BVerwG Beschluss v. - 3 AV 1/23

Rechtsweg für Streitigkeiten zwischen dem Erbringer von Leistungen nach der Coronavirus-Testverordnung und der Kassenärztlichen Vereinigung über die Abrechnung von Testungen; Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses

Gesetze: § 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 53 Abs 3 VwGO, § 17a Abs 2 GVG, § 17a Abs 4 GVG, § 51 Abs 1 Nr 2 SGG, § 51 Abs 1 Nr 5 SGG, § 20i Abs 3 SGB 5, § 75 Abs 1 SGB 5, § 221 SGB 5, § 1 Abs 3 TestV, § 6 Abs 1 TestV, § 7 TestV, § 7a TestV, § 13 Abs 5 TestV, § 14 Abs 1 TestV, § 15 Abs 1 TestV

Instanzenzug: Az: 14 L 23/23 Beschluss

Gründe

I

1Die Antragstellerin betrieb ab dem im Auftrag des öffentlichen Gesundheitsdienstes des Beigeladenen eine Teststation zur Durchführung von PoC-Antigen-Tests auf das Coronavirus SARS-CoV-2. Sie hat beim Sozialgericht Berlin die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen Bescheid vom beantragt, mit dem die Kassenärztliche Vereinigung ... (Antragsgegnerin) für die Leistungsmonate Dezember 2021 bis März 2022 gezahlte Vergütungen in Höhe von insgesamt 387 433,31 € zurückgefordert und insoweit die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Die Vergütungen hatte die Antragsgegnerin auf der Grundlage der Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Testverordnung - TestV) vom (BAnz AT vom V1) festgesetzt. Das Sozialgericht Berlin hat durch Beschluss vom - S 22 KA 119/22 ER - den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Verweisungsbeschluss durch Beschluss vom - L 7 KA 28/22 B - zurückgewiesen. Die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG hat es nicht zugelassen. Das Verwaltungsgericht Berlin hat durch Beschluss vom - 14 L 23/23 - festgestellt, der Verwaltungsrechtsweg sei unzulässig, und das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen. Es handele sich um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung, über die gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden hätten. Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Berlin habe entgegen § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG keine Bindungswirkung, weil die vom Sozial- und dem Landessozialgericht angeführten Gründe für die Verweisung nicht nachvollziehbar seien.

II

2Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Sozialgericht Berlin und dem Verwaltungsgericht Berlin zuständig. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Die Vorschrift ist auf den rechtswegübergreifenden Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Sozialgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 8 AV 1.21 - juris Rn. 5 und vom - 3 AV 1.21 - NVwZ 2022, 421 Rn. 6, jeweils m. w. N.; - juris Rn. 2).

3Zuständig für die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Rückforderung der Vergütungen für die Testungen auf das Coronavirus SARS-CoV-2 durch den Bescheid der Antragsgegnerin ist das Verwaltungsgericht Berlin. Das ergibt sich aus dem Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Berlin, der gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich des Rechtsweges bindend ist. Die Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war. Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzliche Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann nur ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 8 AV 1.21 - juris Rn. 7 und vom - 3 AV 1.21 - NVwZ 2022, 421 Rn. 11, jeweils m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall. Dass die maßgeblichen Normen bereits deshalb nicht dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen seien, weil sie nicht im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch selbst enthalten seien, sondern in der Coronavirus-Testverordnung, ist nicht - wie das Verwaltungsgericht Berlin meint (VG BA S. 8) - der Kern der landessozialgerichtlichen Argumentation. Das Landessozialgericht ist der Auffassung, dass die Grundlage der geltend gemachten Vergütungsrückforderung in § 7a Abs. 5 Satz 2 TestV ihre prägende Wurzel nicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung habe (LSG BA S. 6).

4Da der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich des Rechtsweges bindend ist, kann der Senat offen lassen, ob für Streitigkeiten zwischen einem Erbringer von Testleistungen und der Kassenärztlichen Vereinigung über die Abrechnung der Leistungen auf der Grundlage der Coronavirus-Testverordnung gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten oder gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 oder 5 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten zulässig ist. Die Frage ist nicht nur zwischen den Sozialgerichten und dem Verwaltungsgericht des Landes Berlin, sondern auch sonst umstritten (für Sozialgerichte: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom - L 16 KR 433/22 B ER; Bockholdt, in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 - Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2. Aufl. 2022, § 14 Rn. 51; für Verwaltungsgerichte: VG Frankfurt, Beschluss vom - 5 L 3332/22.F - juris; ohne abschließende Stellungnahme Flint, in: jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 51 Rn. 154 bis 154.5; Reuter, GesR 2022, 273 <278>). Beim Bundessozialgericht ist eine weitere Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 bis 6 GKG gegen die Unzulässigerklärung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten für einen Rechtsstreit betreffend die Abrechnung von Leistungen nach der Coronavirus-Testverordnung anhängig (B 6 SF 1/23 R). Eindeutig ist die Zuordnung ebenso wenig wie bei der Heranziehung von Nichtvertragsärzten zu Beiträgen zur Finanzierung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes einer Kassenärztlichen Vereinigung (vgl. - juris; 3 B 31.21 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 45).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:240423B3AV1.23.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-40451