BGH Beschluss v. - 5 StR 481/22

Instanzenzug: LG Lübeck Az: 3 KLs 713 Js 17180/20

Gründe

1Das Landgericht hat gegen den Angeklagten S.     V.    wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (II. Tat 38 der Urteilsgründe), Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 36 Fällen (II. Taten 2 bis 8, 10 bis 37 und 39), davon in einem Fall in Tateinheit mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verhängt. Die Angeklagte L.    V.    hat es – unter Freisprechung im Übrigen – wegen Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (II. Tat 38), Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Beihilfe zum Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen (II. Taten 3, 4, 26, 28, 30, 31, 33, 39) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Zudem hat die Strafkammer Einziehungsentscheidungen getroffen.

2Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie jeweils die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel der Angeklagten haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und erweisen sich im Übrigen als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

31. Die Verfahrensrügen der Angeklagten dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch. Ergänzend bemerkt der Senat:

4a) Soweit beide Angeklagte das durchgeführte Selbstleseverfahren beanstanden, fehlt es neben dem – wie bereits zutreffend vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt – rügeerhaltenden Vortrag zum Widerspruch gegen die Selbstleseanordnung an der Darlegung eines konkreten Rechtsverstoßes.

5b) Hinsichtlich der von der Angeklagten L.    V.    – mit dem Hinweis auf eine Umgehung der Verlesungsvorschriften von § 256 StPO – gerügten Verletzung des in § 250 StPO geregelten Unmittelbarkeitsprinzips bedarf es zwar entgegen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keines Widerspruchs in der Hauptverhandlung (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 315/11, NStZ 2012, 585; vom – 5 StR 197/20, NJW 2021, 479, 481). Die Rüge erweist sich jedoch – vom Generalbundesanwalt zutreffend angemerkt – deshalb als unzulässig, weil die Inhalte der in Bezug genommenen Urkunden zur Telekommunikations- und Fahrzeuginnenraumüberwachung lediglich auszugsweise anhand dreier Telefongesprächslisten „beispielhaft dargestellt“ werden und der Senat mithin nicht prüfen kann, ob die Urkunden bereits nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen werden durften.

62. Die auf die Sachrügen jeweils gebotene Überprüfung des Urteils hat ergeben, dass die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten teilweise fehlerhaft ist.

7a) Nach den Feststellungen brachte der Angeklagte S.     V.    zu verschiedenen Zeitpunkten erworbene Mengen Amphetamin in die Bunkerwohnung des gesondert Verfolgten W.   . Dort fügte er die Mengen derart zusammen, dass er aus dem so geschaffenen Vorrat die Einzelmengen in den Fällen 29, 31, 33, 34 und 39 entnehmen konnte, die er anschließend gewinnbringend an die Abnehmer verkaufte; die Angeklagte L.    V.    unterstützte ihn dabei in den Fällen 31, 33 und 39. Das Landgericht hat diese Handlungen für den Angeklagten S.     V.    als fünf tatmehrheitliche Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und für die Angeklagte L.    V.    als Beihilfe hierzu in drei tatmehrheitlichen Fällen gewertet.

8Dabei hat das Landgericht nicht bedacht, dass mehrere Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln – unabhängig vom Vorliegen einer Bewertungseinheit – zueinander dann in Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB stehen, wenn ihre tatbestandlichen Ausführungshandlungen sich – teilweise – überschneiden. Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens anzusehen ist, vermag der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte jedenfalls dann Tateinheit in diesem Sinne zu begründen, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Wertung rechtfertigt, dass – etwa wegen eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs – die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt (BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 88/18 mwN und vom – 5 StR 490/21 Rn. 23).

9Der Angeklagte S.     V.    hat sich daher nicht wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 36, sondern nur in 32 Fällen strafbar gemacht.

10Hinsichtlich der Angeklagten L.    V.    stellen sich ihre Handlungen in den Fällen 31, 33 und 39 angesichts der Akzessorietät der Teilnahme nur als eine Beihilfe zu einer Tat des Angeklagten dar. Sie ist daher nicht der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht, sondern nur in sechs Fällen schuldig.

11Der Senat hat die Schuldsprüche wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich entsprechend § 354 Abs. 1 StPO geändert. Die Regelung des § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich die geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

123. Die Änderung des Schuldspruchs führt beim Angeklagten S.     V.    zum Wegfall der für die Fälle 29, 31, 33 und 34 verhängten Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr (Fall 33) und jeweils einem Jahr und sechs Monaten (Fälle 29, 31 und 34). Der Senat setzt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die für Fall 39 verhängte Strafe von vier Jahren und sechs Monaten als neue Einzelstrafe fest, weil auszuschließen ist, dass das Landgericht bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung eine niedrigere Einzelstrafe festgesetzt hätte.

13Bei der Angeklagten L.    V.    geraten mit der Schuldspruchänderung die verhängten Einzelfreiheitsstrafen für die Fälle 31 (ein Jahr) und 33 (neun Monate) in Wegfall. Auch hier setzt der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die für Fall 39 verhängte Strafe von drei Jahren als neue Einzelstrafe fest.

