zu 15 Arbeitnehmer zur Verfügung standen. Dies kann auch dem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden.

6Dieser Rechtsfehler betrifft in gleicher Weise die Fälle 23 bis 28 der Urteilsgründe, in denen die Strafkammer ebenfalls die aus den Abdeckrechnungen ermittelte Nettolohnsumme als Ausgangspunkt zugrunde gelegt hat.

7b) Die Urteilsgründe lassen ferner nicht erkennen, ob das Landgericht in den Fällen 1 bis 22 der Urteilsgründe bei der Hochrechnung der Nettolöhne auf Bruttolöhne in den Blick genommen hat, dass nur bei vollumfänglich illegalen Beschäftigungsverhältnissen der Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI (vgl. § 39c EStG) zugrundegelegt werden darf. Wenn indes die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer bekannt waren oder ohne Weiteres hätten festgestellt werden können, muss der Umfang hinterzogener Sozialversicherungsbeiträge anhand der tatsächlich gegebenen Lohnsteuerklasse der Arbeitnehmer ermittelt werden (vgl. , NZWiSt 2022, 201, Rn. 8 mwN; vgl. auch ).

8Vorliegend war ausweislich der getroffenen Feststellungen zumindest ein Teil der „schwarz“ entlohnten Arbeitnehmer in der Buchhaltung der B.  GmbH lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtlich erfasst. Ob das Landgericht dies – gegebenenfalls differenzierend – seiner Berechnung zugrunde gelegt hat, ist aus den Urteilsgründen nicht ansatzweise ersichtlich. Der bloße Hinweis, die Hochrechnung auf die Bruttolöhne sei „entsprechend den gesetzlichen Vorgaben“ erfolgt (UA S. 20), genügt bei der gegebenen Sachlage nicht.

9c) Der Senat kann ausschließen, dass sich die rechtsfehlerbehaftete Berechnung der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge bzw. der geschuldeten Beiträge an die S.  -Bau dergestalt auswirkt, dass der Schuldspruch in Frage stünde. Die Strafaussprüche mit den ihnen zugrundeliegenden Feststellungen können indes keinen Bestand haben und bedürfen neuer Verhandlung und Entscheidung.

104. Auch die Einziehungsentscheidung, die das Landgericht ohne nähere Ausführungen auf „§§ 73, 73c, 73d StGB“ gestützt und ihr die Beträge zugrunde gelegt hat, die der Angeklagte monatlich aus den „Schwarzgeldeinnahmen“ für sich selbst entnommen hatte, kann keinen Bestand haben.

11a) Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den Einziehungsbetrag nicht durch die Tat (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73 c Satz 1 StGB) erlangt.

12Durch die Tat erlangt sind alle Vermögenswerte, die dem Täter aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zufließen (vgl. Rn. 86 mwN). Der in diesem Sinn aus den gegenständlichen Taten nach § 266a StGB resultierende wirtschaftliche Vorteil liegt darin, dass geschuldete Beträge zur Sozialversicherung nicht abgeführt werden müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 310/20; vom – 1 StR 399/20, Rn. 13), wobei dieser Vorteil schon begrifflich allein im Vermögen des zahlungsverpflichteten Arbeitgebers anfällt (vgl. , Rn. 6 mwN) und sich als nicht gegenständlicher Vorteil bereits mit seiner Inanspruchnahme verbraucht (vgl. Rn. 7; Urteil vom – 1 StR 36/17 Rn. 17 ff. mwN). Diesen Vorteil erlangte nach den getroffenen Feststellungen allein die B.  GmbH, die vom Angeklagten auch nicht lediglich als formaler Mantel ohne Trennung zwischen Täter- und Gesellschaftsvermögen genutzt wurde (hierzu vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 620/17, StV 2019, 42; vom − 1 StR 529/19, NStZ 2020, 404). Soweit der Angeklagte aus dem Vermögen der Gesellschaft, konkret aus deren erzielten „Schwarzeinnahmen“ etwas für sich behielt, ist weder festgestellt noch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ersichtlich, dass diese „Entnahmen“ in einem Zusammenhang mit den ersparten Aufwendungen der GmbH stehen und dass sie ohne Gegenleistung oder ohne Rechtsgrund erfolgt wären (vgl. hierzu , BGHSt 64, 234, 238 f., 240 f.; Beschluss vom – 1 StR 529/19, Rn. 15; , Rn. 17 f.).

13b) Sollte das Landgericht die entnommenen Bargelder als Tatlohn (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73 c Satz 1 StGB: ʺ für sie ʺ) gewertet haben, so fehlen Feststellungen zu einer entsprechenden Abrede.

14Für die Tat erlangt ist, was dem Täter oder Teilnehmer als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt wird und sich nicht als Vermögensvorteil darstellt, der auf der Tatbestandsverwirklichung selbst beruht (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 561/18, Rn. 8; , Rn. 5 je mwN). Abzugrenzen sind hiervon Zuwendungen, die der Tatbeteiligte aus einem anderen, von der Tatbegehung unabhängigen Rechtsgrund erhält. Ob ein solcher Rechtsgrund tatsächlich vorliegt oder ob der Tatlohn lediglich unter dem Deckmantel eines solchen dem Tatbeteiligten gewährten Anspruchs an ihn weitergeleitet wird, ist Tatfrage und im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. , Rn. 100). Diese lassen die Urteilsgründe vermissen.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:070223B2STR67.22.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-43408