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EuGH Urteil v. - C-368/22

Gründe

Zur Vorlagefrage

Vorbemerkungen

28In seiner Vorlagefrage bezieht sich das vorlegende Gericht auf die KN in der Fassung des Anhangs I der Verordnung Nr. 861/2010, die im Jahr 2011 anwendbar war. Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts geht jedoch hervor, dass die dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Einfuhren zwischen Oktober 2010 und August 2013 stattfanden. Es scheint daher, dass für das Ausgangsverfahren die Fassungen der KN maßgeblich sind, die sich jeweils aus der Verordnung Nr. 948/2009, mit der die KN mit Wirkung vom geändert wurde, aus der Verordnung Nr. 861/2010, mit der die KN mit Wirkung vom geändert wurde, aus der Verordnung Nr. 1006/2011, mit der die KN mit Wirkung vom geändert wurde, und aus der Durchführungsverordnung Nr. 927/2012, mit der die KN mit Wirkung vom geändert wurde, ergeben; dies ist jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen.

29Da jedoch der Wortlaut der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Bestimmungen der KN in allen diesen Fassungen derselbe ist, genügt es, die Vorlagefrage unter Berücksichtigung der KN in der Fassung des Anhangs I der Verordnung Nr. 861/2010 zu prüfen.

Zur Vorlagefrage

30Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es in einem Vorabentscheidungsverfahren auf dem Gebiet der zolltariflichen Einreihung Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht die Kriterien aufzuzeigen, anhand deren es die betreffenden Waren richtig in die KN einreihen kann, nicht aber, die Einreihung selbst vorzunehmen. Diese Einreihung beruht auf einer reinen Tatsachenfeststellung, die nicht Sache des Gerichtshofs im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens ist (Urteil vom , Mikrotīkls, C-542/21, EU:C:2022:814, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31Allerdings ist es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen dem nationalen Gericht und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom , Schenker, C-409/14, EU:C:2016:643, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob die Unterposition 7307 22 10 der KN dahin auszulegen ist, dass andere als gegossene Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke aus nicht rostendem Stahl, die ein Außengewinde aufweisen und nicht aus kurzen Rohrstücken mit Innengewinde bestehen, mit denen zwei Rohre durch Einschrauben in ein solches Formstück, Verschlussstück oder Verbindungsstück oder bloßes Hineinschieben in das Formstück, Verschlussstück oder Verbindungsstück verbunden werden können, als „Muffen“ im Sinne dieser Unterposition angesehen werden können.

33Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung einer Ware grundsätzlich deren objektive Merkmale und Eigenschaften, wie sie im Wortlaut der Position der KN und der Anmerkungen zu ihren Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Urteil vom , DHL Logistics [Slovakia], C-810/18, EU:C:2020:336, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34Nach den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN sind für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position der Wortlaut dieser Unterpositionen sowie die Anmerkungen zu den Unterpositionen, Abschnitten oder Kapiteln maßgebend; die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise.

35Ferner tragen die von der Kommission zur KN ausgearbeiteten und die von der WZO zum HS erlassenen Erläuterungen erheblich zur Auslegung der einzelnen Tarifpositionen bei, ohne jedoch rechtsverbindlich zu sein. Die Erläuterungen zur KN, die nicht die Erläuterungen zum HS ersetzen, sind als deren Ergänzung zu betrachten und zusammen mit ihnen heranzuziehen (Urteil vom , Vogel Import Export, C-62/20, EU:C:2021:288, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36Im vorliegenden Fall betrifft die Position 7307 der KN Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke aus Eisen oder Stahl. Sie umfasst drei Kategorien, von denen die erste mit dem Wort „gegossen“, die zweite mit den Worten „andere, aus nicht rostendem Stahl“ und die dritte mit „andere“ bezeichnet wird.

37Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist unstreitig, dass die in Rede stehenden Waren in die zweite Kategorie fallen. Diese Kategorie nimmt eine Unterscheidung zwischen vier Unterkategorien vor, nämlich erstens „Flansche“, zweitens „Bogen, Winkel und Muffen, mit Gewinde“, darunter die von der Unterposition 7307 22 10 der KN erfassten „Muffen“, drittens „Formstücke, Verschlussstücke und Verbindungsstücke, zum Stumpfschweißen“ und viertens „andere“ Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke, einschließlich der von der Unterposition 7307 29 10 der KN erfassten anderen Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke mit Gewinde. Da es sich um eine Auffangkategorie handelt, erfasst diese letztgenannte Unterposition andere Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke aus nicht rostendem Stahl als die in den ersten drei Unterkategorien. Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist unstreitig, dass die in Rede stehenden Waren entweder unter die zweite oder unter die vierte Unterkategorie fallen, je nachdem, ob sie als „Muffen“ mit Gewinde angesehen werden können oder nicht.

