BGH Urteil v. - 1 StR 488/22

Totschlag: minder schwerer Fall ohne Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes der verminderten Schuldfähigkeit

Gesetze: § 21 StGB, § 46 Abs 3 StGB, § 49 StGB, § 213 Alt 1 StGB, § 213 Alt 2 StGB

Instanzenzug: LG Memmingen Az: 1 Ks 301 Js 15992/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Angeklagte und seine Ehefrau unterschrieben am einen notariellen Kaufvertrag mit dem späteren Opfer über ein als renovierungsbedürftig bezeichnetes Wohnhaus, welches das Opfer geerbt und zunächst vermietet hatte, zu einem Kaufpreis von 497.200 Euro. Dabei war vertraglich ein Gewährleistungsausschluss – „gekauft wie gesehen“ – vereinbart worden. Als der Angeklagte zusammen mit weiteren Personen mit den umfangreichen Sanierungsarbeiten beginnen wollte und nach Vereinbarung mit dem Opfer bereits vor der Kaufpreiszahlung Zugang zum Haus erhalten hatte, stellte sich alsbald heraus, dass das Haus deutlich mehr Mängel aufwies als gedacht. So stellte ein vom Angeklagten beauftragter Statiker Anfang September 2021 fest, dass nach vorläufiger Schätzung zusätzliche Sanierungskosten in Höhe von 200.000 Euro auf die Käufer zukommen würden. Deshalb verfolgten der Angeklagte und seine Ehefrau das Ziel, die Getötete zu einer Rückabwicklung des Vertrages oder wenigstens zu einer Kaufpreisminderung zu veranlassen, wenn nötig auch unter Einschaltung eines Rechtsanwalts. Allerdings reagierte das Opfer, auf die Mängel angesprochen, abweisend, verwies auf den abgeschlossenen Vertrag und drängte auf eine Kaufpreiszahlung.

4Als das Opfer den Angeklagten am an seinem Arbeitsplatz anrief und nachfragte, weshalb der Kaufpreis noch nicht bezahlt worden sei, vereinbarten beide für den Nachmittag ein persönliches Gespräch bei ihr zu Hause. Gegen 16.00 Uhr sprachen sie am Wohnhaus des Opfers sachlich über eine Kaufpreisminderung oder Vertragsrückabwicklung, wobei das Opfer dieses Anliegen aber ablehnte und meinte, er solle sich „verpissen“ und zu seiner dummen Frau zurückgehen. Der in seinem Hemmungsvermögen erheblich eingeschränkte Angeklagte riss oder stieß das Opfer daraufhin zu Boden, so dass es mit dem Hinterkopf aufschlug. Der Angeklagte trat „stampfend“ viermal mit hoher Wucht in Tötungsabsicht gegen den Kopf des am Boden liegenden Opfers, so dass dieses ein schweres offenes Schädel-Hirn-Trauma erlitt und nach kurzer Zeit verstarb.

52. Das Landgericht ist beim Angeklagten von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB auf Grund einer Impulstat ausgegangen und hat im Rahmen der Strafzumessung einen minder schweren Fall des § 213 Alt. 1 StGB wegen Fehlens einer schweren Beleidigung verneint ebenso wie einen Fall des § 213 Alt. 2 StGB unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen. Es hat aber unter zusätzlicher Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes aus §§ 21, 49 Abs. 1 StGB die Anwendung des gemilderten Strafrahmens von § 213 Alt. 2 StGB für angemessen erachtet und keine weitere Strafrahmenverschiebung vorgenommen.

II.

6Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts hält der Strafausspruch einer revisionsgerichtlichen Prüfung stand. Die Verneinung eines minder schweren Falles nach § 213 Alt. 1 und Alt. 2 StGB ohne zusätzliche Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes der verminderten Schuldfähigkeit nach §§ 21, 49 StGB ist nicht rechtsfehlerhaft.

