BGH Beschluss v. - III ZB 57/22

Bestimmung des Werts einer durch Verurteilung zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung verursachten Beschwer

Gesetze: § 2 ZPO, § 3 ZPO, § 511 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 511 Abs 4 S 1 ZPO, § 522 Abs 1 S 1 ZPO, § 709 S 1 ZPO, § 20 JVEG

Instanzenzug: Az: 12 U 85/22vorgehend LG Mainz Az: 5 O 308/20

Gründe

I.

1Der Kläger und die Beklagte streiten im Rahmen einer Stufenklage über Ansprüche im Zusammenhang mit dem Nachlass ihrer am verstorbenen Mutter (im Folgenden: Erblasserin), welche unter anderem vom Kläger beerbt wurde.

2Zu nicht exakt festgestellten Zeitpunkten hatte die Erblasserin der Beklagten eine rechtsgeschäftliche Vollmacht sowie eine separate Bankvollmacht zur Verfügung über ein Bankkonto erteilt. Am wies dieses Konto ein Guthaben von 241.198,89 € und am Todestag der Erblasserin ein solches von 119.475 € auf. Am löste die Beklagte das Konto auf und überwies das verbliebene Restguthaben in Höhe von 68.622,01 € auf ein anderes Konto.

3Das Landgericht hat die Beklagte durch Teilurteil verurteilt, den Miterben

• Auskunft zu erteilen über den Stand der Rechtsgeschäfte, die sie in Ausübung der Bankvollmacht getätigt hat, insbesondere über den Verbleib des am auf dem Konto vorhandenen Guthabens von 241.198,89 €,

• eine vollständige und geordnete Zusammenstellung sämtlicher in Ausübung ihrer Vollmacht getätigter Verfügungen, Einnahmen und Ausgaben vorzulegen und

• sämtliche hierzu bestehenden Belege und Urkunden in Form von Verträgen, Auftragsbestätigungen, Rechnungen und Kontoauszügen in geordneter Form herauszugeben.

4Die hiergegen von der Beklagten erhobene Berufung hat das Oberlandesgericht - nach entsprechender Ankündigung im (Hinweis-)Beschluss vom - durch Beschluss vom mit der Begründung als unzulässig verworfen, dass die erforderliche Beschwer gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erreicht werde. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

5Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

6Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ohne Rücksicht auf den Beschwerdewert statthafte (vgl. etwa Senat, Beschluss vom - III ZB 28/19, NJW-RR 2020, 189 Rn. 4) sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats erfordert.

7Entgegen der Ansicht der Beklagten ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere wird die Beklagte durch den angefochtenen Verwerfungsbeschluss nicht in ihrem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt, welches den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu zB Senat, Beschlüsse vom - III ZB 18/22, WM 2023, 189 Rn. 6 mwN; vom aaO Rn. 5 und vom - III ZB 70/17, NJW-RR 2018, 697 Rn. 6).

81. Nach Auffassung des Berufungsgerichts verweist die Beklagte zutreffend darauf, bereits erstinstanzlich vorgetragen zu haben, dass ihr bereits 2005 durch die Erblasserin Kontovollmacht erteilt worden sei. Vor diesem Hintergrund könnte der Urteilstenor zwar dahingehend aufzufassen sein, dass für diesen gesamten Zeitraum Auskunft, Zusammenstellung von Verfügungen, Einnahmen und Ausgaben sowie die Herausgabe von Belegen und Urkunden geschuldet seien. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Urteilstenor aber nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen zu betrachten. Dort habe das Landgericht festgestellt: "In den letzten drei Lebensjahren der Erblasserin erledigte die Beklagte deren Geschäfte". Von genau diesem Zeitraum gehe das Landgericht zudem aus, wenn es "Verwirkung" mit dem Argument verneine, ein "Zeitraum von etwa drei Jahren" genüge nicht, um ein schützenswertes Vertrauen des Bevollmächtigten zu begründen. Aus dem Gesamtzusammenhang des Teilurteils gehe damit eindeutig hervor, dass die Beklagte nur für den Zeitraum ab August 2016 den tenorierten Verpflichtungen unterliege. Allein für diesen rund dreijährigen Zeitraum könnten daher Zeit- und Kostenaufwand veranschlagt werden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte bereits umfangreich Teilauskünfte zusammengestellt habe und ausweislich der ab November 2017 zur Akte gereichten Kontoauszüge eine insgesamt überschaubare Anzahl an auskunftspflichtigen Verfügungen auf der Grundlage der erteilten Bankvollmacht im Raum stehe. Für die noch ausstehenden Resttätigkeiten sei nicht mehr als eine Woche (40 Stunden) konzentrierten Arbeitens erforderlich, so dass sich bei Zugrundelegung eines Stundensatzes von 4 € gemäß § 20 JVEG eine Beschwer in einer Größenordnung von 160 € ergebe. Da die Beklagte selbst darauf verwiesen habe, dass ihr die Kontoauszüge ab Januar 2016 vorlägen, Auskunft nach dem Teilurteil des Landgerichts aber erst ab August 2016 geschuldet werde, fielen Kosten für das Nacherstellen von Kontoauszügen bei der Bank nicht an.

