Instanzenzug: Az: 101 KLs 21/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „besonders schwerer Zwangsprostitution in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit dirigierender Zuhälterei und mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in acht Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in zehn Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und eine Kompensationsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Das Landgericht hat – soweit hier von Bedeutung – folgende Feststellungen getroffen:
3a) Im Sommer 2017 zog die Nebenklägerin im Alter von sechzehn Jahren alleine aus der Eifel nach Köln. Hier lernte sie kurz darauf den Angeklagten kennen und traf sich im September 2017 mit diesem in der Wohnung der Zeugin M. , wo sich auch die Zeuginnen C. und K. sowie die Zeugen K. Y. und G. Y. aufhielten. In der Wohnung kam es regelmäßig zum Konsum von Kokain. Zudem gingen die Zeuginnen C. und K. der Prostitution nach. Gemeinsam überredeten der Angeklagte und die Zeugen die Nebenklägerin dazu, die „Tätigkeit als Prostituierte auszuprobieren.“ Zu diesem Zweck erstellte der Zeuge K. Y. ein Onlineprofil für die Nebenklägerin und vereinbarte für sie einen ersten Termin für den . Das nach Vollziehung des Geschlechtsverkehrs von dem Freier erhaltene Geld händigte die Nebenklägerin vollständig dem Zeugen K. Y. aus. In den folgenden Wochen ging die Nebenklägerin für K. Y. weiterhin der Prostitution nach.
4b) Seit Mitte Dezember 2017 lebte die Nebenklägerin in einer Beziehung mit dem Angeklagten, für den sie von dieser Zeit an bis zum der Prostitution nachging. Der Angeklagte übernahm die komplette Verwaltung dieser Tätigkeit, indem er Onlineprofile erstellte, Terminvereinbarungen sowie Vereinbarungen zu Sexualpraktiken und Preisen traf. Zudem überwachte er die Einhaltung der Vereinbarungen und erhielt die durch die Nebenklägerin erzielten Einnahmen vollständig ausgehändigt.
5Am (Fall II. 11. der Urteilsgründe) und im Mai 2018 (Fall II. 18. der Urteilsgründe) lehnte es die Nebenklägerin dem Angeklagten gegenüber ab, weiterhin die Prostitution auszuüben. Dies nahm der Angeklagte in beiden Fällen zum Anlass, sie unter anderem durch Schläge in das Gesicht davon abzuhalten, die Prostitution aufzugeben. In beiden Fällen setzte die Nebenklägerin die Prostitution aus Angst vor weiteren Gewaltanwendungen des Angeklagten fort.
6Bei einer weiteren Gelegenheit Anfang Juli, aber noch vor dem , telefonierte die Nebenklägerin mit ihren Eltern, die sich zu dieser Zeit im Urlaub befanden. Da sie ihre Eltern vermisste, weinte die Nebenklägerin und ermittelte auf einer Karte im Internet deren Aufenthaltsort. Als der Angeklagte dies sah, fürchtete er, die Nebenklägerin wolle sich von ihm trennen und er könne seine Einnahmequelle verlieren. Aus diesem Grund trat er der Nebenklägerin zweimal gegen den Oberkörper sowie weitere Male gegen Arme und Beine, um sie von einer Aufgabe der Prostitution abzuhalten (Fall II. 22. der Urteilsgründe). Die Nebenklägerin setzte die Prostitution aus Angst vor weiteren Gewaltanwendungen des Angeklagten fort.
72. Die Verurteilung des Angeklagten in Fall II. 22. der Urteilsgründe hält materiell-rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit er (tateinheitlich) wegen besonders schwerer Zwangsprostitution gemäß § 232a Absätze 3 und 4 StGB in Verbindung mit § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StGB verurteilt ist.
8a) Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte – wie vom Landgericht angenommen – die siebzehnjährige Nebenklägerin zur Fortsetzung der Prostitution veranlasst hat.
9aa) „Veranlassen“ meint jedes Handeln des Täters, das mitursächlich für die Entscheidung des Opfers zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 245/20, NStZ-RR 2020, 346; vom – 3 StR 132/20; BT-Drucks. 18/9095, S. 33). Den Tatbestand der Zwangsprostitution gem. § 232a StGB erfüllt deshalb nur eine Einflussnahme des Täters, die den Erfolg einer Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution herbeiführt, wobei das Merkmal der „Fortsetzung“ insbesondere Personen betrifft, die bereits als Prostituierte tätig sind, von der weiteren Ausübung aber Abstand nehmen wollen oder zu einer intensiveren Prostitutionsform gebracht werden sollen (vgl. BT-Drucks. 12/2589, S. 8; Senat, Urteil vom – 2 StR 571/06; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 232a Rn. 4; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 232a Rn. 30). Der Täter muss also einen bislang nicht vorhandenen Entschluss des Opfers, der Prostitution nachzugehen, erst hervorrufen oder das Opfer von dem von ihm gefassten Entschluss, die Prostitution aufzugeben oder in geringerem Maße auszuüben, abbringen (vgl. , NStZ-RR 2020, 346). Maßgeblich für diese Beurteilung ist der tatsächliche Wille des Opfers und nicht das Vorstellungsbild des Täters (Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 232a Rn. 11; wohl auch AnwK-StGB/Schroth, 3. Aufl., § 232a Rn. 8; s. ferner MüKO-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 232a Rn. 25; a.A. – aber nicht tragend – wohl , juris Rn. 15 unter Verweis auf die zu § 180b Abs. 2 StGB in der Fassung des 26. StrÄndG ergangene, insoweit überholte Rechtsprechung zur Tathandlung des „Einwirkens“, die als bloßes Unternehmensdelikt ausgestaltet war und einen tatbestandlichen Erfolg in der Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution nicht erforderte). Geht der Täter von einem entsprechenden Willen des Opfers aus, fehlt es in Wirklichkeit aber an einem solchen, kommt allein eine Verurteilung wegen Versuchs in Betracht (Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 232a Rn. 11).