38Es ist daher zu bestimmen, was die Bezeichnung „Muffen“ im Sinne der Unterposition 7307 22 10 der KN umfasst.

39Diese Bezeichnung wird weder in der KN noch im HS oder in den Erläuterungen zur KN oder in den Erläuterungen zum HS definiert.

40In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Unionsrecht nicht definiert, anhand ihres Sinns nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele zu bestimmen sind (Urteil vom , Pfizer Consumer Healthcare, C-182/19, EU:C:2020:243, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41Was als Erstes den Sinn des Worts „Muffen“ nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch betrifft, geht aus mehreren Wörterbüchern und anderen Quellen, auf die die dänischen Steuerbehörden im Ausgangsverfahren und die dänische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen Bezug genommen haben, hervor, dass „Muffe“ in der dänischen, deutschen und englischen Sprache als ein kurzes Rohr definiert wird, das dazu bestimmt ist, die Enden von zwei Rohren zu umschließen, und dass das so bezeichnete Rohrformstück, Rohrverschlussstück oder Rohrverbindungsstück das Gegenstück zu dem als „Nippel“ bezeichneten Stück ist, wobei das als „Nippel“ bezeichnete Formstück, Verschlussstück oder Verbindungsstück ein glattes Äußeres oder ein Außengewinde aufweisen kann. Daraus folgt, dass nach diesen Wörterbüchern und Quellen eine Muffe, wenn sie nicht glatt ist, nur ein Innengewinde aufweisen darf, da sie ansonsten die Enden der durch sie verbundenen Rohre nicht umschließen könnte.

42Was als Zweites den Zusammenhang betrifft, in dem das Wort „Muffen“ verwendet wird, ist erstens darauf hinzuweisen, dass, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen ausgeführt hat, zahlreiche Worte, die Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke im HS und in den Erläuterungen zum HS und den Erläuterungen zur KN bezeichnen, offenbar in mehreren Sprachfassungen an Bezeichnungen für bestimmte Formen wie Körperteile, Buchstaben des Alphabets oder Kleidungsstücke angelehnt sind, und daher einen Hinweis auf die Form des betreffenden Formstücks, Verschlussstücks oder Verbindungsstücks geben. Beispielsweise bezeichnen die Worte „rørknæ“ und „rørbøjninger“ in der dänischen Sprache („elbows“ und „bends“ in der englischen Sprache sowie „coudes“ und „courbes“ in der französischen Sprache) ein Erzeugnis, das wie ein Knie („knæ“) gekrümmt ist, ebenso wie das Wort „muffe“ („sleeve“ in der englischen Sprache und „manchon“ in der französischen Sprache) offenbar darauf hindeutet, dass die so bezeichnete Ware die Form einer Manschette oder eines Ärmels hat. Insoweit ist es unerheblich, dass, wie DFST im Ausgangsverfahren geltend gemacht hat, das Wort „muffe“ aus der dänischen Sprache auf verschiedene Weise in die englische Sprache übersetzt werden kann, da in der englischen Fassung der KN für „Muffe“ das Wort „sleeve“ verwendet wird.

43Zweitens ist, da die Erläuterungen zu Position 7307 des HS neben Muffen auch auf andere Waren wie Reduzierstücke und Verbindungsstücke mit Überwurfmutter Bezug nehmen, davon auszugehen, dass diese Waren von Muffen zu unterscheiden sind. Folglich können die in Rede stehenden Waren, sofern sie als Reduzierstücke und Verbindungsstücke mit Überwurfmutter anzusehen sind, nicht der Unterposition 7307 22 10 der KN zugewiesen werden. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen festgestellt hat, könnte dies insbesondere auf die Waren Nrn. 2 und 5 zutreffen, die vom Hersteller als „Straight Fitting Union“ (gerades Verbindungsstück) bzw. als „Straight Fitting Reducer“ (gerade Reduzierverschraubung) beschrieben werden, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.