14Der jeweilige Gesamtstrafenausspruch wird hierdurch nicht berührt. Angesichts der Einsatzstrafe des Angeklagten S.     V.    von sechs Jahren und der der Angeklagten L.    V.    von vier Jahren und sechs Monaten sowie der jeweiligen Vielzahl weiterer mehrjähriger Einzelfreiheitsstrafen ist auszuschließen, dass das Landgericht allein aufgrund der geänderten Konkurrenzverhältnisse und des Wegfalls der genannten Einzelstrafen auf eine jeweils niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal eine unterschiedliche konkurrenzrechtliche Beurteilung bei – wie hier – unverändertem Schuldumfang regelmäßig kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung ist (st. Rspr.; vgl. Rn. 9 mwN).

154. Die den Angeklagten S.     V.    betreffende Einziehungsentscheidung erweist sich teilweise als rechtsfehlerhaft und unterliegt insoweit der Aufhebung.

16a) Die auf § 74 Abs. 1 StGB gestützte Anordnung zu den im Fall 38 im Wohnzimmer (Bolzenschusspistole, nicht funktionsfähiges Winchester-Gewehr) und im Obergeschoß entdeckten Gegenständen (Armbrust, Baseballschläger) wird von den Feststellungen nicht getragen.

17Danach wurden bei der Durchsuchung Drogen nur im Wohnzimmer, nicht jedoch im Obergeschoß gefunden. Die Armbrust und der Baseballschläger scheiden auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen danach schon wegen der fehlenden unmittelbaren Nähe zu den Betäubungsmitteln als Tatmittel für das bewaffnete Handeltreiben nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG aus. Ob das im Wohnzimmer neben einem Sofa sichergestellte Winchester-Gewehr diese notwendige Nähe aufwies, kann offenbleiben, weil es jedenfalls nicht funktionsfähig war.

18Allein für die Bolzenschusspistole kann der Senat nicht ausschließen, dass aufgrund einer Verhandlung weitergehende Feststellungen zu ihrer Funktionsfähigkeit und zur jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit getroffen werden können; insoweit verweist der Senat die Sache zurück.

19b) Die auf § 73 Abs. 3 StGB gestützte Surrogateinziehung der beiden Armbanduhren Marken Breitling und Rolex hat keinen Bestand. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass der Angeklagte S.     V.    die Uhren mit Taterlösen aus den abgeurteilten Taten erworben hat. Der Senat verweist die Sache insoweit zurück, da entsprechende Feststellungen durch das neue Tatgericht nicht auszuschließen sind.

20Dies zieht die Aufhebung der im Übrigen rechtsfehlerfrei angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen nach sich. Denn sollte das neue Tatgericht die Einziehung der Uhren anordnen, wäre ihr Wert zu berücksichtigen, um eine den Angeklagten S.     V.    beschwerende doppelte Erfassung zu vermeiden. Denn das Landgericht hat beim Angeklagten bereits sämtliche durch die abgeurteilten Taten erlangten Taterlöse abgeschöpft.

21c) Die das sichergestellte Bargeld von insgesamt 240.172 Euro betreffende Anordnung stellt der Senat dahin klar, dass die erweiterte Einziehung in Höhe von 100.225 Euro und die Einziehung in Höhe von 139.950 Euro angeordnet ist. Hierzu hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:

Gegen die Einziehung des sichergestellten Bargeldes in Höhe von 240.172 Euro bestehen keine Bedenken.

Die Schlussfolgerung, der bei der Durchsuchung aufgefundene Bargeldbetrag in Höhe von 100.225 EUR (UA S. 25, 26; 62) EUR stamme „aus früheren Taten ohne konkrete Zuordnung“ (UA S. 61), musste das Landgericht angesichts der Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht näher begründen. Soweit das Landgericht auf UA S. 61 den Bargeldbetrag abweichend davon mit 100.025,00 EUR beziffert, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen, da eine Addition der Einzelbeträge (UA S. 25, 26) den auf UA S. 62 angeführten Betrag von 100.225 EUR ergibt.

Hinsichtlich des weiteren sichergestellten Bargeldbetrages von 139.950 EUR hat das Landgericht allerdings im Urteilstenor zu Unrecht die „erweiterte“ Einziehung angeordnet. Wie das Landgericht in den Urteilsgründen zutreffend dargelegt hat (UA S. 25, 61), handelt es sich bei dem Bargeld um den Erlös aus der Tat zu 38. Es unterlag deshalb nach § 73 Abs. 1 StGB der Einziehung. Folgerichtig hat das Landgericht daher in Höhe des sichergestellten Tatertrags auch keine Wertersatzentscheidung nach § 73c Satz 1 StGB getroffen.

225. Der nur geringfügige Erfolg der Revision der Angeklagten L.    V.    lässt es nicht unbillig erscheinen, sie insgesamt mit den Kosten ihres Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:280223B5STR481.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-41722