92. Diese Bewertung, die der Senat nur darauf überprüfen kann, ob das Berufungsgericht dabei die Grenzen des ihm eröffneten Ermessens (§§ 2, 3 ZPO) überschritten oder dieses fehlerhaft ausgeübt hat (vgl. st. Rspr., etwa Senat, Beschlüsse vom aaO Rn. 7; vom aaO Rn. 10 und vom - III ZB 37/16, NJW-​RR 2017, 1407 Rn. 7; jew. mwN), ist nicht zu beanstanden.

10a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Wert der durch eine erstinstanzliche Verurteilung zur Auskunftserteilung oder Rechnungslegung verursachten Beschwer sich an dem Interesse der verurteilten Partei orientiert, die in Rede stehende Auskunft oder Abrechnung nicht erteilen zu müssen. Dabei ist im Wesentlichen auf den Aufwand an Zeit und Kosten abzustellen, der für die sorgfältige Erfüllung des titulierten Anspruchs erforderlich ist (st. Rspr., zB Senat, Beschlüsse vom aaO Rn. 8; vom , aaO Rn. 9 und vom , aaO Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom - X ZR 51/09, NJW 2010, 2812 Rn. 4; vom - II ZR 75/09, NJW-RR 2010, 786 Rn. 2; vom - IV ZB 27/07, NJW-RR 2009, 80 Rn. 4 und vom - GSZ 1/94, BGHZ 128, 85, 87 ff; jew. mwN). Außer Betracht bleibt das Interesse des Beklagten, die vom Kläger erstrebte und mit der Auskunfts- oder Rechnungslegung vorbereitete Durchsetzung des Hauptanspruchs zu verhindern oder zu erschweren (Senat, Beschluss vom aaO; BGH, Beschlüsse vom aaO und vom aaO, S. 87 mwN). Zur Bewertung des Zeitaufwands kann grundsätzlich - wie vom Berufungsgericht ebenfalls richtig gesehen - auf die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Regelungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) zurückgegriffen werden (st. Rspr., zB Senat, Beschlüsse vom - III ZR 15/20, juris Rn. 7 und vom - III ZB 55/11, ZEV 2012, 270 Rn. 7; , NJW-RR 2021, 451 Rn. 11). Der Ansatz von 4 € pro Arbeitsstunde entsprechend § 20 JVEG unterliegt daher keinen Bedenken.

11b) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist nicht von der Möglichkeit einer unbegrenzten rückwirkenden Inanspruchnahme der Beklagten bis in das Jahr 2005 auszugehen, in dem ihr von der Erblasserin Kontovollmacht erteilt worden war. Vielmehr sind Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Belegvorlage nach der (zumindest) vertretbaren Auslegung des Teilurteils des Landgerichts - unter Heranziehung von Tatbestand und Entscheidungsgründen (vgl. zB Senat, Beschluss vom - III ZB 96/15, juris Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom aaO Rn. 15 und vom - XII ZB 334/19, NJW-RR 2020, 1137 Rn. 11) - durch das Berufungsgericht für die Zeit vor August 2016 nicht geschuldet.

12aa) So hat das Berufungsgericht auf die im unstreitigen Teil des Tatbestandes des Teilurteils des Landgerichts enthaltene Feststellung abgestellt, nach welcher die Beklagte "in den letzten drei Lebensjahren der Erblasserin" deren Geschäfte erledigt habe, und aus den Entscheidungsgründen des Teilurteils des Landgerichts herangezogen, dass ein "Zeitraum von etwa drei Jahren" nicht genüge, um nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) von einer Verwirkung der geltend gemachten Ansprüche auszugehen. Daraus hat es - mit Blick auf den Todestag der Erblasserin am - vertretbar geschlossen, dass die Beklagte lediglich für die Zeit ab August 2016 den vom Landgericht tenorierten Verpflichtungen unterliegt. Ein unzulässiges - oder gar willkürliches - Hineinlesen eines "(nur)" in die Entscheidung des Landgerichts ist darin entgegen der Rechtsbeschwerde nicht zu sehen; einem Zirkelschluss ist das Berufungsgericht ebenfalls nicht erlegen.