44Drittens ist festzustellen, dass es sich bei einer Muffe und einem Nippel um zwei verschiedene Waren mit jeweils eigenen Merkmalen handelt, da die Erläuterungen zum HS durch die Nennung von „Muffen und Nippel“ zwischen „Muffe“ und „Nippel“ unterscheiden. In Anbetracht der Definitionen von „Nippel“ in mehreren Wörterbüchern und Quellen, aus denen sich, wie in Rn. 41 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ergibt, dass Nippel, wenn sie nicht glatt sind, ein Außengewinde aufweisen, ist festzustellen, dass lediglich die vom Analyse-Institut vorgeschlagene und in Rn. 20 des vorliegenden Urteils angeführte Definition von „Muffe“ es ermöglicht, Muffen von Nippeln zu unterscheiden.

45Viertens weisen mehrere der in Rede stehenden Waren, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen festgestellt hat, offenbar Merkmale mehrerer Arten der in der KN oder in den Erläuterungen zum HS angeführten Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke auf. Da, wie in Rn. 37 des vorliegenden Urteils festgestellt wurde, die Kategorie anderer als gegossener Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke aus nicht rostendem Stahl neben weiteren drei spezielleren Unterkategorien, darunter derjenigen, die „Bogen, Winkel und Muffen, mit Gewinde“ erfasst, eine Unterkategorie „andere“ beinhaltet, sind solche Waren in diese Unterposition, d. h. die Unterposition 7307 29 10 der KN einzureihen, sofern sie nicht ausschließlich unter „Muffen“ fallen; dies zu prüfen ist allerdings Sache des vorlegenden Gerichts.

46Daraus folgt, dass andere als gegossene Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke aus nicht rostendem Stahl, die ein Außengewinde aufweisen und nicht aus kurzen Rohrstücken mit Innengewinde bestehen, mit denen zwei Rohre durch Einschrauben in ein solches Formstück, Verschlussstück oder Verbindungsstück oder bloßes Hineinschieben in das Formstück, Verschlussstück oder Verbindungsstück verbunden werden können, als zur Unterposition 7307 29 10 der KN gehörend anzusehen sind.

47Diese Beurteilung wird durch die Praxis einiger Mitgliedstaaten im Bereich der vZTA nicht in Frage gestellt. Aus den schriftlichen Erklärungen der Kommission geht nämlich hervor, dass die irische vZTA mit der Referenznummer IE 08NT-14-284-03, auf die sich DFST im Ausgangsverfahren beruft, widerrufen wurde. Außerdem zeigt sich, dass die anderen vZTA, auf die die Parteien des Ausgangsverfahrens, die dänische Regierung und die Kommission im Ausgangsverfahren bzw. in ihren schriftlichen Erklärungen im vorliegenden Verfahren Bezug genommen haben, diese Beurteilung vorbehaltlich einiger Ausnahmen bestätigen.

48Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Unterposition 7307 22 10 der KN dahin auszulegen ist, dass andere als gegossene Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke aus nicht rostendem Stahl, die ein Außengewinde aufweisen und nicht aus kurzen Rohrstücken mit Innengewinde bestehen, mit denen zwei Rohre durch Einschrauben in ein solches Formstück, Verschlussstück oder Verbindungsstück oder bloßes Hineinschieben in das Formstück, Verschlussstück oder Verbindungsstück verbunden werden können, nicht als „Muffen“ im Sinne dieser Unterposition angesehen werden können.

Kosten

49Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

Die Unterposition 7307 22 10 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 254/2000 des Rates vom geänderten Fassung, in der Fassung, die dieser Anhang durch die Verordnung (EU) Nr. 861/2010 der Kommission vom erhalten hat,

ist dahin auszulegen, dass

andere als gegossene Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke aus nicht rostendem Stahl, die ein Außengewinde aufweisen und nicht aus kurzen Rohrstücken mit Innengewinde bestehen, mit denen zwei Rohre durch Einschrauben in ein solches Formstück, Verschlussstück oder Verbindungsstück oder bloßes Hineinschieben in das Formstück, Verschlussstück oder Verbindungsstück verbunden werden können, nicht als „Muffen“ im Sinne dieser Unterposition angesehen werden können.

Fundstelle(n):
TAAAJ-43239