Voraussetzungen einer mündlichen Verhandlung per Videokonferenz im Fall des Ausschlusses der Öffentlichkeit
Grunderwerbsteuer infolge mittelbarer Anteilsvereinigung bei einer zwischengeschalteten Personengesellschaft im Jahr 2012
Leitsatz
1. Ist aufgrund eines Beteiligten die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden und nimmt ein Beteiligter (hier: Vertreter des
Finanzamts) an der mündlichen Verhandlung gemäß § 91a FGO per Videokonferenz teil, darf das Gericht grundsätzlich darauf vertrauen,
dass sich die Beteiligten an die Anordnung zum Ausschluss der Öffentlichkeit halten. Lediglich wenn der Senat begründete Zweifel
daran haben muss, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit sichergestellt ist, ist eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz
unter Ausschluss der Öffentlichkeit nicht zulässig.
2. Der Senat ist jederzeit in der Lage, die mündliche Verhandlung zu vertagen und in Präsenz fortzusetzen, sollte er konkrete
Anzeichen dafür sehen, dass sich der per Videokonferenz zugeschaltete Beteiligte nicht an die Weisungen des Vorsitzenden hält.
3. Bei einer zwischengeschalteten Personengesellschaft, die unmittelbar oder mittelbar an einer grundbesitzenden Gesellschaft
beteiligt ist, ist als Anteil im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG und § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG (hier: in der im Streitjahr
2012 gültigen Fassung) – wie bei einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft – die Beteiligung am Gesellschaftskapital
und nicht die sachenrechtliche Beteiligung am Gesamthandsvermögen maßgebend.
4. Die Beteiligung am Gesellschaftskapital der Personengesellschaft vermittelt, soweit sie mindestens 95 % beträgt, die rechtliche
Möglichkeit für den beteiligten Gesellschafter, den Willen in der Personengesellschaft in grunderwerbsteuerrechtlich erheblicher
Weise durchzusetzen. Diese Möglichkeit hat der Gesellschafter auch in Bezug auf nachgeordnete Gesellschaften, an denen die
Personengesellschaft wiederum zu mindestens 95 % beteiligt ist. Die Beteiligung an diesen Gesellschaften ist unmittelbar der
Personengesellschaft und mittelbar deren Gesellschafter zuzurechnen. Für die Zurechnung zum qualifiziert beteiligten Gesellschafter
ist es unerheblich, dass an der zwischengeschalteten Personengesellschaft weitere Gesellschafter mit einem Kapitalanteil von
weniger als 5 % oder – wie im Streitfall – kapitalmäßig überhaupt nicht beteiligt sind.
5. Die Einführung von § 1 Abs. 3a GrEStG, der auf Erwerbsvorgänge nach dem anzuwenden ist (§ 23 Abs. 11 GrEStG neue
Fassung), rechtfertigt keine andere Beurteilung der Zurechnung von Anteilen an zwischengeschalteten Personengesellschaften
für die Zeit davor. Die mit der Einführung des § 1 Abs. 3a GrEStG verbundene Intention des Gesetzgebers schließt es nicht
aus, bereits für frühere Anteilserwerbe auch bei einer zwischengeschalteten Personengesellschaft – wie bei einer zwischengeschalteten
Kapitalgesellschaft – auf die Beteiligung am Gesellschaftskapital abzustellen. Insoweit werden mittelbare Beteiligungen an
grundbesitzenden Gesellschaften im Rahmen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG und § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG rechtsformneutral behandelt.
6. Für im Jahr 2012 erfolgte mittelbare Anteilsvereinigungen im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG durch zwischengeschaltete
Personengesellschaften besteht kein Anspruch darauf, dass das Finanzamt aus Vertrauensschutzgesichtspunkten von einer Grunderwerbsteuerfestsetzung
absieht.
Fundstelle(n): CAAAJ-42653
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FG Baden-Württemberg, Urteil v. 17.02.2023 - 5 K 1440/21
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