13bb) Soweit die Rechtsbeschwerde vorbringt, aus den Ausführungen auf Seite 4 des Teilurteils des Landgerichts, "die Erblasserin habe mehr als zweieinhalb Jahre im selben Anwesen wie sie, die Beklagte, gewohnt", bevor sie am in ein Pflege-/Altersheim gezogen sei, ergebe sich ein Zeitraum von mindestens drei Jahren und neun Monaten, über den die Parteien stritten, ist ihr schon deswegen nicht zu folgen, weil das Landgericht auf Seite 4 des Teilurteils ausschließlich streitiges Vorbringen der Beklagten wiedergibt, sich indessen der Streitgegenstand allein nach dem Vorbringen des Klägers bestimmt.

14c) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass für einen (rund) dreijährigen Zeitraum - gemeint ist nach dem Vorstehenden der Zeitraum von August 2016 bis August 2019 - an Zeit- und Kostenaufwand eine Woche konzentrierten Arbeitens (maximal 40 Stunden) zu einem Stundensatz von 4 € zu veranschlagen ist, so dass sich insoweit eine Beschwer in einer Größenordnung von 160 € ergibt, hält sich im Rahmen des dem Tatrichter eröffneten Ermessens (§§ 2, 3 ZPO). Das schließt die ebenfalls vertretbare Bewertung ein, dass ausweislich der ab November 2017 zur Akte gereichten Kontoauszüge eine "insgesamt überschaubare Anzahl" an auskunftspflichtigen Verfügungen im Raum steht.

15aa) Dass das Berufungsgericht hierbei - die Beschwer durch die Verurteilung des Landgerichts mindernd - berücksichtigt hat, dass "die Beklagte bereits umfangreich Teilauskünfte zusammengestellt hat", steht entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Einklang (vgl. Senat, Beschluss vom aaO Rn. 9).

16bb) Ob der vorgenannte (rund) dreijährige Zeitraum zu verlängern ist, weil nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerde der Kläger mit Schreiben vom dazu aufgefordert hat, Auskunft zu erteilen und Rechenschaft zu legen über die Geschäfte, die die Beklagte "bis zum heutigen Tag getätigt hat", kann dahinstehen. Eine bei der Bewertung der Beschwer zu berücksichtigende Verlängerung käme allenfalls bis zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung im Januar 2022 (vgl. zB Senat, Beschluss vom aaO Rn. 12; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 68/20, MDR 2022, 54 Rn. 24; vom - VIII ZR 98/16, NZM 2017, 358 Rn. 8 und vom - IV ZR 155/00, juris Rn. 17), also um (rund) zweieinhalb Jahre in Betracht. Die anzusetzende Beschwer läge dann immer noch unter dem in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO festgelegten Wert.

17d) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, liegt hier ein Fall, in dem sich der Streitwert und die Beschwer erhöhen, weil es notwendig ist, mit anwaltlicher Hilfe einen nicht hinreichend bestimmten Verurteilungsinhalt im Vollstreckungsverfahren zu klären (vgl. Senat, Beschluss vom aaO Rn. 9 mwN), nicht vor. Der Zeitraum, auf den sich Auskunfts- und Rechenschaftslegungsverpflichtung der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Bevollmächtigte der Erblasserin beziehen, lässt sich - wie ausgeführt - unter Heranziehung von Tatbestand und Entscheidungsgründen des Teilurteils des Landgerichts durch Auslegung klar feststellen. Auch die Art der vorzulegenden Belege wird bereits im Tenor des Teilurteils hinreichend bestimmt bezeichnet.

18e) Das Berufungsgericht hat entgegen der Rechtsbeschwerde nicht "rechtsfehlerhaft" unberücksichtigt gelassen, dass das Landgericht, indem es eine Sicherheitsleistung von 2.000 € festgesetzt hat, von einem deutlich höheren Abwehrinteresse der Beklagten ausgegangen ist. Das Berufungsgericht stellt den Wert des Beschwerdegegenstandes vielmehr im Rahmen der ihm von Amts wegen obliegenden Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach eigenem freien Ermessen fest (, NJW-RR 2014, 404 Rn. 11). An den vom Landgericht als Sicherheitsleistung nach § 709 Satz 1 ZPO ausgeworfenen Betrag ist es nicht gebunden.

193. Das Berufungsgericht hat die Entscheidung über eine Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO pflichtwidrig nicht nachgeholt. Das verhilft der Rechtsbeschwerde allerdings ebenfalls nicht zum Erfolg, weil eine Zulassung der Berufung nicht in Betracht gekommen wäre. Die Rechtsbeschwerde legt nicht dar, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Dafür ist auch nichts ersichtlich (vgl. , juris Rn. 30 f).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:250523BIIIZB57.22.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-43154