10bb) Hiervon ausgehend belegen die Urteilsgründe auch in einer Gesamtschau nicht, dass der Angeklagte die Nebenklägerin zur Fortsetzung der Prostitution veranlasste. Allein die Feststellung, dass die Nebenklägerin „aus Angst vor weiteren Gewalthandlungen des Angeklagten weiterhin für diesen der Prostitution“ nachging, belegt nicht, dass die Nebenklägerin im Zeitpunkt der Gewaltanwendung tatsächlich den Willen gebildet hatte, die Prostitution aufzugeben.
11Anders als in den Fällen II. 11. und II. 18. der Urteilsgründe fehlt es an einer ausdrücklichen Erklärung der Nebenklägerin, die Prostitution für den Angeklagten nicht weiter ausüben zu wollen. Auch lässt sich allein dem äußeren Geschehensablauf nicht entnehmen, dass die Nebenklägerin den Entschluss gefasst hatte, sich aus der Prostitution zu lösen. Dass sie mit ihren Eltern telefonierte, weinte und nach deren Aufenthaltsort auf einer Karte im Internet suchte, besagt für sich genommen nichts über ihre diesbezüglichen Absichten, die sie bei weiteren Gelegenheiten zuvor offen gegenüber dem Angeklagten zum Ausdruck gebracht hatte. Angesichts der Vorgeschichte mit zwei gescheiterten Versuchen, sich aus der Prostitution zu lösen, erscheint es möglich, dass sie sich innerlich mit ihrer Situation abgefunden hatte. Aus der – auch zu den Fällen II. 11. und II. 18. der Urteilsgründe getroffenen – Feststellung des Landgerichts, dass sie nach den Tritten des Angeklagten „aus Angst vor weiteren Gewalthandlungen des Angeklagten weiterhin für diesen der Prostitution nachging“, ergibt sich daher lediglich, dass sie auch nach dem gewaltsamen Übergriff die Prostitution für den Angeklagten ausübte. Dass sie zuvor entschlossen war, sie aufzugeben, lässt sich diesen Ausführungen des Landgerichts nicht entnehmen.
12cc) Die Verurteilung in Fall II. 22. der Urteilsgründe ist aufzuheben, da der Senat nicht ausschließen kann, dass einer anderen Strafkammer ergänzende Feststellungen möglich sind, die zu einer Verurteilung nach § 232a Abs. 3 und 4 StGB führen können. Dies zieht die Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Verurteilung wegen dirigierender Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB) und Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) nach sich (§ 353 Abs. 1 StPO).
13dd) Da die getroffenen Feststellungen von dem aufgezeigten Rechtsfehler unberührt sind, bleiben sie aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird ergänzend den tatsächlichen Willen der Nebenklägerin im Zeitpunkt der Tat aufzuklären haben.
14ee) Die Aufhebung der Verurteilung in Fall II. 22. der Urteilsgründe hat den Wegfall der zugehörigen Einzelstrafe zur Folge und bringt damit den Gesamtstrafenausspruch zu Fall.
153. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
16Indes bemerkt der Senat, dass der in Fall II. 14. der Urteilsgründe herangezogene und straferschwerend gewürdigte Umstand, dass es sich bei Kokain um eine „harte Droge“ handelt, im zugrundeliegenden Fall nicht unbedenklich ist. Die Gefährlichkeit einer Droge ist für sich genommen geringer zu gewichten, wenn der Angeklagte das Betäubungsmittel nur zum Eigenverbrauch erworben und besessen hat, weil bei einem bestimmungsgemäßen Gebrauch nur eine Selbstschädigung in Betracht kommt (vgl. ). Der Senat kann jedoch ausschließen, dass das Landgericht diesen Gesichtspunkt aus dem Blick verloren hat. Denn strafmildernd hat es gewürdigt, „dass das Kokain ausschließlich zum Eigenkonsum des Angeklagten gedacht war und auch nur dafür eingesetzt wurde.“
174. Der neue Tatrichter wird in Fall II. 22. der Urteilsgründe Gelegenheit haben, im Rahmen einer etwaigen Strafzumessung zu § 232a StGB auch die Dauer der Prostitutionsfortsetzung in den Blick zu nehmen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:150323B2STR348.22.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-40700