71. Die Frage, ob von der Strafzumessungsregel des § 213 Alt. 1 StGB Gebrauch zu machen ist, ist revisionsrechtlich nur auf Rechtsfehler überprüfbar. Denn die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht darf die der Entscheidung des Tatrichters über das Vorliegen eines minder schweren Falles unterliegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatgericht insoweit ein Rechtsfehler unterlaufen ist (vgl. hierzu nur Rn. 12 und vom – 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 15 f. mwN). Solche Rechtsfehler weist das Urteil nicht auf.

8a) Ob eine „schwere Beleidigung“ vorliegt, beurteilt sich nach einem objektiven Maßstab. Die Handlung muss auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der subjektiven Sicht des Täters als schwer beleidigend zu beurteilen sein (, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 10 Rn. 15 und vom – 3 StR 42/81; Beschluss vom – 1 StR 372/16 Rn. 8), wobei die Anforderungen nicht zu niedrig anzusetzen sind ( Rn. 10 und vom – 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 19 mwN; Beschluss vom – 3 StR 228/14 Rn. 5). Maßgebend ist dafür der konkrete Geschehensablauf unter Berücksichtigung von Persönlichkeit und Lebenskreis der Beteiligten, der konkreten Beziehung zwischen Täter und Opfer sowie der tatauslösenden Situation (vgl. , BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 10 Rn. 15; vom – 1 StR 597/84 und vom – 1 StR 43/87; Beschluss vom – 1 StR 170/04; Urteile vom – 5 StR 266/11 Rn. 10 ff. und vom – 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 20). Die Schwere kann sich auch erst aus fortlaufenden, für sich allein noch nicht schweren Kränkungen ergeben, wenn die Beleidigung nach einer Reihe von Kränkungen gleichsam „der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte“ (st. Rspr.; vgl. nur , BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 10 Rn. 15; Beschlüsse vom – 3 StR 454/10 Rn. 5 und vom – 3 StR 228/14 Rn. 5). Deswegen ist es geboten, in die erforderliche Gesamtwürdigung auch in der Vergangenheit liegende Vorgänge als mitwirkende Ursachen miteinzubeziehen ( Rn. 5; Urteil vom – 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 22.; Beschluss vom – 1 StR 372/16 Rn. 8).

9b) Diesen Anforderungen genügt das Urteil. Das Landgericht hat ausdrücklich eine objektive Bewertung der seitens des Opfers – nach einem zunächst sachlich begonnenen Gespräch – getätigten Äußerungen „verpiss’ dich und gehe zurück zu deiner dummen Frau“ vorgenommen und dabei berücksichtigt, dass diese Äußerung zwar kränkend für den Angeklagten war, der Angeklagte aber auf Grund des abgeschlossenen notariellen Kaufvertrags mit einem vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluss keinen Anspruch auf eine Minderung des Kaufpreises oder eine Rückabwicklung des Kaufvertrages hatte. Insoweit war das Beharren des Opfers auf den abgeschlossenen notariellen Kaufvertrag und auf die Zahlung des vereinbarten Kaufpreises nicht inadäquat. Dabei hat das Landgericht für die Wertung der Schwere auf den Lebenskreis der Beteiligten abgestellt, was zu dem Ergebnis geführt hat, dass die Beleidigung unmittelbar vor der Tat für sich genommen nicht als hinreichend schwer gewertet worden ist.

10Das Landgericht hat im Rahmen der erforderlichen „Ganzheitsbetrachtung“ (vgl. nur , BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 10 Rn. 15 und vom – 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 18) auch die Entwicklung des Verhältnisses des Angeklagten zum Opfer ausführlich und sorgfältig erörtert und in die Gesamtbewertung einbezogen. Der Senat besorgt deshalb auch nicht, dass das Landgericht seiner Beurteilung des Vorliegens einer schweren Beleidigung rechtsfehlerhaft lediglich die der unmittelbar der Tötung vorausgehenden Äußerungen des Opfers zu Grunde gelegt hat. So hat das Landgericht ausdrücklich umfangreiche Feststellungen zur Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Opfer im Vorfeld der späteren Tat getroffen und im Rahmen seiner Abwägung auch berücksichtigt, dass das Opfer seine Ablehnung einer Änderung des abgeschlossenen notariellen Kaufvertrags vor der Tat bereits wiederholt sachlich zum Ausdruck gebracht hatte. Aus der vom Landgericht im Detail mitgeteilten und im Vorfeld der Tat geführten Kommunikation über WhatsApp zwischen dem Angeklagten und dem Opfer (UA S. 26 bis 29) ergeben sich im Übrigen keine Anhaltspunkte für dem unmittelbaren Tatgeschehen bereits vorangegangene Beleidigungen seitens des Opfers. Der Senat vermag auf Grund dieser Feststellungen auszuschließen, dass das Landgericht den Aspekt eines sich zu einer schweren Beleidigung aufsummierenden, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Geschehens wiederholter Kränkungen aus dem Blick verloren haben könnte.

