Verfahrensrecht | Dreitagesfiktion bei Zentralversand von Steuerbescheiden (FG)
Bei Anwendung der Dreitagesfiktion gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO hat das Finanzgericht das Datum der tatsächlichen Aufgabe zur Post von Amts wegen zu ermitteln. Die dreitägige Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt - jedenfalls im Streitfall - trotz Einschaltung eines privaten Postdienstleistungsunternehmens bei dem Versand von Steuerbescheiden durch ein Hamburger Finanzamt im sog. Zentralversand (; rechtskräftig).
Sachverhalt: Die Beteiligten stritten um den Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Steuerbescheides. Der Kläger war der Ansicht, dass vorliegend die Dreitagesfiktion nicht zur Anwendung kommen kann. Aus dem Bescheiddatum lässt sich nicht auf den Tag der Aufgabe zur Post rückschließen. Zudem ist eine Postlaufzeit von fünf Tagen eher der Regelfall als die Ausnahme und jedenfalls nicht unüblich. Auch ist der Tag der Aufgabe zur Post nicht nachgewiesen. Schließlich kommt eine Anwendung der Dreitagesfiktion auch deshalb nicht in Betracht, da bei der externen Postversendung Nachunternehmer eingesetzt werden dürfen und nicht feststeht, ob es dadurch zu Verzögerungen bei dem Postversand kommt.
Das Gericht folgte der Auffassung des Klägers nicht und sah die Voraussetzungen für die Anwendung der Dreitagesfiktion als gegeben an:
Die Dreitagesfiktion greift nur dann ein, wenn feststeht, wann der mit einfachem Brief übersandte Verwaltungsakt tatsächlich zur Post aufgegeben worden ist, wobei es nicht auf das Bescheiddatum ankommt. Da dieser Zeitpunkt allein dem Wissens- und Verantwortungsbereich der Finanzbehörde zuzuordnen ist, bedarf es insoweit keines substantiierten Bestreitens durch den Steuerpflichtigen.
Lässt sich das Datum der Aufgabe zur Post nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststellen, ist die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht anwendbar. In diesem Zusammenhang ist das FG im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht regelmäßig gehalten, Ermittlungen dazu anzustellen, wie im Einzelnen der Ablauf der Postversendung durch das Rechenzentrum gestaltet und in welcher Weise sichergestellt wird, dass Bescheide zu dem im Bescheid angegebenen Zeitpunkt auch tatsächlich zur Post aufgegeben werden. Steht der Tag der Aufgabe zur Post jedoch fest, setze nicht bereits jedes beliebige Bestreiten des Zugangszeitpunktes die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO außer Kraft.
Nach der Beweisaufnahme sowie einer Gesamtwürdigung aller vorliegenden Umstände stand zur Überzeugung des Gerichts die Aufgabe des Steuerbescheids durch den Zentralversand fest. Das Datum des Bescheids hat insoweit mit dem Datum der Postaufgabe übereingestimmt. So hat der in dem für den Zentralversand zuständigen Druckzentrum tätige Zeuge erläutert, dass erhebliche organisatorische und technische Maßnahmen getroffen werden, durch welche sichergestellt wird, dass Bescheiddatum und Postaufgabedatum regelmäßig übereinstimmen. So hat der Zeuge den vom Kläger als Anlage übersandten Bescheid anhand des auf diesem aufgebrachten Barcodes nebst dazugehöriger Identifikationsnummer eindeutig einem Druckauftrag in der "PGA-Liste" (Postgebührenabrechnung) zuordnen können. Die "PGA-Liste" bestätigt, dass der Druck der darin aufgeführten Druckaufträge auch tatsächlich erfolgt ist und die Kuvertiermaschine den Bescheid mittels des Barcodes gescannt und kuvertiert hat. Zudem hat der Zeuge anhand der "PGA-Liste" erkennen können, dass alle Bescheide des Druckauftrags in den Raum verbracht worden sind, aus dem die zu versendenden Steuerbescheide abgeholt werden, was täglich geschieht.
Es ist auch ausgeschlossen, dass der Bescheid versehentlich nicht gedruckt oder nicht an die Post übergeben worden sein könnte, da grundsätzlich ein Vier-Augen-Prinzip im Bereich des Drucks und Versands von Steuerbescheiden angewandt wird. Zudem werden alle Bescheide in einem Endlosverfahren gedruckt, d.h. es werden gerade nicht einzelne Seiten gedruckt, von denen gegebenenfalls einzelne ausfallen können. Als zusätzliche Sicherheit wird jeder einzelne Bescheid durch die Kuvertiermaschine anhand seines Barcodes gescannt und durch einen Abgleich mit der Druckauftrags-Datei sichergestellt, dass nicht einzelne Bescheide fehlen, wobei die Maschine alle Bescheide eines Druckauftrags zugleich in die Postboxen ablegt, welche später von der Post abgeholt werden.
Nach der Beweisaufnahme sowie einer Gesamtwürdigung aller vorliegenden Umstände bestanden für das Gericht auch keine Zweifel daran, dass der Bescheid dem Kläger innerhalb des gesetzlich vermuteten dreitägigen Zugangszeitraums tatsächlich zugegangen ist; die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ist nicht widerlegt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand für das Gericht fest, dass die von dem Druckzentrum zur Post aufgegebenen Briefe nach der Bearbeitung taggleich (E+0) an die Deutsche Post AG übergeben und durch diese sodann im Jahresdurchschnitt zu 80 % am darauffolgenden Werktag (E+1) und zu 95 % auf den zweiten folgenden Werktag (E+2) ausgeliefert worden sind. Die übrigen Sendungen sind am dritten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag (E+3) ausgeliefert worden.
Quelle: FG Hamburg Newsletter 2/2023 v. (JT)
Fundstelle(n):
NWB JAAAJ-43131