BSG Beschluss v. - B 5 R 16/23 B

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs 4 SGG)

Gesetze: § 124 Abs 2 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Instanzenzug: SG Heilbronn Az: S 14 R 903/21 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 5 R 2295/22 Beschluss

Gründe

1I. Der Kläger fordert vom beklagten Rentenversicherungsträger die Erstattung von Kosten für ein von ihm angestrengtes Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid über seine Regelaltersrente vom . Nach Übersendung ergänzender Anlagen zum Rentenbescheid hatte er das Widerspruchsverfahren nicht weiter verfolgt und nur noch Kostenerstattung geltend gemacht. Das hat die Beklagte abgelehnt (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Klage und Berufung sind ebenfalls ohne Erfolg geblieben ( ). Das LSG hat sich dabei der Entscheidung des Senats vom zu einer vergleichbaren Konstellation (B 5 R 21/21 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1300 § 62 Nr 32 vorgesehen) vollumfänglich angeschlossen.

2Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im "Urteil" des LSG beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt einen Verfahrensmangel.

3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

4Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, sofern nicht ein absoluter Revisionsgrund geltend gemacht wird (zu dieser Ausnahme vgl - juris RdNr 11).

5Den genannten Anforderungen wird die für den Kläger vorgelegte Beschwerdebegründung nicht gerecht. Dieser rügt, das LSG habe entgegen seinem Antrag im "Schriftsatz vom ", über die Angelegenheit in mündlicher Verhandlung zu entscheiden, ohne mündliche Verhandlung entschieden. Darin liege eine Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit der Verhandlung, was eine Überraschungsentscheidung und wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts einen absoluten Revisionsgrund bedeute. Auf diesen Mängeln beruhe das "Urteil", wie sich aus der Entscheidung BSGE 4, 281, 283 ergebe. Ergänzend verweist er im Schriftsatz vom auf die Entscheidung des BSG in BSGE 44, 292-295, das ), auf "die Literaturstelle JurisPK § 153 Rn. 83 ff" sowie darauf, dass bereits im SG-Verfahren eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung stattgefunden habe.

6Aus diesem Vortrag sowie der pauschalen Bezugnahme auf BSG-Entscheidungen und eine nicht vollständig bezeichnete Literaturstelle ergibt sich keine schlüssige Bezeichnung des ausdrücklich geltend gemachten oder eines anderen Verfahrensmangels. Der Kläger verkennt, dass § 153 Abs 4 SGG dem Berufungsgericht unabhängig von der Regelung in § 124 Abs 2 SGG die Befugnis einräumt, unter näher genannten Voraussetzungen eine Berufung durch Beschluss und damit ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen. Eines Einverständnisses der Beteiligten bedarf es hierfür - anders als bei der Vorgehensweise nach § 124 Abs 2 SGG - nicht (vgl zB - juris RdNr 11; - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45, RdNr 11). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG räumt § 153 Abs 4 Satz 1 SGG dem LSG ein Ermessen ein, ob es ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege oder aufgrund einer mündlichen Verhandlung entscheidet. Diese Ermessensentscheidung kann vom BSG lediglich dahingehend geprüft werden, ob das LSG von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde lagen (vgl - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38 = juris RdNr 21; - juris RdNr 45; - juris RdNr 9; - juris RdNr 4; - juris RdNr 13). Entsprechende tatsächliche Umstände, aus denen sich sachfremde Erwägungen des Berufungsgerichts oder eine grobe Fehleinschätzung ergeben können, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Verfahrensmangels in der Beschwerdebegründung dargetan werden. Daran fehlt es.

7Es kann offenbleiben, ob die Rüge einer Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG aufgrund ermessensfehlerhafter Wahl des Beschlussverfahrens nur dann ordnungsgemäß bezeichnet ist, wenn alle wesentlichen Umstände angeführt sind, die im konkreten Fall für oder gegen die Wahl des vereinfachten Verfahrens sprechen. Hier hat der Kläger lediglich einen einzigen Umstand benannt, der seinen Fall individuell kennzeichnet. Er hat darauf hingewiesen, dass bereits im Verfahren vor dem SG eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung getroffen worden sei und er deshalb keine Gelegenheit gehabt habe, die "streitgegenständliche Rechtsproblematik" persönlich vorzutragen (vgl ergänzendes Schreiben vom ). Allein dieser Umstand vermag jedoch eine Ermessensüberschreitung des Berufungsgerichts nicht schlüssig aufzuzeigen, zumal für die Entscheidung des SG ohne mündliche Verhandlung das Einverständnis des Klägers erforderlich war (vgl dazu - juris RdNr 11 mwN). Die vom Kläger bezeichneten Fundstellen (BSGE 4, 281, 283, BSGE 44, 292-295, - und JurisPK § 153 Rn. 83 ff) lassen ohne nähere Erläuterung nicht erkennen, auf welche in seinem Fall einschlägigen Umstände, die für einen Ermessensfehlgebrauch des LSG sprechen könnten, er sich beruft. Im Übrigen erwähnt der Kläger nicht, dass das LSG mit seiner Entscheidung dem kurz zuvor ergangenen Urteil des Senats vom (B 5 R 21/21 R) zu der auch in seinem Fall streitgegenständlichen Rechtsproblematik vollumfänglich gefolgt ist. Seiner Beschwerdebegründung lässt sich auch nicht entnehmen, dass er im Berufungsverfahren die Ansicht vertreten hätte, das BSG habe falsch entschieden und dass deshalb die vertiefte Erörterung der rechtlichen Problematik in einer mündlichen Verhandlung geboten sei.

8Soweit der Kläger zusätzlich eine Überraschungsentscheidung des LSG geltend machen will, wird aus seinem Vortrag nicht deutlich, auf welche tatsächlichen Umstände er diesen Vorwurf stützen will. Er trägt vielmehr selbst vor, das LSG habe mit Schriftsatz vom angekündigt, nach § 153 Abs 4 SGG zu verfahren. Weshalb die Umsetzung dieser Ankündigung im Beschluss vom für ihn gleichwohl so überraschend gewesen sein könnte, dass er damit auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht habe rechnen müssen (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 1019/22 - juris RdNr 23), erläutert er nicht.

9Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

10Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.Düring                Hahn                Gasser

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:180423BB5R1623B0

Fundstelle(n):
CAAAJ-41428