Revision im Strafverfahren wegen Vergewaltigung: Beruhen des Urteils auf einer unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgten Zeugenbelehrung
Gesetze: § 57 S 1 StPO, § 57 S 2 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO, § 274 StPO, § 272 Nr 5 StPO, § 338 Nr 6 StPO, § 169 Abs 1 S 1 GVG, § 171b Abs 1 S 1 GVG, § 171b Abs 3 S 1 GVG, § 177 StGB
Instanzenzug: LG München I Az: 9 KLs 454 Js 158476/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt sowie die in Spanien erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die Strafe angerechnet. Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, bleibt ohne Erfolg.
2Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der näheren Erörterung bedarf lediglich die Rüge der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung, mit der die Revision die Belehrung mehrerer Zeugen während des Ausschlusses der Öffentlichkeit beanstandet (§ 338 Nr. 6 StPO).
31. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
4Der Nebenklagevertreter beantragte in der Hauptverhandlung vom , für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin die Öffentlichkeit auszuschließen. Diesem Antrag gab das Landgericht mit Beschluss vom selben Tag statt. Zur Begründung stützte es sich auf § 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GVG und führte aus, die Nebenklägerin sei Geschädigte einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sodass schutzwürdige Umstände aus ihrem privaten Lebensbereich zur Sprache kämen; angesichts ihres Antrages sei der Ausschluss zwingend.
5Nachdem die Nebenklägerin anschließend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt hatte und als Zeugin entlassen worden war, wurden vier weitere Zeugen in den Sitzungssaal gebeten und gemäß § 57 StPO belehrt. Anschließend verließen die Zeugen mit Ausnahme des Zeugen W. den Sitzungssaal; dann wurde die Sitzung in öffentlicher Hauptverhandlung fortgesetzt.
62. a) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben.
7Der Beschwerdeführer war nicht gehalten, sich im Rahmen seines Rügevortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es den Zeugen trotz Ausschlusses der Öffentlichkeit gelingen konnte, den Sitzungssaal zu betreten. Da die Öffentlichkeit erst mit entsprechender Anordnung des Vorsitzenden wiederhergestellt wird, was nach dem Protokoll (§ 272 Nr. 5, § 274 StPO) erst nach der Zeugenbelehrung geschah (Bd. III, Bl. 313), kommt dem Umstand, ob die Tür(en) zum Sitzungssaal nicht versperrt waren, keine Bedeutung zu.
8b) Die auf § 338 Nr. 6 StPO gestützte Rüge ist unbegründet. Der von der Revision geltend gemachte Verstoß liegt zwar vor; ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil ist aber „denkgesetzlich“ ausgeschlossen.
9aa) Der Ausschluss der Öffentlichkeit während der Belehrung der vier Zeugen verstößt gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 57 Satz 1, 2 StPO; denn er war nicht durch den Beschluss des Landgerichts nach § 171b GVG gedeckt. Zwar umfasst der Ausschluss der Öffentlichkeit, der sich auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt wie die Dauer der Vernehmung einer Beweisperson beschränkt, nach ständiger Rechtsprechung alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 428/16 Rn. 6 und vom – 5 StR 467/15, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 6 Rn. 6; jeweils mwN). Die Belehrung der Zeugen stand jedoch ersichtlich in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Vernehmung der Nebenklägerin.
10bb) Dieser Verfahrensverstoß führt jedoch ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des Urteils.
11Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Verstoß gegen die Regeln der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht zur Aufhebung des Urteils, wenn ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil „denkgesetzlich“ ausgeschlossen ist (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 342/95 Rn. 8 f., BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 3; vom – 1 StR 34/12, BGHR StPO § 54 Abs. 1 Aussagegenehmigung 1; vom – 3 StR 163/07 Rn. 5, BGHR StPO § 338 Beruhen 2 und vom – 1 StR 636/98; Urteil vom – 5 StR 404/07 Rn. 12, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 5).
12So liegt der Fall hier: Das Gericht hat seiner Entscheidung allein die Angaben der Zeugen zugrunde gelegt, die sie in öffentlicher Hauptverhandlung getätigt haben. Dass das Urteil auf der unter Verstoß gegen die Vorschriften der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erfolgten Zeugenbelehrung beruht, ist unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen, da die Zeugen tatsächlich belehrt wurden, sodass der Aussageinhalt davon nicht beeinflusst worden sein kann. Zudem handelt es sich bei § 57 StPO lediglich um eine Ordnungsvorschrift, die dem Schutz des Zeugen dient und den Rechtskreis des Angeklagten nicht berührt, sodass auf das Unterbleiben der Belehrung eine Revision nicht gestützt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 329/21 Rn. 15 und vom – 3 StR 427/01 Rn. 4; Urteile vom – 3 StR 282/68 Rn. 4 und vom – 5 StR 17/97 Rn. 18; je mwN). Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, muss dies erst recht gelten, wenn Zeugen lediglich unter Verstoß gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG belehrt worden sind.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:220323U1STR243.22.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-40261