Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln als Strafschärfungsgrund
Gesetze: § 29 Abs 1 Nr 1 BtMG, § 29a Abs 2 BtMG, § 49 Abs 1 StGB
Instanzenzug: Az: 5 KLs 593 Js 29935/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und den Angeklagten B. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel der Angeklagten führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2Der Strafausspruch weist auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabs ( Rn. 54; vom – 5 StR 387/15, NStZ-RR 2016, 105, 106) Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
3Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl für beide Angeklagte einen strafschärfenden Umstand darin gesehen, dass ein Großteil der gehandelten Betäubungsmittel in den Verkehr gelangt sei. Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft, weil es zum Normalfall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gehört, dass sie in den Verkehr gelangen. Diese Tatsache ist deshalb kein Strafschärfungsgrund. Im Gegenteil stellt die Sicherstellung zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmter Betäubungsmittel einen Strafmilderungsgrund dar. Das Landgericht hat mithin das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes (Sicherstellung der gehandelten Betäubungsmittel) strafschärfend gewertet (st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 10; Beschluss vom – 2 StR 517/19, NStZ-RR 2020, 146, 147).
4Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Zwar hat die Strafkammer in unmittelbarer Konsequenz ihrer Würdigung zugunsten beider Angeklagter jeweils einen minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG angenommen. Zudem hat sie einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG – mit der Folge einer Sperrwirkung der in § 29a Abs. 1 BtMG vorgesehenen Mindeststrafdrohung – bei beiden Angeklagten allein mit Blick auf den Umfang der Handelsmengen an Betäubungsmitteln verneint. Innerhalb des so bestimmten Strafrahmens hat das Landgericht jedoch bei Zumessung der Einzelstrafen jeweils „die vorbezeichneten Zumessungskriterien noch einmal miteinander abgewogen“ und somit die rechtsfehlerhafte Erwägung zum Nachteil der Angeklagten auch dort zugrunde gelegt.
5Beim Angeklagten H. kommt hinzu, dass die Strafkammer eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 31 BtMG vorgenommen hat, ohne zuvor zu prüfen, ob die diesem vertypten Milderungsgrund zugrunde liegenden Umstände einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG begründen können. Erst nach Verneinung dieser Möglichkeit hätte der konkreten Strafzumessung der (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderte Regelstrafrahmen zugrunde gelegt werden dürfen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 371/22; vom – 3 StR 340/22, NStZ-RR 2023, 51, 52).
6Die Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie nicht von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:110423B5STR78.23.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-41718