Notwendigkeit der Schätzung von Wirkstoffgehalt eines Betäubungsmittels
Gesetze: § 29 Abs 1 Nr 1 BtMG
Instanzenzug: Az: 537 KLs 8/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwölf Fällen und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Näherer Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
2Das Landgericht hat in den Fällen II.1 bis 12 der Urteilsgründe zum Wirkstoffgehalt des gehandelten Kokains lediglich festgestellt, dass dieser „durchschnittlich“ gewesen sei. Dies ist rechtsfehlerhaft. Denn selbst wenn in diesen Fällen das Erreichen des Grenzwerts der nicht geringen Menge schon angesichts der gehandelten Rohmengen – abgesetzt wurden jeweils ein bis maximal acht Verkaufseinheiten von je 0,45 Gramm Kokain – rechnerisch nicht in Betracht kam, so wird gleichwohl der Schuldumfang der Tat und die Schuld des Täters maßgeblich durch den Wirkstoffgehalt bestimmt, so dass es hierzu einer konkreten Feststellung bedurft hätte (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 53/21, NStZ 2023, 46; vom – 2 StR 287/18 Rn. 14; vom – 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339; vom – 3 StR 91/06 Rn. 3; vom – 3 StR 142/06 mwN). Das Landgericht hätte daher die Wirkstoffmenge oder den Wirkstoffgehalt unter Berücksichtigung der festgestellten Tatumstände (wie etwa Herkunft, Preis, Aussehen, Verpackung, Beurteilung der Qualität durch Tatbeteiligte oder Handelsstufe), gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes, zahlenmäßig schätzen müssen. Eine Umschreibung in allgemeiner Form, etwa als „durchschnittliche Qualität“, reicht nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 543/22; vom – 3 StR 53/21, NStZ 2023, 46 f.; vom – 3 StR 20/21).
3Jedoch beruht das Urteil nicht auf diesem Versäumnis. Denn das Landgericht hat trotz Vorliegens des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit nach § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG keinen besonders schweren Fall angenommen. Einen solchen hat es maßgeblich mit Blick darauf verneint, dass „die Verkaufsmenge und damit auch der Wirkstoffgehalt deutlich unterhalb der von der Rechtsprechung für Kokain entwickelten Wirkstoffgrenze zur nicht geringen Menge“ lag. Die Strafkammer hat die ersichtlich geringen Wirkstoffmengen damit ohnehin allein zugunsten des Angeklagten gewertet. Da sie zudem die Höhe der Einzelstrafen nur anhand der Anzahl der gehandelten Verkaufseinheiten differenziert hat, ohne dass bei den zwölf Taten Anhaltspunkte für Unterschiede in der Wirkstoffkonzentration ersichtlich sind, schließt der Senat aus, dass sie bei näherer Bestimmung des Wirkstoffgehalts zu niedrigeren Strafen gelangt wäre.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:120423B5STR95.23.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-41719