112. Auch die Verneinung eines sonst minder schweren Falls gemäß § 213 Alt. 2 StGB – ohne zusätzlichen Verbrauch des vertypten Milderungsgrundes der verminderten Schuldfähigkeit nach §§ 21, 49 StGB – hält einer sachlich-rechtlichen Überprüfung stand. Die Gesamtwürdigung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

12a) Soweit das Landgericht dabei neben zahlreichen zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkten zu seinen Lasten auch „die erhebliche Brutalität der mit Tötungsabsicht ausgeführten Tat“ (UA S. 45) berücksichtigt, ist darin kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) zu sehen. Diese zu Lasten des Angeklagten berücksichtigte Wertung des Landgerichts bezieht sich erkennbar nicht auf die zur Tötung erforderliche Gewalt, die nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf (vgl. nur Rn. 7), sondern auf den Umstand, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung mit Tötungsabsicht gehandelt hat. Dies kann beim vorsätzlichen Tötungsdelikt ohne Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB) strafschärfend berücksichtigt werden (, BGHSt 63, 54 Rn. 26). Im Übrigen hat das Landgericht insoweit auch weiter ausgeführt, dass dieser Aspekt im Blick auf § 21 StGB „nur eingeschränkt strafschärfend berücksichtigt werden kann“ (UA S. 45).

13b) Auch die vom Landgericht zu Lasten des Angeklagten angeführten Folgen der Tat für die 88-jährige Mutter des Opfers, die unter Schlafstörungen leidet und zu einer Bekannten ziehen musste, weil sie ohne die Getötete als ihre wichtigste Bezugsperson nicht mehr alleine wohnen kann, stellt hier – entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts – ebenfalls keinen Wertungsfehler dar. Zwar gehört das generelle Zufügen von Leid bei den Angehörigen zum regelmäßigen Erscheinungsbild eines vollendeten Tötungsdelikts und kann deshalb im Allgemeinen keinen Strafschärfungsgrund abgeben (, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Totschlag 3 Rn. 4). Soweit es sich aber – wie hier – um besondere Auswirkungen der Tat handelt, die voraussehbar und geeignet sind, das Tatbild zu prägen und die Bewertung der Schuldschwere zu beeinflussen, können diese im Blick auf die verschuldeten Auswirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) auch ausnahmsweise Berücksichtigung finden (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 575/16 Rn. 8 und vom – 1 StR 285/06 Rn. 5).

143. Unter den konkreten Umständen wäre im Übrigen eine weitere Milderung des Strafrahmens neben der Annahme des § 213 StGB im Blick auf eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten ohnehin nicht in Betracht gekommen. Da nach den Feststellungen des Landgerichts zwischen den der Tat vorausgegangenen Äußerungen des Opfers und dem affektiven Ausnahmezustand des Angeklagten eine enge Verbindung bestand, sie also auf dieselbe Wurzel zurückzuführen sind (vgl. , BGHR StGB § 213 Alt. 1 Strafrahmenwahl 1 Rn. 37; Beschluss vom – 5 StR 119/02 Rn. 6 mwN), hätte eine weitere Milderung des Strafrahmens von § 213 StGB über §§ 21, 49 StGB hier nicht erfolgen können.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:040423U1STR488.22.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-41161